Björn Tschöpe
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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Heute geht weitestgehend eine Phase der Arbeit zu Ende, die elf Kolleginnen und Kollegen dieses Parlaments zuverlässig jeden ersten Dienstag im Monat in der Mittagspause begleitet hat. Dieser Ausschuss hat mittlerweile fast zwei
Jahre getagt. Im ersten Abschnitt hat er sich der Volksgesetzgebung gewidmet, der Bericht hierzu ist Ihnen am 28. November 2008 zugegangen. Wir haben es in der letzten Sitzung entsprechend der Empfehlung des Ausschusses beschlossen.
Nunmehr legt der Ausschuss seinen zweiten und voraussichtlich letzten Bericht zum Teilbereich Wahlrecht vor. Dieser zweite Bericht widmet sich gemäß dem Einsetzungsbeschluss den Fragen Wahlalterabsenkung, Wahlrecht für EU-Ausländer, Wahlrecht für Drittstaatler und Nachsteuerungsbedarf beim bisher geltenden Wahlrecht. Der Ausschuss hat den vorliegenden Bericht in neun Sitzungen erarbeitet, er hat zur Frage der Wahlalterabsenkung einen und zur Frage der Verfassungskonformität der bisher geltenden Regelungen des Mandatsverteilungsverfahrens zwei externe Gutachter angehört.
Zur letzen Problematik wurden neben den beiden externen Gutachtern gutachterliche Stellungnahmen des Senators für Inneres, des Senators für Justiz und des Wissenschaftlichen Dienstes der Bürgerschaft eingeholt. Alle Stellungnehmenden haben dem Ausschuss ihre Ergebnisse mündlich vorgestellt und standen im Ausschuss Rede und Antwort. Der Ausschuss hat weiterhin die Ergebnisse einer Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags zum Ausländerwahlrecht, eine Sachverständigenanhörung des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses der Bremischen Bürgerschaft in der 15. Legislaturperiode zur Wahlalterabsenkung und einen schriftlichen Erfahrungsbericht des Hamburger Landeswahlleiters zur Hamburger Bürgerschaftswahl 2007 einbezogen.
Der Ausschuss hat dann auch den vorliegenden Bericht infolge dieser Vorarbeiten einstimmig verabschiedet. Im Antragsteil zu diesem Bericht sind neben der Kenntnisnahme vier Beschlussvorschläge aufgeführt. Unter zwei finden Sie einen Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung behandeln, unter drei einen Vorlagebeschlussentwurf für den Staatsgerichtshof, unter vier die Aufforderung zu einer Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes im Hinblick auf die Einführung eines staatlichen Wahl
rechts für EU-Ausländer und unter fünf eine entsprechende Initiative zur Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Ausländer.
Der Gesetzentwurf unter zwei hat im Ausschuss mit Ausnahme der darin enthaltenen Wahlalterabsenkung die Zustimmung aller Fraktionen erhalten. Die dort vorgeschlagene Wahlalterabsenkung wird von den Fraktionen der FDP und der CDU abgelehnt. Die jeweiligen Begründungen der Fraktionen sind in abweichenden Voten im Ausschussbericht enthalten. Der Vorlagebeschluss für den Staatsgerichtshof unter drei hat im Ausschuss die Zustimmung aller Fraktionen erhalten. Die Forderung nach einer Bundesratsinitiative zur Ermöglichung eines staatlichen Wahlrechts für EU-Ausländer unter vier hat im Ausschuss die Zustimmung der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, der LINKEN und der FDP erhalten; die CDU lehnte diese Initiative ab. Die Bundesratsinitiative in Bezug auf das kommunale Wahlrecht für Ausländer unter fünf wurde im Ausschuss mit einem gleichlautenden Votum der Fraktionen versehen.
Gestatten Sie mir als Ausschussvorsitzenden, die inhaltlich einstimmigen Entscheidungen kurz darzustellen! Die Fraktionen können danach ihre jeweils streitigen Positionen selbst vortragen. Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir heute in erster Lesung verabschieden wollen, folgt mit Ausnahme der Absenkung des Wahlalters im Wesentlichen den Vorschlägen der Verwaltung, um das hier bestehende Wahlrecht modernen Erfordernissen anzupassen. Über den Charakter von Detailregelungen hinaus geht die neue Konzeption, eigene zentrale Auszählwahlvorstände zu bilden. Hiermit wird der zu erwartenden längeren Auszähldauer in Folge des Mehrstimmenwahlrechts Rechnung getragen. Dieser Vorschlag der Verwaltung baut auf den Hamburger Erfahrungen mit einem Mehrstimmenwahlrecht auf.
