Protokoll der Sitzung vom 15.11.2000

13eifall bei der PDS

Ich danke ihnen. Herr Ab geordneter Dr. Trunschke. - Das Wort geht an die Fraktion der CDU. an Herrn Abgeordneten Dr. Ehler,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor wir uns mit dem Thema beschäfti gen. verkneife ich es mir nicht zu sagen. dass ich vor dem turnerischen Großakt der PDS sportlich meine Verbeugung machen möchte. Dass die Apologeten des zweiten und dritten Arbeitsmarktes den Spagat in die visionäre Zukunftsizeselischaft wagen. ist sozusagen das Privileg der Oppo

Bition, wird uns aber bei den nächsten Haushaltsgesprächen interessieren. Wir werden das Thema dankbar aufnehmen und hoffen auf Ihre Initiative in investive und nicht in konsunuive Kosten unseres Haushaltes.

Der Trend_ dass unsere Gesellschaft von der Industriegesellschaft zu einer Informations- und Wissensgesellschaft weiterentwickelt wird, wird von vielen als große Chance begriffen. Andere sehen in der Entwicklung eine Bedrohun g. Wir müssen zur Kenntnis nehmen_ dass es kaum einen Lebensbereich gibt das zeigt der Bericht deutlich -, der nicht von den so genannten neuen Technologien durchdrungen ist. Wir stehen vor der Problematik. dass N1 ir auf der einen Seite dem Einzelnen in unserer Gesellschaft immer stärkere Veränderungen zumuten, auf der anderen Seite aber in diesem Bereich immer stärkere Chancen sehen und das laufende Lernen. die laufende Wissenserkenntnis eine Chance ist. uni die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen.

Gestatten Sie eine Z1.1. ischenfrage. Herr Abgeordneter?

Dr. Eitler (CM 1:

Selbstverständlich.

Vizepräsident !Iahermann:

Bitte schön, Herr Abgeordneter Christoffers!

C'hristoffers (PDS):

Herr Kollege Filier. Bezug nehmend auf Ihre Eingangsbemerkung möchte ich Fol gendes wissen: Könnten Sie mir erklären. warum ausgerechnet die Vertreter der Fraktionen der SPD und der CDU sämtliche ausfinanzierte Anträge zu den Haushaltsberatungen. die sich mit einer Erhöhung des Mittelansatzes für die Kommunikations- und Informationstechnologien beschäftigten, abgelehnt haben und die damals eingebrachten Deckungsvorschläge jetzt zur Deckeleng der globalen Minderausgabe genutzt werden?

Ich schließe aus der Erkenntnis, dass Sie eine ganze Reihe von Vorschlägen in verschiedenen Bereichen gemacht haben, dass damit aber die Deckung des Haushaltes insgesamt nicht mehr gewährleistet gewesen wäre.

(Beifall des Abgeordneten Schippe' [SPD])

Es ist das Privileg der Opposition. in jedem Bereich alles vorzuschlagen. und es ist die Last der Landesregierung und der Koalition zu prüfen. ob dafür eine Finanzierung vorhanden ist.

(Beifall bei CDU und SPD)

Die Entwicklun g zu einer Informations- und Wissensgesellschaft ist die große Chance für die neuen Bundesländer. Die unglückselige Greencard-Diskussion und die bedauerlicherweise mit fremdenfeindlichen Untertönen geführte Debatte um indische Computerspezialisten hat nie wirklich zum strukturel

len Kern der Problematik geführt. Warum gibt es immer mehr Computerexperten aus den armen Schwellenländern Südostasiens? Die Antwort ist einfach: Diese Länder haben in den letzten Jahrzehnten eine intensive Phase der Industrialisierung durchlaufen, die zum Teil durch Sozialdumping im negativen Sinne. zum Teil aber auch durch individuellen wie staatlichen Konsumverzicht geprägt waren.

