Ulrich Karpen
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Grenzen der Belastbarkeit der Hamburger Justiz sind überschritten.
Seit 1990 mußten 75 mutmaßliche Täter aus der Untersuchungshaft entlassen werden, weil die Hauptverhandlungen nicht innerhalb der vorgeschriebenen sechs Monate eröffnet werden konnten. Das Strafverfahren gegen zwei Waffenschieber, die Teile von Kernwaffen in den Irak geliefert hatten, drohte zu verjähren, weil das Verfahren neun Jahre nach der Tat noch nicht eröffnet war. Nun steht möglicherweise ein neuer, spektakulärer Fall ins Haus.
Der Prozeß gegen „Albaner-Willi“, den mutmaßlichen Paten des Rotlichtkonzerns in der Süderstraße, wird wahrscheinlich sehr lange dauern. Die Beweislage ist kompliziert. Es muß bei der Besetzung der Richterbank vorgesorgt und Ergänzungsrichter und -schöffen müssen bestellt werden. Denn wenn ein Richter wegen einer Erkrankung ausfällt und nicht innerhalb von zehn Tagen wieder arbeitsfähig ist, platzt der Prozeß, das heißt, er muß von Anfang an neu aufgerollt werden.
Das Präsidium des Landgerichts sah sich aber wegen des eklatanten Richtermangels nicht in der Lage, diese Ergänzungsrichter zu benennen. Das Desaster ist vorprogrammiert, wenn eine Grippewelle anrollt.
Die Stadt muß sparen; das wissen wir. Aber man muß mit Verstand sparen. Sie sparen die Justiz kaputt. Bei steigenden Eingangszahlen haben Sie in den letzten Jahren bei Gerichten und Staatsanwaltschaften 120 Stellen eingespart. Das Bundesverfassungsgericht hat im letzten Jahr gerügt, daß ein Verfahren 15 Jahre gedauert hat. Das kommt nicht nur einer Rechtsschutzverweigerung gleich, sondern das ist eine.
Das Berufungsverfahren im Falle „OZ“ dauerte jahrelang. Die Folge: „OZ“ war und ist wegen der noch laufenden Fristen auf freiem Fuß und schmiert die Stadt auf Kosten der Steuerzahler weiterhin voll; das ist skandalös.
Frau Senatorin, die Hamburger Justiz ist durch die mangelnde Fürsorge des Senats notleidend geworden. Bei der Justiz herrscht gegenüber der Politik eine eisige Atmosphäre, und zwar nicht zuletzt, Frau Senatorin, wegen Ihrer herrischen Art, mit der Sie die Sorgen der Richter und Staatsanwälte angehen.
Daß die Justiz ihre Aufgaben nicht mehr ordentlich erfüllen kann, haben Ihnen viele gesagt: der Vorstand des Hamburgischen Richtervereins, die Staatsanwälte und der Vorsitzende der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer. Das wollen Sie nicht hören. Sie sagten am 5. Juli, der Haushaltsplan würde nach wie vor die Funktionsfähigkeit der Justiz gewährleisten. Das tut er nicht, Frau Senatorin. Die Lage ist ernst.
Der Schutz der äußeren und inneren Sicherheit ist die Kernaufgabe des Staates. Erfüllt er diese Kernaufgabe nicht ausreichend, bringt er sich um den Kredit. In dieser schwierigen Lage muß das Parlament wachsam sein, denn es gibt Ihnen, Frau Senatorin, Ihren Haushalt und kontrolliert Ihre Arbeit. In dieser beunruhigenden Situation ist es für die Abgeordneten geboten, sich im Interesse des Gemeinwohls vor Ort zu informieren und mit Richtern und Staatsanwälten über ihre Sorgen und Nöte zu sprechen. Dem haben Sie einen Riegel vorgeschoben.
In einem Runderlaß haben Sie allen Gerichtspräsidenten und den Staatsanwälten aufgegeben, mit Bürgerschaftsabgeordneten nur in Ihrer Anwesenheit zu reden. Frau Senatorin, das ist ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik.
Ihr Verhalten ist verfassungsrechtlich zweifelhaft, für die Hamburger Richter und Staatsanwälte entwürdigend und für die Bürgerschaft schlechthin inakzeptabel.
Ich fordere Sie noch einmal auf, den Kontaktsperreerlaß sofort aufzuheben.