Protocol of the Session on April 28, 2022

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(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Dann kommen wir zum zweiten Teil. Ich frage mich ernsthaft, ob ich eine Wahlkampfrede halten oder ob ich es noch einmal in aller Sachlichkeit versuchen soll.

(Serpil Midyatli [SPD]: Sachlich! - Christo- pher Vogt [FDP]: Zweiteres!)

- Eka von Kalben hat „sachlich“ gefordert.

(Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sachlich können Sie gar nicht! - Zu- ruf: Das sagt die Richtige!)

Zum Tariftreue- und Vergabegesetz: Schon der Titel, Kolleginnen und Kollegen, veranlasst mich, noch einmal sagen zu müssen, dass das, was Sie auf die Wahlplakate kleben, die Einteilung in Gut und Böse - es ist hier genannt worden -, in Wahrheit etwas ist, was mit dem alten Tariftreue- und Vergabegesetz gar nicht möglich war; denn rechtlich dürfen Sie nicht danach differenzieren, ob ein Unterneh

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

men bei der Vergabe tarifangehörig ist oder nicht. Das ist untersagt, weil unsere Koalitionsfreiheit im Grundgesetz besagt, dass man auch tarifungebunden sein darf. Sie wollen in Wahrheit keine Tariftreue, sondern Sie wollen Tarifbindung erzeugen. Das will ich übrigens auch. Ich will mehr Tarifbindung.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Aber Tarifbindung erzeugt man nicht durch Pflicht, sondern durch Überzeugung, meine Damen und Herren,

(Beifall FDP und CDU)

und zwar einer Überzeugung sowohl der Arbeitgeber- als auch der Gewerkschaftsseite. Im Übrigen sollten wir uns da nichts vormachen.

(Unruhe)

Lieber Lars Harms, für etwaige Koalitionsverhandlungen in der Zukunft machen wir jetzt einmal einen kleinen Faktencheck.

(Zurufe)

Wenn es so wäre, dass ein Tariftreue- und Vergabegesetz dazu führt, dass es mehr Tarifbindung gäbe Im alten Tariftreue- und Vergabegesetz stand in § 4 Absatz 1: Die Unternehmen müssen sich schriftlich verpflichten, wenigstens die Mindestbedingungen einzuhalten, die durch einen bundesweit für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag vorgesehen sind. - Man kann nicht verlangen, dass es ein tarifgebundenes Unternehmen ist, sondern nur, dass die entsprechenden Bedingungen erfüllt werden.

Wie viel für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge hat es in den letzten Jahren in welchen Bundesländern gegeben, und welches Bundesland hat die meisten? Wir rangieren im bundesweiten Vergleich an vierter Stelle. Wissen Sie, wer an der Spitze steht? - Nordrhein-Westfalen mit 60 für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, übrigens schwarz-gelb regiert. Merken Sie da etwas?

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Jetzt wird es ganz bitter. Welches Bundesland hat das schärfste Tariftreue- und Vergabegesetz?

(Zuruf: Berlin?)

- Nein, Bremen und das Saarland. Die haben quasi noch einen flexibilisierten Landesmindestlohn, der sich an den entsprechenden Lebenshaltungskosten orientiert. Und wie hat sich die Tarifbindung in Bremen in den letzten Jahren entwickelt? Tarifbindung der Betriebe im Bundesland Bremen in den

letzten Jahren minus neun Prozentpunkte auf jetzt 17 %. Das absolute Schlusslicht der tarifgebundenen Betriebe ist Bremen, und dort gibt es das schärfste Tariftreue- und Vergabegesetz. Sagt Ihnen das etwas, meine Damen und Herren?

(Beifall FDP und CDU - Zuruf Dr. Kai Dolg- ner [SPD])

- Ich habe heute Abend eine DGB-Diskussion, deshalb habe ich mich intensiv vorbereitet. - Das Saarland liegt bei 24 % tarifgebundenen Betrieben, wir liegen bei 27 % tarifgebundenen Betrieben. Auch das ist keine schöne Entwicklung, aber die geringste Tarifbindung gibt es in den Ländern mit dem schärfsten Tariftreue- und Vergabegesetz. Wo kommt das wohl her?

