Ute Erdsiek-Rave

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16/8 16/19 16/31 16/120

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Landtagspräsident, ich bin seit 22 Jahren Mitglied dieses Landtags. Ich denke, ich habe alle Entscheidungen, die ich hier getroffen habe, immer nach bestem Wissen und Gewissen getroffen. Das gilt auch heute.
Im Einvernehmen mit meiner Fraktion möchte ich als Abgeordnete und zugleich als stellvertretende Ministerpräsidentin mein Abstimmungsverhalten erklären.
Ich habe in den zurückliegenden vier Jahren eine Regierungsarbeit mitgestaltet, die von notwendigen harten Konflikten, aber zugleich von dem Bemühen um gemeinsame Lösungen und um Konsens und Kompromisse bestimmt war. Ich habe die gefundenen Kompromisse nach außen vertreten, und ich habe dabei Widerstände aus Teilen der Koalition, aber ebenso auch große Rückendeckung erfahren.
Ich will und werde nicht akzeptieren, dass die heutige Abstimmung ein Scheitern der Großen Koalition in ihrer Regierungsarbeit ist. Politik wird von Menschen gemacht. Sie lebt von verschiedenen Persönlichkeiten, und sie lebt von unterschiedlichen Grundauffassungen und Überzeugungen. Unversöhnlichkeit und Feindschaft darf daraus nicht werden.
Ich habe die Große Koalition immer auch als Chance verstanden, Gräben zuzuschütten und dieses Freund-Feind-Denken zu überwinden. Ich will nicht akzeptieren, dass dies gänzlich gescheitert ist. Ich stimme deshalb einer Auflösung des Landtags, die mit dem Scheitern der gemeinsamen Politik begründet wird, nicht zu.
Diese Erklärung tragen meine Kollegen und meine Kollegin, die Minister Uwe Döring, Lothar Hay und Ministerin Dr. Gitta Trauernicht mit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mittelalter hat man Bäcker, die zu kleines Brot gebacken hatten, an den Pranger gestellt. Das war gewiss eine brutale Form des Verbraucherschutzes, aber sie war von den Bäckerinnungen damals selbst gewollt und wurde von den Verbrauchern begrüßt, weil man verhindern wollte, dass die ehrlichen Bäcker einen Preisnachteil hatten. Im Grunde wurden schon damals die zwei wichtigsten Kriterien des Verbraucherschutzes verfolgt, nämlich Schutz des Verbrauchers vor mangelhafter Ware und Schutz der Wirtschaft vor ruinösen Wettbewerbsbedingungen.
Diese Grundzüge haben sich bis heute nicht geändert. Dennoch ist Verbraucherschutz heute in einer postindustriellen und globalisierten Welt natürlich eine wesentlich umfassendere Aufgabe. Das Ange
bot an Waren und Dienstleistungen nimmt in rasanter Geschwindigkeit zu und damit eben auch die Schattenseiten, die Fallen, die Nebenwirkungen und die Fußangeln und diese sind für Verbraucher nicht immer ohne weiteres erkennbar.
Gleichzeitig nehmen Umfang und Gewicht europäischer Regelungen zu, während parallel immer häufiger auch Deregulierungsstrategien entwickelt werden. Deswegen ist Verbraucherschutz eine umfassende Querschnittsaufgabe und dementsprechend haben für diesen Bericht, der unter Federführung des Sozialministeriums entstanden ist, auch das Justizministerium, das Landwirtschafts- und Umweltministerium sowie das Wirtschaftsressort zugeliefert. Dafür danke ich in Stellvertretung der zuständigen Ministerin allen Beteiligten.
In dem Bericht geht es zum einen um die so genannten Klassiker des Verbraucherschutzes, also um Verbraucheraufklärung, -information, Ernährungsinformation, gesundheitlichen Verbraucherschutz - Beispiele dafür sind Mogelpackungen und Lebensmittelsicherheit -, zum anderen nehmen der allgemeine und europäische Verbraucherschutz zunehmenden Raum ein. Auch das lässt sich in diesem Bericht ablesen.
Erstens einige Bemerkungen zum europäischen Verbraucherschutz! Die rechtlichen Vorgaben werden in Zukunft in noch stärkerem Maße durch die Europäische Union erfolgen, die zum einen eine stetige Liberalisierung der Märkte und zum anderen eine Harmonisierung der Verbraucherschutzregelungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft beabsichtigt. Das heißt, nationale Regelungen müssen entsprechend angepasst werden. Deswegen werden die europäische Dimension, die ich eben beschrieben habe, sowie wichtige laufende und geplante Verbraucherschutzformen der Europäischen Union in unserem Bericht abgebildet. Das ist einer der großen Schwerpunkte und ein Wert in diesem Bericht. Damit sind wir vielen anderen Bundesländern einen großen Schritt voraus. Nur NordrheinWestfalen, Brandenburg und Baden-Württemberg sind vergleichbar weit mit einer so umfassenden Darstellung.
