Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Meine Damen und Herren Abgeordneten, in seinem Redebeitrag zur ersten Lesung zu den beiden Gesetzentwürfen unserer Fraktion hat Minister Dr. Birkmann unmissverständlich erkennen lassen, dass er keines dieser drei

von mir genannten Anliegen zu berücksichtigen gedenkt. Der Minister verneinte jeden Bezug der Richterwahl und des Rechts der Vertretungen der Richterinnen und Richter zur Gewaltenteilung und zur richterlichen Unabhängigkeit. Er erweckte vielmehr den Eindruck, als seien ausschließlich nur die Interessen von einzelnen Beschäftigten oder Gruppen von Beschäftigten im Spiel, für die, handelt es sich um Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung, das Personalvertretungsrecht und, handelt es sich um Richter und Staatsanwälte, das Richtergesetz einschlägig sind. Aufgrund dieser angeblich identischen Funktion der Richtervertretungen mit den Personalvertretungen nach dem Personalvertretungsgesetz zog der Minister den Schluss: Weil die Richterinnen und Richter laut Verfassung unabhängig sind, seien sie weniger schutzbedürftig als Beamte und die übrigen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Folglich sei ihnen daher auch ein vergleichsweise geringeres Niveau an Beteiligungsrechten zu gewähren. Bei dieser Betrachtungsweise wird allerdings unterschlagen, dass in Angelegenheiten wie der Berufung und Ernennung von Richtern, bei Abordnungen, beim Erlass von Beurteilungsrichtlinien, bei der Festlegung von Pensen, bei der Personalbedarfsplanung sowie in weiteren Angelegenheiten der Richter immer auch deren besonderer durch Unabhängigkeit gegenüber Legislative und Exekutive gekennzeichneter verfassungsrechtlicher Status berührt ist, so dass in diesen Angelegenheiten die Richtervertretungen in erster Linie die dritte Gewalt und nur in zweiter Linie auch die einzelnen Richter als Beschäftigte und den Berufsstand der Richter vertreten. Es verbietet sich daher, die Richtervertretungen bezüglich ihrer Funktion mit den Personalvertretungen nach dem Personalvertretungsgesetz zu vergleichen. Mit Blick auf die Gewaltenteilung, meine Damen und Herren, ist es allein konsequent, bei Angelegenheiten, die die richterliche Unabhängigkeit berühren, die volle Mitbestimmung der Richtervertretungen vorzusehen. Noch mehr als das Argument der angeblichen Privilegierung der Richter aufgrund ihres verfassungsrechtlichen Status, die dafür herhalten muss, um eine vergleichsweise Schlechterstellung der Richtervertretungen zu rechtfertigen, überrascht die vom Minister geäußerte Unterstellung, mit einer Erweiterung der Zuständigkeit des Richterwahlausschusses und der Beteiligung der Richtervertretungen sei eine Politisierung von Personal- und Organisationsentscheidungen in der Justiz beabsichtigt. Hier werden die Verhältnisse vom Minister geradewegs auf den Kopf gestellt. Es wird so getan, als hätte es keine Vergangenheit und Erfahrungen damit gegeben. Will der Minister allen Ernstes behaupten, die zweite Gewalt sei immer neutral und unpolitisch und entscheide niemals aufgrund sachfremder Erwägungen? Betrachtet man beispielsweise das Engagement eines früheren Finanzstaatssekretärs für eine Verwendung seiner Tochter im höheren Justizdienst, so kennt Minister Dr. Birkmann ein Beispiel hierfür aus allernächstem Erleben.

Meine Damen und Herren, ich kann nachvollziehen, wenn Thüringer Richter und Staatsanwälte nach all dem, was bisher in der Amtszeit von Minister Dr. Birkmann vorge

fallen ist, nicht über ein ausreichendes Vertrauen in die Sachlichkeit und Distanz des Ministers zu privaten, parteipolitischen oder sonstigen machtpolitischen Interessen verfügen werden, um die vom Minister beabsichtigten Änderungen des Richtergesetzes billigen zu können.

Herr Minister Dr. Birkmann, Sie haben in Ihrem Redebeitrag am 5. April ostentativ unterstrichen, dass Sie großen Wert darauf legen, dass bei der anstehenden Novellierung des Thüringer Richtergesetzes ein Konsens mit dem Deutschen Richterbund und den Richtervertretungen geschaffen werde.

