Protokoll der Sitzung vom 20.09.2000

- Ich komme zum Schluss. - Bis zu diesem Zeitpunkt verschieben Sie weitere Aktivitäten in der Übertragung von Aufgaben auf die Städte und Gemeinden. Sie schaffen Behältnisse und lassen offen. mit welchem Inhalt Sie sie füllen wollen. Das Problem der kommunalen Finanzausstattung lässt sich dabei nicht aussparen. Auch wenn Sie. Herr Minister, Eckpunkte für 200 I angekündigt haben, wird es dabei bleiben. dass ein kommunales Finanzausgleichsgesetz nicht vor dem Jahr 2004 vorgelegt wird. Wir fordern mit aller Entschiedenheit, dass daran gearbeitet wird. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Schippe!.

Schippe' (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung legt heute unter dem Titel _Starke Gemeinden für Brandenburg" ihre Leitlinie]] für die Entwicklung der Gemeindestrukturen vor. Man muss es noch einmal unterstreichen: Der Titel sagt. worum es geht. Es geht um starke Gemeinden für Bran

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denburg. Das sollte uns allen bewusst sein. Denn wir brauchen diese starken Gemeinden. die die politische. kulturelle und soziale Grundlage für die Menschen. die dort wohnen. bilden. Schließlich spielt sich das Leben nun einmal dort ab.

Was bedeutet _starke Gemeinden"? Starke Gemeinden heißt auch Leistungsfähigkeit und Finanzen. Ihnen allen - auch der PDS-Fraktion - ist klar. dass die finanziellen Ressourcen und die Vel-13,altunusressourcen zusammengefasst werden müssen. Dabei denke ich an das Jahr 201[4 - Länderfinanzausgleich -. an das Jahr 2006 - Regelung in der Europäischen Union, wo Brandenburg voraussichtlich nicht mehr Ziel-1-Gebiet ist, was zu finanziellen Einschnitten führt.

Eine starke Gemeinde bedeutet für uns gelebte Demokratie. Dazu gehört önliche Identität Wenn Sie an den Veranstaltun

gen teil genommen haben. dann haben Sie mnbekommen. dass die Ängste dann bestanden. dass gesagt 1s urde: Die nehmen uns das Dorf weg. Ich selbst komme aus einer 200-Seelen-Gemeinde. Ich war dort Gemeindevorsteher. Wichtig für die örtliche Identität ist sicherlich. dass der Ortsname stimmt. damit die Menschen wissen. wohin sie gehören. Ich überspitze das jetzt ganz bewusst und bitte. das als Überspnzung zu verstehen. Das Zweite, was in meinem Ort wichtig ist weil wir keine Kirche haben, ist das Kriegerdenkmal. weil daraus die Historie des Ortes. der Menschen. der Familien ersichtlich ist. Das Dritte ist die Feuerwehr. Das ist der Verein. der das Leben im Dorf organisiert und bestimmt. Das ist Identität und nicht irgendwelche wilden Begriffe.

Demokratie heißt sieherlieh bei amtsfreien Gemeinden dann Ortsteilverfassung. Wir sollten uns davor hüten, in diese Ortsteilverfassung so viel wie möglich hineinzuschreiben. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir sollten den Kommunen die Möglichkeit eröffnen. sieh eine eigene Ortsteil'. erfassung zu geben und wenn sie es wollen - einen Ortsteilvorsteher oder einen Ortsteilbürgermeister zu wählen. Das sollen die Kommunen selbst entscheiden. denn dort. wo es gut funktioniert. wollen es die Kommunen vielleicht nicht. Wir wollen kommunale Selbstverwaltung ermöglichen.

Die SPD-Fraktion verfolgt diese Ziele schon etwas län ger. Insofern müssen wir ein wenig in die Geschichte gehen. Im Jahre 1997 wurden diese Überlegungen durch den damali gen Innenminister Ahnin Ziel öffentlich gemacht. Aufgrund der einsetzenden öffentlichen Diskussion hat der Landtag die Einsetzung einer Enquetekommission beschlossen. Ich war Mitglied dieser Enquetekommission. Wir haben einen bestimmten Zeitrahmen gewählt. lin Frühjahr 1999 sollte es eine Empfehlung der Enquetekommission gehen. um den Bürgern rechtzeitig vor der Wahl zu sagen. dass Veränderun gen in der Gemeindestruktur zu erwarten sind.