Zweitens zum umfassenden Kapitel Verbraucheraufklärung, Verbraucherinformation und Ernährungsinformation! Dieses Kapitel stellt die wichtigsten Verbraucherschutzinstitutionen in Schleswig-Holstein vor - das Landeslabor, das Landesamt für Gesundheit und Arbeitssicherheit, die Eichdirektion, die Verbraucherzentrale, das Europäische Verbraucherzentrum, die Deutsche Gesellschaft für
Ernährung und das Netzwerk Ernährung - und es skizziert mit dem Verbraucherinformationsgesetz die aktuelle Rechtslage. An der Zahl und der Verschiedenheit der Institutionen, die mit Verbraucherschutz in Schleswig-Holstein befasst sind, sieht man, wie umfassend die ganze Problematik ist.
Drittens. Der allgemeine Verbraucherschutz erhält aufgrund der aktuellen Entwicklungen in vielen Bereichen ganz besonderes und immer größer werdendes Gewicht. Dabei geht es zum Beispiel um die Themen, die ständig in der Presse diskutiert werden, also um die kostenlose Sperrung teurer Mehrwertdienste für die Handynutzer - dabei gucke ich besonders die jungen Menschen hier oben auf der Tribüne an -, um den Schutz vor Werbeanrufen, vor Spamming, also vor der Versendung unerwünschter Spam-Mails, und vor dem so genannten Phishing, also dem Abfangen geheimer Zugangsdaten für das Online-Banking. Es geht auch um die Patientenrechte und die Gültigkeit von Patientenverfügungen; dies ist ein hoch wichtiges, aber auch umstrittenes Thema. Dann geht es um das Recht jeder Bürgerin und jedes Bürgers auf die Einrichtung eines Girokontos, um Transparenz und Vergleichbarkeit von Versicherungen, um den Schutz vor regionalen Nachteilen etwa bei Versicherungsabschlüssen.
Der vierte Komplex ist der gesundheitliche Verbraucherschutz. Er hat gerade in den letzten Wochen im Zusammenhang mit der Vogelgrippe und mit immer wieder auftretenden Lebensmittelskandalen gezeigt, wie absolut unverzichtbar er ist.
Die Prinzipien, bürgernah zu sein, Orientierung zu geben und Bedingungen zu gestalten, gelten für alle Bereiche des Verbraucherschutzes. Sie sind in diesem Bericht abgebildet, sowohl in der Gliederung als auch im Umfang.
Vielleicht kann man diese Prinzipien in einem Satz zusammenfassen und sagen: Verbraucherschutz darf kein Privileg bestimmter Schichten unserer Gesellschaft, also kein Privileg der Gebildeten sein und darf auch keine Frage des Portmonees sein.
Es muss ein umfassendes Recht für alle sein. Verbraucherschutz ist für jeden unverzichtbar. Aufklärung, Orientierung, Hilfestellung sind die Prinzipien. Gerade deshalb sind Sachlichkeit, Neutralität und Wahrheit der Information oberstes Gebot.
Ich glaube, mit diesem Verbraucherschutzbericht wird beides erreicht: zum einen der Schutz des Verbrauchers, also Stärkung der Interessen und Rechte der Menschen, zugleich auch der Schutz der Wirtschaft vor ruinösen Wettbewerbsbedingungen. Des
wegen wünsche ich diesem Bericht, dass er von allen Bürgerinnen und Bürgern intensiv gelesen und genutzt wird, damit er sozusagen ein Handbuch des Verbraucherschutzes in Schleswig-Holstein wird.
Unser Ziel ist es ja, die Verbraucher vor der Anbahnung von Verträgen und vor dem Abschluss von Verträgen vor Missbrauch, Übervorteilung und Täuschung zu schützen. Das wollen wir durch entsprechende Informationsrechte, Rücktrittsrechte, Schadensersatzrechte erreichen, und zwar nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Heranwachsende. Sie brauchen wahre, verständliche und vor allen Dingen leicht zugängliche Informationen, die transparent sind und Vergleichbarkeit sichern. Nicht zuletzt sind dazu neutrale Einrichtungen wie die Verbraucherzentralen notwendig. Solche Anlauf- und Informationsstellen sind absolut unverzichtbar. Deswegen haben wir die Präsenz der Verbraucherzentrale in Schleswig-Holstein mit ihren Standorten im Koalitionsvertrag verankert.
