Protocol of the Session on February 24, 2022

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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung.

Aminata Touré, Landtagsvizepräsidentin:

Meine Damen und Herren, wir alle verfolgen seit Wochen die wachsenden Spannungen im Osten Europas. Mit Erschütterung haben wir die Berichte verfolgt, dass der Konflikt in der Ostukraine heute in den frühen Morgenstunden weiter eskaliert ist. Der russische Präsident Wladimir Putin hat mit dem Angriff auf die Ukraine begonnen und damit den Krieg in das Herz Europas getragen.

Wir alle hatten gehofft und geglaubt, dass das Recht des Stärkeren zumindest auf unserem Kontinent nicht länger als Mittel der Politik in Betracht gezogen würde - dass wir alle die Lehren aus den Schrecken und den Gräueln des Ersten und vor allem des Zweiten Weltkrieges gezogen hätten, unter dem vor allem die ukrainische und die russische Bevölkerung zu leiden hatten. Doch die russische Aggression gegen die Ukraine, einen unabhängigen Staat, zeigt in aller Deutlichkeit, dass das leider nicht der Fall war.

Wir sehen heute, wohin übersteigerter Nationalismus und ein im Kern imperialistisches Politikverständnis führen können, das Europa in Interessensphären aufteilt und mit Gewalt führen will statt im Geist einer für alle fruchtbringenden Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Die Argumentationsmuster, die von russischer Seite nun im wahrsten Sinne des Wortes ins Feld geführt werden, lassen die Welt erschaudern.

Meine Damen und Herren, machen wir uns gerade heute bewusst, was die Geißel Krieg für die Menschheit bedeutet, welches Leid sie verursacht, gleich welcher Nationalität man ist. Kriege führen nicht zu nationaler Größe, zu Ruhm oder zu Ehre, sondern sie zerstören das Lebensglück, sie bringen Schmerz, Verzweiflung und menschliche Abgründe. Krieg ist und bleibt ein Verbrechen - am eigenen Volk, an fremden Völkern, an der gesamten Menschheit. Nichts vermag das zu rechtfertigen, und nichts gibt Russland das Recht, die Grenzen in Europa mit Gewalt neu zu ziehen. Die Welt lässt sich nur miteinander verändern.

Unsere Herzen sind bei den Menschen in der Ukraine, gleich welcher Nationalität sie angehören. Wir appellieren an Russland, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, statt den Frieden zu brechen und

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das Selbstbestimmungsrecht der Völker mit Soldatenstiefeln zu treten. Die Missstände, die Russland im Osten der Ukraine sieht, lassen sich nicht mit Gewalt lösen. Die Welt schaut auf Russland, und sie sieht die Verantwortung, die in den Händen dieser Großmacht liegt, die sich einst selbst als Bastion des Friedens rühmte.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, sich zu erheben.

(Die Abgeordneten erheben sich)

Wir schauen voller Grauen in den Abgrund, der sich vor der Menschheit auftut. Lassen Sie uns für den Frieden beten, den die Welt so bitter nötig hat. Ich bitte Sie, innezuhalten. - Sie haben sich erhoben. Ich danke Ihnen!

Meine Damen und Herren, die Parlamentarischen Geschäftsführer haben mir mitgeteilt, dass wir aufgrund der aktuellen Situation die Sitzung bis 12 Uhr unterbrechen und die Presseerklärung der Bundesregierung abwarten werden. Ich unterbreche die Sitzung bis 12 Uhr.

(Unterbrechung 10:12 Uhr bis 12:11 Uhr)

Sehr verehrte Kollegen und Kolleginnen! Wir setzen die Sitzung fort.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 A auf:

Völkerrechtsbruch durch Russland nicht hinnehmen

Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/3662 (neu)

Das Wort zur Begründung wird, wie ich sehe, nicht gewünscht. Ich eröffne somit die Aussprache.

