Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion im Thüringer Landtag und insbesondere ich als deren behindertenpolitischer Sprecher verstehen uns somit als parlamentarischer Arm dieser außerparlamentarischen Initiativen. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf viele Probleme, Anliegen und Anregungen sowie Lösungsvorschläge der betroffenen Menschen mit Behinderung und ihrer Interessenvertretungen aufgenommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, über einen langen Zeitraum von mehr als drei Jahren hat die PDS-Fraktion sechs Veranstaltungen hier im Thüringer Landtag

durchgeführt, um gemeinsam mit diesen Verbänden, die die Interessen behinderter Menschen im Freistaat vertreten, unseren Gesetzentwurf weiterzuentwickeln und zu verbessern. Die Themen unserer Veranstaltungen waren u. a.: "Arbeit für Menschen mit Behinderung", "Barrierefreiheit", "Gebärdensprache", "persönliche Assistenz" und "Landesbehindertenbeauftragte".

Also, noch einmal kurz und knapp: Das Gesetz ist das Ergebnis der Arbeit von behinderten Menschen und in der Arbeit mit behinderten Menschen Erfahrenen für behinderte Menschen. Es geht daher nicht am Leben vorbei, sondern es ist gelebte Erfahrung. Somit denke ich, das kann ich hier und heute behaupten, dieser Entwurf ist ein Entwurf zur umfassenden Verwirklichung gesellschaftlicher Teilhabe behinderter Menschen im Freistaat Thüringen. Und es ist nicht nur ein Gesetzentwurf der PDS-Landtagsfraktion, sondern er beinhaltet auch die Interessen der behinderten Bürgerinnen und Bürger hier im Freistaat.

(Beifall Abg. Thierbach, PDS)

Mit dieser Arbeitsweise entsprechen wir dem Motto des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung 2003, welches da heißt "Nichts über uns ohne uns", und darauf lege ich als selbst behinderter Mensch sehr großen Wert.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren, warum bringen wir als PDSFraktion nun heute unseren Gesetzentwurf in den parlamentarischen Gang? Ich denke, ein Jahr nach In-KraftTreten des Bundesgleichstellungsgesetzes am 1. Mai 2002 - das ist der erste Punkt - ist es Zeit, auf Landesebene gesetzliche Gleichstellungsgesetze umzusetzen. Es gibt ein weiteres nahe liegendes zeitliches Argument, das ist das Jahr 2003, nämlich das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung. Als Letztes, und ich denke auch wichtiger Punkt, ist der 5. Mai, der europaweite Protesttag der Behinderten für die Gleichstellung, der jedes Jahr auch hier in Thüringen stattfindet und auch in diesem Jahr war die Veranstaltung vor der Thüringer Staatskanzlei mit einer Demonstration, denke ich, eine massive Forderung behinderter Menschen hier in Thüringen für ein Thüringer Gleichstellungsgesetz.

An dieser Demonstration nahmen mehrere hundert Menschen mit Behinderung teil. Der Ort der Kundgebung und deren Motto waren auch mit Bedacht gewählt. Die dort anwesenden Politiker konnten deutlich hören und sehen, was Menschen mit Behinderung fordern. Ausgangspunkt für diese deutlichen verbalen Zeichen war unter anderem die Äußerung der Landesregierung, insbesondere des Herrn Minister Gnauck und des Herrn Minister Dr. Pietzsch im April, welche mit diversen Schlagzeilen für einiges Aufsehen bei den Thüringer Behindertenverbänden und -vereinen sorgten. So wurde verkündet, dass trotz vollmundiger Ankündigungen kein Integrationsgesetz für Thüringen im Jahr 2003 vorgelegt wird, wobei schon der Titel "Integra

tionsgesetz" signalisiert, dass die Landesregierung offensichtlich nicht viel von den Kompetenzen Gleichstellung und Selbstbestimmung hält.