Es geht in Zukunft darum, wie in allen Bereichen, die angesprochen worden sind, den präventiven Verbraucherschutz zu stärken. Deswegen gehören Initiativen zu einer altersangepassten, altersangemessenen, gesunden Ernährung dazu, die ich als Bildungs- und Frauenministerin natürlich ganz besonders begrüße. Eine gesunde Lebensweise ist gerade für Kinder und Jugendliche unverzichtbar. Da haben wir zum Teil ganz erheblichen Aufklärungsbedarf,
ganz besonders - ich muss es leider sagen - bei Kindern aus so genannten bildungsfernen Schichten. Der Gesundheitszustand von Kindern bildet sich in diesen Verhältnissen der Gesellschaft ab. Das ist ein Zustand, den wir ändern müssen.
Deswegen haben wir ein Programm zur Früherkennung und zur Prävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen entwickelt, außerdem ein Projekt zur Reform der Ernährungs- und Verbraucherbildung an Schulen. Es ist das Projekt REVES. Ich glaube, nur so kann sich der Kreislauf auf Dauer schließen. Verbraucherberatung und -schutz unterstützen den eigenverantwortlichen, mündigen Bürger, und zwar am besten präventiv und von Anfang an.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche diesem Bericht eine weite Verbreitung, eine gute Debatte hier und eine gute Debatte im Ausschuss. Ich hoffe, der Bericht wird das, was wir uns alle wünschen: ein Handbuch für jedermann und für jede Frau in Schleswig-Holstein.
Frau Präsidentin, das geht ganz schnell. Ich schlage vor, dass wir uns im Ausschuss noch einmal mit der neuen Struktur befassen. Herr Kubicki, dann werden Sie sehen, dass die großen Sorgen um die Zukunft der Frauenberatung, die Ihre Fraktion hier geäußert hat, wirklich unberechtigt sind.
Aber ich habe mich aus einem anderen Grund gemeldet. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass an manchen Stellen nicht ganz ehrlich argumentiert wird. Ich höre hier Begriffe wie „Erhalt der Strukturen“. Der Kollege Harms hat sogar gesagt: Weiter wie gewohnt. Ich glaube nicht, dass das Kriterien sind, mit denen wir in Zukunft noch weiterkommen. Wo kämen wir hin, wenn wir an unsere Politik dieses „Weiter wie gewohnt“ als Maßstab anlegten? Dann werden wir weder zu einer Haushaltskonsolidierung noch zu einer Modernisierung der Strukturen in der Verwaltung kommen.
Es geht doch darum, qualitativ hochwertige, regional gut erreichbare, effiziente Angebote vorzuhalten, und das möglichst mit weniger Geld. Ich sage voraus, dass das heißen wird, dass nicht jede Einrichtung in Schleswig-Holstein erhalten werden kann. Ich sehe immer, dass Sie das einerseits in großen Fensterreden fordern, dass dies endlich mal geschieht. Wenn es aber um die kleine Einrichtung im Zusammenhang mit einer Fachpolitik geht, dann soll das auf einmal alles nicht sein, dann bringen
Sie Haushaltsvorschläge, die mit irgendwelchen Luftnummern gedeckt sind.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn es darum geht, effiziente Strukturen zu erhalten und dabei auch zu kürzen - und siehe da, es funktioniert trotzdem -, dann müsste Sie das doch erfreuen, gerade als Haushaltspolitiker. Ich mahne mehr Ehrlichkeit mit uns selber an.
Die Meinungsbildung erfolgt folgendermaßen: In der Amtchefskommission - das hatte ich vorhin dargestellt - zur Qualitätssicherung, die die KMK unter Vorsitz von Herrn Meyer-Hesemann und Herrn Erhard aus Bayern eingerichtet hat, wird diese Frage zusammen mit Herrn Prenzel diskutiert werden, der dort seine Gründe darlegen wird. Wenn es dort bereits Einigkeit gibt, bedarf es keiner Diskussion in der Landesregierung. Im Übrigen ist das in der Regel keine Frage, die Kabinettsrang hat. Darüber stimmt man sich untereinander mit den Beteiligten ab, wenn es um eine grundsätzliche Frage geht. Wenn sich die Amtchefskommission einig ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass die KMK nicht entsprechend entscheiden wird. Sie wissen aber, dass die KMKBeschlüsse einstimmig fallen müssen.
Es war noch gefragt worden, wie ich persönlich dazu stehe. Ich glaube, das habe ich dargelegt. Im Übrigen kenne ich die wissenschaftlichen Gründe von Herrn Prenzel nicht. Ich bin immer bereit, mich von Wissenschaftlern, wenn sie gute Gründe haben, überzeugen zu lassen.