Wenn ich mir nun den vielleicht unbekümmerten, vielleicht leichtfertigen, wahrscheinlich machtpolitisch arroganten Umgang mit der richterlichen Unabhängigkeit betrachte, den Sie an den Tag gelegt haben, als Sie das Thüringer Wirtschaftsministerium über die beabsichtigte Durchsuchung im Verfahren Pilz informierten und den Oberlandesgerichtspräsidenten einschalteten, damit dieser in die laufende Beweisaufnahme einer Strafkammer interveniere, und wenn ich mir weiter die Willkür betrachte, mit der Ihr Ministerium einen Richter am Verwaltungsgericht Weimar an das Verwaltungsgericht Meiningen ohne seine Zustimmung abordnete, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen für eine Abordnung gegen den Willen des Richters offenkundig nicht vorlagen, dann bin ich schon erstaunt darüber, mit welcher Leichtfertigkeit Sie erneut das Restmaß an Glaubwürdigkeit, das Ihnen noch verblieben ist, aufs Spiel zu setzen gedenken. Wie, Herr Minister Dr. Birkmann, wollen Sie den Deutschen Richterbund davon überzeugen, dass die in seinen Leitlinien seit den 70er Jahren schon immer enthaltene Forderung nach einem Landesrichterrat, in dem alle Gerichtszweige vertreten sind, unsachgemäß ist? In Auseinandersetzung mit unserem Richtergesetzentwurf haben Sie gesagt, dass Sie ein solches Gremium an alte Zeiten erinnere. Meinen Sie ernsthaft, den Deutschen Richterbund davon zu überzeugen, in seiner Forderung nach Einrichtung eines Landesrichterrats auf Ministeriumsebene - nachzulesen in seinen Leitlinien aus den 70er Jahren - habe sich die rätedemokratische Nostalgie einer Achtundsechzigergeneration niedergeschlagen? Herr Minister, wie wollen Sie den Deutschen Richterbund davon überzeugen, dass es allein sachgemäß ist, dass der Justizminister bei der Beförderung der Richter allein entscheidet und im Übrigen sich die Beteiligung des Präsidialrates lediglich auf eine Anhörung desselben beschränkt. Sie werden wissen, dass der Deutsche Richterbund schon immer in seinen Leitlinien eine Verstärkung des Präsidialratsverfahrens in den Fällen der so genannten Richterbeförderung fordert, indem im Konfliktfall, wie in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz, eine Einigungsstelle abschließend entscheidet, zumindest aber die Letztentscheidung dem Kabinett und nicht dem Justizminister vorbehalten bleibt. Wollen Sie etwa auch hier behaupten, die Beschränkung der Beteiligung des Präsidialrats auf eine unverbindliche Anhörung diene der Vermeidung einer Politisierung von Personalentscheidungen?

Der Richterbund kann seine Forderung sehr wohl auf negative Erfahrungen in den Ländern stützen. So sind in den Ländern, in denen sich das Präsidialratsverfahren im Wesentlichen nur auf das Minimum einer Anhörung reduziert, die Berufungen häufig undurchschaubar und nicht nachvollziehbar und häufig die Präsidenten ausschließlich oder überwiegend mit Mitgliedern der jeweiligen Regierungsparteien besetzt. Halten Sie das für Zufall, Herr Minister?

Um ein letztes Beispiel zu benennen: Man darf gespannt sein, mit welchen Sachargumenten Sie den Deutschen Richterbund von der Notwendigkeit überzeugen wollen, die bereits jetzt schon magere Beteiligung der Richtervertretungen noch weiter einzuschränken und abzuschwächen. Ihr Ministeriumsentwurf, der den Richtervertretungen und Berufsorganisationen der Richter und Staatsanwälte zur Stellungnahme vorliegt, sieht bei der Beteiligung der Richterräte eine deutliche Verschlechterung gegenüber der bisherigen Rechtslage vor. Der Übergang von der bisherigen Allgemeinzuständigkeit der Richterräte in allgemeinen, sozialen, organisatorischen und sonstigen Angelegenheiten zu einem abgeschlossenen Zuständigkeitskatalog hat zur Folge, dass in einer Reihe von Angelegenheiten, die nach geltendem Recht beteiligungsbedürftig sind, zukünftig nicht mehr die Richterräte beteiligt werden sollen. Was das Verfahren der Beteiligung angeht, so soll es nach Ihrem Gesetzentwurf, abweichend von der bisherigen Rechtslage, ausnahmslos nur noch eine Mitwirkung, also neben der Anhörung die geringste Stufe der Beteiligung, geben.

Herr Minister, es ist mir schleierhaft, wie Sie auf dieser Basis zu einem Konsens mit den Richtervertretungen und dem Deutschen Richterbund gelangen wollen, ohne dass eine der beiden Seiten sich selbst verleugnen müsste.

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Nachsicht. Es mag vielleicht an meiner DDR-bedingten Kleingläubigkeit liegen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass sich in Ihrer Person, Herr Minister, das Wunder wiederholen könnte, das den aus der Bibel bekannten Saulus vor Damaskus ereilte. Eher vermag ich mir da schon vorzustellen, dass Sie durch den nächsten Justizskandal doch zu Fall kommen könnten. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Für die SPD-Fraktion hat sich der Abgeordnete Kretschmer zu Wort gemeldet.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte als Erstes von dieser Stelle aus die vielen Richter begrüßen, die heute hier bei uns sind, auf der Besuchertribüne sind und dieser Diskussion zuhören.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zunächst einige Vorbemerkungen machen. Die hier zu diskutierenden Gesetzentwürfe eignen sich aus mehreren Gründen nicht zur bloßen parteipolitischen Auseinandersetzung. Es geht um die Justiz, meine Damen und Herren, und ihre Position als unabhängiges Verfassungsorgan in einem demokratischen Rechtsstaat. Ich appelliere deshalb an Sie, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, den notwendigen Respekt vor den Thüringer Richterinnen und Richtern, vor den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten durch eine besonders sachliche Diskussion zu zeigen. Es verlangt der Respekt, zumindest aber die Rücksichtnahme des Parlaments als Legislative vor der Judikative - der ersten Gewalt also vor der dritten -, dass hier streng sachbezogen diskutiert wird. Wir sollten vor allem alle parteipolitischen Bezüge bis hin zu entsprechenden Vorwürfen gegen den politischen Konkurrenten unterlassen.

(Beifall im Hause)

Es gibt, so meine ich, einen weiteren Grund für meinen Appell. Das ist die besondere historische Situation, der besondere historische Rahmen, in denen wir uns mit dieser Diskussion bewegen. Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, kennen in Ihrer überwiegenden Zahl die völlige Instrumentalisierung einer gelenkten Justiz in der DDR. Ich kenne sie aus dem Aktenstudium als Leitender Oberstaatsanwalt der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für SEDKriminalität hier in Erfurt. Und ich will zur abschreckenden Verdeutlichung dessen, was ich sagen will, hier nur den Namen Smolka nennen. Smolka ist Ihnen sicherlich bekannt, dieses traurige Beispiel eines pervertierten Staates. Erinnern Sie sich auch daran, was in Artikel 96 Abs. 1 der Verfassung der DDR unter der richterlichen Unabhängigkeit zu verstehen war. Und erinnern Sie sich auch bitte daran, was damals nach Artikel 94 der DDR-Verfassung Voraussetzung war, um zum Richter gewählt zu werden. Ich darf zitieren: Dieser Richter musste "... dem Volk und seinem sozialistischen Staat treu ergeben sein." eine Pervertierung. Ich glaube, mehr brauche ich in diesem Hause dazu nicht zu sagen.

Diese Zeiten sind überwunden, meine Damen und Herren. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Freistaats haben zu Recht kein Verständnis für Parteipolitik in einer Justiz, die sich mit guten Gründen auf ihre Unabhängigkeit berufen kann. Wir brauchen, so meine ich und davon bin ich überzeugt, bei unseren Richterinnen und Richtern, unseren Staatsanwältinnen und Staatsanwälten keine Bedenken zu haben, dass sie sich etwa in irgendeine politische Abhängigkeit bringen lassen würden.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen: Es ist eine allgemeine Erkenntnis, dass die Justiz immer in der Gefahr steht, als politisch gelenkt diskriminiert zu werden. Auch da habe ich bei unseren Thüringer Richterinnen und Richtern, bei den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten keine Angst, sie sind über solches Misstrauen erhaben. Aber es geht um den bösen

Verdacht, sie seien politisiert. Und, das lassen Sie mich hinzufügen, diese Verdächtigungen kommen schnell, allzu schnell, von den Gegnern einer rechtsstaatlichen Justiz. Das sind nicht nur die Straftäter, wenn Sie so wollen die Kunden, diese Verdächtigungen, ja diese Diskriminierungen muss man häufig und ganz allgemein, ja pauschal von den Gegnern des Rechtsstaats hören, von den Chaoten, von den Anarchisten. Deshalb richtet sich mein Appell an alle Demokraten: Sorgen Sie durch eine streng sachbezogene Diskussion dafür, dass die Vorurteile, diese Diskriminierungen keine Nahrung finden, dass unsere Demokratie, dass unser Rechtsstaat keinen Schaden nimmt.

Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch eines feststellen: Die Ihnen vorliegenden Gesetzentwürfe sind, wie das schon mehrfach in der Öffentlichkeit genannt worden ist und worauf der Kollege Dr. Pidde zu Recht hingewiesen hat, das Ergebnis einer intensiven Diskussion mit einer Arbeitsgruppe, die im November vorigen Jahres auf besonderen Wunsch von Thüringer Richtern und Staatsanwälten gebildet worden war. Ich will zu diesem Zeitpunkt nicht weiter auf die Inhalte eingehen, will aber eines gleich feststellen: Es sind in der überwiegenden Anzahl der Richter und Staatsanwälte, die dort mitgearbeitet haben, erfahrene Fachleute und Praktiker, die uns beraten haben, die Gesetzentwürfe, wenn man so will, mit erarbeitet haben. Die einzelnen Regelungen, die neu in die Verfassung bzw. in das Richtergesetz aufgenommen werden sollen, entspringen auch nicht etwa den chimärenhaften Angstgebilden hypertropher Richter oder Staatsanwälte, sondern sie beruhen auf Erfahrungen und sind mit Einzelbeispielen zu belegen.

Lassen Sie mich dazu noch zwei Feststellungen treffen, ich glaube, das muss hier nicht besonders betont werden, ich will es aber trotzdem sagen: Soweit mir überhaupt bekannt ist, sind die meisten Teilnehmer an dieser Runde nicht Mitglied irgendeiner Partei. Sie sind sehr wohl aber berufsständisch organisiert und sind am Standesrecht interessiert. Und, das sei hier auch besonders betont von dieser Stelle aus, ich bedanke mich für die Arbeit dieser engagierten Praktiker.

(Beifall bei der SPD)

Als letzte Vorbemerkung will ich hervorheben, dass ich am 22. März dieses Jahres den Gesetzentwurf in Anwesenheit der Arbeitsgruppe allen, ich betone nochmals allen, berufsständischen Vertretungen der Thüringer Justiz präsentiert und mit den erschienenen Vertretern eingehend diskutiert habe. Es bestand einheitliche Zustimmung in allen Punkten, auch der Deutsche Richterbund, wenn ich mir diese Anmerkung erlauben darf.

Kommen wir, meine Damen und Herren, zu den Gesetzen. Lassen sie mich aber zunächst einmal allgemein einiges dazu anmerken. Das Thüringer Richtergesetz vom 17. Mai 1994 - diese Anmerkung sei mir erlaubt, genau sieben Jahre ist dieses Gesetz alt, da sind wir uns frak

tionsübergreifend einig, wie auch in der Diskussion am 5. April festgestellt werden konnte - muss geändert werden. Die SPD-Fraktion ist, wie auch die andere Oppositionsfraktion, der Überzeugung, dass auch Artikel 89 Abs. 2 Satz 1 der Thüringer Verfassung zu ändern ist.

Zur Änderung des Richtergesetzes ist darüber hinaus festzustellen, dass Teile des Arbeitsentwurfs 1999 in den Entwurf 2000 übernommen worden sind. Aber, das stelle ich auch hier fest, leider nur Teile und leider nicht die wesentlichen. Im Teil A der Begründung des Arbeitsentwurfs vom Dezember 2000 ist sogar weitgehend wortidentisch aufgenommen worden, was auch im ersten Abschnitt des Entwurfs 1999 ausgeführt worden ist. Es beginnt z.B. wie folgt, ich darf zitieren: "Das Thüringer Richtergesetz vom 17. Mai 1994 hat sich beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz in unserem Freistaat bewährt. Es hat aber auch Kritik erfahren, die sich insbesondere darauf gerichtet hat, dass der Umfang der richterlichen Beteiligung sich lediglich an den durch das Deutsche Richtergesetz vorgegebenen Rahmen hält." Und es geht dann sogar noch mal weiter: "Im Hinblick darauf" - und da wird im Entwurf 1999 auf die Koalitionsvereinbarung verwiesen, das wurde im Entwurf 2000 nicht gemacht - "soll nunmehr eine Novellierung vorgenommen werden."

