denn es ist schon die Frage zu stellen, inwieweit die politisch Verantwortlichen nach 1990 durch ihre Politik einer solchen Entwicklung Vorschub geleistet haben, ob durch die Bagatellisierung und Verklärung des Rechtsextremismus, ob durch die bereits erwähnte Gleichsetzung von rechts und links, ob durch Kampagnen gegen den Doppelpass oder durch Losungen wie "Kinder statt Inder" und durch die Einteilung von Nichtdeutschen als in der Wirtschaft Dienende und andererseits als Belastung für die Bundesrepublik.
Meine Damen und Herren, an die nicht nur aus unserer Sicht völlig kontraproduktive Herangehensweise schließen sich auch die Konzepte der regierenden Politik nahtlos an. Der Thüringer Innenminister unterlässt es zwar nicht, darauf hinzuweisen, dass das Problem nur gesamtgesellschaftlich gelöst, ihm gesamtgesellschaftlich entgegengetreten werden kann, die von ihm vorgelegten Konzepte beinhalten aber hauptsächlich Vorschläge weiterer repressiver Befugnisse und Vorschläge zur Prävention mit repressiven Mitteln oder zur Prävention in Strukturen, die die Befugnis zur Repression besitzen.
Nun kann ich ja durchaus nachvollziehen, dass es einem obersten Dienstherrn der Polizei schwer fällt, über diesen Horizont hinauszublicken, aber der Innenminister ist nicht nur oberster Dienstherr der Polizei, sondern er ist Mitglied der Landesregierung und dafür trägt er darüber hinaus auch eine politische Verantwortung, die ich als "nicht wahrgenommen" einfach konstatieren muss, was im Übrigen, Herr Köckert, und da stehen Sie nicht allein, auf die gesamte Thüringer Landesregierung zutrifft. Anders, meine Damen und Herren, ist es nicht mehr zu interpretieren, dass die Landesregierung ein Landesprogramm gegen Rassismus und Rechtsextremismus, wie es u.a. auch von prominenten Thüringern eingefordert wird, als blinden Aktionismus mit Vehemenz zurückweist oder beispielsweise die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für antifaschistische Bündnisse auf lokaler Ebene so strikt aus
schließt. Die Konzepte der Landesregierung schließen nahtlos an das an, was seit Jahren in der Bundesrepublik und in Thüringen praktiziert wurde, aber bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus als gescheitert betrachtet werden muss: Interministrielle Arbeitsgruppe zur Bekämpfung fremdenfreindlicher Gewalt unter Federführung des Thüringer Innenministers seit 1992 in Thüringen installiert; Initiative gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit in Thüringen im Bereich Justiz seit 1995; die verfassungsrechtlich bedenkliche Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei in der so genannten ZEX seit 1998. Weitere Beispiele hat der Innenminister in seinem Bericht genannt. Nicht zuletzt, meine Damen und Herren, verwies der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen in der Sondersitzung des Landtags am 3. Mai darauf, dass bisher die Thüringer Landesregierung eine harte Linie gefahren sei, und diese harte Linie wird zukünftig auch weitergefahren. Neu ist nun in dem vom Innenminister vorgelegten Extremismusbericht, dass diese harte Linie einen neuen rechtlichen Rahmen erhalten soll, der aber an der Wirkungslosigkeit repressiver Maßnahmen nichts verändert, im Gegenteil, Eingriffe in Grundrechte für jedermann beinhaltet.
