Peter Weckmann

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion um den Hochschulzugang lässt sich doch eigentlich auf die Frage zuspitzen: Wie viele Chancen auf eine breitere universitäre Bildung räumen wir wem und wie vielen ein?
Ich möchte einen Satz aufgreifen, den Prof. Dobischat, der Vorsitzende des Deutschen Studentenwerks, im Rahmen einer Veranstaltung meiner Fraktion zur Hochschulpolitik am 6. März 2009 gesagt hat: „Wir sind im Grunde bei allen Debatten im Kern wieder dort angelangt, wo wir in den 70ern, den Aufbruchjahren der deutschen Hochschulpolitik, schon einmal gestanden haben.“ Dieser Satz ist zweifellos richtig. Damals wie heute brauchen wir eine breit angelegte Bildungsexpansion, eine Höherqualifizierung der Gesamtbevölkerung.
In der derzeitigen Krisensituation, in der die Wirtschaft verstärkt auf stetige Innovationen setzen muss, werden gut ausgebildete mit- und vorausdenkende Beschäftigte gebraucht. Dafür ist ein breiterer Bildungshintergrund erforderlich. Auf der anderen Seite ist für Beschäftigte Bildung die entscheidende Voraussetzung, um sich in schwierigen Arbeitsmarktsituationen in Umbruchzeiten zurechtzufinden und um Arbeitslosigkeit vorzubeugen.
Daher muss es auch aus dem Berufsleben heraus verstärkt möglich sein, sich durch ein Universitätsstudium oder Fachhochschulstudium weiterzuqualifizieren. Die in den 70er-Jahren postulierte „Illusion der Chancengleichheit“ besteht allerdings noch immer. Sie wird auch eine Illusion bleiben, je mehr diese Landesregierung an Selektion und an der Verhinderung von Durchlässigkeit im Schulsystem festhält.
Die Ziele der 70er-Jahre haben an Aktualität nichts verloren. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang drei zentrale Kernforderungen meiner Fraktion zur Hochschulpolitik ansprechen:
Erstens. Wir müssen die Bildungspotenziale bildungsferner Schichten stärker mobilisieren. Nordrhein-Westfalen steht bei der Partizipation von Kindern aus bildungsfernen und einkommensschwachen Elternhäusern an der Hochschulbildung besser da als der Bundesdurchschnitt. NordrheinWestfalen nimmt hier auch dank 39 Jahren SPDRegierung
im Vergleich zu anderen Bundesländern eine Spitzenposition ein.
Aber auch in Nordrhein-Westfalen muss dieser Anteil noch weiter gesteigert werden, um insgesamt dem Mangel an akademischem Nachwuchs zu begegnen. Auch im nordrhein-westfälischen Bildungssystem müssen die sozialen Schranken endlich beseitigt werden, um noch mehr Bildungspotenziale zu mobilisieren.
Zweitens. Wir brauchen mehr Chancengleichheit, denn der familiäre Hintergrund hat wieder entscheidendere Auswirkungen auf den Bildungsweg junger Menschen gewonnen. Mit einem Anteil von 15 % aus den sogenannten bildungsfernen Schichten an der Zahl aller Studierenden in Nordrhein-Westfalen ist diese in der Bevölkerung wesentlich stärker vertretene Gruppe in der Studierendenschaft immer noch die absolute Minderheit. Bildungschancen
dürfen aber nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.
Immer noch bestehende soziale und finanzielle Zugangshürden im Hochschulsystem müssen abgebaut werden. Chancengleichheit betrifft insbesondere die Studiengebühren.
Drittens. Wir brauchen eine sichere Studienfinanzierung. Studienerfolg hängt in erster Linie von gesicherter Studienfinanzierung ab. Dies gilt umso mehr, wenn man die Hochschulen auch für Studieninteressierte mit beruflicher Qualifikationsvoraussetzung öffnet.
Ich möchte an dieser Stelle darauf verweisen, dass Studienabbruch, Fachwechsel und Studienunterbrechung häufig weniger mit Orientierungsproblemen, als vielmehr mit fehlender Absicherung der Studienfinanzierung zusammenhängen. Die Erhöhung des BAföG auf Bundesebene war deshalb schon der richtige Schritt in die richtige Richtung.
Gerade auf diesem früher „zweiter Bildungsweg“ genannten Weg werden besonders viele der in Deutschland dringend benötigten Fachkräfte, Ingenieurinnen und Ingenieure, ausgebildet. NordrheinWestfalen war bundesweit bei Angeboten, den Erwerb der Hochschulreife mit beruflicher Bildung zu synchronisieren, immer führend. Um diese Stellung auszubauen, müssen die Hochschulen noch stärker geöffnet werden.
Heute gibt es einen entscheidenden Unterschied zu den 70er-Jahren: Bildungsreformen sind keine Frage der Ideologie. Der Grund lässt sich in einem Wort ausdrücken: PISA. Auch konservative Teile unserer Gesellschaft – ich rede bewusst nicht von Parteien – haben erkannt, dass das Bildungswesen in Deutschland insgesamt reformiert und sozial geöffnet werden muss. Das ist keine reine Menschenliebe; vielmehr sind die sozialen Folgen des Ausschlusses ganzer Bevölkerungsschichten für die Zukunft unseres Gemeinwesens schlicht nicht mehr tragbar.
Dieser Ausschluss hat auf dem Arbeitsmarkt bereits zu einem erheblichen Fachkräftemangel geführt. Fachkräftemangel ist auch bei unserem Antrag das entscheidende Stichwort. Es sollte auch die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen bewegen, mehr zu tun. Was wir brauchen, ist eine klare Regelung, wie wir die Hochschulen in NordrheinWestfalen insgesamt sozial noch stärker öffnen und wie wir insbesondere die Durchlässigkeit zwischen Beruf und Hochschule erhöhen können.
Dazu müssen wir Akteure aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Hochschulen, Schulen und der Ausbildung an einen Tisch holen. Das wollen wir gerne
gemeinsam mit Ihnen tun. Der jüngste Beschluss der Kultusministerkonferenz deutet auch darauf hin, dass hier im Grundsatz Einigkeit besteht.
Deshalb kündige ich zum Abschluss für meine Fraktion schon einmal an, dass wir im Landtag zu diesem Thema eine Anhörung beantragen werden, die dazu dienen soll, diese grundsätzliche Übereinstimmung für die Menschen in unserem Lande in konkrete Ergebnisse umzumünzen. – Vielen Dank.