Protocol of the Session on October 28, 2021

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In der vergangenen Woche hat die Helsinki-Kommission HELCOM in Lübeck einen Aktionsplan für den Schutz der Ostsee für den Zeitraum 2021 bis 2030 beschlossen. Darin wurden auch Maßnahmen zur Vermeidung von Meeresmüll einschließlich Mikroplastik und ein besserer Schutz für Arten und Lebensräume in den Meeresschutzgebieten vereinbart. So wurden Ansätze zur Verminderung des Nährstoffeintrags und zur Verbesserung der Biodiversität in den Küstenregionen vorangebracht.

Apropos Mikroplastik: Das GEOMAR HelmholtzZentrum spielt auch bei diesem Thema eine international bedeutende Rolle. So hat das Institut kürzlich in einer Studie neue Erkenntnisse zu den Auswirkungen schon geringer Konzentrationen von Mikroplastik auf das marine Ökosystem vorgestellt. Das GEOMAR beteiligt sich auch am internationalen Projekt TechOceanS zur Entwicklung von neuen Unterwassersystemen für das Umweltmonitoring. Schleswig-Holstein kann die Ostsee nicht im Alleingang sanieren. Alle Ostseeanrainer müssen mitmachen, und Schleswig-Holstein kann und will dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Schleswig-Hol

(Ministerpräsident Daniel Günther)

stein ist dabei Motor. Das wollen und das werden wir tun, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU und FDP)

Lassen Sie mich das am Beispiel von Munition im Meer erläutern. Allein in deutschen Gewässern liegen etwa 1,6 Millionen t Munition auf dem Meeresboden. Mit den beiden erfolgreichen INTERREGOstseeprojekten DAIMON sind starke Netzwerke zur Erforschung dieses Problems entstanden. Schleswig-Holstein beschreitet seit einigen Jahren federführend und gemeinsam mit Partnern im Ostseeraum Lösungswege zur Munitionsbeseitigung. Auf dem internationalen Fachkongress Kiel Munition Clearance Week vom 6. bis 10. September 2021 unter meiner Schirmherrschaft und mit starker Beteiligung der Landesregierung trafen erstmals alle relevanten Akteure zusammen. Damit unterstreicht Schleswig-Holstein seine Vorreiterrolle in diesem wichtigen Forschungsbereich.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und vereinzelt SSW)

Hierin steckt Exportpotenzial sowohl in der Wissenschaft als auch bei wirtschaftlichen Lösungen, denn es wird Robotik und KI zur Beseitigung brauchen. Mit north.io haben wir bereits ein starkes KIUnternehmen, welches unter anderem die Digitalisierung des Ozeans im MARISPACE-X koordiniert. Im Projekt AmuCad leistet es einen wichtigen Beitrag für eine KI-gestützte Analyse der enormen Menge an historischen und aktuellen Daten. Damit wird das genaue Ausmaß der Munitionsbelastung im Meer so präzise wie möglich erfasst. Diese Daten sind Grundlage für eine spätere Munitionsbeseitigung.

Meine Damen und Herren, Schleswig-Holstein wird der unbequeme Antreiber bei den Munitionslasten bleiben. Wenn Bund und Länder jetzt etwa 100 Millionen € gemeinsam aufbringen, dann könnte hier in Kiel ein Prototyp einer Demontage-Plattform entstehen. Die Pläne liegen bei TKMS in der Schublade, die Plattform könnte in eineinhalb bis zwei Jahren gebaut sein. Wir wollen und wir werden den notwendigen politischen Druck machen, damit diese Pläne auch Wirklichkeit werden.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Im Aufbau von Know-how zur Beseitigung von Munitionslasten liegen wirtschaftliche Chancen für Schleswig-Holstein. Die Technologie ist da; für „Made in Schleswig-Holstein“ ist das eine riesige Chance, so unerfreulich die Altlasten auch sind.

Meine Damen und Herren, diese Beispiele zeigen, dass unsere Aktivitäten im Ostseeraum konkret bei den Menschen im Land ankommen. Die Landesregierung nimmt den Green Deal im Sinne der Bürgerinnen und Bürger sehr ernst. Für den gesamten Ostseeraum wird stetig an ganz konkreten Lösungsansätzen mit Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik gearbeitet.

Das bringt mich zur dritten Säule der Schwerpunkte. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger bei der ostseepolitischen Arbeit stärker mitnehmen. Und wir wollen den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren im Ostseeraum vertiefen. Wir wollen den Mehrwert der Ostseekooperation sichtbarer machen - nicht nur mit der heutigen Regierungserklärung.

