Manfred Geis
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......... 3518 Abg. Thomas Barth, CDU:........ 3519 Abg. Martin Louis Schmidt, AfD:..... 3520 Abg. Helga Lerch, FDP:.......... 3521 Abg. Katharina Binz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.................... 3522 Prof. Dr. Salvatore Barbaro, Staatssekretär: 3523
Bei Enthaltung der Fraktion der AfD einstimmige Annahme des Antrags – Drucksache 17/6021 –.................... 3524
Situation der Physiotherapie in RheinlandPfalz Besprechung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU und der Antwort der Landesregierung auf Antrag der Fraktion der CDU – Drucksachen 17/5127/5608/5935 –.... 3524
Verschiebung der Besprechung auf die Plenarsitzung im Mai................. 3524
Entwicklung der Verkehrswende: Umstieg auf E-Mobilität in Rheinland-Pfalz Besprechung der Großen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Antwort der Landesregierung auf Antrag der Fraktionen der SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksachen 17/5296/5746/5970 –.... 3524
Überweisung an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr.................. 3524
Für die Energieversorgung vor Ort: Eigenstromnutzung stärken Antrag der Fraktionen der SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/6022 –........... 3524
Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Erstes Bild: Frühlingssonne, blühende Bäume, Vogelgezwitscher, schöne Aussicht auf weite Landschaft. Wir waren mit dem Ausschuss für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur in Lidice in Tschechien. Gerade diese Idylle ist besonders bedrückend, wenn man weiß und hier noch beklemmender erfährt, was an diesem Ort passiert ist.
Zweites Bild: Vor mir steigt eine alte Frau mit einem Rollator aus dem überfüllten Zug. Mühsam bewegt sie sich vorwärts. Als ich sie anspreche, erzählt sie mir, dass sie 88 Jahre alt ist, vom Altenheim in Neustadt nach Kandel gefahren ist, um gegen die Ewiggestrigen und die neuen Nazis zu demonstrieren. Man könnte ja meinen, sagt sie, auf eine kommt es nicht an, aber ich muss mir ins Gesicht sehen können.
Drittes Bild: Ehemaliges Haus Burgund gegenüber unseres Abgeordnetenhauses, Einweihung des Hauses des Erinnerns, für Demokratie und Akzeptanz. Erfreulich große Resonanz. Eine Initiative von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Mainz, die eine Stiftung gegründet haben, um diesen Lernort zu errichten. Der engagierte Vorsitzende mahnt zur Dialogbereitschaft und fordert auf zu aktivem Erinnern, zum Eintreten für Freiheit und Menschenrechte. Unser Landtagspräsident konkretisiert bei der gleichen Veranstaltung, wir müssen begeistern für Demokratie, beginnend schon bei den Grundschülern.
Viertes Bild: Eine junge Wissenschaftlerin der Uni Trier
schreibt mir nach unserer ersten Debatte, die wir zu diesem Thema geführt haben. Sie bedankt sich, dass wir über Gedenkkultur reden, aber Sie mahnt auch an, die Forschung zu diesem Thema ernst zu nehmen und stärker zu fördern. Sie weist auch darauf hin, dass unser Erinnern oft wieder selektiv ist. Sie nennt zum Beispiel die Frauen als Opfergruppe des Naziregimes. Man könnte genauso Homosexuelle und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nennen, deren Leiden lange nicht angemessen erforscht und gewürdigt wurden.
Solche Begegnungen zeigen deutlich, es braucht den Erhalt und die Pflege der historischen Orte wie Lidice, und es braucht die mutigen Menschen wie die alte Dame in Kandel, die neuen Orte des Erinnerns und des Dialogs wie aktuell jetzt in Mainz und die Förderung von Wissenschaft und Bildung, wie sie Lena Haase angemahnt hat, um Gedenkkultur wachzuhalten. Sie darf nicht stehenbleiben beim bloßen Erinnern.
Sie gibt uns eine Verpflichtung für die Zukunft. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt. Deshalb ist es gut, dass eine breite Mehrheit demokratischer Parteien hinter ihm steht.