Meine Damen und Herren, einige Bemerkungen aber zuerst zu den repressiven Maßnahmen aufgrund bereits bisher bestehender rechtlicher Ermächtigungen. Der Innenminister wertet die Umsetzung des Extremismusbekämpfungskonzepts vom März dieses Jahres als Erfolg. Begründet wird diese Einschätzung damit, dass die Anzahl rechtsextremistischer Konzerte und Aufmärsche in Thüringen im Vergleich zu 1999 deutlich abgenommen habe; rechtsextremistische Konzerte haben nach seinen Aussagen in Thüringen in diesem Jahr überhaupt nicht stattgefunden. Das will ich gar nicht bestreiten, meine Damen und Herren, aber es stellt sich auch wieder an dieser Stelle heraus, dass es für die Landesregierung schon ein Erfolg ist, wenn rechtsextremistische Aktivitäten aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Meine Damen und Herren, damit Sie mich nicht falsch verstehen, ich bin sehr wohl froh über jedes nicht stattgefundende Konzert rechtsextremistischer Strukturen, aber das eigentliche Problem sind nicht die Veranstaltungen selbst, sondern immer noch die Anziehungskraft, die von diesen Veranstaltungen ausgeht, und die Bereitschaft einer Vielzahl von Menschen, derartige Veranstaltungen zu besuchen. Dieses ändern sie dadurch nicht, indem sie diejenigen, die Kultur mit rechten Inhalten oder Kultur in der Ästhetik des Nationalsozialismus mit der entsprechenden politischen Wirkung anbieten bzw. konsumieren wollen, in andere, der öffentlichen Auseinandersetzung entzogene Bereiche drängen. Ein Erfolgskriterium für die Bekämpfung von Rechtsextremismus kann und muss es sein, wenn Organisatoren derartiger Veranstaltungen bei Besitzern von Gasthöfern auf deutliche Ablehnung stoßen, Gemeinden öffentich mobil machen und, falls doch ein Konzert stattfinden sollte, meine Damen und Herren, die Organisatoren auf null Resonanz stoßen, nicht aber, weil die potenziellen Gäste aus Angst vor Repression diesen Kon
zertbesuch meiden, sondern weil es einfach keine potenziellen Konzertbesucher mehr gibt. In diesem Zusammenhang kann ich mir eine weitere Bemerkung nicht ersparen. Bei rechtsextremistischen Konzerten wird in erster Linie auch im Sprachgebrauch an Skinhead-Konzerte gedacht; aber, meine Damen und Herren, das Spektrum rechter Kultur umfasst weit mehr und muss vollständig in den Blickwinkel der politischen Auseinandersetzung gerückt werden. Beispielhaft spreche ich hier den kultischen, heidnischen und esoterischen Bereich an, auch deshalb, weil die Landesregierung in der Drucksache 3/942 in Beantwortung meiner Kleinen Anfrage für sich die Feststellung trifft, dass ihr keine Erkenntnisse über antisemitische Tendenzen in diesem Bereich vorliegen. Jetzt erklärt sich auch für uns und für mich die Äußerung des derzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzten ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten, der im Anschluss an eine Veranstaltung des Landesamts zum Thema "Esoterik und Rechtsextremismus" in einem persönlichen Gespräch offenbarte, den in Thüringen ansässigen rechten esoterisch philosophischen Arun-Verlag des ehemaligen Wikingjugendmitglieds Ulbrich nicht zu kennen. Wen wundert es, dass bei so viel offenkundiger Unkenntnis in Thüringer Behörden das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz in seinem Monatsbericht ein Werk des rechten italienischen Philosophen Evola, erschienen in eben diesem Arun-Verlag, als bedeutende Kritik an der Moderne rezensierte, ohne auch nur auf den rechten Hintergrund weder des Autors noch des Verlags hinzuweisen.
Meine Damen und Herren, zurück zu den vermeintlichen Erfolgen des Extremismusbekämpfungskonzepts. Als Erfolg wertete der Thüringer Innenminister die Anzahl der verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen, die Anzahl der erkennungsdienstlichen Behandlungen, die Anzahl der Personendurchsuchungen und Wohnungsdurchsuchungen und die daraus sich ergebenen Ermittlungsverfahren.
