Ja, Deutschland wird Wirtschaftseinbußen haben. Die Sanktionen werden sich auch auf unser Leben auswirken. Deutschland ist ein wohlhabendes Land,
und für viele Menschen hier ist es durchaus machbar, den Gürtel enger zu schnallen. Es gibt aber auch sehr viele Menschen in Deutschland, die steigende Energie- und Lebensmittelpreise extrem hart oder existenziell treffen, weil sie sowieso schon jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Im Zuge der Coronapandemie und der entsprechenden Maßnahmen hat sich der Anteil dieser Menschen an der Bevölkerung noch erhöht. Wichtig ist deshalb, dass es Entlastungen gibt, aber nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern so zielgerichtet und sozial wie möglich.
Es ist wichtig, zu diesem Ausgleich zu kommen. Unsere Solidarität mit der Ukraine wird sich dann beweisen, wenn wir die Sanktionen durchziehen, auch wenn es uns wehtut.
Meine Damen und Herren, wir werden heute noch auf viele konkrete Aspekte eingehen, was dieser Krieg für uns in Schleswig-Holstein bedeutet: die Situation der Geflüchteten, die besondere Betroffenheit für Kinder, die wirtschaftlichen Folgen, die Folgen für die Landwirtschaft und nicht zuletzt für unsere Finanzen und unseren Haushalt. All diese Punkte eint eines: Die Herausforderungen sind so groß, dass sie uns zu ersticken drohen. Das wäre dann aber der maximale Gewinn für Putin. Das will ich nicht hinnehmen.
Deshalb möchte ich trotz aller Herausforderungen, die auch mir manchmal die Stimme rauben oder gefühlt den Boden unter den Füßen wegreißen, auch erwähnen, was Mut macht: Da ist in der Ukraine eine Nation, die mit aller Kraft für Demokratie und Freiheit kämpft. Sie mobilisiert alle Kräfte; wie David gegen Goliath kommt es uns vor. Wir wissen, wer den Kampf gewonnen hat. Wer es nicht weiß: Es war der kleine, kluge David mit der Steinschleuder, der gegen den Riesen Goliath den Kampf gewann. Dieser Kampf ist mit viel Nationalismus verbunden, das sehen wir, und das ist auch verständlich, wenn es darum geht, die eigene Souveränität zu verteidigen. Aber gerade Präsident Selenskyj betont immer wieder, dass es ein Kampf für europäische Werte ist. Das ist großartig.
Zweitens. Wir erleben ein Europa, das zusammenrückt, das Entscheidungen fällt - nicht immer Entscheidungen, die allen gefallen, aber auch das ist Demokratie. Es ist gut, dass die europäischen Staaten in dieser schweren Zeit zusammenrücken, dass
das Wirgefühl gestärkt wird, dass wir solidarisch sind und der europäische Gedanke wieder stärker wird. 2012 hat die Europäische Union den Friedensnobelpreis für die Verbreitung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte bekommen. Diese gemeinsamen Werte gilt es - ganz besonders in dieser Zeit - zu verteidigen und zu stärken.
Drittens. Wir erleben ein Europa, das Flüchtlingen hilft, auch und gerade jetzt im östlichen Europa. Natürlich bin ich nicht blind: Hier wird extrem selektiert, wem man Hilfe geben will und wem nicht. Zuallererst ist es aber eine gute Nachricht, wie solidarisch die Menschen sind, gerade in SchleswigHolstein: Menschen, die Geflüchtete bei sich zu Hause aufnehmen, die versuchen, Hilfsgüter in die Ukraine zu bringen und sich dabei teilweise selbst in Gefahr bringen.
Viertens. Es gibt Menschen in Russland und Belarus, die sich gegen den Krieg wehren: eine mutige Reporterin, die in einer Nachrichtensendung ein Schild hochhält, Bahnarbeiter in Belarus, die die Schienen lahmlegen, um den Transport von russischem Nachschub abzuschneiden, und viele Tausend Menschen - mittlerweile leider nicht mehr Tausende -, die in Sankt Petersburg und weiteren Orten trotz des Verbots und damit verbundener hoher Strafen gegen den Krieg demonstrieren.
Viele von uns sind auf Demonstrationen oder organisieren sie selber wie Frau Raudies oder andere. Aber wir stehen dort, hören uns lange Reden an, frieren ein bisschen und gehen hinterher wieder nach Hause an den warmen - jedenfalls relativ warmen - Ofen oder die Heizung. Hier gehen die Menschen in der Regel nicht nach Hause. Sie gehen wirklich ein Risiko ein. Wenn sie Pech haben, gehen sie nicht nach Hause, sondern ins Gefängnis. Diesen Menschen gilt unser voller Respekt.