Dennoch war man nur bedingt in der Lage, dadurch die mangelnde Kapitalbasis für eine nachhaltige Industnalisierung auszugleichen. In den letzten Jahren setzten die strukturschwachen Länder. wie beispielsweise Indien. gezielt auf die neuen Märkte der Infonnationstechnoloeien. Das geschah nicht zuletzt deshalb. weil das dafür nötige Kapital im Vergleich zu anderen Bereichen relativ gering ist und die staatlichen Investitionskosten in die Ausbildung in der Relation zur Anzahl der neu zu schaffenden Arbeitsplätze und qualifizierten Arbeitsplätze außerordentlich günstig sind.

Der Vergleich mit Brandenburg wird vielen nicht gefallen_ aber er ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Wir haben in Brandenburg weder den nötigen Kapitalstock der mittelständischen Wirtschaft noch haben wir einen relevanten Lohnkostenvorteil gegenüber nationalen oder europäischen Wettbewerbern. Insofern ist der Aufbruch in die Wissensgesellschaft für uns eine einmali ge Chance. In der globalen Ökonomie werden die Karten seit zehn Jahren neu gemischt. Das neue Kapital heißt Ausbildung. Wissen und Kommunikation.

(Vereinzelt Beifall hei der PDS)

Zwar ist gesellschaftspolitisch ein breiter Aufbruch vonnöten. aber die Chance liegt beim Eintritt in das neue Zeitalter, das scheinbar uneinholbare strukturelle Unterschiede in Europa. vor allen Dingen aber weltweit, auf wundersame Weise nivellieren wird.

Die Unternehmen der MIK-Branche bilden bereits heute einen

der größten Wirtschaftszweige mit den raschesten Wachstumsraten in der Europäischen Union. aber auch in Brandenburg. Informationstechnologie, Medien- und Kommunikationswissenschaft sind eine tragende Säule des Wirtschaftswachstums.

Wir stehen im Übrigen nicht vor der Frage. oh wir diese Entwicklung wollen oder nicht. sondern wir stehen vor der Entscheidung. ob wir die Chancen. die aus dieser Entwicklung resultieren. die ohnehin stattfindet, annehmen und oh wir die Chancen für Brandenburg nutzen können.

Herr Fiimiß hat ein E-Business-Programm für den brandenburgischer) Mittelstand aufgelegt. Dass dieses Vorgehen richtig ist. wird deutlich, wenn wir uns die Zahlen ansehen. 24 0 /, der brandenburgischen Unternehmen verfügen über eine eigene Internetpräsenz. Von diesen 24 'to - das sollte man nicht beschönigen -. die über eine Internetpräsenz verfügen. setzen gerade einmal

1(1°, ) E-Commerce-Lösungen im business-to-business-Bereich oder im business-to-customer-Bereich ein. Das sind im Verhältnis zur Gesamtzahl der Unternehmen in Brandenburg gerade 2,5 0/0. 2.5 "0 der Brandenburger Unternehmen - das heißt. der mittlerweile auch für kleine und mittlere Unternehmen wettbewerbsbestimmende Faktor. die Nutzung von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien. wird von zu wenigen Brandenburger Unternehmen berücksichtigt.

Unter diesem Gesichtspunkt wird deutlich. dass das Landesprogramm für E-Business für den Mittelstand ein erster wirklicher Schritt in diese Richtun g ist. Wenn wir über Rahmenbedingungen reden. die wir für die Informations- und Wissensgesellschaft brauchen. dann reden wir über nichts Neues. Wir reden darüber, dass wir Flexibilisiening. ein einfaches Steuersystem. eine gut ausgebaute Infrastruktur und ein Angebot an Fachkräften benötigen. Aber die Politik ist hierbei in viel stärkerem Maße als in anderen Bereichen gefordert. Reformen schnell voranzubringen und umzusetzen.