Hier, meine Damen und Herren, wird schon eine Konsequenz aus dem eingeengten Konzept der Thüringer Landesregierung, des Innenministers, deutlich. Ganz ohne Bewertung des Verhältnisses der durchgeführten Kontrollen zu dem später erzielten Erfolg scheint jede erkannte Straftat den Eingriff in Grund- und Bürgerrechte für jedermann grundsätzlich zu rechtfertigen und sie gehen sogar noch weiter, Herr Köckert. So kündigen Sie öffentlich und im Innenausschuss einerseits die Schaffung einer Rechtsgrundlage zur Videoüberwachung öffentlicher Räume im Thüringer Polizieiaufgabengesetz an und streben, nachdem Sie noch im März dieses Jahres im Thüringer Landtag eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch eine Änderung des Versammlungsgesetzes abgelehnt haben, eine Änderung des Versammlungsgesetzes eben genau mit dieser Folge an. Beide Vorhaben, meine Damen und Herren, stellen Grundrechte und damit demokratische Prin
zipien in Frage und sie verändern das Wertesystem dieses Landes nach rechts, weil staatliche Interessen über die persönlichen Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger erhoben werden. Mit der Videoüberwachung stellen Sie eine große Anzahl von Menschen unter einen Generalverdacht, missachten das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und vielleicht erreichen Sie auch noch die Verdrängung von Kleinkriminalität aus repräsentativen Bereichen der Städte. Was Sie aber nicht erreichen, wird an der Ausländerhatz in Eisenach deutlich, denn der Eisenacher Bahnhof gehört zu den zwei Bahnhöfen in Thüringen, die über eine videokamerabewachte Installation verfügen. Ihre Forderung ist der erste Schritt zu einer öffentlichen flächendeckenden Überwachung des gesellschaftlichen Lebens, bei deren Vollendung man durchaus von einem Polizeistaat sprechen kann; ein polizeistaatliches Mittel ist dieser erste Schritt allemal. Mit der Forderung, die Frist zwischen Anmeldung und öffentlicher Ankündigung von Demonstrationen, die gegenwärtig nach Versammlungsrecht 48 Stunden beträgt, deutlich zu verlängern, stellen Sie, Herr Köckert, die Versammlungsfreiheit de facto unter einen Genehmigungsvorbehalt und dies schließen aber das Grundgesetz und auch die Thüringer Verfassung ausdrücklich aus. Ihr Vorschlag ist deshalb nicht nur aus bürgerrechtlicher Sicht abzulehnen, er ist unseres Erachtens schlichtweg verfassungswidrig. Auch der Versuch, mittels der nach Ihren Vorstellungen im Vorfeld einer Versammlung zu übergebenden Rednerliste an die Ordnungsbehörden, Demonstrationen bewerten zu wollen, greifen Sie in einem nicht zu akzeptierenden Maße in die Versammlungsfreiheit ein. Beide Vorhaben, Herr Innenminister, werden auf den massivsten Widerstand der PDS-Fraktion stoßen.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt im Maßnahmepaket des Innenministers ist die Einrichtung einer Koordinierungsstelle, die dem Abteilungsleiter 4 des Thüringer Innenministeriums unterstellt ist und in die die Stabsstelle des Verfassungsschutzes integriert ist. Bei dieser Struktur wird wiederum deutlich, meine Damen und Herren, dass der Thüringer Innenminister nicht in der Lage ist, über den Horizont der Polizeistrukturen und der Struktur des Verfassungsschutzes hinaus zu denken. Die Koordinierungsstelle soll Beratungs-, Informations- und Steuerungsstelle sein, sie soll auch am Aufbau von kommunalen Netzwerken mitwirken, zugleich Fachtagungen und Veranstaltungen vorbereiten sowie Präventionsmaßnahmen und Projekte initiieren, um bereits bestehende auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen.
Meine Damen und Herren, Aufgaben, die nichts, aber auch überhaupt nichts mit den eigentlichen Aufgaben der Thüringer Polizei oder dem Verfassungsschutz zu tun haben. Gesellschaftliche Auseinandersetzungen, natürlich Koordinierung und Aufbau kommunaler Netzwerke, eine Forderung, die nicht neu ist, Herr Innenminister, Durchführung von Veranstaltungen und Projekten und Präventionsarbeit - ja, sie sind notwendiger denn je, aber dies zur Aufgabe polizeilicher Struktur zu machen, auch wenn
sich dies unter Einbeziehung anderer Ministerien vollziehen wird, heißt wiederum, antifaschistische Arbeit in staatlichen Behörden zu institutionalisieren, und heißt vielmehr, gesellschaftliche Bekämpfung des Rechtsextremismus zur Aufgabe staatlicher Gewalt zu machen. Einen solchen Weg, meine Damen und Herren, gehen wir nicht mit, weil er das Problem verkennt
und er Gefahren birgt, z.B., weil er zivilgesellschaftliche Initiativen mit Blick auf das Vorhandensein institutionalisierter Initiativen ihrer Verantwortung entheben wird. Deshalb, meine Damen und Herren, stellen wir dieser Koordinierungsstelle Gewaltprävention im Thüringer Innenministerium wiederholt die Forderung nach einer unabhängigen, nicht staatlichen Dokumentationsstelle für Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus im Rahmen eines Landesprogramms entgegen, die auch zur Aufgabe hat, bestehende antifaschistische Initiativen einzubeziehen und ihre Arbeit in einem Netzwerk zu koordinieren und für den notwendigen Informationsaustausch zu sorgen.