Die 26-jährige Dascha, die mit ihrem dreijährigen Sohn nach Deutschland geflohen ist, die ihre Eltern, ihre Großmutter und ihren Mann in Charkiw zurückgelassen hat, die jeden Morgen voller Sorgen dort anruft, ob die nächtlichen Bomben ihre Lieben getroffen haben, sagte mir, sie habe Spaghetti im Kopf. Was bringt die Zukunft? Soll sie Deutsch ler
nen, um hier zu arbeiten? Will sie nicht lieber, dass der Krieg sehr schnell zu Ende ist, um zurückzugehen? Wird sie dann überhaupt zurückgehen? Soll sie ihre Mutter herholen, obwohl die Wagen auf der Flucht beschossen werden? - Ich kann ihr keine befriedigenden Antworten geben. Wie auch? Ich kann ihr nur Mut zusprechen und jeden Tag erneut dazu auffordern, nicht die Hoffnung zu verlieren, denn das dürfen wir nicht.
In schwierigen, in furchtbaren, in herausfordernden Zeiten und Situationen brauchen wir diese Hoffnung, um nicht aufzugeben, um weiterzumachen und zumindest das in unserer Macht Stehende zu tun, um unser eigenes Leben und die Welt in eine positive Richtung zu lenken, um nicht zu resignieren, sondern zu agieren.
Die heutige Debatte bringt den Ukrainerinnen und Ukrainern keine konkrete Hilfe: keine Nahrungsmittel, keine Sicherheit, keinen Frieden. Wir können aber den Menschen, die um ihr Leben bangen, ein Zeichen der Solidarität geben, vielleicht auch ein Zeichen der Hoffnung, und wir können dafür sorgen, dass wir die Menschen in der Ukraine nicht wieder vergessen, wie wir es nach dem Einmarsch in die Krim getan haben. Wir können dafür sorgen, dass der Gesprächsfaden zwischen der Ukraine und Russland nicht abreißt, auch bei den Menschen, die bei uns mit unterschiedlichen Wurzeln leben. Frau Midyatli ist darauf eingegangen, ich bin ihr dafür sehr dankbar.
Und wir können den Geflüchteten, die aus der der Ukraine nach Schleswig-Holstein kommen, ein herzliches Willkommen bereiten. Wir werden dabei keinen Unterschied machen, welcher Herkunft die Geflüchteten sind, welche Hautfarbe sie haben oder welcher Religion sie angehören. Für diese Einstellung danke ich insbesondere der Innenministerin ganz herzlich. Wir werden die Debatte nachher noch führen.
„Frieden ist wichtig. Frieden ist die einzige Möglichkeit. Die Ukraine braucht Frieden. Und unsere Freundschaft. Und unsere Solidarität. Solidarität bedeutet: Wir stehen der Ukraine bei. Wir sind auf ihrer Seite. Wir sagen Nein zu dem Krieg.“
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke dem Herrn Ministerpräsidenten für seine sehr klaren Worte und der Landesregierung für die angesprochenen Taten. Ich habe den Eindruck - ich glaube, das geht nicht nur mir so -, dass Schleswig-Holstein wieder einmal schnell und entschlossen handelt und zusammensteht. Ich kriege viele positive Rückmeldungen. Wahrscheinlich rede ich mit anderen Leuten, aber ich bin ehrlich beeindruckt von den Menschen, die jetzt wieder einmal anpacken. Es sind übrigens viele Ehrenamtler, die auch im Ahrtal sofort geholfen haben. Die sind jetzt wieder dabei. Diesen Menschen müssen wir den Rücken stärken und alles dafür tun, dass es funktioniert.
Ich bin auch dankbar dafür, dass wir das parlamentarisch heute gut gelöst haben. Wir haben einige Wochen vor der Landtagswahl, und ich weiß, da ich schon ein paar Tage dabei bin, wie normalerweise Landtagssitzungen einige Tage vor der Wahl ablaufen. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir es wieder einmal geschafft haben, parteiübergreifend und interfraktionell sehr angemessen parlamentarisch mit dieser Situation umzugehen. Auch das ist in solchen Zeiten wichtig. Das bekommen nicht alle immer und überall in den Parlamenten hin. Ich bin dankbar dafür, dass das hier funktioniert; vor allen Dingen also ein Dank an die Opposition, SPD und SSW, dafür.
