Ich erteile somit das Wort für die Landesregierung der Ministerin für Inneres, ländliche Räume, Integration und Gleichstellung, Dr. Sabine SütterlinWaack.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Wochen habe ich, wahrscheinlich wie Sie auch, viele Landes- und kommunale Notunterkünfte besucht. Ich habe dabei einige Gespräche mit Menschen, die fast alles verloren haben, deren Heimatstadt nun ein Schlachtfeld ist, deren Haus zerbombt wurde oder deren Familienmitglieder auf grausame Weise ums Leben kamen, geführt. Das Leid lässt sich immer noch schwer in Worte fassen. Deswegen, meine Damen und Herren, ist es das Mindeste, was wir tun können, dass wir allen Menschen, die zu uns kommen, eine ruhige und sichere Zukunft bieten.
Ich bin sehr froh, dass uns das in den letzten Wochen und Monaten auch gut gelungen ist. Wir verdanken das vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vieler verschiedener Behörden auf Landes- und kommunaler Ebene, die hervorragend zusammenarbeiten. Besonders verdanken wir das aber auch den vielen Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtlern. Unser Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge sowie die Kreise und kreisfreien Städte haben mittlerweile rund 25.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine erfasst. In Spitzenzeiten erreichen uns täglich hunderte Kriegsflüchtlinge. Mittlerweile bewegen sich die Ankunftszahlen täglich im mittleren zweistelligen Bereich.
Gemeinsam mit dem Katastrophenschutz und unseren Kommunen haben wir sehr zügig Notunterkünfte geschaffen, vor allem um am Anfang schnell ausreichend Plätze zur Verfügung zu haben. Das war für alle Beteiligten eine riesengroße Kraftanstrengung, natürlich auch für unsere Kommunen.
Aber auch in unseren Landesunterkünften haben wir innerhalb kürzester Zeit unsere Erstaufnahmeplätze auf 6.000 gesteigert, die kurzfristig auch noch weiter ausgebaut werden können. Dadurch sind wir derzeit in der Lage, alle bei uns ankommenden Kriegsflüchtlinge in den Landesunterkünften aufzunehmen und ihnen dort den ersten so notwendigen Schutz zu geben.
Durch unsere Landesunterkünfte können wir unsere Kommunen entlasten. Deswegen haben wir die aktuelle Anforderung zur Vorhaltung kommunaler Notunterkünfte aufgehoben. Wir werden weiter an der Seite unserer Kommunen stehen und für Ihre Entlastung sowie für eine faire Lastenverteilung sorgen.
Unsere Kommunen bemühen sich auch kontinuierlich um dauerhaften Wohnraum. Über die bestehenden Netzwerke zwischen Land, Wohnungswirtschaft und Kommunen sowie mit Hilfe vieler privater Vermieterinnen und Vermieter können wir diesen Wohnraum mobilisieren.
Allein der Kreis Rendsburg-Eckernförde hat insgesamt mehr als 1.800 private Wohneinheiten angeboten bekommen.
- Ja, jetzt klatschen Sie. Natürlich bestehen auch darüber hinaus weitere Bedarfe. Deswegen stellen wir mit Hilfe des Notkredits ein Sofortprogramm in Höhe von 5 Millionen € auf, damit unsere Kommunen weiteren Wohnraum für ukrainische Kriegsflüchtlinge herrichten können.
Meine Damen und Herren, derzeit sind in Schleswig-Holsteins Schulen rund 3.100 Schülerinnen und Schüler angekommen.
Wir haben auch im Hinblick auf die Arbeitsmarktintegration schnell gehandelt. Gemeinsam mit dem Bund haben wir Angebote organisiert und geöffnet, die den Weg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Dazu zählen mehrsprachige Informationen über Arbeit in Deutschland, Informationen für Unternehmen oder Sprachförderangebote.
Allerdings stellen wir derzeit auch fest: Die Menschen aus der Ukraine sind nicht in erster Linie gekommen, um zu bleiben. Vielmehr suchen sie eine vorübergehende Bleibe. Viele haben die Hoffnung, möglichst bald in ihre Heimat zurückkehren zu können. Das ist zum Beispiel einer der wesentli
chen Gründe, warum am Stichtag, am 13. April 2022, nur 73 Menschen aus der Ukraine arbeitssuchend gemeldet waren. Gleichwohl: Die Bereitschaft der Wirtschaft, die Flüchtlinge aus der Ukraine zu beschäftigen, ist hoch.
Neben der Aufnahme und der Integration der Kriegsflüchtlinge, beschäftigt uns auch ihr Schutz. Ein Großteil der hier ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine sind Frauen. Entsprechend ist unsere Landespolizei besonders sensibilisiert. Derzeit gibt es in Schleswig-Holstein keine Erkenntnisse zu Zwangsprostitution oder Fällen von Menschenhandel.
