Maike Schaefer

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Sehr ge ehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir wollen heute in dritter Lesung die Neugestaltung des Immunitätsrechts beschließen. Lassen Sie mich vorweg Folgendes sagen: Die Immunität ist historisch betrachtet ein traditionelles Sonderrecht des Par laments, sie soll das Parlament vor Pressionen und sonstigen Maßnahmen der Exekutive schützen, die seine Arbeitsfähigkeit, insbesondere seine Aufgabe als Kontrollorgan der Regierung, beeinträchtigen können. Die Immunität soll dazu beitragen, dass das Parlament in kritischen Situationen handlungsfähig bleibt.
Der Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss legte der Bürgerschaft bereits zur Neugestaltung des Immunitätsrechts einen Antrag vor. Die Bürgerschaft hat das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung in ihrer Sitzung am 13. Juni 2016 in erster Lesung beschlossen. Zudem wurde von uns ein nicht ständi ger Ausschuss gemäß Artikel 125 Landesverfassung eingesetzt. Dieser Ausschuss hat insgesamt viermal getagt, zum ersten Mal am 24. August dieses Jahres.
Am 18. Oktober hat der Ausschuss zudem eine An hörung durchgeführt, zu der alle Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft eingeladen waren. Die Anhörung hatte das Ziel, alle Abgeordneten – weil alle 83 Abgeordneten von der Änderung des Im munitätsrechts betroffen sind – über das geplante Änderungsvorhaben zu informieren und auch noch einmal eine Einschätzung von der Polizei, der Staats anwaltschaft und der Anwaltskammer einzuholen.
An dieser Stelle – und das möchte ich im Namen des gesamten Parlaments machen – möchte ich mich ganz herzlich bei Herrn Dr. Heinke von der Kriminalpoli zei Bremen, bei Herrn Kuhn von der Oberstaatsan waltschaft und Herrn Büsing, dem Präsidenten der Hanseatischen Anwaltskammer Bremen, bedanken, die sich an dem Tag die Zeit genommen haben, mit uns gemeinsam die Novelle des Immunitätsrechts zu beraten.
Lassen Sie mich in den Dank auch Frau Schneider und Herrn von Wachter von der Bremischen Bürgerschaft einschließen, die diese Anhörung mit vorbereitet und mit organisiert haben.
Neben den Einschätzungen der Polizei, der Anwalts kammer und der Staatsanwaltschaft stellte auch die Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft dem Ausschuss schriftlich die Handhabung der Ham burgischen Immunitätsregelung dar, denn das neue Immunitätsrechts soll sich jetzt an der Hamburger Regelung orientieren.
Wie war es bisher? Bisher konnten wir in Bremen Widerspruch gegen die Aufhebung der Immunität innerhalb einer bestimmten Frist erheben, wenn Er mittlungen bei einem Anfangsverdacht durchgeführt werden sollten. Hierüber wurden die Mitglieder des Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschusses vom Präsidenten der Bürgerschaft informiert. Das führte – und das ist auch der Hintergrund für die No vellierung – in vielen Fällen aber auch dazu, dass es entweder zu einer negativen Publizität gekommen ist oder dass Ermittlungen gefährdet wurden, wenn im Vorfeld in den Medien darüber berichtet worden ist.
Als problematisch wurde in der Anhörung seitens der Staatsanwaltschaft die Ausgestaltung des Reklamati onsrechts als Minderheitenrecht eingeschätzt, so stand es im ersten Entwurf, weil damit eine Information aller Abgeordneten über eingeleitete Ermittlungsverfahren verbunden sei, um diese überhaupt in die Lage zu versetzen, eine Entscheidung über die Aussetzung der Ermittlungen zu treffen. Damit würde die gebotene Vertraulichkeit von Immunitätsverfahren, die Anlass für eine Neuregelung ist, infrage gestellt.
Dazu merkte die Staatsanwaltschaft an, dass qua lifizierte Ermittlungsmaßnahmen wie insbesondere Durchsuchungen und Telekommunikationsüber wachungsmaßnahmen vor allem dann Erfolg ver sprechend seien – das kann sich jeder denken –, wenn sie unbeeinflusst von äußeren Einflüssen und Kenntnisnahme vollzogen werden könnten. Wenn die Durchführung solcher Maßnahmen von einer Genehmigung des Parlaments abhängig gemacht werde, müssten die Entscheidungsträger über den Sachverhalt informiert werden, und dies berge die Gefahr in sich, dass die strafprozessuale Maßnahme frühzeitig in der Öffentlichkeit bekannt würde. Damit werde ein Aufklärungserfolg vereitelt. Die Polizei schloss sich auch dieser Kritik an.
