Bernhard Vogel

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Sehr verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Präsidentin, Sie haben mich beschämt. Ich wollte nur zum Thema etwas sagen, werde das auch gleich tun. Ich möchte mich aber nach den Worten von Ihnen doch, ohne dass ich den Auftrag habe, im Namen der Gruppe von Abgeordneten, die nicht mehr kandidieren, also sicher nicht mehr in den Landtag zurückkehren, doch bedanken und sagen, es war alles in allem, trotz allem Streit und trotz aller Auseinandersetzungen, eine gute Zeit. Ich glaube, wir sind alle dankbar, dass wir diesem Landtag angehören durften, in der 3. Legislaturperiode alle und viele von uns über viele Jahre mehr. Für mich persönlich geht eine insgesamt 30-jährige Zugehörigkeit zu deutschen Landtagen und zum Deutschen Bundestag mit dem Ende der Legislaturperiode zu Ende. Man sollte jungen Leuten auch einmal sagen, es macht Freude und erfüllt ein Leben, wenn man einen solchen Dienst tun darf. Herzlichen Dank.
In der Tat, ich habe mich längere Zeit nicht zu Wort gemeldet, weil ich ja viele Jahre genügend Gelegenheit dazu hatte, aber heute bei diesem Thema wollte ich eben nicht schweigen. Sehen Sie mir das bitte nach, die Frau Präsidentin hat schon darauf hingewiesen, ich war zu lange Kultusminister und habe mir übrigens später bei der Auswahl meiner Kultusminister immer ganz besondere Mühe gegeben, wie Sie nachvollziehen können - Sie können dabei auch an Frau Laurin denken, wenn Sie wollen.
Meine Damen und Herren, man muss den Initiatoren zu dieser Enquetekommission, glaube ich, dafür danken - ich habe gehört, ich bin der Erste, der der Enquetekommission nicht angehört hat, der hier spricht. Dann darf ich vielleicht gerade deswegen auch allen Mitgliedern, den Landtagsabgeordneten, den wissenschaftlichen Mitgliedern und allen, die mitgearbeitet haben, für diese Arbeit herzlich danken. Denn das Beratungsergebnis weist über den Tag in seiner Bedeutung hinaus und ist von Bedeutung für die Schulentwicklung zumindest im Freistaat, vielleicht und hoffentlich sogar darüber hinaus und hat größere Bedeutung, als das diese Diskussion heute Vormittag am Ende der Legislaturperiode ausdrücken kann. Aber aus gutem Grund sind wir in Legislaturperioden eingeteilt, das ist übergreifend richtig. Die Arbeitsergebnisse, die hier vorliegen, haben, glaube ich, längerfristige Bedeutung. Ich wünsche mir, dass viele sich die Mühe machen, und eine Mühe ist es schon das gesamte Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen. Insbesondere, meine ich, sollten wir alle Lehrerinnen und Lehrer und alle, die mit der Schule zu tun haben, auffordern, wenn irgend möglich, sich dieses Ergebnis vor Augen zu führen. Es ist ein Ergebnis in einem schwierigen Diskussionsfeld, denn nicht nur ist über nichts länger und intensiver als über Bildungsfragen diskutiert worden in Deutschland, sondern bei keinem Bereich ist die Zahl der Experten größer. Sie können das sogar als Werbeslogans im Mitteldeutschen Rundfunk jeden Morgen hören. Die Zahl der Experten ist fast unbegrenzt. Das gute Klima, das in dieser Kommission geherrscht hat, Frau Pelke, hindert ja nicht, unterschiedliche Meinungen auszudrücken, im Gegenteil. Ich halte für besonders erfreulich die intensive Befassung mit der frühkindlichen Erziehung, denn hier ist meiner Ansicht nach wirklich ein Punkt, der in der deutschen bildungspolitischen Debatte in den vergangenen Jahrzehnten zu kurz gekommen ist.
Es ist ein echter Fortschritt zu verzeichnen. Während in anderen Feldern man ein bisschen ermüdet, wenn man feststellen muss, was vor 30 Jahren Reformforderung war, wird heute Abschaffungsforderung. Was vor 30 Jahren abgeschafft worden ist, wird heute Reformziel. Dieser Tage hat mich eine Elterninitiative aus Brandenburg aufgesucht, die anstrebt, eine reine Bubenschule zu gründen, denn es sei eine schreckliche Benachteiligung der Buben, die Mädchen würden alles beherrschen.
