Gregor Gysi
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Okay! – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was mich an dieser Debatte eigentlich stört, ist
das gestörte Verhältnis zur Geschichte und zu historischen Persönlichkeiten in Deutschland, und das beziehe ich wirklich nicht nur auf eine Seite.
Ich will ein Beispiel nennen: Wir haben in Deutschland ganz viele Bismarck-Denkmäler, und ich sage gleich: zu Recht. Obwohl Bismarck der erste war, der per Sozialistengesetz Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verfolgt und in die Emigration getrieben hat. Obwohl es so war und obwohl man das zweifellos negativ beurteilen muss, ist er dennoch eine relativ einzigartige, große Persönlichkeit der deutschen Geschichte, die man deshalb noch lange nicht unkritisch sehen muss.
Eine auf ganz andere Art und Weise herausragende Figur der deutschen Geschichte ist zweifellos Rosa Luxemburg. Sie ist immerhin eine Frau, die für ihre Überzeugungen mit ihrem Leben bezahlt hat und ermordet worden ist. Und übrigens wegen des Patriarchats gibt es auch gar nicht so viel Frauen in der Geschichte, die eine so herausragende Stellung eingenommen haben wie Rosa Luxemburg, sodass ihr schon deshalb ein Denkmal gebührte, denn wir haben sonst nur Gedenktafeln.
Aber lassen Sie mich Folgendes sagen: Was ich überhaupt nicht erwarte, von niemandem, ist unbedingte Akzeptanz, aber Sie kennen die Geschichte offensichtlich etwas wenig, sonst wüssten Sie zum Beispiel, dass in der KPD der Luxemburgismus in den 20er und 30er Jahren geradezu verfolgt worden ist. Sonst
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wüssten Sie, dass die DDR sich eben nie zu einem wirklichen Denkmal aufraffen konnte, wegen der Kritik an der leninschen Politik und an Demokratieverletzung.
Aber darum geht es mir jetzt gar nicht. Sie hatte auch andere Seiten. Das ist nicht der Kern meines Anliegens. Der Kern meines Anliegens ist, dass wir offensichtlich so große Schwierigkeiten auf allen Seiten des Hauses – oder sagen wir einmal in der Gesellschaft – haben, historische Persönlichkeiten aus ihrer Zeit heraus zu verstehen und dann auch auf das, was sie getan haben, sowohl kritisch als auch mit Stolz zu reagieren. Ich garantiere Ihnen, in einem Land wie Frankreich hätte Rosa Luxemburg – und zwar ohne jeden Einwand von Konservativen und Liberalen – mit absoluter Sicherheit ein Denkmal, und die ganze Nation wäre auf sie stolz bei aller Kritik, die ansonsten geübt werden würde. Sehen Sie, dass wir dieses Verhältnis nicht hinkriegen, und zwar zum Teil bei bestimmten Persönlichkeiten auf der linken Seite, zum Teil bei Konservativen wieder bei anderen Persönlichkeiten, das macht eine der Störungen in unserer Geschichte und in der Frage der Nation aus.
Deshalb bitte ich Sie einfach, gehen Sie doch einmal anders an die Sache heran. Seien wir doch einmal stolz auf eine Frau, die sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat, die möglicherweise auch Irrtümer begangen hat, das ist gar nicht die Frage, und die für ihre Überzeugungen mit ihrem Leben bezahlt hat und ermordet worden ist. Ihr ein Denkmal zu setzen, und zwar nicht im Sinne von kritikloser Annahme von allem, was sie gesagt hat, gehört einfach zur Akzeptanz von deutscher Geschichte.
