Wolfgang Wehowsky
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Herr Präsident! Vielen Dank, dass Sie mir das Wort erteilt haben. Ich will auch gleich zur Sache kommen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es geht heu te um die Behindertenpolitik des Landes Baden-Württemberg. Da Behindertenpolitik nicht ein Thema ist, das in einer gewis sen Regelmäßigkeit hier auf der Tagesordnung steht, nehme ich die heutige Gelegenheit zum Anlass, einmal auf das Pro gramm der Regierung zur Behindertenpolitik zurückzublicken und danach zu bewerten, was in der Zwischenzeit bis heute seitens der Regierung geschehen ist.
Ich bin noch nicht sehr lange im Landtag. Deswegen habe ich mich in die Unterlagen eingelesen. Ich kann Ihnen sagen: Ich habe zur Behindertenpolitik in der Regierungserklärung neun Sätze gefunden. Diese neun Sätze sind aber nur allgemeiner Natur. Es wird dort immer wieder gesagt, es solle alles besser werden.
Das ist zunächst einmal gut, denn wenn es besser wird, dann kann man natürlich etwas gestalten. Aber vom Gestalten ha be ich leider nicht viel gemerkt.
Ich komme gleich zu drei konkreten Aussagen, die ebenfalls in der Regierungsklärung zu finden sind.
Die erste Aussage:
Die Landesregierung wird erneut aus ihrer Mitte eine(n) Beauftragte(n) für die Belange von Menschen mit Behin derungen bestellen.
Das ist gelungen. Herzlichen Glückwunsch, Herr Staatssekre tär Hillebrand.
Dann ein weiterer wichtiger Satz:
Wir wollen auf eine Beteiligung des Bundes an den Kos ten der Eingliederungshilfe hinwirken, damit die Finan zierung notwendiger Hilfen langfristig sichergestellt wer den kann.
Jetzt muss ich sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen: Sie haben seit einem Jahr eine schwarzgelbe Koalition im Bund. Sie haben einen CDU-Finanzminis ter. Sie haben einen CDU-Fraktionsvorsitzenden und eine FDP-Fraktionsvorsitzende aus Baden-Württemberg. Da hät ten Sie die allerbesten Beziehungen, um genau dies zu be werkstelligen.
Aber leider wird nur umgekehrt ein Schuh daraus. Ich habe da überhaupt kein positives Ergebnis festgestellt. Denn die Koalition im Bund – Sie wissen es ja – hat beschlossen, durch die Umwandlung von Pflicht- in Ermessensleistungen im SGB II und SGB III jährlich 3 Milliarden € – 3 000 Millio nen € – einzusparen. Glauben Sie denn im Ernst, dass diese Kürzungen an den Leistungen zur Förderung der Teilhabe be hinderter Menschen am Arbeitsleben vorbeigehen? Glauben Sie das wirklich? Ich glaube es nicht. Ab dem Jahr 2011 wer den für Menschen mit Behinderungen in Baden-Württemberg etliche Millionen Euro aus dem Haushalt der Bundesagentur für Arbeit nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie tragen dafür die Verantwortung.
Ich möchte feststellen: Die eben von mir zitierte zweite An kündigung aus der Koalitionsvereinbarung haben Sie damit aus meiner Sicht zu 100 % in den Sand gesetzt, und das vor allem zum Nachteil der Menschen mit Behinderungen in Ba den-Württemberg.
Ich komme zum letzten Auftrag aus Ihrer Koalitionsvereinba rung. Dieser lautet:
Zur Mitte der Legislaturperiode wird eine Zwischenbi lanz zum Landesgleichstellungsgesetz gezogen.
Meine Fraktion hat vor der Zwischenbilanz konkrete Vorschlä ge dazu vorgelegt, wie man das Landes-Behindertengleich stellungsgesetz konkretisieren sollte. Diese Vorschläge sind damals von der Landesregierung und der Landtagsmehrheit mit der Begründung abgelehnt worden, dass zunächst einmal die Beteiligten in einem Anhörungsverfahren einbezogen wer den sollten. Erst danach wären die entsprechenden Entschei dungen zu treffen.