Die Zusammenarbeit muss auch erlebbar werden, zum Beispiel in unseren Schulen, in den Hochschulen. Wir bringen Menschen zusammen. Ein stärkeres Wirgefühl mit unseren Nachbarn im Ostseeraum ist auch ein starkes Signal gegen den wachsenden Populismus und Nationalismus, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Aktivitäten unserer Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind auf diesem Gebiet bereits sehr vielfältig. Ich denke dabei an die zahlreichen Partnerschaften und Projekte mit wissenschaftlichen Einrichtungen des Ostseeraums oder an das Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie in Schleswig, das auf dem Gebiet in Nordeuropa weit vernetzt und international anerkannt ist.

Schleswig-Holstein ist zudem Mitglied des Baltic Science Network, das den Austausch und die Zusammenarbeit mit allen Ostseestaaten in übergreifenden Forschungsstärken weiter vertiefen will. Denn das große wissenschaftliche Potenzial der Ostseeregion soll stärker gemeinsam genutzt werden. Im Forschungsbereich gibt es immer wieder gemeinsame Projekte aus EU-Programmen, insbesondere INTERREG A.

Die Europa-Universität Flensburg beispielsweise unterhält zwei gemeinsame Studiengänge mit der Syddansk Universitet, sodass die Studierenden an beiden Hochschulen ihren Abschluss machen können.

Die Hochschule Flensburg hat bereits 2016 das „Danish-German Cross Border Engineering Study Program“ eingeführt. Dadurch können Bachelor

(Ministerpräsident Daniel Günther)

Absolventen der Hochschule Flensburg am Mads Clausen Instituttet der SDU geeignete Master-Studiengänge weiterführen.

Die FH Kiel hat mit dem dänischen University College Syddanmark in Haderslev 2017 ein DoppelBachelor-Abkommen in den Studiengängen des Fachbereichs Medien unterzeichnet. Derzeit baut der Fachbereich Medien der FH Kiel ein OstseeNetzwerk für Public Relations auf.

Das Wissenschaftsministerium will weitere bestehende Hochschulkooperationen ausbauen und neue Kooperationen etablieren. Wir wollen auch die Zusammenarbeit der Hochschulen mit forschungsstarken Unternehmen erweitern.

Die CAU etwa plant mit der Roskilde University den Aufbau eines gemeinsamen BWL-Masterstudiengangs. Dieser soll den transnationalen Arbeitsmarkt und die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen stärken.

Außerdem wollen wir mehr Studierende aus Dänemark und Skandinavien für ein Studium bei uns gewinnen. Dazu werden wir englischsprachige Studienangebote ausweiten.

Im Kulturbereich können wir auf renommierten Formaten wie JazzBaltica, folkbaltica und ARS BALTICA aufbauen. Wir sind jetzt dabei, ein weiteres nachhaltiges Kulturformat zu initiieren. Schleswig-Holstein bringt seit 2019 aktiv die Projektidee „Ostseekulturstadt“ voran. Unser Ziel: In regelmäßigen Abständen sollen sich Städte und Regionen im Ostseeraum um diesen Titel mit nachhaltigen kulturellen Ideen bewerben können.

Vor allem die Jugendarbeit im Ostseeraum ist eine wichtige Investition in eine friedliche Zukunft. Diese werden wir stärken. In allen ostseeweiten Gremien setzt sich Schleswig-Holstein dafür ein, dass die Jugend mitgestalten kann.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die auf Betreiben Schleswig-Holsteins beim Sekretariat des Ostseerates eingerichtete Baltic Sea Youth Platform hat großes Potential, Kontinuität und Nachhaltigkeit in der Ostsee-Jugendzusammenarbeit zu sichern. Das aber ist kein Selbstgänger. Das braucht starke Unterstützung von exekutiver und parlamentarischer Ebene mit Schleswig-Holstein als treibender Kraft.

Wir sind auch stolz darauf, dass die in diesem Jahr in Schleswig-Holstein ausgerichteten Fehmarnbelt Days ein offizieller Teil der EU Green Week waren.

Erstmals gab es eigene Sessions zur grenzüberschreitenden Stärkung von Frauennetzwerken und zur Beteiligung der jüngeren Generation.

Wenn Ostseepolitik greifbar und erlebbar wird, dann kann sie bei den Menschen ankommen. Deshalb werden wir als Land künftig noch mehr gesellschaftliche Gruppen ansprechen und mitnehmen.

Meine Damen und Herren, ein Teil der dritten Säule unserer Ostseepolitik ist die Pflege internationaler Beziehungen. Schleswig-Holstein setzt auf politische Zusammenarbeit mit vielen Partnern: mit den Regionen, mit dem Auswärtigen Amt, den norddeutschen Bundesländern und in der EU-Ostseestrategie.

