Michael Reuter

Sitzungen

17/6

Letzte Beiträge

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich es namens meiner Fraktion ausdrücklich begrüßen, dass wir uns hier und heute im Hessischen Landtag mit dem Thema Europa beschäftigen, und dies zu einem politisch hochaktuellen oder – muss man nicht sagen? – historischen Zeitpunkt, wo der Bundestag mit großer Mehrheit dem Vertrag von Lissabon zugestimmt hat und wo die Entscheidung im Bundesrat am 23. Mai unmittelbar bevorsteht.
Wir haben deshalb einen Antrag eingebracht, worin wir die Entscheidung des Bundestages begrüßen und die geschäftsführende Landesregierung bitten – und nicht auffordern; ich bitte das im Protokoll zu berücksichtigen –, dem Vertragswerk im Bundesrat zuzustimmen. Wir führen hier keinen Streit um Worte, zumal wir aus der heutigen Regierungserklärung von Minister Hoff wissen, dass
es diesbezüglich zwischen der geschäftsführenden Landesregierung und uns keinen Dissens gibt.
Damit ist aber auch klar, dass wir dem Antrag der LINKEN nicht zustimmen können. Dem Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN werden wir dagegen zustimmen.
Für uns ist und bleibt der Vertrag von Lissabon ein Meilenstein in der Erfolgsgeschichte von Europa – einem Europa, wo es nach den schrecklichen Kriegen der letzten Jahrhunderte seit nunmehr 63 Jahren keinen Krieg mehr gegeben hat, wo 500 Millionen Menschen friedlich zusammenleben und nun gemeinsam ihre Zukunft gestalten wollen. Dieses Europa schickt sich nun an, in dem Vertrag von Lissabon seine Beziehungen unter den 27 Staaten auf eine moderne und nachhaltige Grundlage zu stellen.
Gewiss, auch wir hätten uns durchaus einige Regelungen anders vorstellen können. Ich erinnere nur daran, dass wir uns eine europäische Verfassung gewünscht hätten.Bei einer Gesamtbetrachtung stehen wir aber dem Vertrag von Lissabon positiv gegenüber.
Ich möchte auf folgende Punkte des Vertrags von Lissabon hinweisen, die Grundlage für unsere positive Bewertung aus landespolitischer Sicht sind. Dies ist zum einen die Grundrechtecharta, die, sofern alle Mitgliedstaaten der EU dem Vertragswerk zustimmen, ab nächstem Jahr in fast ganz Europa rechtsverbindlich wird. Dass sich Großbritannien und Polen Sonderkonditionen ausbedungen haben, ist aber auch, wie in der Vergangenheit schon öfter erlebt, ein Stück europäische Realität.
Da ist zum anderen die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen, wodurch Europa handlungsfähiger werden wird. Das Europaparlament und die nationalen Parlamente und damit auch die Landtage werden gestärkt. Das heißt, Europa wird in Zukunft nicht nur eine Veranstaltung von Regierungen sein. Nein, die Parlamente und damit auch unser Landtag werden in Zukunft eine gewichtigere Rolle einnehmen – und das ist gut so.
Ebenfalls begrüßen wir die Einführung eines Bürgerbegehrens, was europaweit ebenfalls einen Fortschritt darstellt.
Aber auch die kommunalen Rechte werden durch den Vertrag gestärkt. Ich nenne die ausdrückliche Anerkennung des Rechts der kommunalen Selbstverwaltung, den Ausbau des Konsultationsrechts der Kommunen in Europa, die Einführung von Folgeabschätzungsverfahren im Hinblick auf die administrativen und finanziellen Folgen der EU-Gesetzgebung, die Einbeziehung der Kommunen in die Subsidiaritätsprüfung und die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips.
Durch die Installierung eines Subsidiaritätsfrühwarnsystems und des Klagerechts zugunsten der nationalen Parlamente wird die Kompetenzabtrennung zwischen EU und den Mitgliedstaaten zukünftig verbessert. Auch der Rat der Regionen wird künftig eine gewichtige Rolle spielen, da auch diesem ein Klagerecht vor dem EuGH bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip und bei Verletzung eigener Rechte eingeräumt wird.Auch das begrüßen wir.
Das hat aber auch zur Folge, dass, um das Subsidiaritätsfrühwarnsystem nicht ins Leere laufen zu lassen, der Hessische Landtag rechtzeitig darüber informiert werden muss, inwieweit Belange des Gesetzgebers tangiert sein
könnten. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Sie, Herr Hoff, wie in Ihrer Regierungserklärung angekündigt, das Thema Subsidiarität in den nächsten Monaten zum Schlüsselthema machen wollen. In der Tat ist die Frage, wie die Subsidiaritätskontrolle praktisch vonstatten geht, von eminenter Bedeutung.