Deshalb sage ich: Ja, Bismarck-Denkmäler sind gerechtfertigt. Ich sage aber auch: Ja, ein Rosa Luxemburg-Denkmal ist gerechtfertigt. Und wenn wir uns darauf nicht verständigen können hinsichtlich unserer Geschichte, werden wir als Nation in einem sich integrierenden Europa niemals diese europäische Normalität bekommen und die Akzeptanz erreichen, die wir dringend benötigen. Als Liberale – mein letzter Satz, Herr Präsident – tun Sie sich überhaupt keinen Gefallen. Mit diesem Antrag beweisen Sie, dass Sie alles Mögliche sind, aber nicht liberal, sondern eher illiberal.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin 1948 in dieser Stadt, in Berlin, geboren worden. Meine Familie väterlicherseits ist acht Generationen vorher aus der Schweiz direkt nach Berlin übergesiedelt und lebte seitdem auch in Berlin, zunächst als Bäder, dann als Ärzte. Mein Vater war dann der Erste, der dieses Studium nicht mehr ergriff. Herr Stölzl, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Es ist immer schwer, im Rahmen parteipolitischer Auseinandersetzungen Geschichte zu betreiben, weil sie dann notgedrungen auch einseitig wird. Sehen Sie, als mein Vater sich zum Beispiel entschloss, Kommunist zu werden aus Überzeugung, das war im Jahr 1928, glaube ich, das war natürlich zu einer Zeit, als man damit ja keine Karriere machen konnte. Es müssen also ganz andere Motive gewesen sein, die ihn dazu bewegt haben. Sicherlich glaubte er in erster Linie, damit seine Vorstellungen einer wirklich sozial gerechten Gesellschaft umsetzen zu können. Er hat dann aktiv gegen die Nazis gekämpft. Und ich muss Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen, weil Sie die bürgerliche Mitte so ausschließlich gewürdigt haben, zur deutschen Geschichte gehört natürlich
auch, dass in dieser Zeit SPD und KPD den aktiven Widerstand gegen das Naziregime leisteten, während eben die bürgerliche Mitte ihn so gut wie nicht leistete, von Ausnahmen abgesehen,
was die Machtergreifung der Nazis wesentlich erleichtert hat.
Auf der anderen Seite, das ist eine Wahrheit, überall dort, wo Kommunistinnen und Kommunisten dann die Macht ergriffen, haben sie sie missbraucht. Sie können das doch einfach nicht leugnen. – Dass es in der bürgerlichen Mitte welche gab, habe ich doch gar nicht bestritten. Aber in ihrer großen Mehrheit gingen sie diesen Weg leider nicht mit, sondern das waren Ausnahmen, die diesen Weg gingen. – Und als dann die Kommunistinnen und Kommunisten irgendwo zu staatlicher Macht kamen, da allerdings haben sie dann Grundrechte von Freiheit und Demokratie verletzt, selbst Unrecht begangen und auch Verbrechen. Das ist überhaupt nicht zu leugnen, und das bedarf der in jeder Hinsicht kritischen Aufarbeitung. Ich sage das aber dennoch, weil ich glaube, dass nur, wenn wir so gerecht mit Biographien und auch mit Parteien und ihren Schicksalen umgehen, wir zu einer inneren Verständigung und damit auch Einheit kommen.
Bei meiner Mutter war das anders, auch wieder interessant, weil es auch deutsche Geschichte ist; ihr Vater war ja Deutscher, und sie lebten in Petersburg. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurden sie feindliche Ausländer und mussten deshalb nach Deutschland zurückkehren, und so kamen sie auch nach Berlin.
Also 1948 geboren, damals wohnten meine Eltern übrigens in Schlachtensee; geboren wurde ich allerdings im Krankenhaus in Lichtenberg, und 1949 zogen sie in den Ostteil der Stadt um. Ich habe mir natürlich manchmal überlegt: Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn wir nicht umgezogen wären? – Das weiß ich nicht, und deshalb spekuliere ich auch nicht. Aber eins weiß ich: Es gemahnt mich umgekehrt zur Vorsicht. Weil ich es nicht weiß, erlaube ich mir auch kein Urteil, welche Entwicklung ich denn genommen hätte, wenn ich im Westteil der Stadt aufgewachsen wäre. So war es nicht. Ich habe die Schule besucht, ich bin – darauf wurde heute schon hingewiesen – auch zum Facharbeiter für Rinderzucht ausgebildet worden, während der Schulzeit. Ich habe dann Jura studiert, wurde Rechtsanwalt und war viele Jahre bis heute als Rechtsanwalt tätig.
In die Politik bin ich 1989 gekommen, so ab Herbst des Jahres, im engeren Sinne. Ein politisch motivierter denkender Mensch war ich schon immer, aber im engeren Sinn Politiker bin ich in dieser Zeit geworden. Und ich muss auch sagen, dass mich das sehr geprägt hat, was in dieser Zeit geschehen ist, auch nach der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Ich auf jeden Fall habe in diesen Jahren viel dazugelernt und will das nicht missen.
