Matthias Güldner
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Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich könnte mir vorstellen, dass im Hause die Neigung, auf diesen letzten Beitrag, den wir gerade gehört haben, einzugehen, sehr gering ist, bei mir jedenfalls ist es das. Wenn Sie erlauben, würde ich gern an die Debatte, die vor der Mittagspause begonnen hatte, in der es wirklich um das Thema Jugendkriminalität ging, anknüpfen und das, was wir gerade gehört haben, einmal beiseitelassen.
Die Faktenlage, die hier beschrieben wird in der, wie ich finde, sehr differenzierten und ausführlichen guten Antwort des Senats auf die Große Anfrage zur Jugendkriminalität, ist, dass die Kriminalitätsraten in Bremen im Städtevergleich zu hoch sind, dass die Aufklärungsraten im Städtevergleich zu niedrig sind und dass der Anteil der Ausländer oder derjenigen Menschen mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren sinkt. Gleichwohl ist es richtig, dass er immer noch zu hoch ist im Vergleich zu dem tatsächlichen Anteil an der Bevölkerung, den diese Gruppe ausmacht.
Es ist sehr gut gewesen, und darauf nimmt diese Anfrage Bezug, noch einmal das Lagebild der Kriminalpolizei zum Anlass zu nehmen, diese sehr komplexe Frage zu beleuchten, wie geraten Jugendlichen eigentlich in diese kriminellen Karrieren hinein und ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
was können wir tun, als Politiker, als Verwaltungen, als Gesellschaft, als Menschen, als Bürger und Bürgerinnen in dieser Stadt, um es möglichst zu verhindern, dass Jugendliche in eine solche kriminelle Karriere hineingeraten?
Der erste Punkt, und das habe ich hier immer für die grüne Innenpolitik vertreten, ist in der Tat, dass wir das Problem vollständig zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht versuchen, den einen oder anderen Aspekt zu betonen, zum Beispiel die Frage, was ist mit den Menschen mit Migrationshintergrund, wie es heute so kompliziert heißt, manche sagen Ausländer, andere sagen wieder etwas anderes. Wir wissen alle, wer gemeint ist. Da ist das Problem, dass es hier einen Kern gibt, der in den Kriminalstatistiken auftaucht, und dass es hierfür Gründe gibt, dieses Problem anzuerkennen und auszusprechen als Voraussetzung dafür, dass wir gemeinsam Lösungen in den verschiedenen Bereichen finden. Das habe ich hier immer vertreten.
Eine Strategie, wir kehren das eine oder andere Problem unter den Teppich, dann wird es uns schon nicht so wehtun, habe ich schon immer für falsch gehalten. Ich denke, wir sollten hier gemeinsam, auch eingedenk dessen, was wir gerade von Rechtsaußen gehört haben, daran festhalten, meine Damen und Herren.
Das Verdienstvolle an der Antwort des Senats ist, dass ein ganzheitliches Lagebild gegeben wird. Man beschränkt sich in der Antwort nicht auf die Fragen zur polizeilichen Arbeit allein, die in der Großen Anfrage gestellt worden sind. Wobei ich denke, dass die polizeiliche Arbeit natürlich einen Kern der Antwort ausmacht. Es werden die Problembereiche angesprochen, die wir haben, nämlich die soziale Lage, sehr stark natürlich der Migrationshintergrund, die Arbeitslosigkeit, aber auch andere Faktoren wie die Situation in den Familien und in den Schulen, die vielen Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz und ohne Schulabschluss, alle diese Dinge mehr.
Hier können wir nur in Zusammenarbeit des Senator für Inneres und der Polizei, der Sozialbehörden, der Jugendbehörden, des Bildungsbereichs und der Integrationspolitik zu tatsächlichen Antworten kommen. Wir sehen hier, dass wir mit all unseren Projekten, mit allen Maßnahmen, und es ist eine ganze Reihe in der Antwort aufgeführt worden, eine ganze Menge erreichen. Wir erreichen auch viele Jugendliche, und wir können in diesem Bereich durchaus Erfolge erziehlen.