Meine Damen und Herren, soweit es den Entwurf 1999 betraf, war es der Stand von 1999, und zwar ein Entwurf, der in Abstimmung mit den Thüringer Richtern und Staatsanwälten erarbeitet worden war. In der nunmehr über zwei Jahre weiteren Praxis haben sich aus der Sicht der Thüringer Richterinnen und Richter, der Staatsanwältinnen oder Staatsanwälte sehr viele Defizite bei der Anwendung des Gesetzes von 1994 ergeben, dass eine weiter gehende Novellierung dringend erforderlich geworden ist. Ich stimme da völlig mit der Praxis überein, aber, meine Damen und Herren, der zu Beginn meiner Ausführungen angemahnte Grundsatz der Zurückhaltung des Parlaments legt es nahe, und darum bitte ich, dass die Diskussionen dazu im Ausschuss fortgesetzt werden.

Kommen wir zu den einzelnen Vorschriften: Meine Damen und Herren, ihnen liegen zwei Gesetzentwürfe vor, nämlich a) das Zweite Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen in Drucksache 3/1549 und b) das Erste Gesetz zur Änderung des Thüringer Richtergesetzes in Drucksache 3/1550.

Kommen wir zur Verfassungsänderung: Das Zweite Gesetz zur Änderung der Thüringer Verfassung befasst sich mit Artikel 89 Abs. 2 Satz 1. Es handelt sich hier um eine Staatsorganisationsnorm, die im ersten Halbsatz die Einstellung der Richter regelt. Es wird dort festgelegt, dass der Justizminister die vorläufige Anstellung allein vornimmt. Es wird dann im zweiten Halbsatz bestimmt, dass nur bei der Berufung auf Lebenszeit der Richterwahlausschuss zustimmen muss.

Nach dem ihnen vorgelegten Gesetzentwurf soll die Zuständigkeit und damit die Bedeutung des Richterwahlausschusses erweitert werden auf seine zusätzliche Mitwirkung bei der vorläufigen Anstellung der Richter. Darunter sind auch die Staatsanwälte zu zählen, denn Staatsanwälte, dort diejenigen jungen Juristen, die im Anschluss Staatsanwälte werden sollen, werden als Richter auf Probe eingestellt. Der Richterwahlausschuss soll weiterhin mitwirken bei der Lebenszeiternennung auch von Staatsanwälten, und drittens auch bei der Beförderung von Richtern und Staatsanwälten.

Meine Damen und Herren, die verfassungsrechtliche Bedeutung des Richterwahlausschusses liegt darin, dass die Gewaltenteilung als Grundprinzip des demokratischen Rechtsstaats in der Weise ergänzt wird, dass der Richter seine demokratische Legitimation mit dieser besonderen Wahl durch ein parlamentarisches Gremium erhält, ergänzt und nicht durchbrochen.

Es ist bereits in der Plenardebatte am 5. April angesprochen worden, dass der gegenwärtige Thüringer Rechtszustand unbefriedigend ist - ich füge hinzu, auch aus der Sicht der Richter -, weil nämlich da ein Teil, sicherlich ein wesentlicher der insgesamt zweiaktigen, erst die vorläufige, dann die endgültige, Ernennung zum Richter mit dieser demokratischen Legitimation ausgestattet ist.

Meine Damen und Herren, diese verfassungsrechtlich unbefriedigende Situation war auch Gegenstand der Koalitionsverhandlung im Herbst 1994. Das Ergebnis ist in der Koalitionsvereinbarung - Herr Wolf, Sie können sich daran erinnern - festgelegt. Wir wollten erst Erfahrungen sammeln mit der Verfassung, die ja kurz zuvor durch entsprechenden Volksentscheid angenommen wurde. Dieser Stand, meine Damen und Herren, ist nach knapp 10 Jahren Praxis erreicht.

Meine Damen und Herren, die Lebenszeiternennung ist sicherlich für den einzelnen Richter und die einzelne Richterin ein entscheidender Zeitpunkt, weil sie damit auf Dauer eine besondere Rechtsstellung erhalten. Aber auch schon davor waren sie als Richter bzw. Richterin, wenngleich auf Probe oder kraft Auftrags in derselben, nämlich in der richterlichen Funktion tätig. Es ändert sich insoweit gar nichts, sie bleiben als Richter tätig. Das ist z.B. einer der vielen Gründe, warum auch in einer Reihe von Ländern, die wie Thüringen mit dem Richterwahlausschuss ein Mitwirkungsrecht haben, dieses Mitwirkungsrecht auch bei der vorläufigen Einstellung ausgeübt wird. Das sind z.B. die Länder Baden-Württemberg, Berlin, Hessen und Brandenburg. Übrigens, Anmerkung dazu: In allen diesen Ländern ist die CDU an der Regierung beteiligt, Thüringen spielt da schon eine Sonderrolle.