In ihrer schriftlichen Stellungnahme führte die Ham burgische Bürgerschaft aus, nach Artikel 15 der Hamburger Verfassung bestehe kein Hindernis für die Einleitung von Ermittlungsverfahren, solange und soweit hiermit keine freiheitsbeschränkenden
und gleichzeitig die Ausübung des Mandats beein trächtigenden Maßnahmen verbunden seien. Dieser Auffassung folgten auch die Ausschussmitglieder. Es war ein sehr wichtiges Thema, dass sowohl freiheits- als auch mandatsbeschränkende Maßnahmen nicht einfach eingeleitet werden dürften.
Zur Klärung der Frage, ob eine Maßnahme unter dem Einwilligungsvorbehalt der Bürgerschaft stehe – wie in Hamburg –, sei eine Betrachtung der konkreten Einzelmaßnahme und deren Auswirkung auf die Mandatsausübung erforderlich. Bei der Auslegung des Merkmals „Beeinträchtigung der Mandatsaus übung“ sei zu berücksichtigen, dass die Immunität nicht dem einzelnen Abgeordneten, sondern dem Parlament insgesamt diene. In Anlehnung an die Regelung in Hamburg sind nach dem geänderten Ge setzentwurf jetzt Maßnahmen unterhalb der Schwelle von Verhaftungen oder Freiheitsbeschränkungen ohne weitere Genehmigung durch die Bremische Bürgerschaft zulässig.
Die Zuständigkeit für die Entscheidungen über die Aufhebung der Immunität wird auf den Verfassungs- und Geschäftsordnungsausschuss übertragen, der mit qualifizierter Mehrheit entscheiden muss. Auf das Reklamationsrecht soll zukünftig verzichtet werden.
Der Schutz des Artikels 95 Absatz 1 der Bremer Lan desverfassung erstreckt sich somit auf Verhaftungen sowie sonstige die Freiheit und die Ausübung des Mandats beschränkende Maßnahmen. Das heißt, Ab geordnete dürfen ohne Einwilligung der Bürgerschaft während der Dauer ihres Mandats nicht verhaftet oder sonstigen ihre Freiheit und ihre Ausübung ihres Mandats beschränkende Maßnahmen unterworfen werden, es sei denn, sie werden bei der Ausübung einer Straftat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen.
Der nicht ständige Ausschuss nach Artikel 125 Bremer Landesverfassung zur Änderung des Immunitätsrechts empfiehlt der Bürgerschaft mehrheitlich mit den Stimmen der Fraktionen der SPD, der CDU, Bündnis 90/Die Grünen sowie der FDP und bei Enthaltung der Fraktion DIE LINKE den uns heute vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Bremischen Landesverfassung in dritter Lesung zu beschließen.
Da ich heute hier für den Ausschuss spreche und wir interfraktionell vereinbart haben, dass nicht jede Fraktion zum Gesetzesantrag Stellung nimmt, möchte ich jetzt das Abstimmungsverhalten der LINKEN darlegen. Die Fraktion DIE LINKE hatte den ersten Antrag im Juni dieses Jahres mitgetragen. Dieser Ent wurf, der an der Hamburger Regelung angelehnt war, sah ein Reklamationsrecht der Bürgerschaft vor. Der heute vorliegende Antrag, der dieses Reklamations recht nicht mehr enthält, wird von der Fraktion nicht mehrheitlich geteilt. Zum einen wird die rechtliche Argumentation der Bürgerschaftsverwaltung nicht nachvollzogen, die der Auffassung ist, die Hamburger Regelung sei nicht auf Bremen übertragbar.
Das bisherige Immunitätsrecht stößt aber auch in der Fraktion DIE LINKE auf Kritik. Es wird als nicht mehr zeitgemäß betrachtet, dass die Polizei derzeit keine entlastenden Tatsachen ermitteln darf, sodass es zwangsläufig zu einem staatsanwaltschaftlichen Verfahren und einem Aufhebungsantrag mit der häufigen Folge einer öffentlichen Stigmatisierung kommt. Dies rechtfertigt auch für DIE LINKE dem Grunde nach eine Änderung der bisherigen Rege lung. Einzelne Abgeordnete wollen inzwischen das geltende Recht beibehalten. Die Fraktion DIE LINKE gibt daher die Abstimmung frei. – Soweit mein Be richt, herzlichen Dank!