Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

(Beifall hei der PDS)

In diesem Zusammenhan g möchte ich bereits an dieser Stelle auf den Antrag der PDS-Fraktion zur Bildung einer Enquetekommission verweisen. der dafür eine Mö glichkeit bietet.

Lassen Sie mich zum Abschluss aus dem Positionspapier von Mitgliedern der PDS-Fraktion von 1996 zitieren:

„Daher sind wir der Auffassung. dass ein Neugliederungsstaatsvertrag nur den Abschluss eines tatsächlichen Zusammenwachsens beider Länder bilden kann. Diese längerfristi ge. engere Zusammenarbeit ist politisch sicher unspektakulärer als eine Fusion, birgt in sich aber die Möglichkeit. Perspekti. en für die Region zu erschließen.

Dabei würden Erfahrungen erleb- und nachvollziehbar werden und es würde vielleicht eine breite Zustimmung für eine Fusion von unten wachsen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an den Ab geordneten Heiko Müller. Er spncht für die SPD-Fraktion.

'l I üller (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt vermurtich kaum einen Punkt. an dem wir uns so einig sind wie bei der Frage. wie die Wirtschaftsregion. die sich uni uns henim befindet, denn eigentlich heißen soll bzw. was dies denn eigentlich ist. Wir sind uns alle einig: Wir haben einen Wirtschaftsraum. eine Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg. die wir auch gemeinsam vermarkten müssen. Das ist, glaube ich. überhaupt kein Konfliktpunkt. Es wird auch im Bericht der Landesregierung deutlich. wie weit das schon Realität geworden ist.

Ich will auf einige Punkte hinweisen. die vielleicht immer wieder einmal in Vergessenheit geraten. die aber wichtig sind. die deutlich machen. wo die Zusammenarbeit tatsächlich funktioniert. Unter anderem ist hier zu erwähnen die gemeinsame Bewerbung bei Bundeswettbewerben. beispielsweise Bio-Regio. gemeinsames Büro BioTOP und ähnliche Dinge. Zu erwähnen ist die Absprache bei der Akquisition bzw. geplanten Umsiedlung von Unternehmen, insbesondere dann. wenn es darum

geht. ob ein Unternehmen in Berlin weiter existieren kann wie bisher oder vielleicht aus bestimmten objektiven Gründen sinnvollerweise in Brandenburg angesiedelt wird. Diesbezüglich

gibt es unterdessen vernünftige Absprachen. Die Situation. die wir vor einigen Jahren hatten, dass der eine dem anderen Unternehmen wegzerren wollte, gibt es. glaube ich. nicht mehr. Das ist ein gutes Beispiel für Zusammenarbeit.

Wichtig ist. dass unterdessen eine gemeinsame Landes- und Regionalplanung existiert und funktioniert, und zwar seit einigen Jahren in einer sehr ordentlichen Form. Das ist auch daran festzustellen. dass wir hier weniger häufi g darüber diskutieren. Zu Anfang gab es in einigen Fällen tatsächlich Probleme bezüglich der Umsetzung. Es ist diesbezüglich zwischenzeitlich ruhiger geworden - ein deutliches Zeichen dafür. dass es gut funktioniert.

Wir haben noch einige Dinge auf den Weg zu bringen. Zum Beispiel muss noch die Überlegung zu Ende geführt werden. inwieweit Materialprüfungsämter. Eiche erwaltungen. Bergbehörden und ähnliche Institutionen fusionieren können. uni auch Svnergieeffekte nutzen zu können. uni auch die Belastungen. die sich in den Landeshaushalten widerspiegeln. zu minimieren.

Ein weiterer positiver Punkt ist eine unterdessen ordentliche Zusammenarbeit zwischen den Tourismusmarketinggesellschaften: denn dort wird immer deutlicher. dass in Brandenburg auch ganz wesentlich mit den Attraktionen in Berlin geworben wird und umgekehrt. Das funktioniert sehr ordentlich.