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Schumann [PDS])

- Herr Kollege Schumann, wir waren uns doch einig. dass Veränderungen notwendig sind. Das kommt auch in den Empfehlungen zum Ausdruck. die Sie mit unterzeichnet haben. Wir waren uns darüber einig. dass am Ende jeglicher Reform eine Regelung stehen muss. Wir wissen. Herr Schumann. wovon wir reden. Wenn der Gesetzgeber Regelungen erlässt. dann heißt das, irgendwann ist das Gesetz. Das ist dann das Ende der Freiwilligkeitsphase. Sagen Sie den Leuten nicht. dass Freiwillig

keit unendlich wäre. Irgendwann muss jede Reform abgeschlossen sein.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Nach der Landtagswahl 1999 wurde die Gemeindegebietsreform als das gemeinsame Ziel der neuen brandenbur gischen Regierung. der Koalition aus SPD und CDU. vereinbart. Im ersten Halbjahr fanden öffentliche Diskussionen - eine Anhörung ist eine öffentliche Beteiligun g - in allen Landkreisen mit allen Ebenen statt. Herr Innenminister. ich zolle llmen und Ihren Mitarbeitern meinen Respekt für diese Veranstaltungen. die ich oft begleitet habe.

Herr Abgeordneter. lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Schippe! (SPD):

Ja.

Priisideni Dr. Kuliblich:

Bitte sehr. Herr Sarrach!

Herr Kollege Schippet. wenn Sie sich erinnern. orientierte die Enquetekommission auf' das Jahr 2003. Stimmen Sie mit mir überein, dass wir mit der Vorla ge dieses Berichtes anderthalb Jahre verloren haben, aber die Zielstellung für das Jahr 2003 nach wie vor erhalten geblieben ist?

Das ist doch korrekt. Ich hatte gesagt, dass vieles mit den Empfehlungen der Enquetekommission übereinstimmt. Auch der Zeitpunkt stimmt. Wir wollten bis zum Jahre 2003 eine Regelung haben.

(Zuruf des Abgeordneten Sarrach [PDS])

Aus diesen Kreisbereistingen wurde dann das Leitbild verfasst. Dieses Leitbild zeigt auf. dass sich ein Teil der Enquetekommission darin wiederfinde!. Kollege Sarrach. auf diesem Feld haben wir so viele Anhörungen durchgeführt. wir haben Fragebögen verschickt und anderes mehr. Man kann nicht sagen. dass die Bürger oder die ehrenamtlichen Bürgermeister nicht beteiligt worden sind. Diese sind seit Jahren beteiligt. Diese sagen uns aber auch. dass jahrelang geredet worden ist und jetzt eine Entscheidung getroffen werden muss..Aufgrund dieser Vorgeschichte steht die heuti ge Befassun g im Landta g auf der Tagesordnung.

Der Innenminister hat bereits auf das DIW-Gutachten verwiesen. Ich möchte auf ein weiteres Gutachten verweisen, das sehr interessant ist. Es ist ein Gutachten. das vom Bund der Steuerzahler in Auftrag gegeben worden ist. Der Bund der Steuerzahler steht Politikern oder politischen Entscheidungen nicht immer sehr freundlich gegenüber. Wenn Herr Prof. Hesse vom Bund der Steuerzahler. der dieses Gutachten erstellt hat. den Weg, den wir jetzt gehen, als den einzig richtigen beschreibt. dann ist das

für mich das Zeichen. dass wir im Interesse des Steuerzahlers Steuerzahler sind Bürger - auf dein richtigen Weg sind. Das sollte man an dieser Stelle berücksichtigen.

Die Leitlinien sind sicherlich ein erster Schritt in die von uns gewollte Richtung. Sie bedürfen - das ist unstrittig - noch einiger Präzisierungen. Das ist auch aus unserem Entschließungsantrag ersichtlich. Der Minister hat diese Präzisierungen zugesagt.

Herr Sarrach. insofern stimmt Ihre Behauptung nicht, wenn Sie sagen_ dass das am Parlament vorbeigeht. Präzisierung bedeutet Veränderung der Gemeindeordnung, bedeutet Veränderung der Amtsordnung und anderes mehr. Wir werden in Zukunft genügend Arbeit haben und uns damit beschäftigen. Sie können Ihre Punkte darin einbringen.

Herr Abgeordneter. es gibt noch eine Zwischenfrage. - Prof. Schumann. bitte!

Kollege Schippet. ist es so. dass es durch den Bericht der Enquetekommission zumindest für das große flache Land eine Favorisi ening des Modells der Amtsgemeinde gegeben hat und wir jetzt in den Vorstellungen des Innenministers eine Favorisierttil g der Einheitsgemeinde haben? Für mich ist das unübersehbar. Wie beurteilen Sie diese Akzentverschiebung. und tragen Sie diese mit?

Schippe' (SPD):

Ich beginne mit dem Zweiten. A) trage ich das mit. b} stimmt die Wahrnehmung, die Sie dort geschildert haben. Kollege Schumann. mit dem von uns entwickelten zweistufigen Amtsmodell haben wir wahrscheinlich die Leute im Land nicht vorn Hocker gerissen. Das kam auch zum Ausdruck. Die Frage ist: Wenn es das nicht ist, gibt es ein anderes Modell, das dann logischerweise mit dem Koalitionspartner durchzusetzen ist? Das ist die Weiterentwicklung des Amtes. die noch näher beschrieben werden muss. Darin sind wir uns vollkommen

(Zuruf des Abgeordneten Prof. Dr. Schumann [PDS]

Es kann nicht nur um Gemeindegröße oder Amtsgröße gehen. sondern es geht uni Aufgabenübertrauung und Ähnliches.

Lassen Sie mich als letzten Punkt auf die Finanzierung eingehen. die in unmittelbarem Zusammenhang damit steht. Nach dem Koalitionsvertrag - das hatte der Innenminister bereits gesagt - sollte das Finanzausgleichsgesetz zur dauerhaften Regelung finanzieller Beziehungen im Jahre 2001 vorgelegt werden. Dieser Termin. Herr Innenminister. soll jetzt auf das Jahr 2004 verschoben werden. Die Begründung ist für die SPD-Fraktion durchaus nachvollziehbar. auch wenn unser Koalitionspartner an anderen Stellen - das muss auch gesagt werden - den Koalitionsvertrag wie eine heilige Schrift durch die Gegend trägt und sagt. dass überhaupt nichts mehr gehe. Wir sehen ein, dass wir das verschieben müssen. Wir brauchen eine verbindliche Aussage. wie es his zum Jahre 2004 weitergehen soll - und

das vor allen Dingen im Interesse der Kommunen und Kreise im äußeren Entwicklungsraum.

Manche stellen sich unter dein Finanzausgleichsgesetz - das habe ich erlebt - das Märchen vom Stemtaler vor. in dein es Geld regnet. Darum geht es bei uns nicht. Es geht um einen Interessenausgleich innerhalb des Landes. Der muss geregelt werden, Insofern, da gebe ich Ihnen Recht. sollten wir bis 2004 warten. Aber wir brauchen bis dahin einige Re gelungen. die Sicherheit in die Kommunen bringen. Ich denke. wir sind 11111 diesen Leitlinien auf einem guten Weg. Wir haben die Bürger beteiligt. Das Parlament wird beteiligt. Wir werden noch viele Sitzungen dazu haben. Ich is einsehe uns dafür einen sachlich

guten Verlauf.

(Beifall bei SPD und CDU)

Danke schön. - Das Wort gellt an den Abgeordneten Firneburg.. Er spricht für die DVU-Fraktion.

Firrieburg (1)“.1):

Hen- Präsident! Meine Damen und Herren! Niemand vermag mehr zu sagen, wie viele Bürgerinitiativen zurzeit für oder gegen etwas im Land aktiv. sind. Man gewinnt den Eindruck. dass der gesellschaftspolitische Konsens der Politik in i t den Bürgern immer mehr zerbröselt und jegliche neu angedachten Gesetze oder Reformen sofort von den Bürgern als Anschlag auf ihre Lebensperspektiven gewertet und demzufolge erbittert bekämpft werden - natürlich oftmals mit mehr als mäßi gem Erfolg dank einer Vielzahl raffiniert ausgelegter juristischer Fallstricke und der heillosen Zerstrittenheit untereinander.

Diese Situation erzeugt bei vielen Bürgern genau die innere Ablehnung, die schlechthin als Politikverdrossenheit bezeichnet wird. Und nun also ein neuer Anschlag in den Augen vieler Bürger und ehrenamtlicher Bürgenneister: Alle Kleingemeinden sollen sich zu so genannten leistungsstarken Großgemeinden zusammenschließen oder - besser noch - sich gleich von den anliegenden Städten eingemeinden lassen.

Doch was sind eigentlich leistungsschwache Gemeinden und seit wann sind sie das? Sind damit Gemeinden angesprochen. die es schafften, viel älter als 500 Jahre zu werden, und dabei sogar den verheerenden Dreißiährigen Krieg überstanden haben? Oder werden sie dank der unsinnigen politischen Rahmenbedingungen zunehmend finanzschwach?

Es ist also die falsche Politik. mit der jahrhundertealte unabhängige Gemeinden gezwungen werden. sich freiwillig - in Anführungsstrichen - zusammenzuschließen. Diese Freiwilligkeit wird nach dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche betrieben. Gemeinden. die dem so genannten freiwilligen Zusammenschluss noch zuvorkommen, erhalten zusätzlich etwas von dem Geld. das man störrischen Gemeinden. die sich partout nicht zusammenschließen wollen. wegkürzt.

In Wirklichkeit zeigt das Durchpeitschen dieser so genannten Gemeindegebietsreform nicht die Schwäche der so genannten Kleingemeinden, sondern die Schwäche des Landes auf, wirtschaftliche Rahmenbedingungen für seine angeblichen Lan

Binnenhure - 3. Wahlperiode - Plenarprolokoll 1 2.0 -'0 Schamher 1221

deskinder auch in kleinen und unabhängigen Gemeinden schaffen zu können.