Bei dieser Gelegenheit sei ebenfalls angemerkt, dass in den genannten Bundesländern die Richterwahlausschüsse auch, wie im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen, bei den Beförderungen der Richterinnen und Richter als

Übertragung eines neuen Amts mitwirken. Das ist sinnvoll, denn die Beförderung hat im Regelfall zum Inhalt, dass den Betroffenen größere, ja bedeutendere Aufgaben übertragen werden, erhält ein neues Amt, das mit mehr Verantwortung verbunden ist. Nehmen wir als Beispiel die Beförderung eines Richters in der ordentlichen Gerichtsbarkeit von R1 nach R2. Diese führt dazu, dass der Richter etwa die Leitung eines Gerichts, den Vorsitz in einem Spruchkörper des Landgerichts oder die Aufgabe eines Richters beim Oberlandesgerichts übernimmt.

Schließlich sollen auch die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nach unserem Gesetzentwurf in den Kreis derjenigen mit einbezogen werden, die der Mitentscheidung des Richterwahlausschusses unterliegen. Ich hebe an dieser Stelle ausdrücklich hervor, das ist auch die gemeinsame Forderung der Thüringer Richter und Staatsanwälte und ihrer berufsständischen Vertretungen. Ich räume ein, meine Damen und Herren, das ist neu. Das gibt es noch in keinem anderen Bundesland, aber es ist weder systemfremd oder gar rechtlich bedenklich, noch unpraktikabel. Es ist schon deshalb nicht systemfremd, weil die Staatsanwaltschaften zwar der Exekutive angehören, die Staatsanwälte erfüllen aber, wie das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat, gemeinsam mit den Richtern die Aufgabe der Justizgewährung im Bereich der Strafrechtspflege.

Es wird auch gesagt, die Staatsanwaltschaft ist ein der dritten Gewalt zugeordnetes Organ der Rechtspflege, im BGHSt festgestellt im 24. Band. Es ist aber auch in der amtlichen Begründung zum Ersten Strafverfahrensreformgesetz 1974 in der Begründung ausgeführt. Rechtliche Bedenken bestehen nicht, weder das Grundgesetz noch das Deutsche Richtergesetz enthalten eine Sperre. Der Landesgesetzgeber ist da völlig frei. Es ist meines Erachtens auch praxisnah, weil die Bedeutung der Staatsanwaltschaften bei der Verbrechensbekämpfung dadurch hervorgehoben wird und ein durchaus sinnvoller Wechsel zwischen staatsanwaltlicher und richterlicher Tätigkeit im Laufe eines Berufslebens in der Justiz erleichtert wird.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nur eine Bemerkung machen zu der Argumentation in der Debatte am 5. April. Es wurde da behauptet, eine Beteiligung des Richterwahlausschusses bei der erstmaligen Berufung eines Richters auf Probe oder eines Richters kraft Auftrags sei unsinnig, ja unpraktikabel, weil er noch ein völlig "unbeschriebenes Blatt" sei, weil er eben noch nicht erprobt sei. Das ist so nicht richtig. Natürlich gibt es eine Fülle von soliden fachlichen Informationen über einen jungen Juristen, der immerhin im Regelfall zwischen 25 und 28 Jahren alt ist, wenn er nach Ablegung des Zweiten juristischen Staatsexamens und damit von zwei juristischen Staatsexamen in den Staatsdienst aufgenommen werden will. Er hat nicht nur ein Studium ggf. mit einer entsprechenden Schwerpunktausbildung absolviert, sondern er ist als Referendar, das heißt als Beamter auf Widerruf im Staatsdienst durch eine Reihe von Ausbildungsstationen gelaufen. Dort sind seine Kenntnisse und

Fähigkeiten unter Anleitung und Aufsicht von erfahrenen Praktikern unter Beweis gestellt worden. - Herr Kallenbach, ich mache die Anmerkung: Sie wissen das besonders gut. - Er ist von jedem dieser Praktiker anschließend schriftlich beurteilt worden und er ist dann von Praktikern im Zweiten Staatsexamen geprüft worden. Über all diese Schritte liegen eine Fülle von Zeugnissen vor. Von einem "unbeschriebenen Blatt" kann man wahrlich nicht sprechen. Aber, meine Damen und Herren, auch das möchte ich im Ausschuss näher diskutieren. Ich glaube, das geht zu sehr ins Detail. Da sollten wir auch sehen, dass jede parteipolitische Diskussion rausbleibt.