Es gibt auch Überlegungen - Herr Christoffers hat das eben deutlich gemacht -. bei denen man schon genauer überlegen muss. ob dies tatsächlich wie gewünscht funktioniert. zum Beispiel hinsichtlich der Frage einer gemeinsamen Wirtschaftsfördergesellschaft. Das ist vom Grundansatz her sicher eine Idee. über die man miteinander diskutieren kann. Nur, ob das in der Realität nicht eventuell bedeutet. dass die Spezifika von Brandenburg in einer gemeinsamen Wirtschaftsförder gesellschaft ein Stück weit verloren gehen, muss man im Blick behalten; denn zwischen den Regionen bestehen Unterschiede. die nicht wegdiskutiert werden können. Hierbei ist insbesondere unsere Verantwortung für die penpheren Räume zu nennen. Das ist in Berlin nicht Gesprächsgegenstand. ist nicht Berliner Thema. Unser Thema ist es sehr wohl. Wir haben das Leitbild der dezentralen Konzentration. welches hier durchgehalten werden muss. Im Übrigen freuen wir uns. dass die CDU das inzwischen auch so deutlich unterstützt.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD] sowie Bei- fall bei der PDSI Damit ist. glaube ich. eine wichtige Entwicklun g auf den Weg gebracht worden. (Dr. Wiebke [SPD]: Jeder kann sich einmal irren!)

Wir haben natürlich auch andere Überlegungen angestellt. Die Kollegen des Wirtschaftsausschusses können sich vielleicht erinnern. dass wir in Berlin darüber diskutiert haben. wie Arbeitsteilung funktionieren könnte. Ich will hier auch deutlich machen. was in keinem Fall funktionieren wird - nämlich eine Überlegung. die ein Berliner Kollege anstellte -: Wir machen Arbeitsteilung: in Brandenburg wird die traditionelle Industrie angesiedelt - Schwerindustrie. Stahlindustrie usw. - und in Berlin werden die neuen Medien angesiedelt. weil Berlin der Dienstleistungsstandort ist. - Das wird nicht funktionieren. weil genau diese Arbeitsteilung dazu führen würde. dass wir tatsächlich das werden. was viel zu oft noch in den Köpfen von Berlinern existiert. nämlich: ein Anhängsel, das grüne Umland von Berlin. - Das darf nicht passieren.

Was kann in der Zusammenarbeit künfti g besser klappen? Ein Punkt ist für mich ganz wichtig dabei. nämlich die Fra ge. wie wir im Ausland auftreten. An der Stelle haben wir Defizite ohne Ende. Herr Christoffers hat die Fra ge der Vertretung in Brüssel angesprochen. Das betrifft aber auch andere Bereiche. zum Beispiel die Wirtschaftsvertretungen. Wir haben letztens gehört: Dubai wird jetzt ein solches Büro einrichten. Meine Frage ist: Inwieweit ist das ein Berlin-Brandenburger Büro?

Der zweite Punkt. der mir dabei auffällt: Ich war vor einiger Zeit in den USA. Dort ist Deutschland bekannt, ist Berlin bekannt. Brandenburg ist aber vielfach überhaupt nicht bekannt. Reicht die Vertretung. die wir dort haben? Ich behaupte. nein. Wir müssen dort mehr machen. Gerade in solchen Wirtschaftsräumen liegt ein größeres Potenzial. als wir es bisher erschließen. Insofern bleibt die Aufgabe bestehen. in dieser Gemeinsamkeit eine ganze Reihe von Dingen auf den Weg zu bringen.

Der Bericht macht deutlich. dass wir die Probleme erkannt haben und auch auf dem Weg sind. sie zu lösen. Insofern ist dies unter dem Strich ein positiver Bericht. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an den Abgeordneten Schuldt. Er spricht für die DVU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sieht man sieh den vorliegenden Bericht der Landesregierung einmal näher an. so könnte man ihn - nicht im Gesamten. Herr Minister. aber stellenweise - für eine Realsatire halten.

