Protocol of the Session on June 19, 2019

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Das Wort hat nun die Abgeordnete Ines Strehlau für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich ein Missverständnis aufklären, das Martin Habersaat hatte. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, dass die Förderzentren 70 Stellen zugewiesen bekommen haben, was nicht der Inklusion entspräche. Es ist so, dass die Förderlehrkräfte, auch wenn sie inklusiv arbeiten, den Förderzentren zugewiesen sind, die Förderzentren die Hoheit haben und gemeinsam mit den allgemeinbildenden Schulen die Verteilung machen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Insofern sehe ich das nicht als Schwächung der Inklusion.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder Bemerkung des Abgeordneten Habersaat?

Ja.

Ich gebe Ihnen völlig recht, Frau Strehlau. Ich verstehe das auch nicht als Schwächung der Inklusion. Ich war ein bisschen unter Zeitdruck. Insgesamt ging es mir darum, darauf hinzuweisen, dass ich nicht die Förderzentren allein für die Inklusion in Schleswig-Holstein verantwortlich sehe. Da steckt ein bisschen das alte Bild drin, das Förderschullehrer Inklusion machen und Gymnasiallehrer Begabtenförderung. Aus meiner Sicht wäre auch Begabtenförderung ein Teil von Inklusion.

- Da sind wir uns einig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie steht es um die Kompetenzen unserer Schülerinnen und Schüler in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik?

- Dazu gibt es in der Öffentlichkeit verschiedene Meinungen.

Zum einen gibt es Klagen, dass die Jugendlichen nicht mehr richtig schreiben und rechnen können und nicht gut auf Studium und Beruf vorbereitet sind. Zum anderen gibt es Untersuchungen, die belegen, dass sich unsere Schüler und Schülerinnen in bundesweiten Vergleichsstudien auch im MINT-Bereich gegenüber 2011 deutlich gesteigert haben; das ist schon mal ein gutes Ergebnis. Aber die IQB-Studie zeigt auch, dass wir in Schleswig-Holstein nicht wirklich besser geworden sind, sondern die anderen Bundesländer schlechter.

(Zuruf Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Immerhin.

Laut Studie erreichen aber 36 % der getesteten Schülerinnen und Schüler nicht die von der Kultusministerkonferenz vorgegebenen Regelstandards. Hier sind wir gegenüber den Vorjahren leider nicht besser geworden. Damit wollen wir uns nicht zufrieden geben. Deshalb ist das Programm „Niemanden zurücklassen“ mit den Säulen „Lesen macht stark“ und „Mathe macht stark“ ein wichtiges Element zur Stärkung der Mathekompetenzen.

Inzwischen nehmen ein Drittel der Gemeinschaftsschulen und fast die Hälfte der Grundschulen teil. Evaluationsergebnisse zeigen, dass die Anzahl der Schülerinnen und Schüler mit Schwächen in Mathe verringert wird. Auch für die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler gibt es viele, deutlich differenziertere Angebote: Es geht von schulischen Qualifizierungen als MINT-Schule bis zu außerschulischen Angeboten und Wettbewerben. Es gibt „Jugend forscht“, naturwissenschaftliche Olympiaden, „Schüler experimentieren“, „TüftelEi“ und „Robothlon“. Es gibt außerdem Enrichment-Kurse an den Wochenenden und die Juniorakademie, ein Angebot in den Ferien. Bei den Enrichment-Kursen und der Juniorakademie ist das Themenspektrum sehr breit und deckt nicht nur den MINT-Bereich, sondern auch den künstlerischen und gesellschaftspolitischen ab.

Ich bin öfter bei den Präsentationen der Enrichment-Kurse in unserer Region. Es ist beeindruckend, mit welchem Engagement und auch Spaß sich die Schülerinnen und Schüler in die Themen reinknien und welche super Ergebnisse sie erreichen. Wir haben und wir sehen also jetzt schon bei den Schülerinnen und Schülern auch im Mathematikbereich eine große Leistungsbereitschaft.

(Anette Röttger)

Die Hauptarbeit zum Vermitteln guter Mathe- und MINT-Kompetenzen wird aber im Unterricht an den Schulen geleistet. Hier ist auf vielen Ebenen schon viel Positives passiert. Wir bilden mehr Mathelehrkräfte aus, und die fachfremd unterrichtenden Lehrkräfte haben erfolgreich viele Fortbildungen in Anspruch genommen.

