Protokoll der Sitzung vom 07.05.2004

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, 17 Monate Arbeit liegen hinter der Enquetekommission "Erziehung und Bildung in Thüringen". Damit diese Arbeit Früchte tragen kann, sollte als Handlungsmaxime Immanuel Kants "Ich kann, weil ich will, was ich muss." gelten, so meine Empfehlung. Wäre es nach meiner Fraktion gegangen, hätte eine Enquetekommission zu Bildung und Erziehung bereits im Januar 2001 eingesetzt werden können. Jedoch fanden sich weder zu dieser Zeit noch im Juni 2002 in diesem Hause Mehrheiten für unsere Anträge. Dies war, wie die ablehnenden Begründungen unschwer erkennen ließen, politisch motiviert. Letztlich wurde jedoch die CDU-Fraktion durch die anhaltenden Bildungsdiskussionen in der Öffentlichkeit wie der sprich

wörtliche Dackel zum Jagen getragen und formulierte im August 2002 einen eigenen Antrag zum Einsetzen einer Enquetekommission. Wir haben uns diesem Antrag nicht verweigert und ihm zugestimmt.

(Beifall bei der PDS)

Das Verzögern über Monate bedauern wir im Nachhinein immer noch, da die Kommission mindestens ein halbes Jahr mehr für ihre Arbeit hätte Frucht bringend nutzen können - Herr Döring hat bereits darauf verwiesen - und sie ausgewählte Fragen, zum Beispiel der gymnasialen Oberstufe oder eben der Bildungsfinanzierung, auf deren Bearbeitung aus den genannten Gründen verzichtet werden musste, noch hätte bearbeiten können. Gleichwohl möchte ich konstatieren, die Mitglieder der Kommission haben sachlich und ergebnisorientiert zusammengearbeitet, um zu Empfehlungen für Bereiche zu kommen, die in Thüringen für Bildung und Erziehung relevant sind. Des Öfteren haben wir auch intensiv gestritten, denn in der Arbeit prallten unterschiedliche Bildungs- und Erziehungskonzeptionen aufeinander. Um hier mit Goethe zu sprechen, das Gleiche lässt uns in Ruhe, aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht.

(Beifall bei der PDS)

Die vorliegenden Ergebnisse der Kommission sind eine Synthese aus diesem Denkprozess. Es gelang, nicht nur Konsens-, sondern auch Dissenspositionen im Bericht deutlich auszuweisen. Man kann also auch darüber nachlesen, worüber in der Kommission keine Einigkeit bestand, und dies nicht nur in Sondervoten. Dies trug nach meiner Auffassung wesentlich dazu bei, dass der Bericht am Ende in der Kommission über Fraktionsgrenzen hinweg breitere Zustimmung finden konnte.

Meine Damen und Herren, dem Dank, den Herr Döring an die Sachverständigen bereits geäußert hat, kann ich mich nur anschließen. Ich tue das gern und ich bitte Frau Morhard und Herrn Professor Lütgert, die in Vertretung der Sachverständigen heute auf der Tribüne sitzen, diesen Dank auch für alle stellvertretend entgegenzunehmen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich möchte aber auch der Landtagsverwaltung, insbesondere Herrn Dr. Seidel, Frau Rittweger und Herrn Schnurre danken, denn ohne ihre zügige und gründliche Arbeit, öfter bis in die Nachtstunden hinein, wären die Beratungen der Kommission zweifellos nicht gründlich und zügig möglich gewesen.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Erste Reaktionen in der Öffentlichkeit zu dem Bericht der Enquetekommission reichen von positiven Bewertungen der Ergebnisse bis hin zu einem mager. Das konnte man nachlesen in der Mühlhäuser TLZ vom 29. April 2004.

Ich will mich zu diesem Artikel nicht weiter äußern, aber schon feststellen, dass ich solche polarisierenden Bewertungen als normal betrachte. Darin drücken sich unterschiedliche Erwartungshaltungen aus, die sich erfüllt oder eben nicht erfüllt haben. Außerdem bekommen die Empfehlungen der Kommission, egal wie man sie heute beurteilt, überhaupt erst ihren Wert, wenn ihnen der Sprung vom Papier in die Realität gelingt.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Dafür ist politisches Wollen und Handeln notwendig und ein breiter gesellschaftlicher Konsens für Veränderungen zu finden - und jetzt zitiere ich aus dem Bericht -, "der sowohl die Mitwirkung aller Beteiligten gewährleistet als auch ein zu enges Denken in parlamentarischen Legislaturperioden überwindet." Meine Damen und Herren, wenn ich nun aus dem Bericht einige inhaltliche Aspekte herausgreife, richte ich meinen Fokus im Besonderen auf die Chancengerechtigkeit. Chancengerechtigkeit vermittelt heute oft den Eindruck einer Worthülse. Für uns, für meine Fraktion, ist sie notwendige Bedingung für sinnerfüllte, individuelle und zukunftsfähige gesellschaftliche Entwicklung.