Was wir bisher nicht können, ist, einen Kernbereich von Jugendlichen zu erreichen, die problematischen Fälle, die sich schon in relativ frühem Alter von ihren Alterskollegen weit entfernt haben. Diese wer
den nicht erreicht. Sie werden auch durch die vielen Projekte, die wir hier und da ins Leben rufen, nicht erreicht. Ich finde, es ist eine Herausforderung gerade auch für das Integrationskonzept, das wir hier gemeinsam in der Bremer Bürgerschaft beschlossen haben, stärker auf diese Gruppe, die für uns so früh vom Alter her nicht mehr erreichbar ist, einzugehen und viel mehr geeignete Maßnahmen zu entwickeln, die nicht für die schon sehr weit Integrierten gedacht sind, sondern gerade für diese schwierigen Kinder und Jugendlichen aus den schwierigen Verhältnissen.
Wir dürfen uns dabei, meine Damen und Herren, nicht einer Illusion hingeben, und wir sind sehr schmerzhaft vor etwa drei Wochen noch einmal auf diesen Fakt hingewiesen worden, durch diese auch von Ihnen wahrscheinlich in den Medien verfolgte Bluttat im mecklenburgischen Tessin. Wir können auch nach dieser Tat, aber es gab vorher auch schon solche Fälle, uns nicht allein auf die soziale Begründung von Jugendkriminalität, also auf die Zerrüttung, auf die Armut, auf Arbeitslosigkeit, auf den fehlenden Schulabschluss, allein verlassen, und das ist sehr beängstigend.
Ich gebe zu, für mich war es sehr beängstigend, weil die beiden jugendlichen Täter 16 und 17 Jahre alt waren, die ein Ehepaar am einem Abend einfach so mir nichts, dir nichts abgestochen und ermordet haben. Die Beschreibung dieser jugendlichen Täter von allen aus dem gesamten Umfeld, Schule und so weiter, war fleißig freundlich, dem Abitur zustrebend, hilfsbereit, unauffällig, aus ordentlichen, ganz normalen Verhältnissen. Es war keiner der Indikatoren der sozialen Zerrüttung zunächst einmal zu sehen. Das weist uns auf etwas hin, abgesehen davon, dass es uns natürlich einigermaßen ratlos macht, weil es die Ansatzpunkte, an denen wir ansetzen können, nicht offensichtlich zeigt. Es gibt auch eine Art von innerer Verwahrlosung, die äußerlich in völlig ordentlichen guten Verhältnissen existiert, bei der aber ganz offensichtlich bei einem jungen Menschen im Inneren ganz viele Dinge passiert sein müssen, um zu so einer grässlichen Bluttat fähig zu sein.
Es reicht also nicht, eine rein sozialpolitisch, integrationspolitische Antwort zu geben, sondern wir müssen auch schauen, was passiert in jungen Menschen. Ich kann da von dieser Stelle aus nur immer wieder appellieren, dass hier gerade auch Freundeskreise, Familie und Umfeld dieser Jugendlichen gefragt sind, solche Dinge vielleicht zu erkennen. Der Staat kann unmöglich – das verbietet sich von selbst – in die jungen Menschen hineinschauen und solche innere Entwicklungen, die ganz offensichtlich bei zwei solcher Jugendlichen stattgefunden haben, tatsächlich vorhersehen oder gar verhindern, meine Damen und Herren.
Also sind wir alle gefragt, nicht nur der Staat! Trotzdem können wir als Politiker und als Staat eine ganze Menge tun. Meine Empfehlungen sind – als Konsequenz aus der Antwort des Senats und der Debatte, die wir ja auch an verschiedenen anderen Orten führen –, dass wir das Lagebild der Kriminalpolizei, welches ich sehr in seiner Differenziertheit nach wie vor für eine sehr gute Grundlage halte, weiterentwickeln, dass wir es in den Fachgremien, aber auch in den politischen Gremien diskutieren und hieraus Schlüsse ziehen, dass wir noch stärker als bisher ressortübergreifend Verantwortung übernehmen! Das heißt, die Sozialpolitik, die Bildungspolitik, die Jugendpolitik, die Integrationspolitik muss gemeinsam mit der Polizei Verantwortung übernehmen für das, was hier passiert.
