Siegfried Jaschke
Sitzungen
Letzte Beiträge
Frau Landtagspräsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, liebe Gäste, insbesondere auch hier noch mal der Gruß an die Mitglieder des Freiheit e.V.,
seien Sie uns willkommen.
Es ist heute ein besonderer Tag, der 13. August. Es jährt sich zum 48. Mal diese Problematik des Mauerbaus mit all dem Drum und Dran, den Reden, der Aussage von Walter Ulbricht. Wenn man dann das hört, was wir eben vernehmen durften, dann erschüttert einen das.
Ich will vorwegnehmen, ich war letzte Woche am Anger zu Wahlkampfzwecken und es sprach mich ein Mensch an und er sagte: Halten Sie wacker durch, dass Sie es schaffen; diese Chamäleon-Partei, die darf nie wieder drankommen.
Sie wissen, wer mit Chamäleon bezeichnet wird. Das ist ein Tier, das die Farbe wechselt bei jeder Situation. Er meinte nicht die Farbe, sondern den Namen und alles, was dahintersteht. Ich habe das Gefühl, Sie lehnen jede Verantwortung für die Vergangenheit ab.
Meine Damen und Herren, in diesem Jahr erinnern wir uns unter anderem an den 20. Jahrestag der
friedlichen Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989 und 1990 rückt uns dabei wieder in besonderer Weise nahe. Wir denken an die Momente dieses wohl aufregendsten Monats unseres Lebens, in dem die zarte Pflanze der Freiheit und der Demokratie durch die Betondecke brach, die das SED-Regime über alle eigenständigen politischen Regungen gelegt hatte.
Erinnern wir uns: Kern dieses Herrschaftsapparates war die kommunistische Staatspartei SED, die ihren Macht- und Wahrheitsanspruch in die Landesverfassung geschrieben hatte, sie exekutierte ihre Klassen- und Parteiherrschaft bis hinunter in den letzten Weiher, bis in jeden Betrieb und bis in jedes Klassenzimmer. Sie versuchte in Massen, Akte der politischen Bestätigung zu organisieren, wie die regelmäßigen Scheinwahlen es dokumentierten. Sie zielte auf maximale Kontrolle durch maximale Einbindung in Staat, in Wirtschaft und auch insgesamt in die Gesellschaft. Die amerikanische Historikerin Mary Fulbrook hat in diesem Zusammenhang den Begriff „partizipatorische Diktatur“ geprägt. Doch die Menschen - und am Ende immer mehr Menschen - wollten das nicht, denn die Grenzen, Formen und Inhalte der Partizipation bestimmte die SED. An ihren abstrusen Führungsanspruch klammerte sie sich noch bis in den November 1989 hinein. Aber weil sich nicht alle damit begnügten, in den Nischen der Gesellschaft zu überwintern und mit nötigen Lippenbekenntnissen die vielen aufgestellten ideologischen Gesslerhüte zu grüßen, deshalb gab es Repressions- und Spitzelapparate. Die schärfste Waffe im Arsenal, Schild und Schwert der Partei, war das Ministerium für Staatssicherheit. Diese Gruppe war auf all jene angesetzt, die nicht nach der Pfeife der SED tanzen wollten, sich nicht nur eine eigene Meinung leisteten, sondern sie sogar gelegentlich aussprachen. Dieser Apparat verbreitete schlicht eines: Angst; man kann es noch mal unterstreichen - Angst. Kein Spitzel wusste, was aus dem wird, was er zu Papier brachte. Am Ende konnten Gorbi-Rufe einen vor den Kadi bringen. Zehntausende politisch Verfolgte und inzwischen Rehabilitierte sprechen eine eigene Sprache.
Meine verehrten Damen und Herren, es fiel mir bereits damals schwer und es fällt mir bis heute schwer, diejenigen zu verstehen, die sich für den Aufbau des SED-Regimes und sein politsches Überleben als einen von der SED gelenkten Staat eingesetzt haben. Diesem Sozialismusexperiment auf deutschem Boden hat die historische Legitimität von Anfang an gefehlt. Ich sehe bis heute nicht, welcher Zweck das Mittel der Diktatur heilen sollte. Doch war in den letzten 20 Jahren für viele viel Zeit, sich mit ihrem Part in diesem System auseinanderzusetzen, sich von Blendung und Verblendung freizumachen. Auch die CDU Thüringens hat sich in ihrem Grundsatzprogramm noch einmal zu ihrer Mitverantwortung bekannt und damit an das Schuldbekenntnis der Ost
CDU im Dezember 1989 angeknüpft. Es wäre unmenschlich in des Wortes doppelter Bedeutung, Trägern des alten Regimes, die Mitarbeit im demokratischen Verfassungsstaat zu verweigern, natürlich von den Fällen, in denen jemand schwere persönliche Schuld auf sich geladen hat, einmal abgesehen. Spitzeldienste, verehrte Kolleginnen und Kollegen, gehen darüber jedoch weit hinaus. Wer andere bespitzelt, der hintergeht sie, er verrät sie und betrügt sie,
und zwar mit unabsehbaren, für den Spitzel nicht absehbaren Konsequenzen mit einer Einschränkung, dass mit dieser Spitzelei Argumente für einen Repressionsapparat geliefert wurden; das dürfte diesen Spitzeln in aller Regel bekannt gewesen sein. Aus diesem Grunde ist es auch nicht falsch, auf diese Personengruppe noch einmal einen gesonderten Blick zu werfen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Wiefelspütz - Herr Höhn, merken Sie bitte mal mit auf - hat im ersten gesamtdeutschen Bundestag klipp und klar erklärt, dass solche Leute nicht in demokratisch gewählte Parlamente gehören. Der Gedanke, dass Spitzel des MfS und der Kripoabteilung K 1 in Parlamenten sitzen, ist für viele Menschen immer noch und bis heute unerträglich.
Denn zu den Diensten für eine Diktatur im Allgemeinen kommt hier als weiterer Aspekt noch hinzu, was mit einem klaren Wort als Niedertracht bezeichnet werden kann.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, trotzdem gelten nun auch für diesen Bereich menschliche Maßstäbe, die immer relative und vorläufige Maßstäbe sind. Das Leben wäre sonst schwer erträglich. Wie bei jeder anderen Untat spielt, wenn sie eingeräumt und bereut ist, der Zeitablauf auch eine Rolle. Doch wann soll man dieses Thema ruhen lassen? Es gibt dafür keinen objektiven Maßstab.
Wir möchten unser Abgeordnetenüberprüfungsgesetz vor allem aus folgenden Gründen verlängern. Zum einen tauchen noch immer neue Akten auf und noch immer sind nicht alle vorhandenen Akten ausgewertet. Zum anderen gibt es eine Verklärung der DDR und des SED-Regimes. Es wird viel an Lebensweltliches erinnert, die politische Seite aber weitgehend ausgeblendet. Systemträger von einst versuchen sich daran, Herrschaftssystem und Herrschaftspraxis in rosigen Farben zu zeichnen. Das tut der politischen Kultur der Demokratie nicht gut. Deshalb bleibt es für ein demokratisches Parlament wichtig, sich mit früheren Spitzeln in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen; und schließlich sind die Opfer mit diesem Regime noch lange nicht fertig. Welche
Emotionen damit verbunden sind, das hat sich in jüngster Zeit wieder in Erfurt an den Debatten um die Andreasstraße gezeigt. Die ungebrochene Zahl der Anträge auf Akteneinsicht ist ein Beleg für das anhaltende Interesse an umfassender Aufklärung.
Unser CDU-Fraktionsvorsitzender Mike Mohring brachte es auf einen Nenner: So lange die Opfer mit dem Kapitel SED-Diktatur und Stasi nicht fertig sind, darf es der Landtag auch nicht sein.
Ich meine dazu ergänzend: So lange haben wir nicht das Recht, das Ende der Debatte zu erklären.
Ich möchte keine Aussagen treffen über die juristische Seite des vorliegenden Gesetzes und mich auch nicht zum Verfassungsgerichtsurteil näher äußern, trotzdem Ihnen aber meine persönliche Meinung begründen, warum wir heute eine Verlängerung der Gültigkeit des Gesetzes anstreben.
Ausgehend von meiner Rede anlässlich der Konstituierung des 4. Thüringer Landtags, in der ich alle Mitglieder des Landtags ansprach, ich möchte mehrfach zitieren, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, die Sie sich als Vertreter Ihrer Parteien erfolgreich um ein Mandat im Landesparlament beworben haben und durch die Wahl Vertreter aller Bürger des Landes geworden sind, haben die Geschicke des Landes zu lenken. Diese Aufgaben erfüllen die Abgeordneten der Mehrheitsfraktion wie die der Oppositionsfraktionen gleichermaßen; denn beide sind grundlegende Bestandteile der parlamentarischen Demokratie. Vertreter aller Bürger des Landes zu sein, heißt nicht zuletzt für uns alle jedoch, einen Dienst zu leisten, einen Dienst für das Land und seine Menschen. Was Friedrich der Große für sich und seine Zeit gesagt hat, der Fürst ist der erste Diener seines Staates, das gilt erst recht und viel unmittelbarer für die gewählten Vertreter eines demokratischen Parlaments. Ich wünschte mir zum Zeitpunkt meiner Rede vor fünf Jahren sehr, dass dieser Geist unsere Arbeit beseelt. Wir wussten aber auch, dass der 4. Thüringer Landtag auf der Basis einer bestürzend niedrigen Wahlbeteiligung zustande gekommen ist und ich verwies darauf, dass wir darüber nachzudenken haben, ob und gegebenenfalls was wir durch unsere Arbeit dazu beitragen können, dass sich das wieder ändert. Ich zitiere erneut: „Dazu können wir durch eine an der Sache orientierte politische Arbeit beitragen, die jedem im Hause zubilligt, dass er ‚der Stadt Bestes’ sucht, wie es beim Propheten Jeremia im Alten Testament heißt.“ Einen Beitrag gegen den Überdruss nicht weniger Bürger an Parteien und Parlamenten sehe ich aber auch in der Integrität dieses Hohen Hauses. Die Integrität des Parlaments ergibt sich unmittelbar
aus der Integrität von uns Abgeordneten. Sie zeigt sich unter anderem im kollegialen Umgang miteinander, der bei allem Streit aus dem Wissen lebt, dass niemand den Stein des Weisen besitzt und der andere auch recht haben könnte, wenigstens ein bisschen. Sie zeigt sich in der Gabe und Bereitschaft, die Sorgen und Nöte unserer Wählerinnen und Wähler zu teilen, die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Einen Beitrag zur Integrität des Thüringer Landtags leistet aber auch gerade das Abgeordnetenüberprüfungsgesetz.