Es gibt auch wieder die Möglichkeit, in Flensburg Mathe auf Sek-I-Niveau zu studieren. Damit gewinnen wir Studierende, die nicht in der Oberstufe unterrichten wollen. Wir gewinnen auch Referendarinnen und Referendare für die Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe. Die Fachanforderungen sind kompetenzorientiert und geben den Rahmen vor. Gleichzeitig können die Schulen aber eigene Schwerpunkte setzen und auch eigene pädagogischdidaktische Konzepte entwickeln.

Wir haben mit der Kontingentstundentafel die Grundlage für einen flexiblen Umgang mit Lernzeit. Es wird nicht festgelegt, dass Mathe in Klasse 5 mit fünf Stunden in der Woche unterrichtet werden muss. Die Schulen haben Freiräume, die Stunden in den Jahrgangsstufen flexibel zu verteilen. Sie können einzelne Fächer auch zu Epochenunterricht zusammenfassen oder mehrere Fächer zum Projektunterricht.

Der vom Bildungsministerium vorgestellte Masterplan Mathematik stellt hier eine gute Ergänzung dar, die zur Stärkung von Mathe beitragen wird. Ein für mich wichtiger Punkt ist die stärkere Verzahnung von Schule und Hochschule um zu klären, was die einzelnen Bereiche leisten müssen, um eine erfolgreiche Bildungs- und Studienlaufbahn zu gestalten.

Eine Baustelle für uns Grüne bleibt, dass das Elternhaus der Schülerinnen und Schüler immer noch eine zu große Rolle bei erfolgreicher Bildung spielt. In Mathe haben Jugendliche mit einem hohen sozialen Status einen Vorsprung von fast drei Schuljahren im Vergleich zu sozial schwächer gestellten Gleichaltrigen. Hier gehen wir mit dem Bildungsbonus einen großen Schritt voran, aber es ist wichtig, die Lernbedingungen an allen Schulen zu verbessern.

Dazu erhöhen wir unter anderem stetig die Unterrichtsversorgung an allen Schularten.

Und die Begabten? Für sie gibt es die oben genannten Programme an allen Schularten, und sie werden auch im täglichen Unterricht gefördert. Durch individualisiertes Lernen mit verschiedenen Aufgabenstellungen für unterschiedliche Schülerinnen und Schüler leisten viele Schulen großartige Arbeit. Ei

ne Einteilung in Gruppen für leistungsstarke und leistungsschwache, wie die AfD es fordert, brauchen wir nicht.

Hierzu fällt mir der Pygmalioneffekt ein. Er beschreibt eine wissenschaftliche Untersuchung aus den USA aus dem Jahr 1965. Dort wurde Lehrkräften an einer Schule erzählt, bestimmte Schülerinnen und Schüler würden laut Testung demnächst einen großen Leistungsschub machen. Dieser Test hatte aber nie stattgefunden. Die Auswahl war gelost. Nach einem Jahr zeigte sich, dass die ausgewählten Schülerinnen und Schüler ihren IQ um bis zu 30 Punkte gegenüber einer Vergleichsgruppe steigern konnten. Die Erklärung war, dass die Lehrkräfte diese vermeintlich Leistungsstarken anders behandelt hatten. Sie hatten ihnen deutlich mehr zugetraut und sie unterstützt.

Fazit: Unterstützung durch die Lehrkraft bringt große Erfolge, nicht Separierung in Leistungsklassen. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ver- einzelt CDU, SPD, FDP und SSW)

Vielen Dank. - Das Wort für die FDP-Fraktion hat die Abgeordnete Anita Klahn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst möchte ich mich bei der Ministerin und ihren Mitarbeitern für die vorliegenden Berichte, die sehr umfassend sind, bedanken.

(Beifall Dennys Bornhöft [FDP])

Aber die vorliegenden Berichte stellen uns ganz deutlich dar, dass wir unser Engagement im Bereich der MINT-Förderung weiter verstärken müssen. Daher freue ich mich, dass wir im Haushalt 2019 den Etat auf 300.000 € erhöhen konnten.

Meine Damen und Herren, Begabtenförderung ist nicht gleich oder ausschließlich Mathematikförderung. Auch Aussagen wie „Alles fängt mit Mathe an, Mathe macht stark“ suggerieren, dass das der Schwerpunkt ist. Wir brauchen Förderung aber auch in allen anderen Feldern. Darauf gehen die vorliegenden Berichte genauer ein.