Diese Anhörung hat aber bestätigt, was wir schon im Jahr 2007 mit unserem Antrag gefordert haben. Ich nenne insbe sondere folgende Beispiele: Zunächst soll der Begriff „Behin derung“ auf sich abzeichnende Behinderungen erweitert wer den. Zweitens soll beim Benachteiligungsverbot für öffentli che Stellen die Änderung von einer Soll- in eine Mussvor schrift vorgenommen werden und eine Ausweitung des Ad ressatenkreises sowohl im öffentlichen Bereich, insbesonde re für Kommunen, als auch für den Bereich der Zuwendungs empfänger des Landes erfolgen. Unsere dritte Forderung war die Einführung von angemessenen Sanktionen bei Verstößen gegen das Landes-Behindertengleichstellungsgesetz.
Wenn ich höre, wie schnell Sie generell mit Sanktionen bei der Hand sind, wenn es um den Integrationswillen unserer neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger geht, dann frage ich mich: Wo bleibt eigentlich Ihr Mitwirken im Hinblick auf Sanktionen bei Verstößen gegen das Landes-Behinderten gleichstellungsgesetz?
Das passt aus meiner Sicht gar nicht zusammen.
Wir diskutieren heute neben unseren beiden Anträgen auch über einen Antrag der Grünen. Der Antrag der Grünen nimmt unsere Forderungen zu Recht auf. Es geht hierbei um eine konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonventi on. Wir wollen, dass die Rechte der Menschen mit Behinde rungen in der Bundesrepublik Deutschland 1 : 1 und zügig umgesetzt werden. Denn seit dem Jahr 2009 gibt es den Bun destagsbeschluss über die Übernahme dieser UN-Konventi on. Dieser soll jetzt auch hier im Landtag von Baden-Würt temberg seine Konsequenzen finden.
Ich habe mir auch die Halbzeitbilanz der Landesregierung an geschaut. Diese Halbzeitbilanz in der 14. Legislaturperiode von 2008 hat auf 51 Seiten sehr viele Lobeshymnen versam melt. Zum Thema Behinderung finde ich jedoch kein einziges Wort; dieser Begriff kommt gar nicht vor. Ich ziehe daraus den Schluss, dass es bei diesem Thema nichts zu loben gibt.
Völlig anders und deutlich besser ist wieder einmal Rhein land-Pfalz.
Die dortige Landesregierung hat im März 2010 einen Akti onsplan zur Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen verabschiedet. Das hat man sogar in sogenannter Leichter Sprache formuliert. Jetzt wer den Sie vielleicht sagen: Unsere Landtagsdrucksachen seien in besonders schwerer Sprache formuliert. Schwere Sprache entspricht der normalen Sprache. Leichte Sprache ist die Spra che, die auch ein behinderter Mensch, ein geistig behinderter Mensch oder ein Mensch mit Lernschwierigkeiten verstehen kann. Dafür gibt es auch ein UN-Symbol. Dieses Symbol kann ich bei den Publikationen des Landes leider bis jetzt nicht fin den.
Das kann ich Ihnen zeigen. Das ist überhaupt kein Problem.
Dieses Zeichen für Leichte Sprache ist für mich wichtig. Denn mit einer leichten Sprache erreichen wir auch die Menschen, die bislang noch nicht die Gelegenheit hatten, sich in Schrift und Bild über ihre persönlichen Rechte zu informieren.
Deswegen möchte ich sagen: Stimmen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Beschlussteil unseres Antrags Drucksache 14/4477 zu, die Landesregierung aufzufordern, noch in die sem Jahr einen Gesetzentwurf zur Novellierung des LandesBehindertengleichstellungsgesetzes vorzulegen. Ich glaube, dass wir dann auf einem guten Weg sind.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, den ich kurz ansprechen möchte. Dabei geht es um weitere Kürzungen für Menschen mit Behinderungen, die die Landesregierung beabsichtigt hat. Bei den Beratungen der Haushaltsstrukturkommission wur den im Haushaltsentwurf 2010/2011 eine Reihe von Ressort kürzungen beschlossen. Unter diesen Kürzungen fanden wir auch die Abschaffung der unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen im ÖPNV.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie in Ihrer Stellungnahme jetzt etwas korrigieren. Beim Prüfauftrag an das Sozialminis terium geht es nur um die Initiative auf Bundesebene, nicht aber um eine inhaltliche Überprüfung, wie Sie es in Ihrer Stel lungnahme suggeriert haben. Beschlossen war eine Abschaf fung der unentgeltlichen Beförderung und keine Neugestal tung, keine Überprüfung und keine Weiterentwicklung.