Die kritische Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist eine tragende Säule der Demokratie der Bundesrepublik, hat der Historiker Jürgen Kocka vor kurzem in der Süddeutschen Zeitung geschrieben. Das ist unsere Verantwortung, an der wir uns messen lassen müssen. Deshalb bin ich auch stolz auf die Gedenkkultur des Landtags. Ja, es ist uns bewusst, dass dieser Begriff von Gedenkkultur das aktive Erinnern an die Verbrechen des Naziregimes eindeutig in den Mittelpunkt stellt. Das muss auch so bleiben, solange es Verharmloser und Relativierer gibt, und noch schlimmer, Menschen, die andere Menschen wieder unterteilen in werte und unwerte Menschen.
Wir haben demgegenüber deutlich zu machen, was die Traditionen sind, auf die sich unsere Demokratie gründet: Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, Pluralismus und Achtung der Rechte aller Menschen. – Diese Traditionen haben auf dem Gebiet unseres Bundeslandes glanzvolle Ausprägungen, die Freiheitsbestrebungen in der Folge der Französischen Revolution, Höhepunkt das Hambacher Fest von 1832, wo der Anführer des sozialen Protestes der Winzer aus meiner Heimatstadt Dürkheim in seiner Rede vor allem das Vorbild der polnischen Demokraten gelobt hat.
Es verbietet sich deshalb, dass dumpfe Nationalisten meinen, sich in diese Tradition stellen zu können. Jeder sollte sich schämen, wenn er sich für eine solche Geschichtsfälschung hergibt.
Unsere Demokratie wird stark genug sein, diese Herausforderung zu bestehen. Die Gedenkkultur wird dabei eine
wichtige Rolle spielen.
Danke schön.
......... 3171 Abg. Thomas Barth, CDU:........ 3172 Abg. Martin Louis Schmidt, AfD:..... 3173 Abg. Helga Lerch, FDP:.......... 3175 Abg. Katharina Binz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:.................... 3175 Prof. Dr. Konrad Wolf, Minister für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur:..... 3176
Überweisung des Antrags – Drucksqche 17/5409 – an den Ausschuss für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur........... 3177
Von Österreich lernen – Deutsch vor Regelunterricht Antrag der Fraktion der AfD – Drucksache 17/5435 –
dazu: Sprachkompetenz stärken – Deutsch als Schlüssel zur Integration
Antrag (Alternativantrag) der Fraktion der CDU – Drucksache 17/5492 –........... 3177
Ohne Erinnerung keine Zukunft. Zum demokratischen Grundkonsens in Deutschland gehören die Aufarbeitung der NS-Terrorherrschaft und der SED-Diktatur, der deutschen Kolonialgeschichte, aber auch positive Momente unserer Demokratiegeschichte.
Deutschland ist aufgrund seiner Geschichte besonders dafür verantwortlich, die Erinnerung an die Folgen von Diktatur und Gewaltherrschaft wachzuhalten. Dies ist Teil unseres nationalen Selbstverständnisses. So beginnt das Kapitel Gedenken und Erinnern im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Gut so.
Wir haben in Rheinland-Pfalz allen Grund, stolz zu sein auf unsere demokratische Tradition. Tief verankert im Bewusstsein ist die Bedeutung des Hambacher Festes von 1832, aber wir gedenken auch der Vorkämpfer der Mainzer Republik, die nach dem Vorbild der Französischen Revolution am Ort unseres heutigen Landtags versuchten, demokratische Strukturen aufzubauen.
Als Pfälzer sei mir erlaubt,
an die noch früheren Demokratiebestrebungen der sogenannten Schweitzer Republik um das südpfälzische Bad Bergzabern herum zu erinnern. Dort beschlossen bereits am 22. Januar 1793 die Gemeinden, bis zur Aufnahme in die Französische Republik einen Freistaat zu gründen. Die neue Volksvertretung nannte sich Schweitzerischer Landtag. Offenbar sind diese Traditionen fruchtbar bis in die Neuzeit.
Wir werden uns bemühen, im aktuellen pfälzischen Parlament, dem Bezirkstag Pfalz, diese Geschichte stärker aufzuarbeiten und zu popularisieren.