Meine Damen und Herren, gemäß diesem Gesetz ist unwürdig dem Landtag anzugehören, wer wissentlich hauptamtlich oder inoffiziell mit dem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat. Ich wiederhole: Danach ist unwürdig dem Landtag anzugehören, wer wissentlich hauptamtlich oder inoffiziell mit dem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat. Ich begrüße ausdrücklich, dass wir es noch einmal verlängern wollen. Die Verlängerung dieses Gesetzes wäre ein deutliches Signal, dass der Thüringer Landtag seine Wiederentstehung aus der friedlichen Revolution als Verpflichtung ernst nimmt und keinen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der SED-Diktatur will.
Bei dieser Aussage will ich auch bleiben, auch, obwohl das Thüringer Verfassungsgericht hierbei im juristischen Sinne sich erklärt. Das mag so sein und wurde bereits besprochen. So gibt es in diesem Gesetz auch eine ethisch-moralische Kategorie, der allein Folge leistend sollte eigentlich jede Partei zumindest eines ostdeutschen Parlaments willens sein, ihre Abgeordneten einer Prüfung zu unterziehen und entsprechend dem Ergebnis die Verantwortung tragen und handeln; ja, ich sage, danach handeln.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einige Missverständnisse klarstellen. In den letzten Tagen hat die Debatte einen Zungenschlag bekommen, der falsch ist. Da hieß es sinngemäß, die CDU will sich ein Instrument verschaffen, um kraft eigener Wassersuppe die Abgeordneten Kuschel und Leukefeld zu stigmatisieren und damit der LINKEN eines auszuwischen. Das weise ich von uns. Es bedarf keiner Stasi-Debatte, um den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes klarzumachen, dass die LINKE in der rechtlichen, der personellen und der politischen Tradition der SED steht. Aber das ist hier und heute nicht unser Thema,
das tragen wir dieser Tage auf den Straßen und Plätzen unseres Freistaats aus, man spricht von Wahlkampf. Es gibt für alle von uns den Fixpunkt
30.08.2009.
Zur Verlängerung des Abgeordnetenüberprüfungsgesetzes will ich Folgendes klarstellen: Gegen ein verlängertes und hinsichtlich der K 1 präzisiertes Abgeordnetenüberprüfungsgesetz gibt es keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. In der Anhörung ist aber auch deutlich geworden, dass das Gesetz jetzt verlängert werden muss, da eine Verabschiedung zu Beginn der neuen Legislatur einen Eingriff in ein laufendes Mandat darstellen würde. Diese Novelle jetzt und heute schafft jedoch die Möglichkeit, in der nächsten Legislaturperiode alle Abgeordneten dieses Hauses nochmals zu überprüfen. Auf die Bedeutung der Zeit in diesem Zusammenhang habe ich bereits hingewiesen. Ein Sachverhalt muss im Jahr 2010 nicht zwingend genauso bewertet werden, wie im Jahr 2000 oder im Jahr 1990. Wer das Gesetz in Gänze zur Kenntnis nimmt, der sieht überdies, dass ein mehrstufiges und differenziertes Verfahren abläuft, dass den Betroffenen weitgehende Äußerungsrechte einräumt. Auch in der Vergangenheit hat nicht jede Einzelfallprüfung zum gleichen Ergebnis geführt. Sodann sollte jedem klar sein, dass die CDU in diesem Punkt allein gar nichts vermag. Die für Kolleginnen und Kollegen belastenden Beschlüsse können nicht mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Dieses Überprüfungsverfahren ist deshalb keine politische Waffe für eine einzelne Fraktion. Das kann es schon nach seiner Konstruktion gar nicht sein.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, deshalb appelliere ich eindringlich an Sie, insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen von der SPD, diese Gesetzesänderung mitzutragen. Die Erinnerung an die friedliche Revolution vor 20 Jahren wird und muss der Beschäftigung mit dem SED-Regime und dem Nachdenken über die Elemente totalitärer Herrschaft in der DDR einen kräftigen Schub geben. Es wäre fatal, wenn der Thüringer Landtag ausgerechnet in diesem Jahr sagt, wir breiten den Mantel des Vergessens über dieses Thema und schrauben die Ansprüche an unsere Abgeordneten herunter.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Nun sind Sie dran, sich zu entscheiden und zu handeln.