(Beifall bei der PDS)

Ein erster Aspekt: In meiner pädagogischen und bildungspolitischen Arbeit habe ich immer darauf bestanden, Bildung und Erziehung als Ganzheit zu betrachten. Die Enquetekommission hat sich für ihre Arbeit ebenso von einem integrierenden Ansatz von Erziehung und Bildung leiten lassen, der sich natürlich im Spannungsfeld von individuellen und gesellschaftlichen Interessen, auch individueller und gesellschaftlicher Verantwortung, das betone ich ausdrücklich, bewegt. Mit diesem Ansatz verbindet sich für die Enquetekommission, dass Erziehung und Bildung, ich zitiere, "der freien Entfaltung der Persönlichkeit gewidmet," - sind - "was die Perspektive der Verantwortlichkeit für die Gemeinschaft einschließt". Ich ergänze, dies muss für alle chancengerecht möglich sein. Es entspricht unserer Auffassung, dass Bildung und Erziehung in dem von der Enquetekommission gewählten Leitansatz keine einseitige Einengung auf die unmittelbare Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt erfahren hat, was in Äußerungen immer wieder festzustellen ist. Eine freie demokratische Gesellschaft setzt Menschen voraus, die in der Lage sind, ihr Leben - das berufliche ist natürlich ein Teil davon - selbstbestimmt, sinn- und kulturvoll sowie verantwortungsbewusst gegenüber sich selbst und anderen erfolgreich zu gestalten. Für eine Persönlichkeitsentwicklung in diesem Sinn ist das Zusammenwirken aller an diesem Entwicklungsprozess Beteiligten notwendig. Auch das war ein Leitansatz der Enquetekommission. Der Staat - so sagen wir deutlich - kann und darf sich dabei nicht aus seiner Verantwortung nehmen, dafür notwendige Grundlagen zu schaffen. Ich spreche damit ausdrücklich nicht gegen eine pluralistische Bildungslandschaft, aber die Privatisierung von Bildungsaufgaben und der damit verbundenen Ausgaben löst für uns die Probleme

nicht, geschweige denn führt sie zu mehr Chancengerechtigkeit.

Meine Damen und Herren, nun zu einem nächsten Aspekt, der schwerpunktmäßig diskutiert wurde, der Qualitätsverbesserung im Bildungssystem. Dafür gilt es, sich individuelle und gesellschaftliche Beziehungen und Zusammenhänge zu vergegenwärtigen. Ich greife aus diesen Beziehungen die sozialen und ökonomischen Lebensumstände heraus, denn im Bericht wird festgestellt: "Je günstiger die ökonomische Lage eines Menschen ist, desto günstiger sind seine Chancen, in lange andauernde - ergo in der Regel höherwertige Lebenschancen verbessernde - Prozesse der Aneignung von Bildung und Bildungszielen einzutreten." Im Vergleich der Bundesländer ist für Thüringen eine eher ausgeglichene sozioökonomische Lage zu konstatieren. Die Mehrheit der Kinder lebt in Thüringen in stabilen Verhältnissen. Gleichwohl verfügten Ende der 90er-Jahre in Thüringen die Familien von 17.000 Kindern nur über ein Einkommen unter 646     kommen unterhalb der für die neuen Bundesländer bestimmten Armutsschwelle. Für diese Kinder besteht durchaus ein Risiko im Hinblick auf ihre Bildungschancen und für sie muss sich notwendigerweise etwas ändern.