Zusätzlich beschäftigen uns jede Woche auch Demonstrationen, die auf den Ukrainekrieg Bezug nehmen. In den meisten Fällen handelt es sich um Solidaritätskundgebungen für die Ukraine. Die Landespolizei und die Versammlungsbehörden begleiteten in den letzten Wochen aber auch einige prorussische Demonstrationen. Hier konnten einzelne kriegsverherrlichende Symbole festgestellt werden. Genau für diese Fälle haben wir eine Handreichung entwickelt; denn russische Kriegspropaganda hat auf unseren Straßen nichts zu suchen.
Das Verwenden des Z-Symbols, des sogenannten Georgsbandes oder Fahnen der UdSSR mit dem darin zum Ausdruck kommenden Territorialanspruch dulden wir nicht. Wer den russischen Angriffskrieg in der Ukraine öffentlich billigt, stört unseren öffentlichen Frieden.
Meine Damen und Herren, zum Schluss - ich weiß ich bin schon ein bisschen über die Zeit - möchte ich mich noch einmal bei Ihnen bedanken. Gestern haben Sie fraktionsübergreifend einen Notkredit für die Aufnahme und Integration der ukrainischen Kriegsflüchtlinge beschlossen. Das zeigt einmal mehr unsere gute schleswig-holsteinische Tradition, dass wir ein weltoffenes Bundesland sind, dass wir Menschen in Not helfen, ihnen Zuflucht und eine Perspektive für die Zukunft bieten. Der breite Konsens über alle demokratischen Parteien hinweg ist ein starkes Zeichen. Dafür und für Ihre Unterstützung danke ich Ihnen von ganzem Herzen.
Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort die Abgeordnete Aminata Touré.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Vielen Dank erst einmal für den Bericht, Ministerin Sütterlin-Waack, und auch für die Bemühungen der Landesregierung. Was alles möglich ist, wenn es politisch gewollt ist, zeigt uns die aktuelle Situation im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine. Es sorgt dennoch für gesellschaftlichen Sprengstoff, wenn wir diese Möglichkeiten nicht für alle schaffen, die hierherkommen. Es ist mir wichtig zu betonen, dass sich das Unverständnis zu keinem Zeitpunkt auf die ankommenden Menschen aus der Ukraine richten darf.
Es sind, so wie es schon immer in der Migrationspolitik war, politische Entscheidungen, die zu einer Ungleichbehandlung führen; denn es ist richtig, dass die Geflüchteten von Anfang an arbeiten dürfen, dass sie direkt an die Kommunen verteilt werden, dass ihre Abschlüsse schnell anerkannt werden oder sie schnellen Zugang zu Bildungsinstitutionen bekommen.
Aber es bedeutet eben auch, dass all jene, die vor Jahrzehnten, einigen Jahren oder Wochen nach Deutschland gekommen sind, die aus anderen Ländern vor Krieg und Zerstörung geflohen sind, sich die Frage stellen: Was haben wir falsch gemacht? Warum bekommen wir nicht denselben Zugang? Jedes Mal, wenn ich in einer Flüchtlingsunterkunft bin oder mich mit Menschen austausche, die hierher geflohen sind, stellen sie mir immer wieder die Fragen: Warum müssen wir in dieser Unterkunft bleiben? Warum dürfen wir nicht arbeiten? Warum werden wir so behandelt? Wir sind nicht geflohen, weil wir es wollten, sondern weil wir es mussten. Wir wollen einen Beitrag für diese Gesellschaft und für unsere Familien leisten. - Meine Antwort darauf ist jedes Mal: weil es politisch genau so gewollt ist.
Trotz widrigster Umstände schaffen es Menschen, die Sprache zu erlernen, in schäbigen Kettenduldungsverfahren zu verharren, eine Zukunft für sich und ihre Familien aufzubauen. Ich glaube, die wenigsten machen sich eine Vorstellung davon, was es bedeutet, wenn die eigene Biografie, die der eigenen Eltern, der Familie Brüche erfahren, die das gesamte Leben beeinträchtigen, Chancen, die einem
Wissen Sie, manchmal habe ich wirklich geglaubt, dass es nun einmal nicht anders geht. Ich habe den Reden und den Aussagen derer geglaubt, die behaupteten, es sei gerechtfertigt, dass meine Eltern, die Eltern meiner Freunde und Freundinnen, dass wir anders behandelt werden, dass es schlichtweg nicht anders zu organisieren wäre. Es gibt nichts Mutloseres, als dass Politik sich hinter dem selbst gesteckten Rahmen versteckt. Wir haben es als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, als Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber, als Regierungsmitglieder in der Hand, welche Gesetze wir machen, welche Politik wir gestalten und wie viel Einsatz wir bereit sind zu zeigen - sei es im Land oder im Bund und am besten gemeinsam.
Was bedeutet das für uns hier in Schleswig-Holstein? Wir vor Ort sehen doch tagtäglich, welche Herausforderung es bedeutet, wenn wir Landessprachkurse anbieten, weil nicht alle an den Bundesintegrationskursen teilnehmen dürfen. Wir hier vor Ort sehen doch, was es bedeutet, wenn Menschen monate- bis jahrelang in den Unterkünften verharren. Wir hier vor Ort sehen doch, wenn uns Unternehmer und Unternehmerinnen fragen, warum zur Hölle eine Arbeitsgenehmigung nicht erteilt wird, obwohl jemand sich gut macht. Wir hier vor Ort sehen doch, was es bedeutet, wenn Integration nicht funktioniert, weil die bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen uns nicht machen lassen.