Doch nun zu den Fakten: Der Bericht spricht von einer Zuwanderungstendenz insbesondere aus Berlin. Dies ist vordergründig richtig. Doch betrachtet man die harten Fakten genauer. so bemerkt man, dass hei einem absoluten Bevölkeningszuwachs von 1 000 Personen in Brandenburg zwar 131 000 Personen in den so genannten en geren Verflechtungsraum. also den Speckgürtel rund um Berlin. zogen. aber 120 000 Personen den so genannten äußeren Entwicklungsraum - also die ländlichen Gebiete Brandenburgs - verließen. Die Gesamtregion Berlin-Brandenburg wies übri gens einen Bevölkerungsverlust von über 35 000 Personen auf. Alle Kreise im „äußeren Entwicklun gskreis– büßten Einwohner ein, am meisten der Landkreis Oberspreewald-Lausitz mit 1 524 Menschen. Gewinner der Wanderungsbewegung waren einzig und allein die Kreise Potsdam-Mittelmark. Oberhavel und Havelland mit zwischen 2.7 und 2.9 % Einwohnerzuwachs.

Was das Bruttoinlandsprodukt sowie die wirtschaftliche Entwicklung betrifft. so lag das reale Wirtschaftswachstum im Land Brandenburg im ersten Halbjahr 2000 - Herr Minister, Sie wissen es - bei nur 0.6 "o und damit auf dem letzten Platz aller Bundesländer.

Besonders zynisch wird der Bericht. wenn er zum Thema regionale Wirtschaftspolitik feststellt, dass sieh einerseits Produktivität und Einkommen möglichst rasch an die Altbundesländer annähern sollen, aber andererseits ein unverkennbarer absoluter Unterschied zwischen dem Berliner Umland und den hauptstadtfernen Regionen besteht. Er bele gt dies auch mit einer bis zu 10 % höheren Arbeitslosigkeit in Re gionen wie der Prignitz, der Uckermark oder auch der Lausitz. einem wesentlich niedri

geren Pro-Kopf-Einkommen sowie einer Überalterun g der Bevölkerung.

1532 Landlau Branitenhuru - ‘3. ahlperiode - Plenarpre qokol I 3 - oremher 2000

Aber dass die Mitarbeiter Ihres Hauses, Herr Minister Fürniß. angesichts der Firmenpleiten der Märkischen Faser AG. der Märkischen Viskose GmbH nebst deren Verwaltungsgesellschaft mit fast 500 neuen Arbeitslosen ausgerechnet den Standort Premnitz unter die hochmodernen industriellen Standorte Brandenburgs einreihen konnten. ist für mich nur noch Situationskomik.

Und: Die Fördermittel werden eben nicht gleichmäßig auf die Brandenbureer Regionen verteilt. Es findet eben keine - wie der Bericht Fälschlich schreibt - Stärkung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums in den strukturschwachen Regionen Brandenburgs statt - ganz im Gegenteil.

Zur Verkehrsplanung ist nur so viel zu sagen. dass trotz des Verkehrsverbundes die S-Bahn-Lückenschlüsse - zum Beispiel nach Stahnsdorf - zehn Jahre nach der Wende immer noch nicht verwirklicht wurden. Dass der geplante Großflu ghafen Berlin Brandenburg International Tausende von Arbeitsplätzen schaffen wird - sollte es der PDS-Fraktion nicht doch noch gelingen. ihn zu verhindern -.

(Unruhe im Saal - Glocke des Präsidenten)

wird im Laufe der heutigen Plenarsitzung noch ausgiebig thematisien werden.

Die gemeinsame Wissenschafts- und Technologiepolitik zwischen Berlin und Brandenburg begrüßen wir als Fraktion der Deutschen Volksunion selbstverständlich.

Die Einschätzung allerdings. dass bis zum Jahre 2010 im gemeinsamen Wirtschaftsraum in diesen Bereichen mehr als 10 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können. halten wir für irreal.

Dass zum Schluss des vorliegenden Berichts das Resümee dann besteht. dass ein gemeinsames Bundesland Berlin-Brandenburg geschaffen werden muss. war dein aufmerksamen Leser des Berichtes von der ersten Seite an klar. Auch wir als Fraktion der Deutschen Volksunion befürworten die Fusion selbstverständlich, Doch wir warnen hier und heute wieder einmal davor, die berlinfernen Regionen Brandenburgs im Zuge einer sich anbahnenden Fusion noch mehr als bisher ethnographisch. ökonomisch und infrastrukturell ausbluten zu lassen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort geht an die CDU-Fraktion. Herr Dr. Eitler. bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Länder Berlin und Brandenburg werden von in- und ausländischen Investoren als eine Wirtschaftsre gion wahrgenommen. Das haben wir oft gehört. Die staatlich getrennten Länder Berlin und Brandenburg können auch wirklich und konkret - das Beispiel ist jetzt wieder in den Zeitungen zu lesen - von ausländischen Investoren als nichts anderes wahrgenommen werden als eine Region. Manchmal schmiedet auch die Not Vernunft. Das ist das Thema Bornbardier. Die Übeniahme von ADtranz zeigt uns ganz konkret.

