Protokoll der Sitzung vom 01.03.2001

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Beantwortung der Großen Anfrage liegt uns umfangreiches Bilanzmaterial mit Blick in die Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs vor. Der gesamte ÖPNV befindet sich in einer Umbruchsituation, und dies europaweit. Das ist Chance und Herausforderung zugleich. Es gilt, auf der Grundlage der Erfahrungen der Bahnregionalisierung die weitere Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs zu gestalten.

Seit 1996 sind die Länder verantwortlich für den schienenge

bundenen Personennahverkehr. Das ist bundesweit eine Erfolgsgeschichte und in Brandenburg ganz besonders. Ein Vergleich verdeutlicht dies eindrucksvoll: Die Personenkilometer sind von 1993/1994 zu 1999/2000 von circa 1,3 Milliarden auf 2,5 Milliarden gestiegen. Wer der Prozentrechnung mächtig ist, wird eine Steigerung auf 192 % ausrechnen, und das, obwohl es notwendig war, 410 Kilometer Bahnstrecke stillzulegen. Die PDS hat dies des Öfteren im Landtag zum Hauptthema gemacht, ohne das Gesamtsystem ÖPNV zu betrachten.

(Zuruf des Abgeordneten Vietze [PDS])

Allein mit alternativer Verkehrspolitik wird es keinen attraktiven ÖPNV geben.

Der schienengebundene Personennahverkehr erfordert auch aus ökologischer Sicht eine gewisse Nutzerzahl. Dabei sind die roten Regionalexpresszüge zu einem Markenzeichen Brandenburgs geworden. Diese verbinden leistungsfähig alle Regionen Brandenburgs mit der Metropole Berlin bzw. der Landeshauptstadt Potsdam. Dabei stoßen wir mitunter schon an Kapazitätsgrenzen. So werden jetzt im Bereich Nauen unbürokratisch ab 1. März zusätzliche Züge eingesetzt.

Auf der Strecke des Regionalexpress 1 werden die Bahnsteige verlängert, um gegebenenfalls das Anhängen eines fünften Wagens zu ermöglichen. Gut ausgelastete Züge sind der beste Beleg für eine erfolgreiche Bahnpolitik.

Eine attraktive ÖPNV-Erschließung ist ein Standortfaktor. Viele ehemalige Bonner Beamte erweisen sich dabei als Gutachter. Der Wohnsitz im Märkischen wird dorthin gelegt, von wo man mit dem RE oder der S-Bahn in einer Dreiviertelstunde im Regierungsviertel in Berlin ist. Dies trifft im Übrigen auf mehr Brandenburger Gemeinden zu als man denkt - Tendenz steigend.

Ein Weiteres haben wir mit den schnellen Verbindungen im SPNV erreicht. Viele, die jahrelang keinen Bus oder keine Bahn benutzt haben, sind zu Stammkunden geworden. Attraktive Verkehrsangebote sind jedoch nur die eine Seite. Weiterhin gilt es, beim notwendigen Ausbau des ÖPNV auch das Umfeld entsprechend zu gestalten. Dies reicht von Park-and-Ride und Bike-and-Ride über entsprechende Busbahnhöfe bis zu attraktiven Bahnhofsgebäuden. Gerade bei letzteren gibt es noch viel zu tun. Einzelne Leuchttürme reichen dabei nicht aus. Viele Bahnhöfe sind bei weitem keine Empfangsgebäude.

(Beifall der Abgeordneten Frau Dr. Enkelmann [PDS])

- Ich bedanke mich für die Zustimmung. - Der Bahnhof ist ein Teil der Stadtentwicklung und sollte zunehmend zu einem Dienstleistungszentrum entwickelt werden. Insgesamt betrug der Fördermitteleinsatz des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr im Bahnhofsprogramm bis 2000 immerhin circa 99 Millionen DM. Hier gilt es, gemeinsam mit Bahn und Kommunen weiterzumachen. Immerhin ist der Bahnhof für viele Menschen auch der erste Eindruck einer Stadt oder Gemeinde.

Ebenfalls nicht zufrieden stellen kann der erreichte Stand beim notwendigen Ausbau der SPNV-Strecken. Mit dem PrignitzExpress sind wir nun über Neuruppin hinausgekommen. Die

Scharmützelseebahn fährt lediglich bis Bad Saarow. Für die Sanierung der ersten zwölf Kilometer wurden mehrere Jahre benötigt. Ich empfehle dem Geschäftsbereich Netz der Deutschen Bahn AG einen Blick in die Historie. Der Bau der Scharmützelseebahn wurde 1909 vom Kreistag Beeskow-Storkow beschlossen. Im Jahre 1910 wurde die Planung in Auftrag gegeben und 1911 war dann Eröffnung.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Wie gesagt, es handelte sich dabei um einen Neubau und nicht um eine Sanierung.