Der einvernehmlich vorgeschlagene Vorlagebeschluss zum Staatsgerichtshof hat folgenden Hintergrund: Sowohl der Senator für Inneres als auch der Senator für Justiz haben in Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass das derzeitige Mandatsverteilungsverfahren verfassungsrechtlich problematisch sei. Das hierauf eingeholte Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes bestätigte diese Bedenken. Um klären zu können, ob eine Änderung der Bestimmungen zum Mandatsverteilungsverfahren rechtlich erforderlich wäre, beauftragte der Ausschuss zwei externe Gutachter. Leider kamen beide Gutachter zu entgegengesetzten Ergebnissen. Ich zitiere den Gutachter Meyer: „Das geltende Wahlrecht ist in den strittigen Punkten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.“ Ich zitiere den Gutachter Morlock: „Das gegenwärtig geltende Wahlsystem ist mit der Verfassung nicht zu vereinbaren.“
In dieser Situation hat der Ausschuss vereinbart, diese Frage dem Staatsgerichtshof vorzulegen, weil er sich nicht in der Lage sah, diese beiden Positionen aufzulösen, und sich deshalb auch nicht in der
Lage sah festzustellen, ob die bisher geltenden Regelungen gegen die Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen verstoßen. Zu den Ausführungen der Gutachter wird auf den vorliegenden Bericht verwiesen, sie sind alle darin enthalten, und man kann sie da nachlesen. Auf die Klärung dieser verfassungsrechtlichen Frage kam es aber nach der einvernehmlichen Ansicht im Ausschuss an. Diese Klärung ist erforderlich, da die Gefahr besteht, dass bei kommenden Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft aufgrund der bestehenden gutachterlich belegten Zweifel einer Verfassungsmäßigkeit, diese Wahlrechtsregelungen erfolgreich gerichtlich angefochten werden können. Zum Abschluss möchte ich neben der bereits schon erwähnten Frau Witt auch allen anderen Mitwirkenden danken, die zu der schnellen Bewältigung der komplizierten Materie beigetragen haben.
Hervorheben möchte ich an dieser Stelle besonders Herrn Dr. Wrobel vom Senator für Justiz und Herrn Klünder vom Senator für Inneres, beide haben es vorgezogen, da der Ausschuss zwei Jahre getagt hat, sich nach sehr aktiver Mitarbeit im Ausschuss in den wohlverdienten Ruhestand zu verabschieden. Der Ausschuss wollte sie daran nicht hindern, wir haben mit ihren Nachfolgern auch gute Erfahrungen gemacht. Man kann aber sagen, dass wesentliche Teile dieses Gesetzes das Alterswerk von Herrn Dr. Wrobel und Herrn Klünder gewesen sind. Ich finde, das muss man besonders würdigen, deshalb danke ich ihnen!
In Anbetracht der vielen weiteren Beteiligten verzichte ich allerdings darauf, diese einzeln zu benennen, weil ich dann ungefähr 25 Namen neben den Kollegen im Ausschuss vorlesen müsste. Ich glaube, jeder, der an diesem Ausschuss beteiligt war, weiß, was die Zuarbeiter geleistet haben, dafür gebührt ihnen herzlicher Dank!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der nichtständige Ausschuss hat bis zur Vorlage dieses Zwischenberichts achtmal getagt. Die Sitzungen des Ausschusses erfolgten selbstverständlich alle öffentlich. Er hat in zwei Anhörungen den Verein Mehr Demokratie e. V. und Herrn Prof. Dr. Theo Schiller von der Universität Marburg gehört. Zu den jeweils behandelten Teilthemen wurden sowohl der Senator für Justiz als auch der Senator für Inneres angehört und im Vorfeld jeweils um schriftliche Stellungnahme gebeten. Der Ausschuss hat alle eingegangenen Stellungnahmen und die Protokolle der Sitzungen auf der Homepage der Bürgerschaft veröffentlicht.
Der Ausschuss hat sich einvernehmlich darauf geeinigt, den Bericht in Form eines Gesetzesänderungsantrags inklusive einer Begründung zu erstellen. Die hiervon abweichenden Voten der im Ausschuss vertretenen Fraktionen sind auf den Seiten 29 und 30 des Berichts aufgenommen worden. Dem Abschlussbericht haben die Fraktionen der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP zugestimmt. Die Fraktion der CDU und die Fraktion der LINKEN haben sich unter Bezugnahme auf entsprechende Voten enthalten.
In Kurzfassung versuche ich, einmal darzustellen, welche Neuerungen dieser Gesetzentwurf enthält. Der Gesetzentwurf enthält unter anderem eine kostenfreie Beratung für die Initiatoren des Volksbegehrens durch die Bürgerschaft unter Hinzuziehung des Senats. Das soll garantieren, dass das Verfahren bürgerfreundlicher und sicherer wird. Der Entwurf enthält eine Regelung dahingehend, dass finanzwirksame Volksentscheide erstmals in der Bremer Geschichte zulässig werden. Das weitet die Befugnisse des Volksgesetzgebers entscheidend aus.
Volksentscheide können in Zukunft zusammen mit Wahltagen durchgeführt werden. Wir erhoffen uns davon eine erhöhte Beteiligung an Volksentscheiden. Es wird ein Abstimmungsheft über den Volksentscheid für alle Wahlberechtigten erstellt. Hierin können die Initiatoren und die Bürgerschaft beziehungsweise die einzelnen Fraktionen gleichberechtigt Stellung nehmen. Zielrichtung soll sein, dass die Transparenz eines solchen Volksgesetzgebungsverfahrens und damit hoffentlich auch die Beteiligung erhöht wird.
Den Initiatoren eines Volksbegehrens wird in Zukunft zugestanden, dass sie in Museen, der Volkshochschule und der Stadtbibliothek ihre Unterschriften
sammeln können, soweit hierdurch nicht der Geschäftsbetrieb dieser Einrichtungen beeinträchtigt wird. Dies ist eine entscheidende Erleichterung für die Initiatoren, ihre Unterschriften zu sammeln.
Es werden Stichfrage und Konkurrenzvorlage eingeführt. Die Bürgerschaft kann abweichende Positionen vorlegen, als angenommen gilt dann der Entwurf mit den meisten Stimmen. Dies macht das Volksgesetzgebungsverfahren bunter, vielfältiger und erhöht somit hoffentlich auch die Beteiligung.
Es wird ein Dialogverfahren eingeführt, sodass zwischen Bürgerschaft und Initiatoren eines Volksbegehrens auch politische Kompromisse ausgehandelt werden können. Dies macht das Volksgesetzgebungsverfahren deutlich flexibler, da es nicht auf eine einfache Ja-Nein-Entscheidung reduziert bleibt.
Das Unterschriftsquorum wird auf fünf Prozent und das Zustimmungsquorum auf 20 Prozent bei einfachen Gesetzen gesenkt. Dies reduziert die Hürden für erfolgreiche Volksgesetzgebungsversuche. Durch Volksentscheid zustande gekommene Gesetze können innerhalb einer Wahlperiode erst nach zwei Jahren geändert werden, es sei denn durch Volksentscheid oder Zweidrittelmehrheit im Parlament. Dies erhöht nachhaltig die Verbindlichkeit der Entscheidung des Volksgesetzgebers. All das war Konsens aller im Ausschuss vertretenen Fraktionen.
Dissens bestand im Ausschuss über die Quoren insbesondere bei verfassungsändernden Gesetzen und bei den zulässigen Regelungsgegenständen beziehungsweise dem Haushaltsvorbehalt. Für die Einzelheiten verweise ich auf die Seiten 29 bis 30 des vorliegenden Berichts. Ich gehe davon aus, dass die FDP, DIE LINKE und die CDU ihre Positionen hierzu ausführlich darstellen werden.