Man muss kein Militärexperte zu sein, um in diesen Tagen zu erkennen, dass sich Putin mit diesem schrecklichen Angriffskrieg massiv verkalkuliert hat. Die Menschen in der Ukraine leisten erbitterten Widerstand. NATO und EU waren lange nicht so geschlossen und entschlossen wie heute. Dazu kann ich nur sagen: Besser spät als nie.
Frau von Kalben hat es bereits angesprochen: Wir wissen zwar nicht, ob man diesen Krieg hätte verhindern können. Ich glaube aber, es wäre besser gewesen, wenn wir im Westen früher geschlossener und entschlossener gewesen wären. Es ist aber jetzt wichtig, dass wir zusammenstehen und uns nicht wieder auseinanderdividieren lassen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Gerade in Deutschland war es wichtig, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Russland hat sich auf Jahre international isoliert. Es ist jetzt de facto von China abhängig. Deshalb wird de facto ganz viel vom Verhalten Chinas abhängen, wie es in den nächsten Monaten und Jahren weitergeht.
Der schreckliche Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bricht nicht nur eklatant das Völkerrecht, sondern unsere gesamte zivilisatorische Ordnung in Europa ist damit nachhaltig geschädigt. Es wird in diesen Tagen ein neues Zeitalter entstehen.
Anders als die Sowjetunion ist das Russland Putins sehr schwer berechenbar. Das ist quasi ein KGBMafiastaat geworden, hinter dem keine Ideologie steht. Das ist eigentlich ein Mafiastaat, der sehr schwer einzuordnen ist. Wir waren viel zu lange viel zu gutgläubig. Ich will dennoch die Suche nach diplomatischen Wegen in den letzten Jahren gar nicht verurteilen. Hinterher ist man sowieso immer schlauer. Ich kann das auch ein Stück weit verstehen, gerade mit Blick auf unsere historische Verantwortung gegenüber Russlands. Ich sage aber auch sehr deutlich, wir werden mit sehr, sehr klaren Worten aus Osteuropa Tag für Tag darauf hingewiesen, dass Deutschland auch eine historische Verantwortung gegenüber den Balten, den Polen, den Ukrainern und anderen osteuropäischen Völkern hat. Auch denen gegenüber haben wir eine historische Verantwortung, der wir jetzt nachkommen müssen.
Der Angriff Russlands auf die Ukraine begann ja nicht am 24. Februar 2022, sondern im Jahr 2014, also vor acht Jahren. Wir haben auf die vielen Warnungen gerade aus Osteuropa leider nicht so richtig gehört oder hören wollen. Wir hätten unsere Bundeswehr und damit unsere Wehrhaftigkeit nach außen niemals so vernachlässigen dürfen.
Ich persönlich finde es wirklich unerträglich, dass Putin behauptet, er würde in der Ukraine den Nazismus bekämpfen müssen, während Kinder und Shoah-Überlebende im Bunker sitzen müssen, weil er sie aus der Luft beschießt. Die Menschen aus der Ukraine verteidigen nicht nur ihr Land und ihre Identität, sie verteidigen die Freiheit und Demokratie in Europa, vor der sich Putin und seine Leute so sehr fürchten. Oft wird gesagt, Putin verstehe nur Stärke - der Mann und sein System haben Angst. Das kann man am Niederschießen des Aufstands in Kasachstan sehen - das ist ja noch nicht so lange her -, und das kann man auch am Niederknüppeln mit russischer Unterstützung der Demokratie- und Freiheitsbewegung in Belarus sehen. Das sind nur die jüngsten Vorgeschichten zu diesem Angriff auf die Ukraine. Auch dort haben wir die Signale viel zu spät erkannt.
Putin hat jetzt die Maske fallen lassen. Wir müssen ihn weiter isolieren. In der Ukraine beobachten wir jetzt, wie gezielt Zivilisten ermordet werden. Wer so handelt, kann kein Partner mehr für uns sein auch nicht nach einem möglichen Friedensschluss.
Ich bewundere die tapferen Menschen in der ukrainischen Armee. Sie brauchen jetzt unsere Unterstützung. In der Tat muss eine Ausweitung des Krieges auf NATO-Gebiet unbedingt vermieden werden. Das ist natürlich ein großes Dilemma, vor dem wir da militärisch stehen, und ich muss sagen - Kollege Koch hat es bereits gesagt -: Natürlich fallen uns die Waffenlieferungen schwer. Aber das ist nun einmal notwendig. Ich bin der Meinung, Deutschland und andere EU- und NATO-Partner müssen alles dafür tun, damit die Ukraine noch mehr Waffen, Munition und Mittel bekommt, damit die Ukraine diesen Krieg gewinnt.