Ich war in der Politik immer als Generalist tätig, weil ich mich als Partei- oder Fraktionsvorsitzender mit allen Feldern zu beschäftigen hatte. Eine konkrete Ressortzuständigkeit ist für mich eine völlig neue Herausforderung.
Ich will, weil die Grünen danach gefragt haben, auch dazu etwas sagen. Ich habe niemals inoffiziell mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet. Unabhängig davon gibt es eine Überprüfung für Senatoren, sie wird stattfinden. Und was das Öffentlichmachen des Ergebnisses betrifft – obwohl ich keinen Zweifel habe, wie es aussieht –, sage ich Ihnen: Da brauchen Sie nicht die geringste Befürchtung zu haben. In meinem Fall war es immer so, dass es lange vor der Behörde, die das angefordert hat, wenigstens zwei, drei Tage vorher schon beim „Spiegel“ lag. Also hinsichtlich der Öffentlichkeit müssen Sie sich keine Sorgen machen. Da war immer alles öffentlich, und da wird auch immer alles öffentlich sein. Und gegen unberechtigte Vorwürfe werde ich mich ebenso wehren, wie ich andere akzeptiere, weil natürlich auch mein Leben nicht frei von Kritik und Selbstkritik sein kann.
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Lassen Sie mich noch einen Satz dazu sagen, dass ich die Absicht habe, in dieser Stadt etwas für die Herstellung der inneren Einheit zu tun. Sie, Herr Stölzl, haben gesagt, die PDS kann dazu keinen Beitrag leisten, sie ist das Problem der inneren Einheit. Wenn dem so wäre, bitte ich Sie, darüber nachzudenken, wie es dann kommen konnte, dass dieses Problem der Einheit von 1990 9,2 % inzwischen auf 22,6 % gestiegen ist, fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler im Ostteil der Stadt erreicht hat. Das hieße ja dann, dass die große Koalition eine Politik gemacht hat, dass das Problem der Einheit immer größer geworden ist. Damit müssen Sie sich dann auseinander setzen.
Ich sage Ihnen aber, ich will mich auf jeden Fall als Person bemühen, etwas für mehr Verständnis, für mehr Toleranz und für die innere Einheit in dieser Stadt zu tun. Ich denke, dass das auch gelingen kann, wenn wir kritisch zur Geschichte stehen, sie aufarbeiten, nichts vertuschen, aber gleichzeitig die Methoden des Kalten Krieges überwinden und wenigstens lernen, einander zuzuhören, zu verstehen, dass andere eine andere Sozialisation haben und deshalb auch eine andere Entwicklung genommen haben, ohne daraus gleich einen Vorwurf zu formulieren, egal in welcher Richtung des Hauses das geschehen sollte.
Zur Wirtschaftspolitik, zur Arbeitsmarktpolitik und zur Gleichstellungspolitik hinsichtlich der Frauen: Hier ist für mich das Wichtigste der Versuch, daraus wirklich eine Einheit zu machen, den engen Zusammenhang von Wirtschafts- und Arbeitsleben herzustellen, aber auch, dass die Gleichstellung der Frauen ohne Erwerbsarbeit niemals Realität werden kann. Das sind die wichtigsten Aussagen in der Zusammenfügung des Ressorts. Ich werde selbstverständlich darum bemüht sein, Investoren und Unternehmen nach Berlin zu holen, um die wichtigste soziale Frage, nämlich die Frage der Überwindung von Arbeitslosigkeit, immer wieder in den Mittelpunkt zu stellen und dort für die Stadt auch voranzukommen.
Ich will auch, dass wir neue intellektuelle Herausforderungen an diese Stadt stellen. Machen wir uns doch allesamt in einer Frage nichts vor: Noch ist in anderen Regionen nicht wirklich akzeptiert, dass wir die gemeinsame Hauptstadt aller Bewohnerinnen und Bewohner der Bundesrepublik Deutschland sind. Und nur wenn wir das hinbekommen, haben wir auch eine Chance, die Probleme dieser Stadt zu lösen. Auch diesbezüglich fühle ich mich verpflichtet.
Viele Parteien in diesem Hause hatten bisher die Chance nach der Einheit 1990. Die Ergebnisse kennen wir. Jetzt muss es neue Chancen geben. Wir und ich wollen es auf jeden Fall versuchen.