Ich halte hier jedoch noch eines fest: Ausschlaggebend für die neue Regelung ist aus meiner Sicht vor allem, dass der junge Jurist mit richterlichen Aufgaben betraut wird, die er weitestgehend selbständig bis völlig selbständig wahrnimmt, wenn er als Richter kraft Auftrag oder als Richter auf Probe tätig ist - Assessor hieß es früher, ich bin noch als Gerichtsassessor eingestellt worden. Bedeutsam ist meines Erachtens, dass er über Menschen zu Gericht sitzt und damit häufig über Schicksale entscheidet, deshalb bedarf er, so meine ich, für seine Tätigkeit der vollen demokratischen Legitimation von Anfang an. Soweit in der Debatte am 5. April auf die Verfassungsgebung von 1993 verwiesen worden ist, merke ich an, dass es sich hier bereits um die zweite Verfassungsänderung handelt, und ich beziehe mich auf die schon geschilderte Koalitionsverhandlung vom Herbst 1994, die Erprobungsphase, die ist insoweit meines Erachtens abgelaufen.

Kommen wir zum Thüringer Richtergesetz: Es befasst sich, das ist schon dargestellt worden, mit der Mitwirkung von Richtern und Staatsanwälten an der Tätigkeit des Richterwahlausschusses, mit dem Ausbau der Mitbestimmung der Richterräte, mit der Erweiterung der Beteiligung der Präsidialräte, mit dem Richterdienstgericht und mit Reformen des öffentlichen Dienstrechts nach den Maßgaben des Deutschen Richtergesetzes. Ich will mich hier auf die wesentlichen Änderungen beschränken. Ich meine auch da, die Ausschussberatungen sollten abgewartet werden.

Kommen wir zum Richterwahlausschuss: Es ist hier so, dass die §§ 13 bis 22 des Thüringer Richtergesetzes abgeändert und ein neuer § 15 a eingefügt werden soll. Unter Nummer 8 wird die bereits dargestellte Verfassungsänderung in § 13 Thüringer Richtergesetz näher ausgestaltet. Nummer 9 des § 14 Thüringer Richtergesetz regelt die personelle Zusammensetzung des Richterwahlausschusses in Ausführung der Vorgaben von Artikel 89 Abs. 2 Satz 1 neu der Thüringer Verfassung. Vorgesehen ist eine Stärkung der Position der Richter sowie der Staatsanwälte, wenn eine mitwirkungspflichtige Entscheidung in deren Bereich ansteht. In Anbetracht der Bedeutung des Richterwahlausschusses als Organ zur parlamentarisch-demokratischen Legitimation der Tätigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften soll das Kräfteverhältnis der Abgeordneten zu den Richtern und Staatsanwälten erhalten blei

ben, nämlich zwei Drittel zu einem Drittel. Da, und darauf hat Kollege Dr. Koch meines Erachtens schon zu Recht hingewiesen, unterscheiden wir uns von dem Vorschlag der PDS und auch den Vorschlägen der Richter und Staatsanwälte, insbesondere des Hauptrichterrates, die nämlich die hälftige Beteiligung vorgeschlagen haben. Wir meinen, dass das nicht angängig ist, denn der Richterwahlausschuss ist ein Gremium des Parlaments und hat andere Aufgaben. Aber auch da, um Diskriminierungen oder Sonstigem vorzubeugen, meine ich, weitere Diskussion im Ausschuss. Herr Wolf, wir sind uns da einig.

Die Wahl der Justizmitglieder ist unter § 15 a Nr. 10 des Entwurfs geregelt. Da in Zukunft nicht mehr automatisch die Präsidenten der Gerichtszweige in dieses Gremium entsandt werden, wie das bisher nach § 14 geschieht, bedarf es dieser demokratischen - ich sage ausdrücklich "demokratischen" - Handlung.