Gedenken und Erinnerungskultur haben vor allem die Opfer von Verfolgung im Blick, zur Zeit leider wieder mit einer Aktualität, die man vor einigen Jahren noch für undenkbar hielt. Man konnte sich nie und nimmer vorstellen, dass die Abkehr von der Erinnerungskultur zum Habitus des neuen Nationalismus geworden ist und – was am schlimmsten ist – diese Töne auch in unseren Parlamenten zu hören sind.
Eigentlich wurde Deutschland im Ausland dafür geschätzt, dass wir vorbildlich mit unserem Erbe umgehen, uns nicht in Ausflüchte und Relativierungen retten, sondern die mahnende Erinnerung, wie vorhin zitiert, Teil unseres nationalen Selbstverständnisses geworden ist.
Wenn wir heute über Verantwortung nachdenken, wissen wir natürlich, dass wir, die wir heute hier sitzen, die Vergangenheit nicht verschulden. Uns trifft trotzdem eine Art Schuld. Wir schulden es den Opfern, alles daranzusetzen, dass Verbrechen wie diese nie wieder möglich sind. Das allererste Mittel hierzu ist die wachgehaltene Erinnerung, heute besonders vielleicht an die Mitglieder der Weißen Rose, die vor 75 Jahren an diesem Tag hingerichtet worden sind.
Es darf sich nichts daran ändern, dass alle Schüler mit dem Thema Nationalsozialismus konfrontiert werden. Die Lehrerausbildung zu NS und Holocaust ist dafür deutlich verbesserungswürdig, wie eine aktuelle Studie zeigt.
Von allen Menschen, die in Deutschland leben, ob sie zugezogen oder hier geboren sind, müssen wir erwarten dürfen, dass sie eine bedachtsame Haltung zu der Vergangenheit dieses Landes einnehmen. Ein positives Beispiel: Auszubildende des Steinmetzhandwerks von der Meisterschule für
Handwerker in Kaiserslautern haben auf dem Friedhof im südfranzösischen Gurs, wohin 1940 alle Juden der Pfalz deportiert worden waren, Grabsteine ausgebessert. Eine Auszubildende, Melanie Ohnemus, hat, gefragt nach ihren Eindrücken, gesagt, dass es angenehm war, diese Arbeit zu leisten.
Über das positive Wort mag man zuerst überrascht sein in diesem Zusammenhang, aber genau das könnte ein Weg sein, Jugendliche für Gedenkarbeit zu gewinnen und ohne persönliche Schuldgefühle emotional zu berühren.
Wir sichern zu, dass Stätten und Geistesgüter der Erinnerung als sichtbare und ideelle Teile unseres Landes geschützt und gestärkt werden. In dem Zusammenhang herzlichen Dank der Landeszentrale für politische Bildung und allen, darunter viele lokale Initiativen, die sich ehrenamtlich engagieren. Mein besonderer Dank gilt der Landesarbeitsgemeinschaft der Gedenkstätten und Erinnerungsinitiativen mit Dieter Burgard als ihrem Vorsitzenden.
Besondere Verantwortung haben wir für die Erinnerung an den Westwall. Wir haben eine Landesstiftung „Grüner Wall im Westen – Mahnmal ehemaliger Westwall“ gegründet, die die Anlagen erhält, aber auch perspektivisch politischhistorische Bildungsarbeit unterstützen kann.
Gedenken muss sich immer messen lassen an unserer Bereitschaft, Verantwortung für eine humane, demokratische Gegenwart und Zukunft zu übernehmen und dafür einzustehen. Nur eine Gesellschaft, die ihre Minderheiten schützt, die Individualität statt vermeintlicher Gruppeneigenschaften in den Mittelpunkt stellt, in der die Würde des Menschen der höchste Zweck ist, kann von sich hoffen, gegen nationalistische und rassistische Perversionen gewappnet zu sein.
Danke schön.