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende Tobias Koch.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erschüttert und fassungslos stehen wir vor den heutigen Ereignissen. 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges herrscht wieder Krieg in Europa. Unsere Gedanken und Gebete sind bei der ukrainischen Bevölkerung. Es ist kaum vorstellbar,

was diese Situation für die Menschen in der Ukraine bedeuten muss, die der akuten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind, sich um ihre Familien sorgen, die Zerstörung ihrer Heimat, sowohl ihres eigenen Zuhauses als auch ihres gesamten Landes befürchten müssen und vielleicht schon jetzt oder in Kürze in Kampfhandlungen direkt persönlich verwickelt sind. Wir stehen deshalb fest an der Seite der Ukraine und der gesamten ukrainischen Bevölkerung.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Was wir seit Dienstag und in aller Dramatik seit heute erleben, ist kein begrenzter regionaler Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, sondern es handelt sich um einen grundlegenden Paradigmenwechsel, den wir hier erfahren.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben wir während des Kalten Krieges 40 Jahre lang mit der latenten Gefahr eines Dritten Weltkrieges leben müssen, der unter Umständen mit dem Einsatz von Atomwaffen auf deutschem Boden verbunden gewesen wäre und uns Gott sei Dank erspart geblieben ist. Mit Glasnost, mit Perestroika und Mauerfall konnten wir uns dann seit 1989 mehr als 30 Jahre lang über Frieden und Freiheit in Europa freuen. Statt gegenseitiger Bedrohung standen friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit im Vordergrund. Ein militärischer Konflikt schien unter diesen Umständen undenkbar.

Diese Friedensperiode ist mit den aktuellen Ereignissen in dieser Woche unwiderruflich zu Ende gegangen.

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahre 2014 folgt nun der russische Angriff auf die gesamte Ukraine. Russland setzt damit erneut militärische Gewalt ein, um Grenzen in Europa zu verschieben, und stellt das Selbstbestimmungsrecht der gesamten Ukraine als souveränen Staat damit infrage. Aggressiver Nationalismus und Militarismus sind damit zurück auf der politischen Bühne, wie wir sie zuletzt in den dunkelsten Tagen Europas erlebt haben. Dem gilt es entschieden entgegenzutreten.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Die letzten Wochen waren die Wochen der Diplomatie. Heute müssen wir aber feststellen, dass trotz aller diplomatischen Bemühungen selbst auf höchster Ebene Russland und Putin nicht von der befürchteten Eskalation der Gewalt abgelassen haben.

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(Landtagsvizepräsidentin Aminata Touré)

Selbstverständlich kommt der Diplomatie auch weiterhin die Rolle zu, den militärischen Konflikt schnellstmöglich zu beenden. Dafür lohnen alle denkbaren Anstrengungen. Allein mit Diplomatie ist es jetzt aber auch nicht mehr getan, sondern es braucht nun eine klare Antwort auf die russische Aggression.

Für Waffenlieferungen an die Ukraine ist es nun zu spät. Zur bitteren Wahrheit des heutigen Tages gehört, dass wir die Ukraine mit der fehlenden Unterstützung ihrem Schicksal überlassen haben. Aus der historischen Verantwortung heraus wäre es meines Erachtens geboten gewesen, dem Opfer eines drohenden Angriffskrieges mit einer solchen Hilfe stärker zur Seite zu stehen.

Eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ist unter diesen Umständen absolut unvorstellbar. Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, dass Bundeswirtschaftsminister Habeck den Zertifizierungsprozess umgehend gestoppt hat und die Pipeline deshalb bis auf Weiteres nicht in Betrieb gehen wird.

Eine Pipeline nicht in Betrieb zu nehmen, durch die bislang überhaupt kein Gas geflossen ist, macht für Russland allerdings auch nicht den allergrößten Unterschied gegenüber dem bisherigen Status quo. Wenn wir Russland mit harten Sanktionen treffen wollen, dann müssen wir uns auch fragen, ob wir nicht auf Gasimporte aus Russland ab sofort gänzlich verzichten sollten, also sowohl über Nord Stream 1 als auch über die Jamal-Pipeline über Belarus kein Gas mehr zu beziehen.