Meine Damen und Herren, im letzten Plenum habe ich Sie, Herr Minister Dr. Pietzsch, aufgefordert, endlich etwas für die Gleichstellung behinderter Menschen in Thüringen zu tun. Jetzt könnten Sie etwas tun, indem Sie unseren Gesetzentwurf unterstützen und sich nicht nur auf die Thüringer Verfassung berufen, wie Sie es heute in Ihrer Pressemitteilung mit langen Anlagen tun. Die Verfassung allein kann die Lebensqualität behinderter Menschen in Thüringen nicht spürbar verbessern, weil die Vorgaben noch viel zu abstrakt sind und sich nicht konkret am Alltag des einzelnen behinderten Menschen auswirken können.

Dort heißt es in Artikel 2 Abs. 4 der Thüringer Verfassung, Frau Präsidentin, ich zitiere: "Menschen mit Behinderung stehen unter dem besonderen Schutz des Freistaats. Das Land und seine Gebietskörperschaften fördern ihre gleichwertige Teilnahme am Leben in der Gesellschaft."

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, aber auch von der CDU-Fraktion, wir Menschen mit Behinderung brauchen keine geschützten Räume, sondern die Schaffung von Rahmenbedingungen, damit wir unsere Menschen- und Bürgerrechte selbstbestimmt wahrnehmen können. Die Notwendigkeit zur Schaffung eines Landesgleichstellungsgesetzes leitet sich zum einen aus dem zum 1. Mai 2002 in Kraft getretenen Behindertengleichstellungsgesetz und aus der Existenz der Benachteiligungsverbote zugunsten behinderter Menschen im Grundgesetz sowie in der Landesverfassung ab. Deshalb müssen Gesetze geschaffen werden, die das Grundgesetz und die entsprechenden Regelungen auf der Landesebene wie Artikel 2 Abs. 4 in Thüringen konkret untersetzen und einklagbare Rechte für Menschen mit Behinderung und konkrete Förderungsgebote und Förderungsmaßnahmen festschreiben.

16 Jahre schwarzgelber Bundespolitik haben die Umsetzung solcher Gesetze wie ein Behindertengleichstellungsgesetz, geschweige denn ein Antidiskriminierungsgesetz nicht auf den Weg gebracht. Der konservative Politikansatz ging davon aus, dass es genügend gesetzliche Regelungen für Menschen mit Behinderung gäbe und dass genügend für diese Bevölkerungsgruppe getan werde und dass deshalb Änderungen und Verbesserungen nicht nötig seien. Dieses Denken und Handeln scheint auch bei 13 Jahren Thüringer CDU-Politik verinnerlicht zu sein.

Meine Damen und Herren, da Sie als CDU nicht in der Lage sind, einen Gesetzentwurf zur Gleichstellung für Menschen mit Behinderung dem Landtag vorzulegen, müssen wir als Opposition Ihnen offensichtlich auf die Sprünge helfen mit unserem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der PDS; Abg. Pelke, SPD)

Ich wende mit eindringlich an die Landesregierung, aber auch an Sie von der CDU-Mehrheit im hohen Hause, das Thema von Menschen mit Behinderung und deren Gleichstellung nicht nur unter finanziellen und haushalterischen Aspekten zu betrachten, sondern Sie sollten vor allem daran denken, dass bei dem Thema Gleichstellung behinderter Menschen es um Menschenrechte und Bürgerrechte, um Verfassungsrechte und individuelle Grundrechte geht; Rechte, die das Fundament und den Kern unseres Rechtsstaats ausmachen.

(Beifall bei der PDS)

Die PDS möchte Ihnen Vorschläge unterbreiten, wie sie ein solches Gesetz zur Gleichstellung für Menschen mit Behinderung finanzieren können.