Deshalb, und das sage ich wohlwissend, dass wir im Bund an der Regierung beteiligt sind: Es ist unsere Aufgabe, Richtung Bund zu fordern, dass wir die Integrationsleistungen für alle erweitern müssen. Die ersten Schritte werden gegangen, aber ich erwarte vom Bund wesentlich mehr und mindestens das, was im Koalitionsvertrag auf Bundesebene Gutes verhandelt wurde:
Bundesintegrationskurse für alle, Arbeitszugang für alle, schnelle Verteilung in die Kommunen für alle, gleiche Anerkennung und Respekt für alle. Ich glaube, dass das, der Bereich der Migration, die zentrale Aufgabe in einer der nächsten Koalitionen nach dem 8. Mai 2022 sein wird. Wer wir als Gesellschaft sind, entscheidet sich immer daran, wie wir mit denjenigen umgehen, die stärker als andere von politischen Entscheidungen abhängig sind.
Wenn ich eines aus den letzten Wochen im Wahlkampf, aber auch aus den letzten Jahren als Abgeordnete mitgenommen habe, dann das, dass wir hier
in Schleswig-Holstein eine gesellschaftliche Mehrheit für einen solchen integrationspolitischen Kurs haben. Und darauf bin ich extrem stolz. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Touré. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Fraktionsvorsitzende Serpil Midyatli.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach über zwei Jahren Krieg in der Ukraine ist die Lage vielerorts immer noch dramatisch. Die Bilder können nur einen oberflächlichen Eindruck des Leids wiedergeben, das der russische Angriff ausgelöst hat. Unser dringender Appell bleibt daher: Der russische Angriff muss enden!
Viele Millionen Menschen sind auf der Flucht - innerhalb der Ukraine, in den Nachbarländern, aber auch zu uns. Sie bestmöglich aufzunehmen - da bin ich mit Ihnen absolut einer Meinung, Frau Innenministerin -, muss das Mindeste sein. Ich möchte mich ganz herzlich für Ihren Bericht bedanken, auch wenn wir weiterhin wissen, dass er viele Fragezeichen in sich birgt. Ich mache das nicht weiter zum Vorwurf, denn niemand kann derzeit realistisch abschätzen, wie viele Menschen weiterhin zu uns kommen und sich vor allem noch auf den Weg machen werden.
Wir alle hoffen auf ein schnelles Ende des Krieges, aber die letzten Wochen haben uns gelehrt, hier keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Gerade da wundert mich der Umgang mit den Kommunen. Wir haben gestern von der Frau Finanzministerin gehört, wie wichtig das sei, dass Bund, Land und Kommunen hier Hand in Hand gemeinsam arbeiten.
Frau Abgeordnete, einen kleinen Moment, bitte. Darf ich bitte um ein bisschen mehr Ruhe und Aufmerksamkeit für die Rednerin bitten? - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir haben gestern auch noch einmal - - Ich habe mir zumindest den Satz aus der Rede von Herrn Ole Plambeck in der Finanzdebatte gemerkt, dass wir wie auch 2015 und 2016 Finanzmittel zur Verfügung gestellt haben, um für 35.000 Menschen Unterkünfte vorzuhalten. Daher verstehe ich gerade den Umgang mit den Kommunen nicht. Vor kurzer Zeit - ich meine, es war im März 2022, in der ersten Märzwoche - haben Sie die Kommunen, die kreisfreien Städte und die Kreise aufgefordert, mindestens 300 bis 500 kommunale Erstaufnahmeplätze, sogenannte Notunterkünfte, herzurichten. Sie sind gerade fertig mit dieser Aufgabe, und die sind zum Teil auch schon belegt. Vorgestern haben Sie ihnen dazu aber gesagt: Alles wieder zurück, die braucht kein Mensch! Die fahren wir wieder sozusagen runter!
Das hat Auswirkungen auf die Kommunen, denn sie bekommen natürlich auch nur diese Plätze vom Land finanziert. Ich sage noch einmal sehr deutlich: Der Unterschied von heute zu 2015 und 2016 ist, dass sehr viele in den Kommunen ankommen und dort auch bleiben wollen. Ich weiß jetzt nicht, was passiert, wenn die kommunalen Unterkünfte wieder zurückgebaut werden, da schon Hunderte von Menschen untergebracht sind. Sollen die jetzt alle zurück in die Landesunterkünfte?
Es ist zwar richtig, dass wir viele private Unterkünfte haben, aber wenn wir ganz ehrlich sind, sind darunter auch mehr als nur einige wenige schwarze Schafe. Wenn wir uns nämlich einige Unterkünfte anschauen, dann wissen wir, dass wir sie nicht alle belegen können. Von daher halte ich diesen Weg für nicht richtig, gerade auch, weil wir die ganze Zeit von Solidarität zwischen Bund, Land und Kommunen gesprochen haben. Das frustet tatsächlich sehr im Moment. Ich kann diesen Weg auch nicht verstehen.