Ministerpräsident Stolpe und Innenminister Schönbohm billigen dem Landtag zwar zu, einzelne Hemmnisse zu beseitigen, die den Regierungsleitlinien rechtlich im Wege stehen, also Begleitund Anpassungsgesetze zu erlassen. doch ansonsten sieht Minister Schönbohm - wie jüngst vor dein "kommunalpolitischen Forum- ausgeführt - nach der Freiwilligkeit 2002 nur noch den Zwang als Sache des Gesetzgebers an, den Rest regelt das Innenministerium.
Sie wissen aus vorangegangenen Debatten, dass die PDS dieses Vefahren scharf kritisiert. Unter Berücksichtigung von Artikel 28 des Grundgesetzes und Artikel 98 der Landesverfassung ist diese der Regierung sich selbst verliehene Rolle weder demokratisch noch juristisch legitimiert. Es folgt aus der Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung. dass Bestands- und Gebietsändeningen nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und nur nach Anhörung zulässig sind. Dieses Gemeinwohl aber wird vom Gesetzgeber konkretisiert und die vom Kabinett beschlossenen Leitlinien sind eben kein Gesetz.
Bei umfassenderen Gemeindegebietsreformen lassen sich damit drei Stufen der gesetzgeberischen Entscheidung unterscheiden. auf denen diese Gemeinwohlkonkretisierung erfolgt. Die erste Stufe umfasst danach - ich zitiere aus den zu verallgemeinernden Leitsätzen des Thüringischen Verfassungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1996
"... den Entschluss, überhaupt eine grundlegende Umgestaltung der kommunalen Ebene vorzunehmen. Auf der zweiten Stufe werden die Leitbilder und Leitlinien der Neuordnung festgelegt, die die künftige Struktur der Selbstverwaltungskörperschaften bestimmen und die Umgestaltung in jedem Einzelfall dirigieren sollen. Auf der dritten Stufe erfolgt die Umsetzung der allgemeinen Leitbilder und Leitlinien im konkreten einzelnen Neugliederungsfall.
Herr Minister, auch Sie erwähnen neuerdings diese verfassungsgerichtliche Entscheidung zur Definition der Begriffe "Leitbild" und "Leitlinien". zitieren aber nicht vollständig. Danach umfasst das Leitbild die grundlegenden Aussagen zur Struktur der Selbstverwaltungskörperschaft. Leitlinien sind diejenigen Gesichtspunkte. die dazu dienen, die leitbildgerechte Selbstverwaltungskörperschaft zu bilden und damit die Entscheidung des Gesetzgebers für jeden Einzelfall zu lenken. Der Gesetzgeber setzt somit mit dem Leitbild eine Zielvorstellung und schafft mit den Leitlinien ein System zu ihrer Umsetzung. Aus dem Grundgesetz folgt gar ein Gebot der Systemtreue der kommunalen Umgestaltung im Sinne einer Selbstbindung des Landtages.
Wenn der Landtag sich selbst und die Gemeindegebietsreform ernst nimmt, dann ist es unserer Meinung nach mit der lediglichen Kenntnisnahme der Regierungsleitlinien und der Verabschiedung von Begleitgesetzen nicht getan, sondern dann muss der Landtag über die Grundsätze der Gemeindegebietsreform durch Gesetz entscheiden. Das ist unser aller Verantwortung und Pflicht.
Für Brandenburg finden Sie in unserem Entwurf Vorschläge für gesetzliche Grundsätze einer Gcmeindegebietsrefomi, die das Prinzip der Freiwilligkeit bei Zusammenschlüssen ausgestalten und allen weiteren Regelungen wie dem Gemeindereformgesetz vorgeschaltet sein sollen. Gleichzeitig formulieren wir als PDS eine Selbstbindung des Landtages. in dieser Wahlperiode bis 2004 nicht von der Möglichkeit gesetzlicher Zusammenschlüsse Gebrauch zu machen.
Während mit dem Gesetzentwurf der Regierung Ämtern keine Chancen mehr eingeräumt und Einheitsgemeinden bevorzugt werden, will der PDS-Entwurf eine Gleichberechtigung von Ämtern und amtsfreien Gemeinden sichern und die Option auf die gesetzliche Regelung eines zweistufigen Gemeindemodells schaffen. Folgerichtig wollen wir auf die Vorgabe einer Mindesteinwohner-zahl je Gemeinde von 500 verzichten.
Ich bitte Sie somit. sich unseren grundsätzlichen Erwägungen nicht zu verschließen. unseren Gesetzentwurf in den Innenausschuss zu überweisen und dort alle Fragen und Kritiken, für die jetzt hier kein Raum ist. zu erörtern. - Danke.