Der erste Vorschlag bezieht sich auf die Imagekampagne "Willkommen in der Denkfabrik", welche mit 1,5 Mio.  untersetzt ist. Ein weiterer Vorschlag: Wie wäre es mit dem Titel für "Zwecke des Verfassungsschutzes", aus dem Spitzel wie Dienel oder Brandt bezahlt werden. Dafür gibt es immerhin jährlich 360.000 !#   müsste der Verfassungsschutz mit knapp 5 Mio.   kommen. Oder die so genannten Lottomittel mit einem Umfang von 4 Mio.   $ %   rangig durch die CDU-Abgeordneten im Lande für soziale, mildtätige, kulturelle und ähnliche Zwecke verteilt werden. Das Ganze geschieht aber eher nach Gutdünken, dient mitunter eher dem Lobbyismus als zielgerichteter Sacharbeit. Hinzu kommt die Tatsache, dass Ende 2001 im Haushaltstopf mit den Mitteln aus der Ausgleichsabgabe für unbesetzte Schwerbehindertenarbeitsplätze umgerechnet ca. 15,4 Mio.      ten. Meines Wissens hat sich an dieser grundsätzlichen Situation nichts geändert. Warum nehmen Sie diese objektiv belegbaren Fakten nicht zur Kenntnis? Das legt den Verdacht nahe, Geldargument ist nicht das Eigentliche Ihrer Ablehnung. Würden Sie diese Tatsachen von vornherein betrachten, könnten und müssten Sie durchaus zu anderen Erkenntnissen kommen. Ein wichtiger Faktor sollte nicht vergessen werden. Behinderte Menschen sind auch Konsumenten. Und je besser die Teilhabe und der Nachteilsausgleich im Lande Thüringen gewährt wird, je mehr Geld wird von ihnen auch wieder ausgegeben. Die PDSFraktion weiß, dass Gleichstellung letztendlich nur durch Nachteilsausgleiche erreicht werden kann. Dies kostet natürlich Geld. Bei der ganzen Debatte um Gleichstellung und Teilhabe behinderter Menschen in der Gesellschaft muss es auch um Umverteilung und Neuordnung von Finanzen gehen. Geld ist genügend da. Den Mut, den Frau Arenhövel bei der Neustrukturierung der Sozialhilfe vorhin im Tagesordnungspunkt 3 hatte, sollten Sie auch hierbei haben, aber bitte schön auch im Interesse der Betroffenen.

(Beifall bei der PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nun im Konkreten auf das Gesetz zur umfassenden Ver

wirklichung gesellschaftlicher Teilhabe behinderter Menschen im Freistaat Thüringen in der Drucksache 3/3249 eingehen. Die PDS-Fraktion bleibt bei ihrer grundsätzlichen Kritik am Behindertengleichstellungsgesetz auf Bundesebene, die vor allem darin besteht, dass es kein Leistungsgesetz ist bzw. keine individuellen Leistungsrechte normiert, ausgenommen vielleicht den Aspekt der Verwendung der Gebärdensprache. Deshalb haben wir bei der Erarbeitung unseres Gesetzes das Thema Nachteilsausgleich schwerpunktmäßig mit berücksichtigt und dieses weit gehend in einem eigenen Gesetz, dem Nachteilsausgleichsgesetz, zusammengefasst.

Unser Gesetz ist in drei Artikel unterteilt: Artikel 1 - Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen im Freistaat Thüringen, das Thüringer Behindertengleichstellungsgesetz mit fünf Abschnitten,

Artikel 2 - Thüringer Gesetz über Nachteilsausgleiche für behinderte Menschen, das Thüringer Nachteilsausgleichsgesetz mit sechs Abschnitten sowie

Artikel 3 - In-Kraft-Treten des Gesetzes.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Artikel 1 des Gleichstellungsgesetzes findet sich vieles, was auch im Bundesgesetz normiert ist, wieder. Es sind jedenfalls Forderungen der behinderten Menschen und ihrer Interessenvertretungen. Das Bundesgesetz basiert vor allem auf der Arbeit des Forums der behinderten Juristinnen und Juristen. Der PDS-Entwurf des Gleichstellungsgesetzes hat ein stark ausgestaltetes Benachteiligungsverbot zum Inhalt, das durch entsprechende Ansprüche bis hin zu Staatshaftungsansprüchen gegen die öffentliche Hand bei Verletzung des Verbots abgesichert ist. Die Regelungen gehen über das Bundesgesetz und die Gleichstellungsgesetze anderer Länder hinaus. Doch unserer Ansicht nach ist die Einhaltung des Diskriminierungsverbots nur durch eine solch weit gehende Sanktionierung abzusichern. Ähnlich gelagert ist die Festschreibung des so genannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Das soll heißen, wenn z.B. behinderte Menschen durch einen Beratungsfehler einer Behörde Leistungseinbußen erlitten haben, sie sind nachträglich so zu stellen, als sei die Beratung von Anfang an korrekt erfolgt. Äußerst wichtig erschien uns, das Gebot der besonderen Förderung behinderter Frauen festzuschreiben, um dem Problem der doppelten Benachteiligung dieser Bevölkerungsgruppe, zum einen als behinderter Mensch und zum anderen als Frau, wirksam begegnen zu können. Diesem Gebot entspricht dann auch die besondere Aufgabenstellung an den Landesgleichstellungsbeauftragten in diesem Punkt.