Während wir über die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten in Deutschland um zwei Stunden endlos streiten. boomt der 24Stunden-Internethandel. Wir werden in vielen Bereichen von der Realität schlichtweg überholt. Das geht über kommunalpolitische Grenzen weit hinaus.

hen. sind ebenso einleuchtend wie trügerisch. Das ist auch ein Stück weit ein Politikproblem. So zeigen neueste amerikanische Studien, dass gerade für den Erfolg des Internets bei den Schülern die Anzahl der Schulcomputer im Grunde genommen gar nicht so wichtig ist, obwohl wir es grundsätzlich unterstützen. dass möglichst viele Computer in den Schulen vorhanden sind. Man muss aber nüchtern betrachten, dass die Ausstattung von Halbwüchsigen zu Hause ohnehin meist viel besser ist als das. was in den Schulen steht.

Es besteht die Gefahr. dass die Diskussion auf eine statistische Plansoll-Erfüllung reduziert wird. Es ist ein Stück weit Politikproblem. dass uns diese rasend schnelle Entwicklun g entgleitet und oft den statischen und lan gatmigen politischen Reaktionsmustern zum Opfer fällt.

(Beifall bei der PDS) Ich möchte eine Aussage des Nobelpreisträgers Arnlall Sen, einem Inder. zitieren: „Natürlich wissen wir, dass die Marktwirtschaft uns sehr viel Wohlstand bringen kann. Kein anderes System war bisher so effizient. Aber damit wir alle von diesem Wohlstand profitieren können, muss der Staat ab und zu auch Visionär sein. wichtige Din ge. wie zum Beispiel das Internet. voranzutreiben. Die Chancen der neuen Informationstechnologien sind nicht nur wirtschaftlicher sondern auch gesellschaftspolitischer Art. Das ist vollkommen richtig. Das Thema „Ausgleich regionaler Disparitäten-. wie es in Brandenburg immer wieder diskutiert wird, ist vor zehn Jahren in Nordamerika. vor allem in Kanada. diskutiert worden. Die riesigen strukturschwachen Regionen und die Frage des Aufbaus der Universitätsstrukturen sind unter diesem Rubruni diskutiert worden. Die Frage war: Sollen wir Universitäten bauen oder sollen wir Netze bauen? (Zuruf von der PDS)

Insofern ist es eine kritische Betrachtung dessen. was wir in Brandenburg gemeinsam leisten können. Hier sind die Aufgaben für die Zukunft. Wir haben in Brandenburg Nachholbedarf. Je mutiger wir gegen durchaus märkisches Brummeln dieses Thema ins Land tragen, desto größer sind die Chancen, die die zugegebene Vision einer Informations- und Wissensgesellschaft für unser Land bereithält.

Mit Stolz hat Bildungsminister Reiche darauf hingewiesen. dass alle Schulen in Brandenburg seil Ende Oktober über einen Internetanschluss verfügen. Ich denke, das ist wichtig. das ist ein Signal gewesen. An unsere jun gen Menschen wird die Forderung herangetragen. den Umgang mit den Informationstechnologien zu beherrschen. Ähnlich wie die Mathematik- und Deutschkenntnisse gehören die Informatikkenntnisse zu den Grundvoraussetzungen für einen künftigen Arbeitsplatz. In diesem Bereich sind größere finanzielle Anstrengungen. beispielsweise über public-private-partnership. notwendig, uni die Chancen der Informationsgesellschaft für die jungen Menschen verstärkt nutzen zu können.

Dennoch ist ein solcher Bericht der Landesregierung bis zu einem gewissen Grade eine Gefahr. Die Schlüsse, die wir aus der Anzahl - das soll keine Kritik sein - der Schulcomputer zie

Niemand erfasst die Frage. ob Lehrer und Eltern ein gesellschaftliches Umfeld haben. das zu lebenslangem Umlernen ermutigt. Mir scheint das Beispiel des Berichtes über den dramatisch sinkenden Anteil an weiblichen Auszubildenden in den MIK-Berufen - 1997 waren es 21.9 jetzt sind es nur noch 8.8 9ö - oder den geringen Anteil an Intemetnutzem bei den über 50-Jährigen - ich blicke mich hier nicht uni - und bei den Arbeitslosen oder den Behinderten als außerordentlich problematisch.