Nun bin ich froh, dass es hier um Rechtsansprüche geht, die nach Bundesgesetzen „abzufrühstücken“ sind. Das Sozialge setzbuch ist nämlich ein Bundesgesetz. Deshalb kann das Land Baden-Württemberg nichts tun, um irgendetwas zu strei chen.
Im Übrigen haben sich die SPD-Fraktion, aber auch Mitglie der der CDU-Fraktion im Bundesrat gegen eine solche Strei chung ausgesprochen – Gott sei Dank. Auf diesem Weg ist ei ne entsprechende Initiative vom Land Baden-Württemberg verhindert worden. Wenn man sich überlegt, wen Sie mit der Streichung des ÖPNV-Zuschusses getroffen hätten, kommt man zu dem Schluss, dass Sie im Wesentlichen Menschen mit Behinderungen und mit sehr geringem Einkommen, also größ tenteils Kleinrentner oder Sozialhilfebezieher, getroffen hät ten. Genau das galt es zu verhindern. Wir sind froh, dass es nicht zu dieser Kürzung gekommen ist.
Deswegen brauchen wir keine Überweisung an den Aus schuss. Vielmehr bitte ich Sie, über unseren Antrag positiv ab zustimmen. Wenn Sie diesem Antrag zustimmen, drücken Sie damit auch aus, dass die Streichung von Fahrtkostenzuschüs sen für schwerbehinderte Menschen im ÖPNV für Sie kein Thema mehr ist und dass dies für alle Zeit nicht mehr in Be tracht kommt.
Danke schön.
Herr Hillebrand, ich habe eine Frage an Sie. Kommunikation ist wunderbar, aber die Be hinderten im Land fragen uns: Was wird von der Landesre gierung tatsächlich getan, um beispielsweise die Barrierefrei heit in den Kommunen zu verbessern bzw. zu erreichen?
Ich frage Sie konkret: Besteht die Absicht, hierfür einen För dertopf einzurichten, um in geeignetem Maß Zuwendungen bereitzustellen?
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland ist ein Einwanderungsland. Mit dem Zuwanderungsgesetz haben SPD und Grüne dies zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dokumentiert und dem Rechnung getragen. Seit den Fünfzigerjahren kamen Millionen von Menschen zur Arbeitsaufnahme oder zum Studium, als Spätaussiedler, als Flüchtlinge oder im Zuge der Familienzusammenführung zu uns.
Heute hat jeder fünfte Einwohner in Deutschland einen Migrationshintergrund. Eine große Zahl dieser Zuwanderer ist gut integriert. Sie haben sich in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland eingefügt. Wir dürfen aber nicht die Augen davor verschließen, dass es besonders dort, wo der Anteil der Migranten an der gesamten Bevölkerung hoch ist, auch soziale Probleme gibt, die wir lösen müssen.
Nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005 wurde die Realität, dass Deutschland Einwanderungsland ist, auch von CDU/CSU akzeptiert. Schließlich konnten CDU/ CSU aufgrund der verifizierbaren Daten und Fakten ihre zuvor noch vehement vertretene Auffassung – ich erinnere an den Kanzlerkandidaten Stoiber seinerzeit während des Wahlkampfs –, Deutschland sei kein Einwanderungsland, nicht mehr aufrechterhalten. Das konnte man weder auf der Bundesebene noch auf der Länderebene aufrechterhalten.
Die SPD ging da schon einen Schritt weiter. Unsere politische Forderung lautete: Deutschland braucht Einwanderung, und zwar vor allem im Hinblick auf die bekannte demografische Entwicklung,
deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und in der Folge auch auf unsere Sozialsysteme.
Aber Einwanderung – das ist klar – braucht Integration. Ziel einer umfassenden Integrationspolitik und der Umsetzung des von der Großen Koalition beschlossenen Nationalen Integrationsplans sollte es deshalb sein, dass Zugewanderte gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Bereichen teilhaben und Chancengleichheit erhalten. Dies umfasst eine sektorenübergreifende Integration in den Bereichen Gesundheit – davon reden wir jetzt gerade –, Arbeit, Bildung, Kultur, „Soziale Sicherung“ und „Politische Willensbildung“. Die SPD setzt sich deshalb für eine Kultur der Anerkennung ein, die kulturelle Vielfalt nicht leugnet, sondern kulturelle Unterschiede als Möglichkeiten für neue Gemeinsamkeiten begreift.