Ich danke auch. - Bevor ich dem Abgeordneten Schippel für die SPD-Fraktion das Wort erteile, begrüßen Sie mit mir Gäste aus der Gesamtschule Neufahrland. die heute an unserer Plenarsitzung teilnehmen. Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute in 1. Lesung das Gesetz zur Reform der Gemeindestniktur und zur Stärkung der Verwaltungskraft in Brandenburg. Lassen
Sie mich zu Anfang eines feststellen: Der SPD-Fraktion und mir persönlich ging und geht es gerade uni die Stärkung kommunaler Selbstverwaltun g. Der Gefahr einer fortschreitenden Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung aufgrund enger werdender finanzieller Spielräume und somit nicht ausreichender Entscheidungsmasse an tatsächl ich und ei genverantwortl ich wahrgenommenen Aufgaben müssen wir entgegentreten.
in dem Zusammenhang, Herr Innenminister, erinnere ich Sie auch noch einmal an das Gesetz zum kommunalen Finanzausgleich. Das ist zumindest an der Stelle gleichrangig.
Erinnern Sie sich an die 38 Landkreise vor der Kreisgebietsreform! Heute - mit 14 Landkreisen - beklagen gerade Vertreter von Gemeinden und Städten mitunter die so genannte Landräterepublik. Ich halte das für falsch. Aber ist es nicht trotzdem ein Synonym dafür. dass mit Zusammenschlüssen Einfluss und Stärke wachsen können? Eben diesen wachsenden Einfluss. diese wachsende Stärke wollen wir für die Gemeinden erreichen.
im § 10 Gemeindeordnung schaffen den jetzigen kleineren Gemeinden weitgehenden Gestaltungspielraum, da sie die Übergangsregelung bei Gemeindezusammenschlüssen beinhalten.
Die Änderungen in der Anitsordnung umfassen im Wesentlichen die Umsetzung der bereits angesprochenen Leitlinien. Das heißt, Ämter sollen nicht mehr als sechs und nicht weniger als drei Gemeinden und 5 000 Einwohner umfassen. Jetzige Gemeinden unter 500 Einwohnern sollen sich zu Gemeinden mit über 500 Einwohnern zusammenschließen.
Die Änderungen im Kommunalwahlgesetz beziehen sich unter anderem darauf. dass Wahlkreise schon ab 500 Einwohner möglich sind. Hier sind wir bis an die unterste Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen gegangen.
Meine Damen und Herren! Der Reformbedarf - hören Sie gut zu. Herr Sarrach - wurde im Rahmen der Arbeit der Enquetekommission bereits vor den Landtagswahlen festgestellt, auch von der PDS-Fraktion.
(Zuruf des Abgeordneten Sarrach [PDS]) Damit die Zusammenschlüsse nicht mit dem Verlust der Identität verbunden sind, haben wir Änderungen im § 54 der Gemeindeordnung vorgeschlagen. Diese Änderungen sind, wenn es denn von den zukünftigen Ortsteilen gewünscht wird. der Garant für den Erhalt der eigenen Identität. Der Ortsbeitrat wird weiterhin über die innerörtlichen Belange befinden. Für den Ortsbürgemieister soll ein Extra-Verfügungsfonds geschaffen werden, uni gerade das gemeindliche Vereinsleben zu fördern. Er wird damit auch die Möglichkeit haben, das ehrenamtliche Engagement, ohne das das gesellschaftliche Leben in den Gemeinden nicht denkbar wäre, zu stärken. Herr Sarrach, ich verwahre mich gegen Ihre diesbezüglichen Äußerungen, die Sie letzten Endes vom Gemeindebund übernommen haben. Lesen Sie den ganzen Artikel, nehmen Sie nicht nur einen Satz heraus, dann kennen Sie die Zusammenhänge! (San-ach [PDS]: Das habe ich getan!)
Das Gegenteil von Missachtung ist der Fall. Aber ehrenamtliches Engagement muss sich auch veränderten Bedingungen anpassen können; sonst läuft es irgendwann ins Leere. Der Ortsbürgermeister kann. wenn es die Gemeinde denn will. zum Ehrenbeamten ernannt werden.
Meine Damen und Herren! Mit der Einfügung eines neuen Absatzes 4 im § 54 gegenüber dem Referentenentwurf wollen wir die Klarheit schaffen, dass der Ortsbeirat letzten Endes zwar kein Vetorecht gegenüber der Gemeindevertretung hat. aber eine sehr weitgehende Mitbestimmung. Die Entscheidung muss aber letztlich derjenige treffen, der über den Haushalt einer Gemeinde entscheidet. In dem Referentenentwurf war das etwas schwierig zu lesen und hätte leicht zu Irritationen führen können.