Die Verantwortung auf die Polizei abzuschieben, ist meiner Ansicht nach völlig ungerechtfertigt. Wir wissen, dass die Polizei hier einen guten Job macht, aber natürlich ist sie überfordert, wenn sie auch noch die Sozialpolitik, die Bildungspolitik machen soll und wenn sie auch noch Ausbildungsplätze besorgen sollte, das kann nicht Aufgabe der Polizei sein. Hier müssen alle an einem Strick ziehen, sich gerade auch mit diesen schwierigen Gruppen – dabei ist es vollkommen egal, ob es sich um Deutschstämmige oder Menschen mit Eltern, die einmal zugewandert waren, handelt, das spielt hier überhaupt keine Rolle – beschäftigen.
Wir dürfen uns nicht nur in Pilotprojekten und einzelnen Maßnahmen verlieren, sondern müssen schauen, dass die Vielzahl der Dinge, die es in Bremen gibt, wieder zusammengeführt wird, dass wir einen Überblick behalten und dass wir, wenn Projekte erfolgreich sind, sie auch in die Regelmaßnahmen übernehmen, dass wir nicht sagen, in Huchting gibt es das und in Blumenthal gibt es das und in Kattenturm gibt es das, sondern dass wir flächendeckend unsere Bildungspolitik, unsere Sorge um die Ausbildungsplätze, um die Sozialpolitik und die Jugendpolitik danach ausrichten, welche Erkenntnisse diese Projekte gebracht haben. Das heißt, ganz zentral bleibt im Kern bestehen, dass die Frage des Schulerfolges einen großen Ausschlag gibt, dass wir Ausbildungsplätze für unsere Jugendlichen brauchen, und zwar am besten für jeden Jugendlichen einen Ausbildungsplatz, der einen Ausbildungsplatz braucht, und dass natürlich anschließend die Frage der Arbeitsplätze nach wie vor eine stabilisierende Wirkung auf sehr viele Menschen hat.
Ich habe es vorhin angedeutet: Parallel dazu müssen wir uns um den inneren Zustand der heranwachsenden Generation kümmern. Wir müssen uns mit Phänomenen wie dem Medienkonsum auseinandersetzen. Ich habe immer abgelehnt, Videospiele oder bestimmte neue Medien wie Computerspiele und so weiter allein als Ursache dieser Kriminalitätsentwicklung zu sehen. Das ist meines Erachtens nach vollkommen verkehrt. Es wurde immer sehr schön ge
zeigt, wie man das dachte, als der Fernseher eingeführt wurde, wie man das dachte, als Zeitschriften eingeführt wurden. Jetzt denkt man es, weil Computerspiele auf dem Markt sind. In Wirklichkeit finden in den Jugendlichen Entwicklungen statt, die davon höchstens beeinflusst werden, aber es muss selbstverständlich noch eine ganze Reihe von anderen Dingen fehlen und hinzukommen, bis Menschen zu so etwas fähig sind wie dem Beispiel, welches ich vorhin aus Mecklenburg-Vorpommern gebracht habe.
Ich finde, dass wir hier auch fraktionsübergreifend auf einem guten Weg sind. Ich fand es ein bisschen hinderlich, dass es sehr lang gedauert hat, bis die Innendeputation über diese Überlegungen zum Lagebild der Kriminalpolizei in Kenntnis gesetzt worden ist. Ich würde mir wünschen, dass Politik nicht von der Verwaltung aus diesen Dingen herausgehalten wird, sondern dass mit in das Boot genommen wird, dass dieses Haus, die verschiedenen Abgeordneten, die Fraktionen mit Verantwortung übernehmen, weiter die Kriminalität von Jugendlichen zu senken. Ich denke, das ist eine ganz zentrale Forderung für ein ganz zentrales Problem – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe, ehrlich gesagt, nicht verstanden, was mein ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Vorredner gesagt hat. Ob er sich zu dem in Frage stehenden Gesetz geäußert hat oder zu irgendetwas anderem, war mir völlig unverständlich. Es handelt sich um einen Gesetzentwurf, der sehr ausführlich in der Innendeputation beraten worden ist. Das ist die Fachbedatte gewesen, die wir heute auch zu führen haben. Gleichwohl muss im Gesetzesverfahren in der Bremischen Bürgerschaft darüber abgestimmt werden, und deswegen wollte ich an dieser Stelle nur sagen, worum es den Grünen bei dieser Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz geht.