Meine Damen und Herren, Integration heißt Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Genau dies gilt insbesondere für Baden-Württemberg. Denn wir haben hier – das wurde schon von meinen Vorrednern gesagt – einen sehr hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Baden-Württemberg hat mit rund 25 % den höchsten Anteil unter den Flächenländern. Der Bundesdurchschnitt beläuft sich auf rund 18,5 %.
In den industriellen Ballungsräumen Stuttgart, Mannheim und Heilbronn hat fast jeder Vierte eine ausländische Nationalität. In der Landeshauptstadt Stuttgart, in der wir uns gerade befinden, beträgt der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund nahezu 40 %.
Der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist hier höher als in jeder anderen deutschen Großstadt.
In der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion GRÜNE werden viele aktuelle Beispiele und Projekte von Trägern der Integrationsmaßnahmen genannt, u. a. sehr viele Foren auf kommunaler Ebene, an der sich auch Konsulate, Sozialleistungsträger – da meine ich vor allem Krankenkassen – oder Selbsthilfeeinrichtungen für unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger beteiligen. Diese spezifischen Gesundheitsangebote für Menschen mit Migrationshintergrund sind vorhanden und in der Antwort der Landesregierung dokumentiert.
Wichtig ist der SPD, dass diese Beratungsstellen, die jetzt schon vorhanden sind, bitte auch in ein Netzwerk – ähnlich wie die Gemeinsamen Servicestellen für Rehabilitation, die in Baden-Württemberg bereits erfolgreich arbeiten – eingebunden werden, damit auch das Backoffice für die Menschen mit Migrationshintergrund funktioniert. Dieses Backoffice ist ein Netzwerk der verschiedenen Institutionen, die es in diesem Bereich gibt, nämlich Sozialleistungsträger, Selbsthilfegruppen, Konsulate, Arbeitsämter, Integrationsämter – all die Einrichtungen, die wir haben, um diesen Menschen zu helfen. Genau das muss klappen, damit die spezifischen Anliegen auch gezielt unterstützt werden können.
Deshalb ist es zu begrüßen, dass sich die baden-württembergischen Landkreise bereits mit dieser Sache beschäftigen. Wir fragen uns aber jetzt: Wo bleibt der Beitrag der Landesregierung?
Da komme ich zurück auf das Projekt „MiMi – Mit Migranten für Migranten“, das bereits von Frau Mielich angesprochen worden ist. Wir hätten auch die Bitte, dass dieses Projekt des Ethno-Medizinischen Zentrums Hannover zur Ausbildung von interkulturellen Gesundheitsmediatoren in Baden-Württemberg flächendeckend eingesetzt wird. Hier sollte sich BadenWürttemberg anderen Ländern anschließen, personelle und finanzielle Ressourcen für die Gesundheitsämter bereitstellen und dem Landesgesundheitsamt die Steuerung und Koordination eines entsprechenden Projekts interkultureller Gesundheitsmediatoren übertragen.
Darüber hinaus ist wichtig – das möchte ich bitte noch anfügen –, dass Bildung bekanntermaßen die effizienteste Gesundheitsprävention ist. Dazu gehört eben auch das, was schon im Landesintegrationsplan als Forderung der Städte und Gemeinden enthalten ist: Das Ganztagsschulangebot soll ausgebaut werden, die Schulsozialarbeit soll als Landesaufgabe anerkannt werden, und es soll endlich ein Konzept zur individuellen Sprachförderung vorgelegt werden; das ist wichtig, damit wir die Kinder in die Gesellschaft integrieren können.
Im Übrigen ist das ein zentraler Bestandteil des Orientierungsplans für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen Kindergärten. Der Schlüssel zu einer gelingenden Integration ist nämlich der Erwerb der deutschen Sprache.
Das besondere Augenmerk – dazu bitte ich insbesondere die Landesregierung um Unterstützung – in dieser Sache muss auf einem tragfähigen Kompromiss zwischen Landesregierung sowie Städte- und Gemeindetag liegen. Dann haben wir auch die Voraussetzung für eine erfolgreiche Integrationspolitik geschaffen.
Es ist viel zu tun – packen wir es an. Oder besser gesagt: Die Landesregierung sollte nicht nur einen Schalter umlegen, sondern die Weichenstellung verändern, damit der Integrationszug in die richtige Richtung fährt.