Protocol of the Session on December 13, 2018

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Ich begrüße Sie ganz herzlich zum heutigen Sitzungstag. Bevor wir in die Tagesordnung einsteigen, möchte ich Ihnen folgende Mitteilungen machen: Zunächst haben wir zwei Krankmeldungen, zum einen von der Kollegin Kirsten Eickhoff-Weber und zum anderen von der Kollegin Aminata Touré. Beiden wünschen wir von hier aus gute Besserung.

(Beifall)

Wegen auswärtiger Verpflichtungen sind am Nachmittag vonseiten der Landesregierung der Ministerpräsident, Ministerin Heinold und Minister Dr. Heiner Garg beurlaubt. Die beiden Abgeordneten Kay Richert und Rasmus Andresen haben nach § 47 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Landtags mitgeteilt, dass sie an der Teilnahme der heutigen Nachmittagssitzung verhindert sind.

Begrüßen Sie mit mir auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler aus der Gemeinschaftsschule in Altenholz ganz herzlich. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 22 auf:

Gleiche Sicherheitsstandards für Medizinprodukte wie bei Medikamenten

Antrag der Fraktion der SPD Drucksache 19/1085

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die SPD-Fraktion der Fraktionsvorsitzende Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der medizinische Fortschritt ist für viele Menschen ein großer Segen. Krankheiten können geheilt werden, für die es über viele Jahrhunderte keine Behandlungsmethoden gab. Leiden können gelindert werden, die für viele Generationen Probleme gebracht haben. Vieles, was früher ein Todesurteil war, kann dank der modernen Medizin heute geheilt werden. Nicht zuletzt Implantate und andere Medizinprodukte geben Menschen Lebensqualität zurück und ermöglichen ein beschwerdefreies Leben. Eigentlich sollten sie das tun, muss man ein

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schränkend hinzufügen; denn die jüngsten Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ zu den sogenannten Implant Files zeigen ein erschreckendes Bild. Pfusch und Materialfehler, unzureichende oder nicht vorhandene Kontrollen, langfristige Schädigungen, massive Beeinträchtigungen bei den Betroffenen, für all das finden sich zahlreiche Beispiele und Belege in den Veröffentlichungen. Wer die Debatte in den letzten Wochen verfolgt hat, sieht: Das hat bei den Menschen für nachhaltige Verunsicherung gesorgt.

Bereits 2012, zu Zeiten der schwarz-gelben Koalition im Deutschen Bundestag, gab es einen Antrag der SPD, in dem eine Verbesserung für die Sicherheit von Medizinprodukten durch Baumusterprüfungen und Stichproben, durch ein verbindliches Implantatregister und eine Haftpflichtversicherung für Hersteller gefordert wurde. Das war damals nicht mehrheitsfähig. Das Implantat-Register ist jetzt immerhin Teil der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag der Großen Koalition geworden. Das alles ändert aber nichts daran, dass wir alle in der Politik bekennen müssen, dass dieses Thema in der Vergangenheit zu wenig Beachtung gefunden hat und wir uns darum mehr kümmern müssen.

(Beifall SPD, SSW und vereinzelt FDP)

Die Beispiele sind wirklich erschreckend. Da ist die Insulinpumpe, die auf einmal verrücktspielt, viel zu viel Insulin in einen kleinen Körper pumpt und eine lebensgefährliche Situation hervorruft. Da ist die Bandscheibenprothese, die im Rücken zerbröselt und die eingesetzt wurde, obwohl Probleme mit dem Produkt bereits bekannt waren, was aufwendige Entfernungsoperationen notwendig macht. Da ist das künstliche Hüftgelenk, bei dem sich mit der Zeit durch Reibung giftige Metalle lösen und ins Blut gelangen, oder der Herzschrittmacher, der Batterieprobleme aufweist, sodass die Patientinnen und Patienten mit rasendem Puls mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden müssen.