Dem Aspekt Akteneinsicht, Auskunft und Beratung behinderter Menschen haben wir in den §§ 20 bis 23 einen eigenständigen Abschnitt gewidmet. Das macht insoweit Sinn, als nur derjenige wirksam seine Rechte wahrnehmen kann, der um seine Rechte umfassend weiß. Es gilt gerade auch hier die Binsenweisheit: "Wissen ist Macht!"

Im Falle behinderter Menschen bedeutet Macht in diesem Zusammenhang vor allem auch Selbstermächtigung, oder auf neudeutsch Empowerment, und Selbstbestimmung. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass Beratung nach der Möglichkeit entsprechend dem Prinzip des Peer Counselling Beratung behinderter Menschen durch behinderte Menschen selbst stattfinden soll. Doch zu einer wirksamen Durchsetzung der eigenen Rechte reicht eine umfassende Information und Beratung nicht aus. Meist muss auch die wirksame Unterstützung bei der Rechtsdurchsetzung vor Behörden und Gerichten hinzukommen. Die rechtlichen Regelungen und ihre Handhabung sind mittlerweile so kompliziert, dass der einzelne Betroffene allein oft schon fast überfordert ist. Dem hilft die Verankerung einer Vertretungsbefugnis und eines Verbandsklagerechts ab. Diese beiden Instrumente ermöglichen den Interessenvertretungen behinderter Menschen unter bestimmten Vorgaben, so muss eine qualitativ hochwertige Rechtsvertretung durch die Organisation gewährleistet werden, den Betroffenen wirksame Rechtsvertretung zu geben. Der Einzelne muss so nicht mehr als Einzelkämpfer Behörden und Gerichten gegenübertreten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein weiterer Schwerpunkt des Gleichstellungsgesetzes ist im Abschnitt 4 des Artikels 1 die Herstellung der Barrierefreiheit. Dieses Thema wird uns im nächsten Tagesordnungspunkt 6 noch mal in der Änderung der Bauordnung begegnen. Jedoch gibt es bei dieser Gesetzesänderung, die nachher beraten wird, schon noch einige Barrieren. Wohlgemerkt, für die PDS-Fraktion haben wir Barrierefreiheit in einem sehr weitestgehenden Sinne geregelt, also nicht nur bezogen auf die Bereiche Bau und Personenbeförderung; es ist auch der ganze Bereich der Kommunikation erfasst, angefangen von der Gestaltung von Bescheiden, Internetpräsentationen und Museumsangeboten bis hin zum Bereich der Gebärdensprache. Gerade an diesen Regelungen im Gesetzentwurf der PDS-Fraktion lässt sich exemplarisch die enge Zusammenarbeit zwischen dem außerparlamentarischen Bereich, den Betroffenen und ihren Interessenvertretungen und der Fraktion ablesen. Die für einen unbedachten Betrachter vielleicht skurril anmutenden Regelungen nach qualifiziertem Lehrpersonal an Schulen für hörbehinderte Menschen oder die Pflicht zur Sicherstellung ausreichender Ausbildungsmöglichkeiten für Gebärdendolmetscher sind Lösungsangebote für Probleme, die von den Betroffenen als solche benannt werden und in Thüringen Realität sind, auch wenn das mancher nicht so gern hören mag.