Meine Damen und Herren, diese Initiativen, die bereits seit Jahren bestehen, analysieren seit jeher die Entwicklung am rechten Rande der Gesellschaft wesentlich besser und tiefgründiger, als das staatliche Behörden jeweils vermocht hatten, weil sie sich eben nicht strafrechtlichen Kriterien unterwerfen, sondern weil sie eine politische Bewertung zum Ausgangspunkt ihres Handelns gemacht haben. Wenn der Innenminister darauf verweist heute nicht, aber in der Sitzung des Innenausschusses -, dass diese Koordinierungsstelle in der Polizeiabteilung seines Hauses auch im Hinlick auf die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten 72 Mio. DM für die Bekämpfung des Rechtsextremismus besonders wichtig sei, kann ich dem nur erwidern: Die Thüringer Landesregierung scheint den Zweck dieser Mittel und das dahinter stehende Anliegen nicht verstanden zu haben.
Meine Damen und Herren, Verbote von neofaschistischen Parteien und Organisationen hat es in der Vergangenheit bereits mehrfach gegeben. Aber auch hier gilt, dass ein Verbot neofaschistische Strukturen zwar aus dem öffentlichen Bild verschwinden lässt, aber, meine Damen und Herren, auch aus dem öffentlichen Bewusstsein. In diesem Zusammenhang sollte zumindest auch auf die Folgen von Verboten hingewiesen werden. Ein Ergebnis der Verbote der Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei (FAP), der Deutschen Alternative (DA), der Nationalistischen Front (NF) und auch der Wikingjugend waren eben die freien Kameradschaften, die sich nunmehr ohne nennenswerte gesellschaftliche Kontrolle herausbilden und organisieren konnten. Noch etwas, meine Damen und Herren, Parteienverbote hatten in der Bundesrepublik immer einen für die öffentliche Meinung instrumentellen funktionalisierten Charakter und stehen in Abhängigkeit zu der
sich zum Verbotszeitpunkt vollziehenden Diskussionen, aber weniger in Beziehung zu der ein Verbot rechtfertigenden Programmatik. Die Wikingjugend z.B. wurde 1994 verboten, nachdem sie mehr als 40 Jahre programmatisch unverändert in der Bundesrepublik politisch wirkte. Verbote sind Elemente institutionaler Auseinandersetzung, aber ungeeignet, rechtsextremistischen Organisationen den gesellschaftlich bereiteten Boden zu entziehen, auf dem nach Verboten immer wieder neue Organisationsformen gedeihen können.
Ich sage es im Namen meiner Fraktion auch in aller Deutlichkeit und auch an Sie, Herr Pohl: Wer glaubt, mit Polizei, Verfassungsschutz und Verbotspraxis dem Rechtsextremismus Herr werden zu können, der belügt sich selbst und betrügt die Öffentlichkeit.
(Zwischenruf Abg. Pohl, SPD: Ich glaube, Sie haben nicht ganz zugehört. Dass das ein Stück ist und dass die anderen Teile auch dazugehören, das sollten Sie wohl mal sagen.)
Meine Damen und Herren, immer wieder betonen Mitglieder der Regierungsparteien und auch der Thüringer Landesregierung, Thüringen sei kein Aufmarschgebiet des Rechtsextremismus. Sie begründen auch die Position, dass das gesellschaftliche Klima in Thüringen gegen Rechtsextremismus und Rassismus steht, damit, dass im Gegensatz zu anderen Bundesländern rechte Parteien den Einzug in das Landesparlament nicht geschafft haben.
Nur, meine Damen und Herren, diese Sichtweise ist zu kurz und wieder nur auf die öffentliche Wahrnahme reduziert. Zahlreiche Studien belegen, dass rechtes und rassistisches Gedankengut sich nicht immer im konkreten Wahlverhalten widerspiegeln wird. Die unlängst in der Wochenzeitschrift "Der Spiegel" veröffentlichte Umfrage sollte allen Parteien einschließlich der PDS ein alarmierendes Signal sein, die politische Bildung innerhalb ihrer Mitgliedschaft und ihres Wähler- und Wählerinnenklientels mit dem Ziel zu betreiben, Ressentiments gegen Nichtdeutsche und offenen Rassismus sowie elitäre und antidemokratische Positionen abzubauen. Nicht die Übernahme rechter Parolen in wohlfein formulierten Parteiprogrammen allgemein anerkannter demokratischer Parteien zur Sicherung des Wähler- und Wählerinnenanteils und das Reden von Politikern auf Wahlveranstaltungen nach dem Motto "Dem Stammtisch auf das Maul geschaut" muss auf der Tagesordnung stehen, sondern eine konsequente Positionierung gegen rechte und rassistische Propaganda in der Öffentlichkeit.
Da, meine Damen und Herren, richte ich mich auch ganz konkret an Sie in der Mitte des Hauses. Wer über Rechtsextremismus redet, darf über die diskriminierende Ausländer- und Ausländerinnenpolitik der Bundesrepublik nicht schweigen, die Ausländer und Ausländerinnen gesetzlich zu Menschen zweiter Klasse stempelt. Wer über Rechts
extremismus redet, darf selbst nicht zum Verfechter derer werden, die direkte Demokratie, d.h. die Mitbeteiligung aller durch plebiszitäre Elemente an Entscheidung, Ablehnung durch Fraktionszwang und Kungelrunden die parlamentarische Demokratie ihres ursprünglichen Inhalts entleeren. Wer über Rechtsextremismus redet, meine Damen und Herren der CDU, darf nicht gleichzeitig Kampagnen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft inszenieren und mobil machen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Wer über Rechtsextremismus redet, darf nicht gleichzeitig diejenigen diffamieren, die sich mit Ursachen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein auseinander setzen, und er darf vor allem nicht diejenigen kriminalisieren, die sich Rechtsextremismus couragiert in den Weg stellen.
Meine Damen und Herren, die SPD-Fraktion beantragte in der Sommerpause mehrere Sondersitzungen von Ausschüssen mit dem Anliegen, eine Anhörung in die Wege zu leiten. Die Eilbedürftigkeit jedoch, mit der diese Sitzungen einberufen worden sind, scheint innerhalb weniger Tage verflogen zu sein. Ich kann es einfach nicht nachvollziehen, warum ein Parlament diesen Bericht des Innenministers abwarten musste, um über Inhalt und Zielstellung einer solchen Anhörung zu diskutieren und zu befinden
und über mögliche Anzuhörende zu entscheiden. Wir haben vorgeschlagen, dass sich der Innenausschuss tiefgründig mit der Analyse vorhandener rechtsextremistischer Strukturen und Bestrebungen sowie mit der Verbreitung rassistischer und rechtsextremistischer Ideologien in der Gesellschaft einschließlich deren Ursachenbeschreibung beschäftigt; natürlich unter Einbeziehung der entsprechenden Fachleute.
Weiterhin halten wir es für unabdingbar, auch vor dem Hintergrund des heutigen Berichts, dass bisherige Maßnahmen der polizeilichen Arbeit, aber auch Maßnahmen der Bildungsarbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen einer Diskussion über ihre Tauglichkeit und Folgen unterzogen werden. Auch das Wechselverhältnis - ich hatte es angesprochen - zwischen rassistischen Einstellungen in der Gesellschaft und der Ausländer- und Ausländerinnenpolitik der Bundesregierung ist in eine solche Diskussion mit einzubeziehen.
Diese Arbeit, meine Damen und Herren, ist notwendige Grundlage für ein Gesamt- und zivilgesellschaftliches Konzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus, welches unseres Erachtens nur Umsetzung in einem Landesprogramm finden kann und finden muss. Aber die bisherigen Reaktionen - eine Reaktion des Abgeordneten Schemmel hatte ich erwähnt - lassen mich zweifeln, dass dieses Haus mehrheitlich eigentlich sich mit diesem Thema umfassend und vor allem konsequent in die Tiefe gehend auseinander zu setzen gewillt ist.
Trotzdem, meine Damen und Herren, auch angesichts der Äußerungen meines Vorredners, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass der Innenausschuss zu einer Anhörung findet, die die Entschlossenheit dieses Parlaments im Kampf gegen rechts auch deutlich macht und an deren Ende ein tatsächliches, ein tatsächliches gesellschaftliches Konzept stehen wird.
Mit dem - und damit komme ich zu dem von uns eingereichten Antrag "Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus" - von uns vorgelegten Antrag greifen wir diesen Beratungen nicht vorweg. Wir sind aber der Meinung, dass Sofortmaßnahmen notwendig sind, mit denen bestehende Aktivitäten unterstützt, Problembereiche bearbeitet sowie Ursachen erhoben und Handlungsschritte vorgeschlagen werden.
Im Einzelnen heißt das erstens, einen Fonds zu schaffen, der lokalen Bündnissen schnell und unbürokratisch für Initiativen gegen rechts bereits in diesem Jahr und dann nachfolgend in den weiteren Jahren zur Verfügung steht.