Jedes dieser Beispiele ist eines zu viel und zeigt, es gibt dramatische Probleme bei der Zulassung und Genehmigung solcher Produkte. Es gibt Verletzungen, und es gibt Todesfälle. Offensichtlich gibt es einen Markt, der von Jahr zu Jahr wächst, auf dem teilweise hohe Gewinne möglich sind, mit dem viel Schindluder getrieben wird. Patientinnen und Patienten müssen sich jedoch darauf verlassen können, dass sie im Rahmen medizinischer Behandlung sichere, funktionierende und ausreichend geprüfte Produkte bekommen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall SPD)

Ärzte müssen sicher sein können, dass sie anständige Produkte einsetzen. Aufgabe der Politik ist es also, für die Rahmenbedingungen zu sorgen. Medikamente unterliegen zu Recht strengen und vergleichbaren Sicherheitsstandards. Ähnliches brauchen wir nach unserer Auffassung auch für Medizinprodukte. Das Nutzen-Risiko der Produkte muss vor der Nutzung qualifiziert bewertet werden. Wir brauchen Prüfrichtlinien, die einheitlich sind. Wir brauchen klinische Untersuchungen. Die Qualitätssicherung muss sichergestellt werden. Und: Die Patientinnen und Patienten, die geschädigt worden sind, müssen unbürokratisch Entschädigungen bekommen, und das schnell.

(Beifall SPD, SSW und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun wissen Sie, wie es ist, wenn man in Deutschland von unbürokratischen Regelungen spricht. Da tut sich der teutonische Fundamentalismus schwer, aus vielerlei Gründen. Aber im Interesse der Menschen ist das nicht. Es kann nicht ernsthaft so sein, dass Ersatzteile für Autos strenger geprüft werden als Medizinprodukte für Menschen, was in Teilen der Fall ist.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Deswegen sage ich Ihnen auch: Es geht hier am Ende um Patientenwohl und nicht um Profitgier - jedenfalls müsste das so sein. Das ist ja doch der Hintergrund. Sie kennen das alles: Da ist von Entbürokratisierung die Rede. Da soll man die Industrie nicht drangsalieren und all diese Dinge. Aber wenn es buchstäblich um Leben und Tod geht, finde ich, kann Entbürokratisierung nicht die Leitschnur für unser Handeln sein, sondern dann muss die Leitschnur Kontrolle sein.

(Beifall SPD, SSW und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun können die Versäumnisse nicht über Nacht zurückgedreht werden; das ist nicht möglich. Aber wir wollen mit unserem Antrag einen Schritt in die richtige Richtung gehen und der Landesregierung eine Positionierung für die anstehenden Gespräche mitgeben.

Herr Minister Garg, ich habe mit Freude gehört, dass Sie sich dazu geäußert haben, was das Land im Sinne der Ausdehnung der Überwachung durch Personal tun kann, das wir in den Bereichen einsetzen, in denen wir Kontrollen haben. Aber das ist eben nur die eine Seite. Die andere Seite ist, dass

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(Dr. Ralf Stegner)

wir bundesweit die Rahmenbedingungen ändern müssen, und zwar im Zweifelsfall für die Menschen; das muss die Devise sein. Wir dürfen Menschen nicht in falscher Sicherheit wiegen, dass sie sich Hilfe erwarten und am Ende durch das, was ihnen helfen soll, um ihre Gesundheit oder gar ums Leben gebracht werden. Das ist ein Fakt, den wir feststellen.

Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen. Das ist auch ein Beispiel für das, was wir in der September-Tagung diskutiert haben, nämlich wie wichtig es ist, eine freie, unabhängige Presse in Deutschland zu haben, die solche Dinge aufdeckt. Es ist eben nicht so, wie es manchmal hier von rechts in unserem Hause beschrieben wird.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Das ist gut so. Deswegen hoffe ich, dass unser Antrag Zustimmung findet und dass wir hier gemeinschaftlich handeln, damit es zum Wohle der Patientinnen und Patienten besser wird. - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall SPD, SSW und vereinzelt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Bevor wir in der Reihenfolge weiter fortfahren, habe ich das Allerwichtigste am heutigen Tag vergessen, beziehungsweise es ist mir durchgerutscht. Dafür entschuldige ich mich herzlich. Der Kollege Flemming Meyer hat nämlich heute Geburtstag.