Was ich noch anmerken möchte, ist - die Kollegin Strehlau hat das bereits aufgegriffen -: Der IQBBildungstrend 2016 zeigt uns, dass sich die mathematischen Kompetenzen der schleswig-holsteinischen Schülerinnen und Schüler im Vergleich zu

(Ines Strehlau)

den fünf davor liegenden Jahren nicht bedeutsam verbessert haben. Davor lagen diese unterhalb des Durchschnitts bis maximal auf Bundesdurchschnitt. Hier haben wir also noch einiges zu tun.

Welche Auswirkungen das mit sich bringt, erkennt man auch mit einem Blick auf weitere Zahlen. Aktuell sind fast eine halbe Million Stellen im MINTBereich unbesetzt. Wenn man darüber hinaus betrachtet, wie die Altersstruktur der Beschäftigten und die auch noch dazukommende steigende Nachfrage nach Fachkräften in den technischen Berufsfeldern aussieht, dann spätestens sollte uns allen deutlich werden, dass wir hier in wenigen Jahren vor einer gewaltigen Herausforderung stehen. Ich denke, dass wir an dieser Stelle ganz explizit auch die Frauenförderung im Blick haben sollten.

Meine Damen und Herren, die Ergebnisse der Modellschulen belegen, dass in den Schulen der Grundstein für das mathematisch-naturwissenschaftliche Interesse gelegt wird. Diese Aussage ist nur insoweit richtig, da wir mit dem Berichtsantrag ausschließlich die Schulen betrachten.

Wir alle wissen aber, dass bereits im vorschulischen Bereich die natürliche Neugierde eines Kindes gefördert werden muss, um einerseits auf spielerische Art und Weise Verständnis für das eigene Umfeld zu entwickeln und andererseits Grundkenntnisse naturwissenschaftlicher, technischer Zusammenhänge zu erkennen. Projekte wie das „Haus der kleinen Forscher“ oder Phänomenta in Flensburg sind von daher sehr wertvoll.

Aber zurück zur Schule: Wie schaffen wir es, dem Mathematikunterricht seinen so Angst machenden Ruf zu nehmen? Wie schaffen wir es, dass sich auch Mädchen mehr für mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen öffnen und Selbstvertrauen haben? Denn leider ist es nach wie vor so, dass es überwiegend die Jungen sind, die hier voranmarschieren und daraus resultierend auch eher einen technischen Beruf wählen.

Meine Damen und Herren, es kommt immer auf den Lehrer an, ob die Schülerinnen und Schüler erreicht werden. Daher sollten wir in der weiteren Diskussion auch darüber sprechen, ob das Klassenlehrerprinzip in der Grundschule unter diesem Aspekt richtig ist.

(Zuruf SPD)

Denn aus dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass gerade in der Grundschule der Mathematikunterricht häufig fachfremd unterrichtet wird - leider mit negativen Folgen. Fortbildungen - auch das steht in

dem Bericht - zeigen eine deutliche Verbesserung, aber das reicht meines Erachtens nicht aus. Wir sollten hier keine Scheuklappen haben.

In den weiterführenden Schulen haben wir diese Problematik dann zusätzlich in den weiteren naturwissenschaftlichen Bereichen, und nicht ohne Grund sind Physik und Chemie Mangelfächer. An dieser Stelle möchte ich einfach einige Zahlen erwähnen, weil von der SPD gern das hohe Klagelied auf die Gemeinschaftsschulen angestimmt wird: Bei den Gemeinschaftsschulen gab es 2018 genau eine Schule mit Profilfach Physik im Gegensatz zu 57 Gymnasien, beim Profilfach Chemie waren es drei Gemeinschaftsschulen, dagegen 23 Gymnasien.

(Zuruf SPD)

Wir müssen also genau hinschauen, wer was anbietet und wo wir Kompetenzen haben.

Wenn wir noch weiter in den Bericht reingehen, sehen wir auch durchaus die Unterschiede bei den Leistungen in diesen Fächern. Das sind die Aufgaben, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Das sind die Fragen, die wir klären müssen, damit wir niemanden verlieren, der das Potenzial hat, in den naturwissenschaftlichen Bereichen später Erfolg zu haben.

Wir müssen diesen Bereichen besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen. Die folgenden Programme und Projekte zur Förderung der MINT-Fächer wirken grundsätzlich: Die Mathematik-Olympiade, die wir dieses Jahr auch mit zusätzlichen Mitteln unterstützt haben, Projekte wie „Schüler experimentieren“ sorgen dafür, dass Schülerinnen und Schüler auch außerhalb der Schule für Mathematik zu begeistern sind.