Bei allen Differenzen in der Sache, war die Auseinandersetzung im Ausschuss davon geprägt, konstruktiv die Möglichkeiten der Volksgesetzgebung im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen auszuweiten. Ich bedanke mich bei allen Ausschussmitgliedern für die stringente, sachbezogene Arbeit. Insbesondere bedanke ich mich aber auch bei denen, die unsere Sitzungen mit fachlichem Input versorgt haben. Stellvertretend möchte ich hier Frau Dr. Haarmann vom Wissenschaftlichen Dienst der Bürgerschaft, Herrn Dr. Wrobel vom Senator für Justiz und Herrn Klünder vom Senator für Inneres nennen. Ohne diese und auch ohne den Protokolldienst wäre es dem Ausschuss nicht gelungen, innerhalb von elf Monaten einen Bericht zu den Veränderungsmöglichkeiten der Volksgesetzgebung vorzulegen. Herzlichen Dank hierfür!
Als abschließende Bewertung gestatten Sie mir folgendes Fazit: Der Ausschuss setzt einen Meilenstein für mehr Partizipation mit dem modernsten Volksgesetzgebungsgesetz der Republik und erreicht gleich
zeitig, dass die Spielregeln des Haushaltsrechts eingehalten werden müssen. Das Verfahren wird vereinfacht, der Zugang zur Volksgesetzgebung wird niederschwelliger. Beteiligungshindernisse werden abgebaut. Die Entscheidungskompetenz wird massiv ausgeweitet, und das Verfahren wird für die Initiatoren wesentlich flexibler. Besser als die persönliche Wertung eines Ausschussvorsitzenden ist vielleicht das Resümee des Vereins Mehr Demokratie e. V. vom 29.Oktober 2008 geeignet, um das Arbeitsergebnis des Ausschusses zu bewerten. Trotz weitergehender Wünsche bewertete Herr Tim Weber das Ergebnis wie folgt: „Wir begrüßen den Entwurf als eine Reform, die den Namen auch verdient.“ – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Für den Ausschuss berichte ich wie folgt:
In der Ausschusssitzung am 20. Juni 2008 haben wir uns mit dem überwiesenen Antrag der Bürgerschaft ausführlich beschäftigt. Es bestand im Ausschuss zunächst Dissens über den Arbeitsauftrag, den dieser Ausschuss hatte. CDU, Grüne und FDP wollten im Ausschuss die inhaltliche Zweckmäßigkeit der Fünfprozenthürde und die verfassungsrechtliche Zulässigkeit erörtern, die SPD wollte ausschließlich die verfassungsrechtliche Zulässigkeit thematisieren. Sie merken daran, dass Konsens darüber bestand, dass wir die verfassungsrechtliche Zulässigkeit prüfen und erörtern müssen.
Dazu hätten grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung gestanden: einmal eine Sachverständigenanhörung und einmal den jetzt hier vorgeschlagenen Weg der Vorlage zum Staatsgerichtshof. Der Ausschuss ist in seiner Diskussion zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Sachverständigenanhörung die notwendige verbindliche Klärung nicht herbeiführen könnte, da Sachverständige jeweils ihre begründete Position deutlich machen, aber natürlich nicht endgültig prognostizieren können, wie der Staatsgerichtshof entsprechend entscheiden würde.
Dass der Staatsgerichtshof irgendwann über die Frage der Zulässigkeit der Fünfprozenthürde entscheiden müsste, deutete sich an, nachdem die FDP öffentlich erklärt hat, sie würde eine Organklage, ein Organstreitverfahren einleiten, beziehungsweise deutete sich daran an, dass der Staatsgerichtshof als Wahlprüfungsgericht zweite Instanz sich sowieso mit diesem Thema nach der nächsten Kommunalwahl in Bremerhaven hätte beschäftigen müssen.
Wir sind deshalb einvernehmlich der Meinung gewesen, dass es sinnvoll ist, bevor man weitere Diskussionen im Ausschuss über die inhaltliche Zweckmäßigkeit der Fünfprozenthürde führt, der Bürgerschaft zu empfehlen, diesen Gesetzentwurf dem Staatsgerichtshof vorzulegen, damit Klarheit darüber erzielt werden kann, ob dieser verfassungsgemäß ist oder nicht. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!