Natürlich spielt bei unseren ostseepolitischen Überlegungen die Kooperation mit Dänemark eine zentrale Rolle. Am 24. August 2021 konnte ich im Beisein des Europaministers mit der Regionsratsvorsitzenden der Region Süddänemark die „Erneuerung der Gemeinsamen Erklärung zur regionalen Zusammenarbeit“ unterzeichnen. Wesentlicher Punkt dieser Erklärung ist die gemeinsame Initiative für eine dänisch-deutsche Entwicklungsallianz. Mit ihr wollen wir die grenzüberschreitenden Herausforderungen für Wirtschaft, Hochschulausbildungen und andere mehr identifizieren und gemeinsame Lösungen entwickeln.

Für Schleswig-Holstein ist es besonders wichtig, den Jütlandkorridor als Wirtschaftsraum zu stärken.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Die Ausgangssituation dafür ist erfolgversprechend: Kontinuierliches Wachstum, Innovationsfähigkeit und eine breite Wissensbasis kennzeichnen diese Region.

Ein Beispiel aus der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Ostseeraum sind die Digitalisierungsfortschritte im Gesundheitswesen: Um E-HealthLösungen in der grenzüberschreitenden Versorgung zu nutzen, hat die Hochschule Flensburg das Projekt „eIC-deutsch-dänisches-eHealth-InnovationCenter“ ins Leben gerufen. Es soll IT-Unternehmen im Gesundheitsbereich den Markteintritt erleichtern. Erreicht wird dies durch einen länderübergreifenden Wissenstransfer. Das Projekt gewann sogar den Deutsch-Dänischen Innovationspreis.

Mit insgesamt 90 Millionen € aus dem INTERREG-6A-Programm lässt sich in den kommenden Jahren in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Süddänemark auch einiges bewegen. Multilaterale, grenzüberschreitende Kooperation liegt in

(Ministerpräsident Daniel Günther)

der DNA Schleswig-Holsteins. Nur im Verbund mit Partnern kann nachhaltig gemeinsam an Lösungen und einem friedlichen Miteinander in der Ostseeregion gearbeitet werden.

Im Juli 2022 übernimmt Deutschland die Präsidentschaft des Ostseerates. Die ostseepolitische Debatte und Positionierung Deutschlands in den Jahren 2022 und 2023 wird dadurch Hochkonjunktur haben. Diese Gelegenheit wollen wir als Landesregierung gemeinsam mit dem Landtag nutzen, um politische Akzente zu setzen und Interessen einzubringen. Wir werden uns beispielsweise darum bemühen, das für Juni 2023 geplante Außenministertreffen des Ostseerates nach Schleswig-Holstein zu holen.

Ein wichtiges Datum für unsere Ostseezukunftspläne ist das für den 17. und 18. Februar 2022 geplante internationale Expertenforum in Lübeck. Das gesamte Kabinett wird präsent sein; auch Vertreter des Landtages und der Ostseeparlamentarierkonferenz sollen aktiv beteiligt werden. Renommierte Experten aus dem Ostseeraum diskutieren all die Themen der Ostseekooperation, die ich heute angerissen habe.

Ein wichtiger Workshop wird zum Beispiel das Thema klimafreundliche, grüne Mobilität aufgreifen. Jugendliche werden aktiv eingebunden. Bürgerinnen und Bürger werden über digitale Kanäle beteiligt.

Schleswig-Holsteins hat beste Voraussetzungen, um die Ostsee als Chancenraum zu nutzen. Ein starkes ökonomisches Fundament, gemeinsame Interessen, wohin sich die Wirtschaft entwickeln soll, und über Jahrzehnte gewachsene Partnerschaften verbinden uns mit den Anrainerstaaten. Künftig wollen wir noch mehr Menschen für die Ostseethemen gewinnen. Für uns als Landesregierung ist die Zusammenarbeit im Ostseeraum so wichtig wie selten zuvor.

Für mehr Wohlstand, Innovationen im Klimaschutz, Meeresschutz und für mehr Zusammenhalt lohnt sich unser Einsatz. Davon profitieren alle, meine Damen und Herren.

(Starker, anhaltender Beifall CDU, BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Oppositionsführerin und Fraktionsvorsitzende Serpil Midyatli.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Ostseeraum ist für uns in Schleswig-Holstein immer wichtig gewesen und hat auch einen sehr, sehr hohen Stellenwert. Unser Land war schon immer die treibende Kraft.

Nach dem Ende des Kalten Krieges haben wir die Entwicklung der heutigen Strukturen der Ostseekooperation entscheidend mitgeprägt. Björn Engholm hat bereits 1988 die Vision der Ostsee als einer „Region einer aufblühenden wirtschaftlichen und kulturellen Begegnung“ beschrieben. Dieser Tradition fühlen wir uns alle verpflichtet.