Meine Kolleginnen Helga Lerch und Eveline Lemke haben für den Kulturbereich alles Notwendige zum aktuellen Haushalt gesagt. Ich erzähle Ihnen lieber eine Geschichte, die ich im Winter erlebt habe und die sich mir eingeprägt hat: Ein Wiegenlied, das eine jüdische Komponistin im Lager Theresienstadt ihrem Kind vorgesungen hat, gespielt von dem Cellisten Alexander Hülshoff, dem künstlerischen Leiter der Villa Musica, und dem peruanischen Gitarristen Alexander-Sergei Ramirez. Beide sind Professoren an deutschen Hochschulen. Sie haben im Rahmen des Programms „Musik in Synagogen“ gespielt, allerdings in einer eiskalten christlichen Kapelle, weil die Deidesheimer Synagoge gerade renoviert wird. – Welch wunderbare Verbindung verschiedener Kulturen!
Da kommt einiges zusammen, was wichtig ist, was Kultur ausmacht, was menschliche Kultur ausmacht. Das haben wir zu fördern. Kein eingrenzender Kulturbegriff, keine deutsche Leitkultur,
sondern eine an den Prinzipien der Erklärung der Menschenrechte orientierte Kultur. Eine teilhabeorientierte, inklusive, anderen kulturellen Einflüssen mit Respekt begegnende und diese Anregungen aufnehmende Kultur ist unsere Richtschnur.
Es gibt eine unselige Unterscheidung im Kulturbereich zwischen Hoch- und Breitenkultur. Für uns heißt das, zwischen den großen, damit auch teureren Institutionen des Kulturbereichs, den Theatern, Orchestern und der freien soziokulturellen Szene. Wir dürfen uns keinesfalls darauf einlassen, hier aufzurechnen; Eveline Lemke hat es auch schon zu Recht gesagt.
Ich möchte vielleicht in Stichworten noch drei andere Themen ansprechen. Bei dem ersten Thema möchte ich zu Herrn Wirtschaftsminister Dr. Wissing linsen. Ich wünsche mir von der Politik insgesamt, dass wir der Kultur- und Kreativwirtschaft doch mehr Aufmerksamkeit schenken. Das gilt für junge Filmemacher und damit für das Reizwort „Filmförderung“, das gilt aber auch für bildende Künstlerinnen und Künstler, für Designerinnen und Designer usw.
Nun linse ich zu Frau Bildungsministerin Dr. Hubig. Kultur ist auch eine Querschnittsaufgabe zum Bildungsbereich. Kulturelle Bildung wird nach und nach auch von Bildungspolitikern als zentrale Aufgabe erkannt. Im Haushalt sind die Mittel für das Projekt SIMUKI und für die Generation K ein deutlicher Beleg.
Kulturfinanzierung kann nur im Zusammenspiel der verschiedenen politischen Ebenen funktionieren, und die Basis dafür wird immer das Bewusstsein sein, das die politischen Entscheider für diesen Bereich haben. Dass ich mir dabei mehr wünsche, muss ich nicht betonen.
Das gilt auch für unser aktuelles Hauptsorgenkind, die kommunale Kulturfinanzierung. Unsere Aufgabe ist es aufzupassen, dass die Rahmenbedingungen durch zu rigide rechtliche und verwaltungsmäßige Vorgaben nicht noch stärker den Spielraum für die einschränken, die die Bedeutung von Kulturellem auch für die Kommune erkannt haben.
Ich komme zum Schluss. Schon lange sehe ich beruflich die Kultur auch aus Politikersicht, und ich sehe natürlich auch, wie die Kulturszene uns oft sieht – als diejenigen, die Geld geben oder nicht geben. Wenn das alles wäre, hätte ich daran wenig Spaß. Wichtig ist der interne und gegenseitige Respekt für das, was wir ernsthaft machen, das heißt, von einem Politikfeld zum anderen und von einer kulturellen Sparte zur anderen und von der Politik auf die Kultur und umgekehrt. Das war jetzt vielleicht ein bisschen kompliziert, aber man kann ja darüber nachdenken.
Deshalb bleibe ich dabei: Das Aufrechnen und abstrakte Vergleichen bringt nichts. – Respekt haben, Kultur erleben, indem man auch hingeht, ist wichtiger. Dann wird man auch angemessen entscheiden im Rahmen der Möglichkeiten. So ist halt nun einmal die Politik.
Danke schön.