(Beifall bei der PDS)

Nachgewiesen haben die vorliegenden Bildungsstudien die größeren Chancen von Kindern aus sozioökonomisch besser gestellten Familien, ein Gymnasium besuchen zu können. Das bedeutet zugleich Benachteiligung von Kindern aus sozial schwächeren Schichten. Wie die soziale und ökonomische Lage die Entwicklung junger Menschen beeinflusst, und zwar sowohl ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt als zugleich auch ihre Lebensgestaltung insgesamt, zeigen nachfolgende Daten erschreckend: Der Thüringer Berufsbildungsbericht 2003 weist für die Jahre von 1992 bis 2002 unter den arbeitslosen jungen Menschen unter 25 Jahren einen Anteil von 75 bis 86 Prozent mit Hauptschulabschluss aus, nachzulesen im Bericht. Dazu noch eine aktuelle Zahl: Nach Informationen der Bundesagentur für Arbeit waren im April 2004 23.700 junge Thüringerinnen und Thüringer unter 25 Jahren arbeitslos, das sind immerhin knapp 1 Prozent der Thüringer Bevölkerung. Situationsverschärfend wirkt, dass in dem angesprochenen Zeitraum von 1992 bis 2002 zwischen 10 und 13 Prozent aller Thüringer Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen haben. Zwar sei die Zahl seit der Schulgesetznovellierung rückläufig, wir haben nach Informationen aus dem Kultusministerium statistische Angaben bekommen, die sich zwischen 8 und 9 Prozent bewegen und auch die Aussage, damit liegen die Thüringer Verhältnisse jetzt im Bundesdurchschnitt, aber das, denke ich, ist kein Maßstab. Es besteht aus individueller und gesellschaftlicher Sicht großer Handlungsbedarf.

(Beifall bei der PDS)

Ich will das Problem noch untermauern. Ich habe gestern an einer Veranstaltung des ThILLM teilgenommen, in der es um Schulversagen ging. Professor Klemm aus Essen hat drei Daten genannt, die das Problem dieser jungen Menschen noch deutlicher illustrieren. Die Chance, in eine Berufsausbildung zu kommen, liegt für Schüler, die ohne einen Hauptschulabschluss die Schule verlassen, unter 20 Prozent. Sie bekommen regelmäßig, wenn sie in Arbeit einsteigen können, eine schlechtere Entlohnung und, was sich für mich eigentlich noch sehr dramatisch anhörte, diese Ausbildung hat auch Auswirkungen auf den Gesundheitszustand und die Lebenserwartung der Menschen - je höher der Bildungsstand, umso besser der Gesundheitszustand, wie die Statistik beweist, und auch die Lebenserwartung. Das Umgedrehte kann man sich dann selber vorstellen. Die genannten Daten werfen zugleich ein Licht auf die möglichen sozialen Folgen des Besuchs eines Hauptschulbildungsgangs - ich habe jetzt einige noch einmal genannt -, der für uns unter anderem auch einmal deshalb nicht zeitgemäß ist und abgeschafft werden sollte.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, in Thüringen gibt es durchaus akzeptable Bedingungen, soziale Herkunft, aktuelle Lebenslage und Bildungserfolg zu entkoppeln. Dazu zähle ich zum Beispiel den gesetzlich verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag im Kindertagesstättenbereich, das Angebot an Plätzen sowie den Rechtsanspruch auf einen Platz ab 2 Jahren und 6 Monaten. Wünschenswert wäre es, diesen Rechtsanspruch bereits früher zu haben.

(Beifall bei der PDS)

Ich zähle zu den akzeptablen Bedingungen auch die Ausstattung mit Hortplätzen, wenngleich Elternbeiträge, und das betrifft sowohl den Kindertagesstättenbereich als auch den Hortbereich, die Entkopplung der aktuellen Lebenslage mit dem Bildungserfolg und der sozialen Herkunft aus unserer Sicht konterkarieren. Ich zähle zu den günstigen Bedingungen auch die Einführung gestufter Bildungsabschlüsse in den weiterführenden Schularten, dies allerdings nach langem Kampf. Die Bewährung der besonderen Leistungsfeststellung, die am heutigen Tag in den Thüringer Gymnasien stattfindet - und dafür wünsche ich den jungen Leuten, die daran beteiligt sind, auch alles Gute -, steht noch aus. Zweifellos muss also zugelegt werden. Die Enquetekommission hat eine ganze Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, die Chancen für die Entkopplung bieten, wenn sie umgesetzt werden. Sie betreffen Unterstützungsangebote, die auch in andere gesellschaftliche Bereiche hineinlaufen, weil Bildung und Erziehung mit ihnen verzahnt sind. Sie betreffen zum Beispiel Angebote für Familien, elementar- und schulqualitätsverbessernde Maßnahmen und anderes mehr. Auf alles hier einzugehen, ist natürlich nicht möglich.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, im Rahmen der Qualitätsdebatte war ein wesentlicher Punkt die indivi

duelle Förderung, und das, meine ich, muss auch ein wesentlicher Punkt der Schulentwicklung bleiben und werden. Im Verständnis der Enquetekommission, auch in unserem Verständnis heißt das, alle müssen erreicht werden; die Schwächeren wie die Stärkeren. Chancengerechtigkeit erfordert individuelle Förderung aller von Anfang an, gleich, welche Struktur und Institution sich hinter Bildung und Erziehung verbirgt. Dafür ist auf jeden Fall die Interaktion aller Beteiligten, vor allem der Eltern sowie der Pädagoginnen und Pädagogen, unabdingbar.

An dieser Stelle eine Bemerkung zur Rolle der Pädagoginnen und Pädagogen bei der individuellen Förderung in allen Bildungsbereichen: Die individuelle Förderung gehört zu ihren ureigenen Aufgaben. Sie müssen für diese äußerst komplexe und komplizierte Aufgabe aber motiviert und gerüstet sein bzw. werden. Der Bericht betont an mehreren Stellen die Wertigkeit einer entsprechenden Ausund Fortbildung der Pädagoginnen und Pädagogen oder empfiehlt zum Beispiel sozialpädagogisch ausgebildetem Personal mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, speziell für den Elementarbereich empfiehlt die Kommission einen verbindlichen Rahmenplan zu entwickeln, der Mindeststandards für individuelle Entwicklungsziele vorgibt. Das unterstützen wir. Aus unserer Sicht darf ein Bildungsrahmenplan jedoch nicht vorgezogenes schulisches Lernen intendieren, das spielerische Lernen muss Priorität behalten. Der individuellen Förderung der Kinder im Elementarbereich sind auch die Empfehlungen dienlich, die auf die verbesserte Zusammenarbeit von Eltern, Pädagogen und weiteren Fachleuten, die verbesserte Kooperation von Grundschulen und Kindertagesstätten und eine entsprechende Qualifizierung des pädagogischen Personals gerichtet sind.

Meine Damen und Herren, in der Enquetekommission, wie übrigens auch in der zur frühkindlichen Bildung und Erziehung durchgeführten öffentlichen Anhörung, wurde über internationale Standards in der Aus- und Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern und über Qualitätsanforderungen an diese diskutiert. Diese Diskussion führte nur zu einem Minimalkonsens. Wir konnten uns lediglich darauf einigen, einen Modellversuch für einen Hochschulstudiengang für Erzieherinnen und Erzieher zu wünschen. Zumindest, so die Empfehlung weiter, sollten Studiengänge zum Erwerb erweiterter Kompetenzen von Beschäftigten, z.B. auf der Leitungsebene, angeboten werden. Größere Übereinstimmung gab es für die Empfehlung, die Zweckmäßigkeit der Breitbandausbildung zu prüfen. Die Kommission erachtet eine Spezialisierung auf den frühkindlichen Bereich für notwendig.

(Beifall bei der PDS)

Meine Fraktion fordert vor allem aufgrund der veränderten und wachsenden Anforderungen an den Elementarbereich

die Hochschulausbildung von Erzieherinnen und Erziehern unter Berücksichtigung von Übergangsentwicklungen ein.

(Beifall bei der PDS)

Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an eine Initiative der Fachhochschule Erfurt, insbesondere des Rektors Herrn Prof. Wagner. Natürlich kosten Hochschulausbildung und höher qualifiziertes Personal Geld. Aber sind uns das unsere Kinder nicht wert?

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren Abgeordneten, einige Gedanken zur individuellen Förderung im Schulsystem: Über die Notwendigkeit gab es keine Zweifel, deshalb hat die Kommission auch eine breite Palette von Empfehlungen ausgesprochen. Herr Döring hat bereits einige genannt. Ich kann auch nicht alle genauer charakterisieren, ich beschränke mich auf einige Stichworte, z.B. den bedarfsgerechten Auf- und Ausbau von Ganztagsangeboten, die Verbesserung der Aus- und Fortbildung der Pädagogen in allen Bildungsbereichen, eine angemessene Personalausstattung und Anreize, sich der schwierigen und komplexen Aufgabe der individuellen Förderung zu stellen, oder die Bereitstellung entsprechender Mittel für die Schulentwicklungsforschung.