Ich nehme die Wahl an!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rabbach, da Sie sich so intensiv auch mit mir beschäftigt haben, haben Sie einfach eine Antwort verdient, und die will ich Ihnen dann auch nicht schuldig bleiben. Sie haben zunächst auf den Unterhaltungswert des Regierenden Bürgermeisters und auch von mir hingewiesen, haben dabei aber Ihren eigenen völlig unterschlagen. Ich finde, Sie stehen uns da überhaupt nicht nach.
Allein das Tempo Ihrer Rede spricht für einen Unterhaltungswert hier im Parlament. Sie sind dann noch auf Talkshows eingegangen, und da klang ein kleiner Hauch von Neid mit. Das würde ich einfach bleiben lassen.
Das Zweite, was ich Ihnen dazu gern sagen möchte: Immer wenn ich in einer solchen Talkshow bin, repräsentiere ich irgendwie auch Berlin. Sie können natürlich bewerten, ob mehr schlecht oder gut, aber Sie sollten sich nie dagegen wehren, dass Berlin in den Medien repräsentiert wird. Das brauchen wir dringend, denn wir wollen ja, das Leute hierher kommen und investieren.
Selbst, wenn sie es nur zu dem Zwecke machen, dass ich wieder gehe, wäre das auch immer noch ein sinnvoller Grund, denn Hauptsache, sie investieren in diese Stadt.
Aber nun geht es heute um eine ernste Frage, und zwar um die Olympiabewerbung. Es ist gesagt worden, diejenigen, die jetzt verhandeln, seien konzeptionslos in dieser Frage und würden den Hauptstadtwert und Ähnliches nicht anerkennen. Nein! Ich sage Ihnen umgekehrt: Würde diese Bewerbung eingereicht, wäre das wirklich konzeptionslos. – Genau darauf läuft es hinaus: Sie sagen, dass man erst einmal eine Vision braucht. Man müsse hier irgendetwas beschließen, man solle sich bewerben, und später, wenn es dann so weit ist, dann löse man auch irgendwie die Finanzprobleme. – Genau so hat es der alte Senat immer gemacht mit dem Ergebnis, dass die Finanzlöcher immer größer wurden. Das ist konzeptionslos.
Wenn man sich bewirbt, muss man genau wissen, was man leisten kann und wie man es finanziert. Dazu braucht man ein realistisches Konzept. Das liegt aber überhaupt nicht vor.
Überlegen Sie sich doch einmal, welche Botschaft wir in dieser Situation in die Stadt entsenden! Wir müssen wahrscheinlich erklären, dass wir soundsoviele Bäder in dieser Stadt nicht mehr finanzieren können, dass wir viele andere Maßstäbe, die früher galten, nicht mehr halten können, dass wir einfach über unsere Verhältnisse gelebt haben und dass wir vor der äußerst schwierigen Aufgabe stehen, einen riesigen Schuldenberg irgendwann einmal abzubauen, denn noch geht es ja nur um die Frage, wie hoch die Neuverschuldung ist. Das alles müssen wir den Berlinerinnen und Berlinern erklären, und gleichzeitig sagen wir mal – ganz großspurig – so dahin: Aber wir bewerben uns für Olympische Spiele. – Kein Mensch weiß, wie das nachher bezahlt werden soll. Das ist die Art von Politik, mit der Schluss gemacht werden muss, wenn Berlin eine akzeptierte Hauptstadt werden will.
Ich sage auch: Jetzt geht es um 2012.
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Die Frage einer Bewerbung für das Jahr 2016 werden wir zu einem viel späteren Zeitpunkt besprechen müssen. Dann werden wir sehen, wie sich die Dinge entwickeln, und dann werden wir sehen, ob es seriös machbar ist.
Das ist eine völlig andere Frage. Dieser Verzicht heißt doch nicht: Nie! – Jetzt wäre der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um so etwas zu verkünden, und das würden uns die Leute auch übelnehmen und nicht abnehmen – zumindest in ihrer großen Mehrheit. Davon bin ich überzeugt.
Zum Schluss: Herr Kollege Rabbach! Sie haben gefragt, wozu eigentlich Senatoren da sind, wenn nicht zu dem Zweck, schwierige Probleme zu lösen. – Das sehe ich genau so, aber ich muss Ihnen sagen: Ihre Partei hat uns eine solche Fülle schwieriger Probleme hinterlassen, dass wir keinerlei Bedarf haben, ein weiteres hinzuzufügen. – Danke schön!