(Beifall)

Herr Flemming, tillykke med fødselsdagen! Das Singen erspare ich Ihnen aber allen.

(Beifall)

Ich glaube, einige wissen, warum sie klatschen.

Ich möchte fortfahren und zwei Teilnehmer des Freiwilligen Ökologischen Jahres aus der Stiftung Naturschutz hier bei uns begrüßen. - Auch Ihnen herzlich willkommen hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Jetzt hat für die CDU-Fraktion der Abgeordnete Hans-Hinrich Neve das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sicherheitsstandards von Medizinprodukten - worüber sprechen wir? Es geht um künstliche Hüft- und Kniegelenke, es geht um Herzschrittmacher, Herzklappen, es geht um Brustimplantate. Vor vielen Jahren hat der Bundestag über den Skandal mit industriegefertigten silikongefüllten minderwertigen Brustimplantaten aus Frankreich debattiert. Vor einigen Tagen haben wir in „Panorama 3“ gesehen, wie künstliche Bandscheiben im Körper zerbröseln. Meine Damen und Herren, die Folgen für die Patienten sind der reinste Alptraum. Danach ist ein normales Leben für diese Patienten leider nicht mehr möglich.

Bisher gelten Medizinprodukte als zertifiziert, wenn sie das CE-Zeichen haben. In Deutschland wird das vom TÜV DEKRA vergeben, aber es gibt in der ganzen EU auch noch andere Stellen, die dieses Zeichen vergeben. Wurde es bei der einen Stelle nicht erreicht, kann man es bei der nächsten Stelle wieder beantragen. Wir haben in „Panorama 3“ auch gesehen, dass selbst ein Mandarinennetz, wie wir es im Supermarkt kaufen, diese Voraussetzungen für ein Medizinprodukt erfüllen kann. Aus meiner Sicht kann so etwas nicht angehen.

Man hört auch von Krankenhäusern und Ärzten, dass sie sich alleingelassen fühlen. Gab es im Jahr 2004 noch rund 3.000 Risikomeldungen an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, so waren es 2017 bereits 14.000 - fast fünfmal so viel.

Seit 2017 ist auch eine neue europäische Verordnung für Medizinprodukte mit entsprechenden Übergangsfristen in Kraft. Hier bin ich wirklich gespannt, wie sich das bei den Risikomeldungen bemerkbar macht. Medizinprodukte werden in Europa in kleinen und mittelständischen Firmen hergestellt. Die meisten Firmen in Europa stellen wirklich qualitativ hochwertige und innovative Medizinprodukte her.

Aber - jetzt kommt das aber -: Die hohen Margen und das derzeitige Zulassungssystem verlocken regelrecht zu kriminellen Machenschaften. Hier müssen wir einen Riegel vorschieben. Die Krankenkassen schlagen mittlerweile auch Alarm. Es sind schon lange keine Einzelfälle mehr. Wenn Hunderte von Hüftgelenken fehlerhaft waren und mit großen Kosten für das Gesundheitssystem wieder herausoperiert werden müssen, dann ist etwas nicht in Ordnung. An das Leiden der Menschen mag ich gar nicht denken. Medizinprodukte mussten bisher

(Dr. Ralf Stegner)

genau solche Prüfungsbedingungen erfüllen wie eine Taschenlampe oder ein Fön. Aber wenn der Fön und die Taschenlampe nicht funktionieren, kann ich beides wegwerfen. Das ist bei einer Herzklappe oder einer Bandscheibe nicht so. Das habe ich im Körper, und damit muss ich leben.

Insofern sind andere und bessere Zulassungsbedingungen notwendig. Es gibt noch viel Diskussionsbedarf. Einige Fragen sind: Was kann das Land Schleswig-Holstein tun? Was muss der Bund tun? Was muss auf europäischer Ebene geregelt werden? - Über das möchte ich gern im Ausschuss diskutieren. Wir bitten um Ausschussüberweisung. - Danke schön.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Dr. Marret Bohn.