Unter dem Aspekt der Barrierefreiheit, das heißt des ungehinderten Zugangs zu allen gesellschaftlichen Lebensbereichen, ist es nicht zuletzt auch als Gebot der weitestgehenden Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht behinderten Kindern zu sehen. Im Gesetzentwurf ist es als Wahlrecht der Eltern ausgestaltet. Die Vorschrift beinhaltet darüber hinaus ein entsprechendes Finanzierungsgebot an das Land. In Sachen gemeinsamer Unterricht hätten die Landesregierung und die CDU

Mehrheit mit der Novellierung der Schulgesetze alle Möglichkeiten gehabt, sie konnten und wollten sie offenbar nicht nutzen.

(Zwischenruf Abg. Arenhövel, CDU: Das stimmt gar nicht!)

(Beifall bei der PDS)

Übrigens noch ein Argument in Bezug auf Barrierefreiheit unter finanziellen Aspekten. Untersuchungen und Erfahrungen in anderen Ländern, aber auch in Deutschland zeigen, auch Barrierefreiheit ist kein Kostengrab. Wird Barrierefreiheit von Anfang an mit eingeplant, kostet sie nicht mehr als konventionelle Verfahren und Umrüstungsverfahren werden mittlerweile aufgrund der technischen Entwicklung auch immer kostengünstiger.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Nachteilsausgleichsgesetz Artikel 2 des Entwurfs nimmt viele langjährige Forderungen behinderter Menschen und ihrer Interessenvertretungen auf. So beinhaltet es das seit Jahren geforderte Gehörlosengeld. Aber auch die behinderten Menschen, die unter schwierigen Bedingungen in Werkstätten arbeiten, sollten durch das Werkstattgeld einen kleinen finanziellen Nachteilsausgleich erhalten. Damit ist einmal das dringendste Problem der Werkstätten angepackt. Diese Forderung dürfte auch im Interesse des Herrn Minister Pietzsch sein, wenn ich Sie am Montag auf der Demo richtig verstanden habe. Die Tatsache nämlich, dass in diesen Einrichtungen unter Konkurrenz und oft auch unter belastenden Arbeitsbedingungen der so genannten sozialen Marktwirtschaft zu miserablen Löhnen von den behinderten Menschen für Verkauf und Konsum produziert und malocht wird. Weitere wichtige Punkte des Nachteilsausgleichs sind der Ausgleich von Mobilitätsnachteilen und die Festschreibung eines umfassenden Rechts auf Assistenz in allen Lebensbereichen. Ein solch umfassendes Recht ist nicht einmal in dem SGB IX und in dem Bundesgleichstellungsgesetz gewährleistet. Und doch stellt es für viele behinderte Menschen das Kernstück eines selbstbestimmten Lebens trotz Behinderung dar. Es kann dazu beitragen, behinderte Menschen vor dem oftmals bevormundenden Los der stationären Betreuung zu bewahren. Der Lebensalltag der Betroffenen wird unabhängiger, vielgestaltiger und abwechslungsreicher, aber vor allem lebenswerter. Viele Aktivitäten und Unternehmungen sind für behinderte Menschen nur oder viel besser mit Assistenz möglich. In Thüringen scheint dies ein Fremdwort zu sein. Zuständige Sozialämter scheuen Anträge zur Übernahme von Assistenzleistungen wie der Teufel das Weihwasser. Vergessen sollten wir aber auch nicht, Assistenz schafft Arbeitsplätze.

(Beifall bei der PDS)

Anlässlich einer Tagung, die in Mainz zu dem Thema "Assistenz und Assistenzmodelle" durchgeführt wurde, gab es in den letzten Tagen eine Mitteilung, dass bun

desweit bereits 16.000 Arbeitsplätze geschaffen und Anstellungsverträge aufgrund von praktizierter Assistenz abgeschlossen wurden. Außerdem zeigen Untersuchungen von Modellprojekten, dass Assistenzmodelle in den allermeisten Fällen kostengünstiger sind als stationäre oder anders organisierte Betreuung. Deshalb sieht der Gesetzentwurf der PDS den Grundsatz ambulant vor stationär vor.