wie sich bei uns die Probleme stellen. wo die Chancen sind und wie es sich in der Wirklichkeit fügt.

Unsere beiden Länder kämpfen um den Erhalt der Konzernzentrale in Berlin und beide Länder müssen um die Schienenfahrzeugproduktion am Standort Hennigsdorf kämpfen. Fällt nur einer der beiden Standorte weg. wäre dies ein schwerer Schlag für die Schienenfahrzeug-Kompetenzregion Berlin-Brandenburg. denn die Kompetenz liegt in der Region. Sie ließe sich nur von Bürokraten an Ländergrenzen festmachen. Wir sind eine Schienenverkehrsregion. aber nicht als zwei einzelne Länder. sondern zusammen.

Zudem zeigt der Bericht der Landesre gierung die enge Verflechtung bei den Lieferbeziehungen. hei den Arbeitsmärkten. bei der länderübergreifenden Verbändetätigkeit. sodass es weder eine Wirtschaftsregion Brandenburg noch eine Wirtschaftsregion Berlin gibt: beide Bundesländer bilden die Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg.

An der Stelle möchte ich noch einmal auf die Gefahr solcher Berichte hinweisen. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben. dass die Politik die Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg definiert: es sind die Unternehmen. Wir steilen bestenfalls die Rahmenbedingungen. und Politik sollte immer schauen, dass sie der Wirtschaft zumindest nicht schadet.

( Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wenn Sie im Konkreten sehen, dass 50 % der Unternehmen in beiden Ländern auf die eine oder andere Weise eng mit dem jeweils anderen Land zusammenarbeiten. und wenn Sie die persönlichen Biografien in der Wirtschaft nehmen - nehmen Sie Prof. Gärtner. einen leitenden Entwicklungsingenieur aus dem ehemaligen LEW Hennigsdorf. heute Professor im der Technischen Universität in Berlin. Professor für Fahrzeugbau und einer der wichti gsten Krisenmana ger bei ADtranz Fahrzeugbau -. so sehen Sie: Die Verknüpfung ist da. über die brauchen wir überhaupt nicht mehr zu diskutieren.

Wie die Landesregierung in ihrem Bericht richtig feststellt. ergänzen sich die Standortqualitäten der beiden Länder durch die enge Verflechtung. Allerdings: Die brandenburgische Landesregierun g hat die Situation seit langem erkannt und sucht die Zusammenarbeit mit Berlin: in vielen Bereichen. denke ich. gibt es aber immer noch Nachholbedarf.

Wir sollten bei dem Thema BioTOP.Biotechnologie einfach nicht übersehen. dass wir nüchtern betrachten müssen, was die jeweiligen Forschungssubventionen in den Ländern für den Standortwettbewerb bedeuten. Wir müssen nüchtern konstatieren. dass auch hier noch mehr Zusammenarbeit notwendig ist.

Dennoch lässt sich sagen: Nimmt man beispielsweise die Zusammenarbeit oder Nichtzusammenarbeit der beiden Länder Schleswig-Holstein und Hamburg, so sind wir in Brandenburg in nur zehn Jahren wesentlich weiter gekommen als andere Regionen mit ähnlichen Problemen.

Wichtig ist auch. dass nur. wenn beide Landesregierungen zusammenarbeiten, Wirtschaftspolitik in Brandenburg handhabbarer wird. Wirtschaftspolitik in Brandenburg wird umso besser funktionieren. je besser die Zusammenarbeit zwischen Berlin

und Brandenburg funktioniert. Insofern gibt es keine brandenburgische und keine Berliner Wirtschaftspolitik.