Meine Damen und Herren, als ich Kultusminister wurde, war nichts verpönter als die nichtkoedukative Erziehung. Übrigens, bei den Kindergärten, man hat lautstark gefordert, lasst Pädagogen, lasst die Finger davon, lasst die Kinder wenigstens bis zum 6. Lebensjahr ohne bildungspolitischen Einfluss spielen und sonst gar nichts tun. Hier, im Gegensatz zu anderen Feldern, liegt ein echter Fortschritt und, ich glaube in der Tat, dass wir hier wichtige Aufgaben haben. Allerdings ist das auch ein Bereich, wo hinsichtlich der Einrichtungen nun wirklich einmal der Westen vom Osten lernen kann. Wir sind hier besser aufgestellt.
Das gilt nicht unbedingt für die Pädagogik, aber das gilt sicher für die Einrichtungen. Überhaupt glaube ich, brauchen wir uns beim Thema Schule von Seiten der neuen Länder gegenüber den alten nicht zu verstecken. Es gibt da eine ganze Reihe Initiativen, vor allem aus Thüringen, die fruchtbar gewesen sind und fruchtbar sind. Vier plus acht, was war das ein Kampf, dass das geduldet wurde. Und jetzt, man höre und staune, machen es sogar die Bayern nach und verkürzen das Gymnasium auf acht Jahre. Wer hätte das gedacht? Ich füge als ernsthaften Beitrag von uns zur gesamten Bildungsdiskussion auch das Modell der Regelschule hinzu. Erlauben Sie mir eine Bemerkung zum Kapitel Schulstrukturen. Wie verträgt sich unser gegliedertes Schulsystem mit der Forderung nach Bildungsgerechtigkeit und der Förderung der Leistungsfähigkeit? Es ist schon darauf hingewiesen worden, der Bericht spricht von erheblichen Schwankungen der Leistungsfähigkeit des gegliederten Schulsystems. In Deutschland belegt die PISA-Studie, am besten schneiden die Länder in Deutschland ab, die sich am klarsten zum gegliederten Schulsystem bekennen, nämlich Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen.
Die Länder mit einem klaren Gesamtschulprofil schneiden am schlechtesten ab, wobei ich selbstverständlich weiß, wir allesamt schneiden insgesamt bei PISA schlecht genug ab. Aber das ist eine andere Frage. Die Enquetekommission hat in diesem Punkt, wie bekannt, keine einheitliche Position gefunden. Drei Denkrichtungen haben sich zu Wort gemeldet mit unterschiedlicher Einschätzung. Die eine Denkrichtung führt strukturelle Mängel auf zu früh einsetzende Auslese zurück und fordert eine Verlängerung des gemeinsamen Lernens mindestens bis zum 8. Schuljahr. Die zweite Denkrichtung fordert für ein modernes Schulsystem für die Sekundarstufe I, also fünf bis acht oder neun, zwei Bildungsgänge, das Gymnasium als akademisch ausgerichteten Bildungsgang und die Regelschule als einen an praktischen Lebensanforderungen ausgerichteten Bildungsgang und fordert, die Bildungsgänge müssten nach dem 4. Schuljahr einsetzen. Die dritte Denkrich
tung neigt zwar der ersten zu, zögert aber, das gemeinsame Lernen aller Kinder bis zum 8. Schuljahr zu fordern, weil dazu der breite Konsens fehle. Und der breite Konsens ist erforderlich, weil es sonst zu einer Aufspaltung der Bildungsgänge kommt. Weil dort, wo die Gesamtschule vorhanden ist, es
zu einer Flucht der Eltern und der Schüler aus dem staatlichen Schulwesen in das private Schulwesen führt, wofür Berlin mit einem besonders häufig kritisierten staatlichen Schulsystem das sprechendste Beispiel ist.
Wir wollen, meine Damen und Herren, wenn ich das recht verstehe, natürlich Privatschulen, wir haben uns immer für sie eingesetzt, weil wir Konkurrenz und Alternativen wollen, aber es wäre eine völlige Missinterpretation der Rolle von Privatschulen, wenn sie Auffangschulen für aus dem staatlichen Schulsystem flüchtende Eltern bzw. Kinder würden. Dieser Gefahr muss Einhalt geboten werden.
Ich möchte mich eindeutig für das gegliederte Schulsystem aussprechen. Auch wenn die Forderung nach möglichst langem gemeinsamen Lernen sehr sympathisch klingt, ja verführerisch klingt, ich halte sie für eine gefährliche Parole, die nicht zu einer Besserung, sondern zu einer Verschlechterung führen würde.
Dass sie Anhänger findet, erklärt sich auch deswegen: Welche Eltern, die ihr Kind lieben, hoffen nicht, dass sie so lange wie möglich in die Schule gehen können, die die Eltern für das Kind wünscht, und nicht in die Schule gehen müssen, die nach Meinung der Lehrer für das Kind gut ist. Es muss meines Erachtens frühzeitig begonnen werden, dass jedes Kind seine Chance bekommt. Fördern und fordern ist die Parole. Nichts Schlimmeres, als wenn aus Rücksicht auf die Schwachen nicht nachdrücklich genug gefördert und die Starken nicht nachdrücklich genug gefordert werden.