(Beifall bei der PDS)

Was in anderen Bundesländern gang und gäbe ist, muss auch in Thüringen endlich Realität werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch ein kurzes Wort zu den Regelungen in Artikel 2 Abs. 4 Landesförderplan für den öffentlichen Dienst. Ich weiß, das Land hat schon Sonderprogramme zur Förderung behinderter Menschen im Arbeitsleben aufgelegt. Aber zum einen sind sie, soweit ersichtlich, wieder ausgelaufen und unseres Erachtens auch nicht ausreichend in ihrem Umfang. Ein verräterisches Indiz ist, dass bis zum 18.10.2002 im Topf Ausgleichsabgabe des Landeshaushalts ein Überschuss von 15,4 Mio.    !&'schuss ist nicht abgebaut. Diese Tatsache beantwortet im Übrigen auch, wie sich die PDS-Fraktion die Finanzierung eines solchen Förderplans vorstellt.

(Beifall bei der PDS)

Zum Abschluss des Überblicks noch zwei juristische Aspekte: Dass die PDS mit dem Nachteilsausgleichsgesetz kein Utopia für Behinderte schaffen will, ist hoffentlich deutlich genug daran zu erkennen, dass durch die Vorlage gleichartiger bundesrechtlicher Leistungen eine Doppelversorgung, Frau Arenhövel, ausgeschlossen wird. Um das Nachteilsausgleichsgesetz auch verfahrenstechnisch in das schon vorhandene sozialrechtliche Leistungssystem einzupassen, werden die Regelungen des Ersten und des Zehnten Sozialgesetzbuchs für entsprechend anwendbar erklärt. Neu ist, dass Streitigkeiten aus dem Nachteilsausgleich den Sozialgerichten zugewiesen werden, was nach § 51 Abs. 1 Nr. 10 Sozialgesetz auch möglich ist. Diese Zuweisungen haben darüber hinaus den wichtigen Vorteil, dass das sozialrechtliche bzw. gerichtliche Verfahren in vielen Punkten, z.B. die Überprüfung von Bescheiden auch nach Ablauf der Widerspruchsfrist oder auch die Gebührenfreiheit betroffenenfreundlicher ist als das normale Verwaltungsverfahren.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch auf einen Schwerpunkt des Gleichstellungsgesetzes eingehen, die Schaffung des Amtes eines Gleichstellungsbeauftragten und die Schaffung von Interessenvertretungen behinderter Menschen auf kommunaler Ebene. Diese Forderungen haben im Thüringer Landtag schon eine über zehnjährige Geschichte. Bereits in der 1. Legislatur gab es diesbezüglich mehrere Anträge von der Fraktion Linke Liste/PDS. Und dass sie zum damaligen Zeitpunkt

richtig gewesen sind, kommt in den formulierten Forderungen der Verbände nach einem Landesbehindertenbeauftragten auch im Jahre 2003 zum Ausdruck.

Alle Punkte, die ich zuvor im Überblick aufgezählt habe, hängen eng zusammen mit der Inanspruchnahme und Durchsetzung von Rechten für und durch den einzelnen behinderten Menschen. Daneben ist es aber auch genauso wichtig, eine gesellschaftliche und politische Instanz bzw. entsprechende Instrumente zu haben, die Belange behinderter Menschen nicht nur als individuelle Angelegenheit durchzusetzen, sondern als gesamtgesellschaftliche und politische, auf jeden Fall übergeordnete soziale Aufgabe zu bearbeiten. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe nimmt der Landesgleichstellungsbeauftragte zusammen mit dem Behindertenbeirat schwerpunktmäßig wahr. Er soll im politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess auf frühzeitige und wirksame Problemlösungen im Bereich Gleichstellung Behinderter hinwirken.

Ihre heutige Pressemitteilung, Herr Minister Pietzsch, müsste Ihre noch vor Wochen und Monaten ablehnende Haltung gegenüber der Schaffung eines Amts eines Landesbehindertenbeauftragten doch eigentlich aufheben.

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für Soziales, Familie und Gesundheit)

Ja, dann muss ich sie falsch gelesen haben.