(Widerspruch bei der SPD)

Ich denke. das Thema ist über wirtschaftspolitische Fragen weit hinaus ein Thema. das Strukturpolitik in Brandenburg in Zukunft bestimmen sollte und bestimmen muss.

(Beifall bei CDU und PDS)

Wir werden IT-Investitionen auch nicht immer subventionieren können und es auch nicht unbedingt brauchen. Aber wir brauchen ein gesellschaftliches Bewusstsein und eine Akzeptanz dafür, um einen wirklichen Aufbruch einer Generation in die Wege zu leiten.

Die Zahlen in der Antwort zu der Großen Anfrage, die in engem Zusammenhang mit dem soeben Erwähnten stehen, sind durchaus ermutigend. Die Vernetzung der öffentlichen Einrichtungen schreitet voran, die Hochschulen verfügen über eine gute Ausstattung und sind in Bezug auf MIK-Technologien gut positioniert.

Besonders wichtig - das möchte ich noch einmal betonen - sind der in Brandenburg oft mit einem gewissen Misstrauen betrachtete Medienstandort Babelsberg und Flag gschiffe wie das Hasso-Platteer-Institut. Hier wurden international Si gnale gesetzt, hier ist der Nukleus für Brandenburgs Weg in eine Wissens- und Informationsgesellschaft. Die in dürftigen Zahlen nicht erfassbare Mischung aus Filmkunst - ich verwende das Wort Filmkunst-.1T-Unternehmen. Hochschulen und kommerziel len Produktionsfirmen bildet dafür den entscheidenden Nährboden.

Meine Damen und Herren, die Antwort auf die Große Anfrage macht deutlich, dass die Politik und die Gesellschaft im Land Brandenburg den Weg in die Infamtations- und Wissensgesell

schaft beschritten haben. An dieser Stelle dürfen wir uns aber weder mit dein Erreichten zufrieden geben. noch dürfen wir dazu übergehen. bestehende Wettbewerbsnachteile zu ignorieren. Die Entwicklung der Informations- und Wissensgesellschaft ist ein Prozess mit sich ständig im Wandel befindlichen Anforderungen.

Die Landesregierung muss dies ressortübergreifend begleiten. Aber auch wir müssen das und wir dürfen es nicht auf die Politik reduzieren. Letztendlich müssen wir alle gemeinsam die Menschen im Land davon überzeugen. Der Aufbruch dazu findet zunächst in den Köpfen statt: die Technik ist nur Mittel zum Zweck.

(Beifall bei der CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Ehler. - Das Wort geht an die Fraktion der DVU. Herrn Abgeordneten Schuldt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren' Mitte der 90er Jahre war es nicht nur möglich, sondern geradezu Pflicht geworden. von einer neuen Revolution zu sprechen, von der Revolution des Internets. einer Revolution der Medien. der Informationsund Kommunikationsmittel also, deren Folgen noch gar nicht abschätzbar sind.

Ich vermisse aber die Erkenntnisse der Landesregierung hei der Beantwortun g der Großen Anfrage. dass es sich in Schwindel erregendein Tempo wie von selbst zu bestätigen scheint. dass wir schon mitten in einem Umsturz aller althergebrachten Verhältnisse. speziell in der Medien-. In formations- und KOMM nikationstechnologie. leben.

Bei einer Fachtagung in Forst. auf der auch Sie, Frau Kollegin Blechinger. ein kurzes Gastspiel gaben. wurde unter dem Leitsatz..E-Commerce, quo vadisr über Chancen und Auswirkungen auf die Menschen in Deutschland debattiert. Besonders wurden die Probleme des Landes Brandenburg. speziell des Standorts Lausitz, in der Medien-. Informations- und Kommunikationswirtschaft von Unternehmensvertretern. Politikern und Hochschulprofessoren aufgegriffen, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.