Mit den Veränderungen der Gemeindeordnung sind wir im Sinne der Gemeinden an vielen Stellen über das hinausgegangen, was die Spitzenverbände gefordert haben. Die Änderungen
Hören Sie also auf mit dem Märchen, dass die Diskussion und die Freiwilligkeitsphase zu kurz seien! Dass am Ende eine gesetzliche Regelung im Jahre 2003, also zur nächsten Kommunalwahl. stehen muss, wurde zumindest auch von den Vertretern der PDS in der Enquetekommission anerkannt. Wenn Sie den Bericht der Enquetekommission mit dem jetzigen Gesetzentwurf vergleichen, werden Sie in der Zielstellung, in der rechtlichen Stellung der Ortsteile eine weitgehende Übereinstimmung feststellen. Wir wollten zugegebenermaßen das Modell einer Amtsgemeinde, da es aus unserer Sicht klarer und übersichtlicher gewesen wäre. Aber diesen Begriff hat unser Koalitionspartner gescheut wie der Teufel das Weihwasser.
Mit dem jetzt erreichten Kompromiss sind wir einverstanden und stehen dazu. Wer diesen Kompromiss mit dem Begriff "Zwangskollektivierung" gleichsetzt. der weiß nicht, wovon er redet, und sollte einmal ältere Bäuerinnen und Bauern fragen, was Zwangskollektivierung bedeutet.
Wer behauptet, Gemeindezusammenschlüsse bedeuteten eine Tendenz zur Schaffung reglementierter. zentralistisch organisierter und somit schwer überschaubarer Großverwaltungseinheiten, der irrt. Ich verweise noch einmal auf die erfolgreiche brandenburgische Kreisgebietsreform. Wer behauptet, dies führe zur Zerstörung der historischen und kulturellen Identität in Brandenburg,
Werte Kolleginnen und Kollegen der CDU, die schon vor I999 in diesem Landtag waren - alle anderen möchte ich jetzt einmal bewusst ausschließen -! Diese von mir zitierten Behauptungen
finden Sie im Original in der Stellungnahme der damaligen CDU-Fraktion zum Bericht der Enquetekommission. Ich freue mich, dass diese Irrtümer nun von Ihnen als solche erkannt wurden.
Ein letztes Wort zum vorliegenden Gesetzentwurf der PDS. Wer in einem Bundesland der Bundesrepublik Deutschland im 21. Jahrhundert ethnische und religiöse Bezüge in einer Gemeindegebietsrefonu berücksichtigt haben will. der scheint nicht in dieser Zeit zu leben. - Danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es liegen uns nun mittlerweile zwei Gesetzentwürfe zu diesem Themenkomplex vor. Gemeindegebietsreform? - Schön und gut. Die Fraktion der Deutschen Volksunion will sich dem gar nicht verschließen. Beide Gesetzentwürfe enthalten indessen aus der Sicht unserer Fraktion, der Deutschen Volksunion, eine ganze Reihe konkretisierungsund änderungsbedürftiger Regelungsvorschläge.
Hinzu tritt die Vorgehensweise des Innenministers. welche ganz offensichtlich schon jetzt zu einem Akzeptanzproblem bei der Bevölkerting.la sogar in den Reihen seiner eigenen Partei, führte.
Ich sage Ihnen: Die Sache ist nicht ausgestanden. Wir alle haben noch eine Menge nachzudenken. Beide Entwürfe dürfen so nicht Gesetz werden. Fol glich lehnt die Fraktion der Deutschen Volksunion beide Gesetzentwürfe ab.
Aus Zeitgründen muss ich mich auf Sie, Herr Minister Schönbohm, und auf einige tragende Überlegungen beschränken.
Erstens zu Ihnen. Herr Minister Schönbohm: Wir als Fraktion der Deutschen Volksunion haben uns einmal ganz simpel gefragt: Was wollen die Bürger eigentlich? Da sind wir - man höre und staune - zu dem Ergebnis gekommen: Die Bürger wollen, dass es besser wird. Das haben wir uns weiter ausgemalt. wobei etwa folgende Stichworte fielen: mehr Arbeit. besserer Wohnraum, bessere Schulen und Kindergärten, Erhalt des Lebensraumes, bürgernahe und effiziente Verwaltung und mehr Sicherheit. Dem sollte das Reformvorhaben letztlich ebenfalls dienen.
Schon in der Problembeschreibung des Gesetzentwurfes der Landesregienmg ist von einer fortschreitenden Aushöhlung kommunaler Selbstverwaltung aufgrund knapper Mittel und von zunehmenden Mitwirkungsdefiziten die Rede. Konkret heißt das: keine besseren Schulen und Kindergärten, keine sachgerechte, bürgernahe und effiziente Verwaltung.
Was haben wir also festzustellen? Es besteht Interessenkongruenz. Was macht unser aller Minister? Er lässt über die Presse verbreiten: Ohne Zwang geht das nicht. Es wird Zwangszusammenschlüsse geben! - Siehe zum Beispiel -Der Tagespiegel" und die "Märkische Allgemeine Zeitung"!
Herrgott noch mal. Herr Minister Schönbohm, für wie dumm halten Sie denn die Bürger unseres Landes eigentlich? Die Bürger sind doch wohl mündig genug, allein zu erkennen und zu entscheiden. was ihnen nutzt und was ihnen schadet.