Wir haben im Hessischen Landtag zwei Anläufe unternommen, dieses Problem anzugehen. Es gibt den einstimmigen Beschluss des Hessischen Landtags vom 14. Juli 2005, der aber meines Erachtens zu kurz greift. Da gefällt mir der Ansatz im FDP-Gesetzentwurf vom 27. August des letzten Jahres besser, über den aber nicht mehr im Landtag abgestimmt werden konnte. Auch wenn dieser Vorschlag bei den Kolleginnen und Kollegen in Schleswig-Holstein abgeschrieben wurde, sollten wir diesen Ball wieder aufnehmen und erneut ins Spiel bringen. Oder wir sollten uns – darauf haben Sie hingewiesen, Herr Minister Hoff – ein Beispiel an anderen Bundesländern nehmen, wo man Vereinbarungen zwischen Landesregierung und Landtag abschließen will oder bereits abgeschlossen hat. Ich erinnere an Baden-Württemberg und RheinlandPfalz. Hierüber müssen wir in der Tat in der nächsten Zeit im Europaausschuss unbedingt reden.
Wichtig ist uns dabei, um in Ihrem Fahrradbild zu bleiben, Herr Minister, dass nicht das Parlament hinten auf dem Gepäckträger sitzen muss und die Regierung vorne lenkt. Herr Hoff, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung von Testläufen gesprochen. Für meine Fraktion ist in der Tat die Einbindung des Parlaments in europäischen Fragen der Lackmustest, inwieweit den Worten auch Taten folgen werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir schon in einer öffentlichen Debatte und nicht in der von der Öffentlichkeit abgeschotteten Welt des Ausschusses über Europa reden, so sei es mir gestattet, einige Ausführungen darüber zu machen, inwieweit globale, also europäische Vorgaben mit lokalem, also hessischem Handeln kompatibel sind und wo für uns als SPD-Landtagsfraktion die Schwerpunkte auch unter Einschluss der europäischen Förderinstrumente für die Zukunft liegen.
Wir müssen die Chancen, die uns Europa bietet, produktiv umsetzen. Wer Wettbewerb will, muss dafür sorgen, dass er fair ausgetragen wird und nicht zu Dumpingpraktiken, zu Abwärtsspiralen bei Löhnen, Umweltbedingungen und Sozialleistungen führt. Wir wollen die Spielräume, die uns das EU-Recht bietet, mit einem hessischen Tariftreuegesetz konsequent nutzen, mit welchem man mehr als bisher Dumpingpraktiken verhindern kann. So wollen wir unter anderem bei öffentlichen Ausschreibungen Qualität zu fairen Preisen und anständige Löhne sicherstellen.
Eines ist aber auch deutlich zu machen: In einer immer mehr globalisierten Welt werden soziale Standards, z. B. zum Schutz der abhängig Beschäftigten, nur dann greifen, wenn diese Standards europaweit gelten. Hier liegt noch ein weiter Weg vor uns.
Das soziale Europa ist für uns kein Schlagwort, sondern ein Auftrag, der mit Leben gefüllt werden muss. Wir meinen, dass es nach einer Zeit, in der Deregulierung, Privatisierung und dem Marktradikalismus in Europa das Wort geredet wurde,nun höchste Zeit wird,dass ein Europa der sozialen Marktwirtschaft,der sozialen Verantwortung,der
gestärkten demokratischen Institutionen, der Mitwirkung und der Solidarität endlich Wirklichkeit wird.
Wenn man bedenkt, dass aus dem Europäischen Sozialfonds 9,4 Milliarden c bis zum Jahr 2013 nach Deutschland fließen werden,ist dies auch für uns in Hessen Anlass und Auftrag genug, für Geringqualifizierte, Langzeitarbeitslose, Schulabbrecher und Einwanderer entsprechende Hilfestellungen zu schaffen.Wir sollten das, was in Europa längst Standard ist, nämlich die Mindestlöhne, z. B. mittels einer Bundesratsinitiative endlich in die Tat umsetzen.
So wie es Kurt Beck in seiner Rede vor dem Bundestag ausgesprochen und wir es in unserem Antrag zitiert haben:Wir wollen,
dass alle Bürgerinnen und Bürger zu anständigen Bedingungen arbeiten können und die Chance haben, mit ihrer Arbeit sich und ihre Familien zu ernähren.
Herr Minister Hoff, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung betont, dass eine größere Gemeinsamkeit in einer nachhaltigen Klima-, Energie- und Umweltpolitik auf der europäischen Agenda steht. Dem kann man nur zustimmen. Herr Hoff, gilt diese Aussage aber auch für Ihre Partei in Hessen? Die Botschaft höre ich wohl,allein mir fehlt der Glaube – sagt, glaube ich, Goethes Faust im ersten Akt. Mal sehen, wie lange es dauert, bis bei der HessenCDU die grünliche Farbe wieder ab ist und die Kohlekraftwerk- und Atomkraftbefürworter wieder das große Sagen haben werden.
Wir werden jedenfalls darauf drängen, dass in diesem Bereich mehr als bisher europäische Fördergelder auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung, des Klimas, der Umwelt und der Natur in Hessen zukunftsgerichtet eingesetzt werden. Dies schont und schützt unsere Umwelt und schafft oder sichert Arbeitsplätze auch in Hessen.
Ich komme zum Schluss. Meine Fraktion wird dem Vertrag von Lissabon zustimmen, weil durch diesen die große historische Chance besteht,dass in Zukunft Europa handlungsfähiger, demokratischer, bürgernäher und transparenter werden wird, wie es zutreffenderweise in einer Bundestagsdrucksache formuliert wird, und dass, wenn es nach uns als SPD-Landtagsfraktion geht, Europa in Zukunft sozialer werden wird.– In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit.