Peter Lerch

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Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der nun vorgelegte Ergänzungsentwurf zum Landeskinderschutzgesetz stellt zwar eine geringe, aber zweifellos richtige und sinnvolle Weiterentwicklung dar.
Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung: Ende der Nullerjahre schockierte eine ganze Anzahl gravierender, bundesweit bekannt gewordener Fälle von Kindesmisshandlung und Kindesmissbrauch die Öffentlichkeit. In der Folge beschlossen Bund und Länder – so auch Rheinland-Pfalz – die ersten Kinderschutzgesetze.
Ziel war es dabei, das Netz der staatlichen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeiten enger zu knüpfen, um im besten Fall solch traurige Vorfälle zu vermeiden, zumindest aber frühzeitig zu erkennen und gegensteuern zu können.
Zwölf Jahre danach stellen wir fest, dass dies durchaus Wirkung gezeigt hat. Kitas, Schulen und Öffentlichkeit sind erhöht sensibilisiert. Das Einladungs- und Erinnerungswesen funktioniert, Betreuungs- und Unterstützungsmaßnahmen greifen. Trotzdem blieben weiter Lücken vorhanden.
Bedenklich ist dabei, dass diese Lücken insbesondere verstärkt bei prekären Familienverhältnissen auftreten, bei jungen Eltern, Eltern mit drohender Suchtbelastung, Alleinerziehenden und insbesondere Familien mit psychisch kranken Eltern.
Es ist daher richtig, diese Zielgruppe nun verstärkt in den Fokus zu nehmen und Hilfsstrukturen aufzubauen. Es ist richtig, dafür 750.000 Euro bereitzustellen und die Verteilung der Gelder mit den Spitzenverbänden zu regeln.
Kritisch zu hinterfragen wäre nur: Warum erst jetzt, und warum nur 750.000 Euro? Das sind letztendlich 18.000 Euro pro Jugendamt.
Dies sind aber keine Gründe für die CDU-Fraktion, die Gesetzesvorlage abzulehnen.
Lassen Sie mich aber leider trotzdem etwas Wasser in die
sen Wein gießen; dies fällt mir als Weinpfälzer besonders schwer. Wie beim Land schon üblich, ist auch hier die lieb gewordene Unsitte festzustellen, Finanzzuwendungen im Gesetz zu fixieren, ohne sie zu dynamisieren. Das heißt, diese 750.000 Euro sind im Gesetz,
und jedes Jahr nehmen sie – bei den momentanen Brotpreis- und Lohnsteigerungen – um 2,5 % ab. Das wäre in zehn Jahren eine Reduzierung um 25 % zulasten der Kommunen.
Gravierender und auch kausal mit dieser Thematik zusammenhängend ist diese Unsitte noch auf einem anderen Feld zu erkennen. Ziel des Kinderschutzgesetzes wie auch dieses Änderungsgesetzes ist es, vermehrt Fälle aus dem Dunkelfeld in den Fokus von Beratungsstellen und Jugendämtern zu bringen. Ich denke, dies wollen wir alle. Die logische Folge ist dann aber auch, dass immer mehr Hilfen zur Erziehung und damit mehr Kosten bei der Kinderund Jugendhilfe entstehen. Ich denke, dass wir auch da d’accord gehen.
Äußerst unfair, ja ein Stück verwerflich wird es in der Sache aber, wenn das Land zwar mithilft, diese Fälle ans Licht zu bringen, sich bei der finanziellen Bewältigung aber immer mehr zurückzieht.
Konkret deckelt das Land seit 15 Jahren – der Deckel oder die Verstetigung, wie die Kollegin sagt, scheint das Lieblingsinstrument zu sein – seine Beteiligung bei den Hilfen zur Erziehung auf ca. 40 Millionen Euro. Seit 15 Jahren! Der Anteil, der Landesanteil, ist in dieser Zeit von 25 % auf ca. 10 % zurückgegangen. Das ist eine Lücke von 50 Millionen Euro jedes Jahr, wodurch die Kommunen, sprich die kreisfreien Städte und Landkreise, mehr bezahlen. Das Land deckelt seine Zuwendungen, was ihm jährlich entsprechende Gelder einspart.
Frau Ministerin Spiegel, beenden Sie diese Ungerechtigkeit. Stehen Sie zu Ihrer Mitverantwortung, zur Mitverantwortung des Landes bei allen Hilfen zur Erziehung und nicht nur bei jetzt 750.000 Euro. Wenn Sie dieses Thema aufgreifen und ausgleichen, dann werden Ihre Worte von Mitverantwortung und Vorreiter sein erst glaubwürdig, und dann können Sie dazu stehen. Greifen Sie diese Problematik, die seit 15 Jahren schwelt, auf. Der Haushalt, der jetzt verabschiedet wird, würde Ihnen diese Gelegenheit bieten.
Ich danke schön.
Herr Minister, Sie haben uns viele Zahlen genannt zu den Entwicklungen, Schlüsselzuweisungen und Sozialausgaben in Rheinland-Pfalz bei den Städten und Kreisen. Sie haben uns keine Vergleichszahlen genannt zu anderen Bundesländern.
Erstens: Ist es weiterhin zutreffend, dass die rheinlandpfälzischen kreisfreien Städte und Landkreise die am meisten verschuldeten in ganz Deutschland sind?
Zweitens: Sehen Sie die Korrelation
zwischen den Jugendhilfe- und Sozialausgaben bei den Landkreisen und Städten als eine der Hauptursachen?
Drittens: Empfehlen Sie – – –
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Uns liegt der 6. Landesbericht über die Hilfen zur Erziehung für Rheinland-Pfalz vor. Auf den über 300 Seiten ist tatsächlich vieles detailliert erfasst, vieles verglichen und einiges gefordert.
Dass dieser Bericht vorliegt, ist gut so. Es ist gut, weil wir darin Strukturen und Entwicklungen erkennen können. Es ist gut für einen profunden Vergleich über mehrere Jahre hinweg, und es ist gut zum Benchmark der 51 Jugendamtsbezirke.
Daran haben viele mitgewirkt: das Land, die Jugendämter, die Fachwelt. Ihnen allen gebührt ein Dank, insbesondere dem federführenden Institut für Sozialpädagogische Forschung in Mainz, das sich bundesweit einen Namen gemacht hat.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, was machen wir jetzt mit diesem Bericht? – Ich denke, es ist wichtig, genau auf die gewonnenen Erkenntnisse zu schauen. Aber Erkenntnisse allein bewirken noch nichts. Es ist erforderlich, Folgerungen daraus zu ziehen, und zwar die richtigen Folgerungen; ansonsten ist es wie ein Arzt, der eine zutreffende Diagnose stellt und die Therapie abbricht.
Kommen wir schlaglichtartig zu den Erkenntnissen. Die Kollegin hat es teilweise schon gesagt: Die Eckwerte der erzieherischen Hilfen, die Ausgaben für die Hilfen pro 1.000 Jugendliche unter 21 Jahren, haben sich seit 2002 verdoppelt. Durch den massiven, über 300 %igen Ausbau der ambulanten Hilfen wurden Effekte erzielt: Zum einen kann mit geringeren Finanzmitteln pädagogisch sinnvoll niederschwellig geholfen werden, und damit ist letztendlich allen gedient.
Bei den Eingliederungshilfen stellen wir eine sehr dynamische Entwicklung fest. Diese haben sich verdreifacht. Allein die Anzahl der Integrationshelfer in den Schulen wuchs in den letzten drei Jahren um 23 %. Der sonderpädagogische Förderbedarf in Regelschulen wuchs in den letzten sechs Jahren um 87 %.
Kommen wir zu den Kinderbetreuungsbereichen. Dort stel
len wir fest, dass zum einen der Ausbau der Plätze für die unter Dreijährigen stagniert, aber gleichzeitig die Anzahl der Geburten um 20 % zugenommen hat. Wir stellen aus diesem Bericht fest, dass die Anzahl der Ganztagsplätze 44 % umfasst. Ich erinnere daran, es wurde ein Gesetz beschlossen, welches einen Rechtsanspruch auf Ganztagsplätze vorsieht. Letztendlich stellen wir fest, dass die Tagespflege von zunehmender Bedeutung sein wird, wobei an dieser Stelle der Landesregierung gesagt werden muss, dass die Tagespflege nach dem Gesetz gleichberechtigt ist neben der Kita. – Weshalb die Kita gebührenfrei ist und die Tagespflege gebührenbehaftet ist, muss die Landesregierung erklären,
bzw. es wird sich eventuell auch noch juristisch ergeben.
Kommen wir zur Schulsozialarbeit. In den letzten Jahren ist die Schulsozialarbeit massiv ausgebaut worden, sie ist zu einem integralen Bestandteil des schulischen Lebens geworden. Wir haben inzwischen 415 Stellen in der Schulsozialarbeit.
Nicht zu vergessen: Das Thema „Armutsrisiko“ nimmt trotz 25 Jahren sozialdemokratischer Regierung zu.
Wir haben 35 % Migranten, bei den Hilfen allerdings nur mit 25 % vertreten. Weitere Zuwächse sind zu erwarten. Bei den UMA, den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, haben wir multifunktionale Problemlagen.
Wenn wir zu einem Resümee kommen, müssen wir feststellen – die Ministerin hat es vorhin schon gesagt –, nach dem KJHG, dem Kinder- und Jugendhilfegesetz, ist die Förderung der Entwicklung junger Menschen und deren Erziehung zu einer eigenverantwortlichen, gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefordert. Das ist so wichtig wie noch nie.
In einer Zeit, in der familiäre und gesellschaftliche Bindungsstrukturen zunehmend schwinden, gewinnt die Kinder- und Jugendhilfe eine entscheidende gesamtgesellschaftliche Bedeutung.
Sie entwickelt sich neben Familie und Schule zur dritten tragenden Säule bei der Entwicklung junger Menschen, und das ist kein „Gedöns“, wie es einmal ein sozialdemokratischer Bundeskanzler nannte.
Das ist Tatsache!
Aus den Darstellungen der Kollegin Simon könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Botschaft angekommen ist; aber auch schon in der Bibel steht: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
Kommen wir zu den Regierungstaten. Bei den Hilfen zur Erziehung sind die Landeszuwendungen seit 15 Jahren gedeckelt, sie sind nicht mehr erhöht worden. Dies bedeutet, dass das Land jedes Jahr die Zuwendungen preisbereinigt um 2 % kürzt. Dies führt dazu, dass den kreisfreien Städten und Landkreisen 80 Millionen Euro, pro Jugendamtsbezirk ca. 2 Millionen Euro, vorenthalten werden, und das pro Jahr.
Darauf kommen wir noch zu sprechen, Herr Kollege.
Das gleiche Modell ist bei der Schulsozialarbeit festzustellen. Vor 15 Jahren mit großer Unterstützung des Landes eingeführt, 30.600 Euro pro Vollzeitstelle gewährt, seitdem gedeckelt. – Das scheint eine Lieblingsform dieser Landesregierung zu sein, etwas einzuführen und die Kostenbeiträge zu deckeln.
Und dann natürlich der Ausbau der Kitas: Wir haben eine Zunahme der Geburten um 20 %, und das Land hat in seinem Doppelhaushalt keinen müden Euro für den Ausbau von Kitas eingestellt.
Für den Zuschussausbau ist kein Geld im Haushalt.
Herr Kollege, 8 Millionen Euro, das sind 5.400 Euro.
Das ist darin ein Thema. Ich weiß schon, was Sie mir sagen wollen. Das sind freiwillige Leistungen und keine gesetzlichen Pflichtleistungen, aber Fakt ist: Wenn das Land die Kommune so ausstattet wie andere Bundesländer, dann brauchen sie nicht einzelne Zuschüsse zu beantragen, sondern dann können sie letztendlich hingehen und selbst diese Leistungen erbringen und versorgen.
Die Ebene, auf der die Sozial- und Jugendhilfeleistungen angesiedelt sind, ist in letzter Konsequenz die Ebene, auf der die Kommunen am stärksten verschuldet sind. Deshalb ist dort dringend Abhilfe geboten. Ich weiß, dass diese Botschaft bei Ihnen kaum Gehör finden wird. Darum ist es gut und richtig, dass sich nach Anrufen durch das Verwaltungsgericht Neustadt nun sowohl das Landes- als auch das Bundesverfassungsgericht damit befassen.
Jenseits der juristischen Bewertung muss dies auch politisch aufgearbeitet werden. Wir vertrauen darauf, dass sich der Wähler an den Taten orientiert. Wahltag ist Zahltag.