Meine Damen und Herren, dem Ausbau der Mitbestimmungskompetenz der Richterräte dient die ausgeführte Änderung und Neufassung der §§ 22 bis 44 des Thüringer Richtergesetzes. Hervorhebung, und das ist hier schon mehrfach angesprochen worden, verdient hier die Schaffung einer gemeinsamen Stufenvertretung der Richter und Staatsanwälte auf der Höhe des Justizministeriums. Lassen Sie mich dazu auch noch eine Anmerkung machen: Der Entwurf von 1999 kannte zumindest den gemeinsamen Landesrichterrat. Leider sind diese Strukturen nicht weiter verfolgt worden.

Meine Damen und Herren, der nach dem Thüringer Richtergesetz von 1994 derzeit bestehende Rechtszustand, dass jeder Gerichtszweig und die Staatsanwaltschaften ihre Personalvertretungen nur bis zu den oberen Gerichten und zur Generalstaatsanwaltschaft haben, eine gemeinsame Vertretung aber fehlt, wird von den Thüringer Richtern und Staatsanwälten zu Recht als unbefriedigend angesehen, denn einen direkten Ansprechpartner und, ich sage es auch ganz klar, einen Interessenvertreter auf der Höhe des Justizministeriums analog zum Hauptpersonalrat gibt es nicht. Das macht sich - logisch - insbesondere dann nachteilig bemerkbar, wenn Fragen von grundlegender, z.B. alle Richter betreffender Bedeutung zu entscheiden sind. Dann muss nach dem gegenwärtigen Rechtszustand z.B. mit allen fünf Einzelvertretungen, und sind die Staatsanwälte betroffen, dann mit sechs und dann auch noch mit gegebenenfalls unterschiedlichen Ergebnissen verhandelt werden. Angesichts aber des eingangs genannten Appells an die Zurückhaltung schlage ich auch da vor, im Ausschuss weiterzudiskutieren.

Dazu allerdings noch eine kleine Anmerkung, meine Damen und Herren: Tätig geworden ist im gegenwärtigen Zustand ein gemeinsamer Ausschuss von Richtern und Staatsanwälten, der die Verhandlungen mit dem Ministerium zum Arbeitsentwurf des Ministeriums geführt hat. Das war bereits die Praktizierung dieses neuen Rechtszustands.

Kommen wir zu dem so genannten Katalog: Zum Ausbau der Mitbestimmung und vor allem zur Sicherung und Rechtsklarheit ist in dem Entwurf unter Nummer 19 vorgesehen, einen § 39 mit einer Aufzählung der für die Mitbestimmung vorgesehenen Tatbestände zu schaffen. Wir werden sicherlich über die einzelnen Tatbestände noch im Ausschuss zu beraten haben. Um hier aber keine falschen Vorstellungen aufkeimen zu lassen will ich auch gleich feststellen, dass dieser Katalog aus meiner Sicht eine derzeit notwendige Mindestregelung darstellt, allenfalls hat die Abordnung ab 3 Monate Dauer, dass die auch mitbestimmungspflichtig ist, dass wir uns vielleicht da auf 6 Monate einigen können. Darüber können wir einmal reden, aber sonst halte ich diesen Katalog für grundsätzlich notwendig und für das Mindestmaß.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt ist die Schaffung einer Einigungsstelle, die in § 44 des Entwurfs unter Nummer 16 geregelt ist. Ich halte die Einrichtung einer solchen, dem Interessenausgleich und damit der Befriedung dienenden Institution nach dem Personalvertretungsrecht für sinnvoll und notwendig. Die Aufgaben derartiger Einrichtungen sind aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 24.05.1995 sicher zu modifizieren. Die Einigungsstellen selbst sollten aber nicht entfallen. Auch da bitte ich um weitere Erörterung im Ausschuss.

Kommen wir zum Präsidialrat: Meine Damen und Herren, seine Aufgaben sind unter Nummer 27 in § 45 des Entwurfs geregelt. Hier ist vor allem die Beteiligung bei der Lebenszeiternennung von Richtern und bei deren Entlassung von Bedeutung. In der Debatte am 05.04. sind dazu und auch zur Wahl der Mitglieder vor allem, meine ich, parteipolitische Behauptungen aufgestellt worden. Auch dafür gilt mein Appell, bitte weitere Beratungen im Ausschuss. Das gilt umso mehr, meine ich, als diese Forderungen vor allem von den Richtern erhoben worden sind und schließlich auf Erfahrungen zu verweisen ist in anderen Bundesländern. Darüber sollten wir nachdenken.