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lars Harms?

Sehr gern.

(Dr. Kai Dolgner [SPD]: Die Störche bringen die Babys, da gibt es auch eine Korrelation! - Unruhe)

Lieber Herr Minister Buchholz, viele Bundesländer haben ein Tariftreue- und Vergabegesetz in verschiedenen Varianten. Das Ursprungsgesetz kam übrigens von der CSU, als sie in Bayern noch allein regiert hat. Das haben wir damals adaptiert. So schlecht war das nicht.

(Zurufe)

Lieber Herr Minister Buchholz, Sie insinuieren, dass es einen Zusammenhang zwischen Tarifbindung und Tariftreuegesetz gibt, und das ist so nicht wahr.

(Beifall SSW und SPD)

Es gibt keinen Zusammenhang. Wenn die Tarifbindung abnimmt, können die Menschen froh sein, dass es noch ein Tariftreuegesetz gibt, das ihnen im wahrsten Sinne des Wortes noch den Lebensstandard rettet.

(Beifall SSW und SPD)

(Minister Dr. Bernd Buchholz)

- Lieber Lars Harms, wir sollten uns darin einig sein: Unsinn aus Bayern müssen wir nicht in allen Teilen übernehmen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

- Nein, nur die guten Sachen, das ist richtig.

- Wir sind uns ja einig: Eine direkte Korrelation ist schwierig nachzuweisen.

(Zurufe SPD: Ach!)

Es geht um die Frage: Was will ich erreichen? Ich will doch mehr Tarifbindung erreichen. Haben die Tariftreue- und Vergabegesetze in den anderen Bundesländern mehr Tarifbindung erzeugt? - Die Antwort ist ein klares Nein.

Was hat das Tariftreue- und Vergabegesetz mit der jeweiligen Lohnentwicklung in den Ländern gemacht? Hat es zu einer besseren Lohnentwicklung geführt? Sind wir bei der Lohnentwicklung runtergegangen? Gucken wir uns einmal die BruttolohnEntwicklung in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren an. Abgesehen von dem pandemiebedingten Einbruch 2020 sieht Schleswig-Holstein da im Bundesvergleich sehr gut aus und liegt mit einer Steigerung der Bruttolöhne um 4 bis 5 % jährlich über dem Bundesdurchschnitt. Darauf kommt es für die Menschen doch an!

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Ein Tariftreue- und Vergabegesetz interessiert die Menschen nicht, sondern sie interessiert, ob sie Bedingungen haben, für die es sich lohnt zu arbeiten. Dass wir auch in Schleswig-Holstein höhere Löhne haben wollen, dass wir Strukturen verbessern wollen, darin sind wir uns alle einig; wie wir dahinkommen, ist entscheidend.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Erlauben Sie eine zweite Nachfrage des Abgeordneten Harms?

Immer gern.

Ich gebe Ihnen recht, dass es schön ist, dass wir höhere Löhne haben. Die Wirkung des Tariftreuegesetzes ist, dass diese höheren Löhne auch für diejenigen gelten, deren Betriebe keine Bindung an Tarifverträge haben. Insofern erfüllt das Gesetz auch dort seinen Zweck.

Ich habe in der Vergangenheit hundertmal erlebt, dass Menschen, die in solchen Betrieben beschäftigt sind, hoch dankbar waren, dass Ihnen der Lebensstandard dadurch gerettet wurde, dass Ausschreibungen durchgeführt wurden, sodass sie mit ihrem Unternehmen eine Chance hatten, mit denjenigen zu konkurrieren, die keine Tarifregelungen einhalten wollen. Ganz klar: Ohne ein Tariftreuegesetz geht es nicht.

(Beifall SSW und SPD)