Es muss individualisiert werden, denn die Menschen und auch die Kinder sind nicht gleich, sondern sie sind unterschiedlich, und Gott sei Dank ist jeder Mensch anders. Jeder hat ein Anrecht auf seine Chance und deswegen auch auf individuelle Förderung.
Herr Döring, wenn ich Sie recht verstanden habe: Förderung hat Vorrang vor Auslese. Ich setzte dem den Satz entgegen: Förderung hat Vorrang vor Gleichmacherei.
Und, Frau Stangner, Sie haben sympathisch oft von Chancengerechtigkeit gesprochen. Chancengerechtigkeit heißt, jedem seine Chance und nicht jedem eine Einheitschance, meine Damen und Herren.
Ich habe nicht gesagt, dass Sie das Gegenteil gesagt hätten, ich greife nur das Wort von der Chancengerechtigkeit auf.
Es ist gut, wenn ich das noch sagen darf, dass wir wieder von Eliten sprechen dürfen. Lange Zeit war das ja unter ein öffentliches Tabu gestellt. Ich bin der Überzeugung, dass man Eliten nicht kaufen kann, sondern dass man zur Elite zu gehören, sich erarbeiten muss,
dass es eigene, besondere Anstrengungen braucht, um zur Elite zu gehören, und dass Elite auch nicht durch eine möglichst hohe Zahl von Abiturienten und Abiturientinnen definiert ist,
weil wir nämlich das Bildungswesen nicht darauf anlegen dürfen, dass wir möglichst viele Eliten unter den Wissenschaftlern und den Gelehrten haben, sondern darauf anlegen müssen, dass es eine Wissenschaftselite, eine Gelehrtenelite, aber auch eine Handwerker- und Unternehmerelite gibt.
Meine Damen und Herren, wenn es eine Politikerelite geben würde, wäre das auch kein Schaden für uns.
Für mich, und darum habe ich darauf hingewiesen, ist die Forderung nach Elite und die gleichzeitige Forderung nach langer Einheitlichkeit ein logischer Widerspruch in sich selbst.
Man muss vorsichtig sein, dass man nicht, was einem, wenn man rhetorisch begabt ist, gelegentlich gelingt, für beides Beifall bringt, für die Forderung lange gemeinsam
lernen und für die Forderung Eliteförderung und niemand hinzufügt, dass beides etwas miteinander zu tun hat. In Salamanca, der ältesten und bedeutendsten spanischen Universität, steht über der Eingangshalle der Satz: "Was Gott nicht gegeben hat, kann auch Salamanca nicht geben."
Meine Damen und Herren, ich glaube, es wäre gut, wenn darauf gelegentlich in der bildungspolitischen Diskussion mehr geachtet würde. Natürlich brauchen wir exzellente Spitzenfähigkeiten. Wir brauchen aber auch Lebens- und Beschäftigungschancen für einfach gestrickte Menschen,
und die dürfen nicht das ganze Leben das Gefühl haben, dadurch benachteiligt zu sein. Was Gott nicht gegeben hat, kann auch Salamanca nicht geben.
Ich glaube, vieles ist wichtig für unser Land. Gegenwärtig wird ja darüber viel diskutiert und das ist gut und in Ordnung so. Langfristig ist allerdings wohl nichts wichtiger als gute Schulen, natürlich der Wirtschaft wegen, aber nicht nur der Wirtschaft wegen, sondern der Chance für ein erfülltes Leben wegen und langfristig ist dafür nichts wichtiger, als gute Lehrerinnen und Lehrer.
Meine Damen und Herren, dieser Enquetebericht ist auch Anlass, dass wir vielleicht ein bisschen sorgsamer mit den Bürgern umgehen sollten, die den Beruf des Lehrers ergriffen haben.
Sie bekommen das Wertvollste anvertraut, was wir haben, nämlich unsere Zukunft, und sie werden gelegentlich in der Öffentlichkeit behandelt, wie man andere Berufsgruppen - Politiker abgesehen - nicht zu behandeln pflegt. Aus diesem Grund nicht nur die Diskussion um den Inhalt, sondern auch der Umgang mit den Lehrerinnen und Lehrern und das Berufsbild, das wir jungen Leuten vermitteln, die diesen Beruf möglicherweise ergreifen, ist wichtig. Vielen Dank, und das war nun endgültig das letzte Wort in diesem Landtag.