Unsere Gasvorräte reichen nur noch bis in den Sommer, dennoch werden wir an dieser Stelle sehr schnell merken, wie abhängig wir von russischen Gaslieferungen sind. Aus dieser Abhängigkeit müssen wir uns befreien. Das gelingt uns nur, wenn uns alternative Bezugsquellen zur Verfügung stehen. Deshalb brauchen wir ein LNG-Importterminal, um zumindest mittelfristig Flüssiggas aus anderen Regionen der Welt importieren zu können.

(Beifall CDU und Jörg Nobis [AfD])

Meine Damen und Herren, das ist seit dem heutigen Tag aber keine rein energiepolitische Debatte mehr, sondern wir müssen uns auch den sicherheitspolitischen Aspekten stellen. Diplomatie und Sanktionen können immer nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn dies aus einer Position der Stärke heraus erfolgt. In den letzten 30 Jahren hat sich das militärische Gleichgewicht in Europa jedoch einseitig zugunsten Russlands verschoben. Ich befürchte, im aktuellen Zustand ist die Bundeswehr nur sehr be

grenzt zur Landes- und Bündnisverteidigung in der Lage.

(Beifall Jörg Nobis [AfD])

Wir müssen deshalb ab jetzt alles tun, um die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr in vollem Umfang herzustellen, damit Deutschland seinen Beitrag zur europäischen Sicherheitspolitik leisten kann. Eine Aufstockung des Verteidigungsetats darf deshalb nicht länger Streitpunkt sein. Wir müssen uns auch fragen, ob unter der veränderten Sicherheitslage ein Wiederaufleben der Wehrpflicht, die ganz bewusst nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt worden ist, nicht möglicherweise geboten wäre.

Neben dieser mittelfristigen Perspektive müssen wir kurzfristig in enger Abstimmung mit unseren NATO-Partnern und insbesondere den USA weitere Schritte ergreifen, um Russland von einer Fortsetzung seines völkerrechtswidrigen Handelns abzuhalten.

Ohne ein solches militärisches Abschreckungspotenzial steht ansonsten nämlich zu befürchten, dass härtere Sanktionen Russland derart in die Enge treiben, dass sich Präsident Putin zu weiteren unkalkulierbaren militärischen Aktionen hinreißen lassen könnte. Niemand würde Putin heute noch als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnen.

(Zurufe FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Folgt man stattdessen der gestrigen Charakterisierung von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, dann handelt es sich bei Putin um einen geschichtsbesessenen, autistischen Entscheidungsträger. Diesen Eindruck habe auch ich gewonnen, als ich mir das Interview mit Putin im Fernsehen angesehen habe. Von einem solchen Autokraten ist aber das Schlimmste zu befürchten. Dafür, meine Damen und Herren, müssen wir uns wappnen. Dafür bleibt nach der jetzigen Eskalation nicht mehr viel Zeit.

In Kriegszeiten ist nicht die Zeit für parteipolitische Auseinandersetzungen. Wenn wir in den letzten zwei Jahren schon geglaubt haben, dass wir mit der Coronapandemie die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg zu meistern hatten, dann werden wir jetzt feststellen, dass wir in der nächsten Zeit mit Sanktionen, der Energieversorgung und mit Sicherheitspolitik vor Herausforderungen weitaus größerer Dimensionen stehen werden.

Dafür ist die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert. Das wird aber nur gemeinsam gelingen Regierung und Opposition gemeinsam. Ich sage

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(Tobias Koch)

deshalb ganz klar und deutlich heute: Als Union stehen wir dafür bereit, um die Bundesregierung bei ihrem Handeln zu unterstützen. Jetzt ist Gemeinsamkeit gefordert. - Herzlichen Dank.