Zweitens, eine Studie zu erstellen, die nicht bereits im Auftrag die einseitige und verfälschende Orientierung von Rechtsextremismus als Jugendproblem vornimmt, sondern die sich der Alltagskultur annimmt, Verankerung und Entwicklung rechtsextremer und rassistischer Einstellungen untersucht und gleichzeitig Handlungsvorschläge aufzeigt. Ziel unserer Fraktion ist es nicht, eine weitere Studie nur um der Studie willen mit öffentlichen Geldern in Auftrag zu geben, sondern diese Studie zum Ausgangspunkt für die weitere Arbeit in Thüringen zu machen.
Drittens, eine Analyse und Bewertung der Jugendarbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen vorzunehmen. Denn wenn - und damit entkräfte ich nicht das Argument, dass Rechtsextremismus kein ausschließliches Jugendproblem ist - die Friedrich-Schiller-Universität zu der Auffassung kommt, dass 40 Prozent der Thüringer Jugendlichen über ein rechtes Weltbild verfügen, dann ist es doch, meine Damen und Herren, augenscheinlich, dass die bisherigen Projekte, die bisherigen Maßnahmen im Bereich der Jugendsozialarbeit nicht nur versagt haben, sondern gänzlich ungeeignet sind. Schlussfolgerungen sind hier notwendig, die - dem Thüringer Landtag vorgelegt - auch uns zu konkreten Entscheidungen führen müssen.
Viertens ist eine Fachtagung zu initiieren, die Möglichkeiten, Grenzen und Wirkung von Bildung und Schulen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus zum Inhalt
hat und letztendlich auch Auswirkungen auf die Lehrplangestaltung haben wird. Lehrerinnen und Lehrer sind eben nicht alleinig in der Verantwortung; Sie sind aber Teil eines gesellschaftlich verantwortungsvollen Umgangs und benötigen dafür natürlich auch den entsprechenden Rahmen, der in der heutigen Aktuellen Stunde mit Sicherheit noch konkret diskutiert wird.
Fünftens ist mit einem Anerkennungs- und Beteiligungsprogramm deutlich zu machen, dass Ausländer- und Ausländerinnen nicht Menschen zweiter Klasse oder gar Fremdkörper in der Bundesrepublik sind, sondern vielmehr ein nicht mehr wegzudenkender und vor allem ein wichtiger Bestandteil einer weltoffenen und humanen Gesellschaft sind.
Sechstens, meine Damen und Herren, das hängt damit zusammen, ist ein Thüringer Antidiskriminierungsgesetz vorzubereiten.
Meine Damen und Herren, dies sind Maßnahmen, die ohne Aufschub notwendig sind und die demonstrieren, dass der Thüringer Landtag das Problem Rechtsextremismus nicht auf die Jugend oder auf zunehmende Gewaltbereitschaft reduziert, sondern bereit ist, sich einem gesellschaftlichen Problem auch gesellschaftlich zu stellen. Der Bericht, Herr Innenminister Köckert, orientiert sich an einem Maßnahmenkatalog, der diesem Anspruch keineswegs entspricht, ihm teilweise auch entgegensteht, und das sollte keineswegs Maßstab für das parlamentarische Handeln dieses Parlaments sein. Ich danke Ihnen.
Herr Abgeordneter Dittes, der Abgeordnete Carius wollte Ihnen eine Zwischenfrage stellen, gestatten Sie diese am Ende?
Danke schön. Herr Dittes, nach Ihrer ignoranten Rede für Intoleranz oder Toleranz, Entschuldigung, wollte ich doch folgende Frage stellen - Sie bezeichneten es als ahistorisch, dass man zugleich vor den Gefahren des Rechtsund des Linksextremismus warnt. Ich frage Sie daher: Bezeichnen Sie es nicht als Geschichtsverklitterung angesichts des guten Zusammenspiels von Kommunisten und Nationalsozialisten, als es darum ging, der Weimarer Republik den Garaus zu bereiten?
Ich halte es für unsäglich und ahistorisch, eine so oberflächliche, nicht in die Tiefe gehende historische Betrachtung der tatsächlich auch teilweise sehr kritikwürdigen und verabscheuungswürdigen historischen Taten zu benutzen, um heute eine Politik zu rechtfertigen, die jeden Demokratisierungswillen auch diskreditiert, die die Verantwortung der gesellschaftlichen Mitte für die zunehmende Verankerung von rechtsextremistischen Positionen außerhalb jedweder Diskussion stellt. Das halte ich für unverantwortlich.