Meine Damen und Herren, im Bericht kann man jedoch auch nachlesen, dass das deutsche Schulsystem aufgrund seiner Geschichte auf das Prinzip des Individuellen schlecht vorbereitet ist. Man kann auch über Folgen daraus nachlesen und über notwendige Veränderungen. Offen lässt der Bericht, ob die Trennung von Schülerinnen und Schülern in angeblich homogene Begabungs- und Leistungsgruppen, von denen praktisch bei ihrer Aufteilung nach Klasse 4 auf unterschiedliche Schularten ausgegangen wird, das anregendste und bildungsförderlichste Modell ist; aber es werden an verschiedenen Stellen im Bericht darüber deutliche Zweifel geäußert. Ich füge an dieser Stelle noch einmal eine Erkenntnis ein, die ich aus der gestrigen schon angesprochenen Tagung zum Schulversagen mitgenommen habe. Prof. Tillmann aus Bielefeld hat zu den homogenen Gruppenbildungen gestern gesagt: "Die homogenen Lerngruppen, denen nachgejagt wird, sind eine Fiktion."

(Beifall bei der PDS, SPD)

Die Mitglieder der Enquetekommission waren sich einig, dass eine alleinige Strukturdebatte nicht nutzbringend ist, sondern immer der Zusammenhang zur pädagogischen und didaktischen Schulreform zu bedenken ist. Das entspricht auch meiner Grundüberzeugung, auch der Überzeugung meiner Fraktion.

(Beifall bei der PDS)

Dieser Sachlage zufolge und aufgrund der Ergebnisse der PISA-Studien hat sich die Kommission dem Problem der Schulstruktur nicht verschlossen, wenngleich die Bereitschaft zu dieser Debatte unterschiedlich ausgeprägt war und hier auch der aus meiner Sicht größte Dissens zu Tage trat. Im Ergebnis entschied sich die Kommission für die Beschreibung von verschiedenen Denkrichtungen - Herr Döring hat darauf hingewiesen. Meine Fraktion bekennt sich eindeutig zu der Denkrichtung, die zusammengefasst eine Verlängerung des gemeinsamen Lernens von Anfang an - also nicht erst ab Klasse 5, sondern von Anfang an bis mindestens zum 8. Schuljahr anstrebt,

(Beifall bei der PDS)

weil darin ein Ansatz zur von uns angestrebten Entkopplung von sozialer Herkunft und Bildungserfolg und damit der Erhöhung von Chancengerechtigkeit liegt. Wir können uns dabei sowohl auf gute internationale Erfahrungen als auch auf Erkenntnisse des PISA-Konsortiums stützen.

Das längere gemeinsame Lernen ist mit einem expliziten Förderprogramm zu verbinden, damit auch eine höhere Jahrgangsquote an Hochschulberechtigten erreicht werden kann. Worauf sich die Enquetekommission in diesem Zusammenhang verständigen konnte, ist eine Empfehlung an die Landesregierung, in der Kultusministerkonferenz - und ich zitiere hier wieder aus dem Bericht "auf eine Prüfung der Vereinbarung zu den Schularten und Bildungsgängen im Sekundarbereich I zu drängen. Insbesondere sollten Möglichkeiten des längeren gemeinsamen Lernens und dafür notwendige qualitätsverbessernde Rahmenbedingungen geprüft werden." Da kann man in der Öffentlichkeit sagen - mager. Das Problem, das dahinter steckt, ist Folgendes: Ein Alleingang von Thüringen würde unter den gegenwärtigen Bedingungen die Gefahr der Nichtanerkennung der in der Thüringer Schule erworbenen Abschlüsse in anderen Bundesländern in sich bergen. Das kann man nicht wollen. Das ist in meinen Augen ein schwieriges, aber dennoch kein unlösbares Problem. Länder wie Kanada oder Finnland haben vorgemacht, dass man es lösen kann, es sei denn, man will unbedingt an der Übergangsauslese nach Klasse 4 festhalten. Das wäre eine politische Entscheidung. Diese wurde vor 85 Jahren so getroffen. Die Verhältnisse haben sich jedoch verändert und selbst damals war die Sinnhaftigkeit keinesfalls ausreichend begründet.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Meine Damen und Herren, der Bericht ist natürlich viel breiter als die Aspekte, die ich jetzt herausgegriffen habe.

(Beifall Abg. Emde, CDU)

Über vieles müsste noch geredet werden: über Partner von Schule; über die Schule als lernende Organisation in einer lernenden Gesellschaft, die selbständig unter Mitbestimmung aller Beteiligten und Betroffenen agiert; über