Im März 2006, es ist noch nicht ganz ein Jahr her, ist das Gesetz in Kraft getreten. Wir haben eine wesentliche Änderung, Reform des Verfassungsschutzgesetzes im Lande Bremen hier debattiert und beschlossen. Dabei ist eine ganze Reihe von Änderungen aufgenommen worden. Es ist so, dass die Änderung notwendig wurde, weil die Fassung, die damals noch galt, über 20 Jahre lang in Kraft war und doch etliche Änderungen in der Welt der Verfassungsschützer in der Zwischenzeit eingetreten sind. Damals hatten wir hier als gesetzgebendes Parlament beschlossen, dass für eine Reihe von neuen Ermittlungsmethoden, die dem Verfassungsschutz zugestanden werden sollen, eine Befristung vorgesehen ist und eine Evaluierung vorgenommen werden soll, an die dann die Verlängerung der Maßnahmen gekoppelt sein sollte.
Dies, und das ist eigentlich mehr der grundsätzliche Punkt, warum wir uns heute hier noch einmal zu diesem Gesetz gemeldet haben, ist ja insgesamt ein Verfahren, nicht nur bei Gesetzen, die die Innenpolitik betreffen, sondern auch bei vielen anderen Gesetzen, dass man sagt: Wir nehmen Bedenken oder Diskussionen, die es um bestimmte gesetzliche Regelungen gibt, ernst.
Wir wissen auch sehr wohl, dass natürlich bestimmte Verfügungen, bestimmte Elemente des Gesetzes nach einiger Zeit vielleicht neu gesehen werden können. Wir beschließen immer öfter, auch in diesem Parlament, in diesem Landtag, eine Befristung von Gesetzen. In diesem Fall haben wir das auch getan und haben es mit einer Evaluierung verbunden. Wir haben nun den Gesetzentwurf vorliegen, der sagt, dass wir zwar noch nicht in der Lage sind, eine Evaluierung vorzunehmen, was verständlich ist, weil das Gesetz erst so kurz in Kraft ist, gleichwohl verlängern wir es jetzt um weitere drei Jahre.
Ich glaube, wenn man diese Methode der Befristung und Evaluierung von Gesetzen ernst nimmt, dann kann man da aus grundsätzlichen Erwägungen so nicht herangehen. Es sind hier Bestimmungen, wenn sie sich allein den Katalog der Ermittlungsmethoden, die jetzt dem Verfassungsschutz neu in diesem Gesetz in Ableitung von einem Bundesgesetz zugestanden werden, ansehen, dann tun wir sehr gut daran, wenn wir aus diesen grundsätzlichen Erwägungen eine solche Evaluierung abwarten und dann im Lichte der Ergebnisse über eine Entfristung oder über eine
weitere Verlängerung entscheiden. Das wird in diesem Fall nicht getan.
Obwohl auf eine Evaluierung, muss man natürlich sagen, des Bundes verwiesen worden ist, haben wir in Bremen noch gar keine ausreichenden Erfahrungen mit diesen Maßnahmen gemacht, um sie überhaupt richtig beurteilen zu können. Gleichwohl wird gesagt: Machen wir es noch einmal drei Jahre weiter. Das schadet, glaube ich, dem Instrument der Befristung und Evaluierung von Gesetzen, das wir hier immer öfter anwenden, und deswegen haben wir sowohl in der Deputation als auch heute noch einmal in diesem Hause unsere Bedenken hier zu Protokoll gegeben. – Vielen Dank!