Sicherlich wäre es unangemessen, der Bahn hier alleine den schwarzen Peter zuzuschieben. Die Standards und das komplizierte deutsche Planungsrecht tun ihr Übriges.

Die Frage der Investitionen in die Schiene und die Entwicklung regionaler Schienennetze wird uns im Landtag noch weiter intensiv beschäftigen müssen. Das ist gut und richtig so. Nur wenn es gelingt, bei der Streckensanierung deutlich voranzukommen, wird es einen weiteren qualitativen Sprung im SPNVAngebot geben können. Einen solchen haben wir 1998 mit der Durchbindung der wichtigsten RE-Linien durch die Berliner Stadtbahn erlebt. Infolge dessen haben sich die Fahrgastzahlen an vielen Bahnhöfen mitunter verdoppelt.

Was die Frage der Entwicklung gemeinsam mit Berlin betrifft, gilt es insbesondere die Lücken, die noch immer infolge der deutschen Teilung bestehen, möglichst schnell zu schließen. Das ist leichter gesagt als getan. Immerhin handelt es sich dabei um ein Investitionsvolumen, welches deutlich im dreistelligen Millionenbereich liegt.

Der Landtag Brandenburg hat sich bezüglich der S-Bahn-Lückenschlüsse und der Potsdamer Stammbahn deutlich positioniert. Der politische Wille ist da. Gemeinsam mit Bund und Land sind nun Lösungen zu finden.

Meine Damen und Herren, mit einem attraktiven SPNV-Angebot gilt es, strukturschwächere Gebiete leistungsfähig anzubinden. Sicher ist der Regionalexpress nach Wittenberge, Schwedt oder Elsterwerda dort nicht so gut ausgelastet wie im Berliner Raum. Aber die direkten schnellen Verbindungen sind für diese Städte lebenswichtig. Nur zur Erinnerung: Zu DDR-Zeiten war man von Berlin nach Schwedt per Zug fast einen halben Tag unterwegs. Nun ist man in weniger als zwei Stunden von Schwedt am Bahnhof Zoo. Dieser Bahnhof war im Übrigen für die meisten Schwedter unerreichbar.

Die Bahnregionalisierung führt natürlich nicht dazu, dass Bahnangebote an der Landesgrenze enden. Insbesondere Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt haben großes Interesse an attraktiven Verbindungen nach Berlin und Brandenburg. Die Sachsen sind da leider eher zurückhaltend. Das ist bedauerlich; denn von guten Angeboten im Nahverkehr profitieren beide Seiten. Hierfür nur ein Beispiel: Der RE 1 fährt derzeit im Zweistundentakt von Berlin über Brandenburg nach Magdeburg. Mit dem Fahrplanwechsel sind im Stundentakt die Landeshauptstädte Magdeburg und Potsdam mit Berlin und Frankfurt (Oder) verbunden. Gemeinsam mit Sachsen-Anhalt und Berlin entwickeln wir damit die wichtigste Regionalexpresslinie Ostdeutschlands. Es wird sogar über eine Verlängerung nach Niedersach

sen nachgedacht, so meine Informationen aus Sachsen-Anhalt. Jedoch sollte dies nicht der Anlass sein, dass sich der Bund noch weiter aus dem Fernverkehr zurückzieht.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Sehr richtig!)

Sie sehen, im ÖPNV gibt es viele spannende Entwicklungen. Über die Frage des zukünftigen Wettbewerbs im ÖPNV wird mein Kollege Reinhold Dellmann noch referieren. Dieser zukünftige Wettbewerb muss im Sinne der Kunden und der Effizienz moderiert und gestaltet werden. Dafür bietet sich der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg durchaus an. Das Ziel der besseren Verknüpfung von ÖPNV-Angeboten kann mit Qualitätsvorgaben im ÖPNV gut gekoppelt werden.

Positiv ist weiterhin, dass es eine deutliche Annäherung von ZÖLS und VBB gibt. Eine Trennung der SPNV-Regiefunktion kommt ohnehin nicht infrage. Meine Damen und Herren, wir haben in Brandenburg einen modernen und leistungsfähigen ÖPNV. Dies wurde gemeinsam durch Milliardeninvestitionen von Bund, Land und Kommunen erreicht. Trotzdem, gerade im Investitionsbereich Schiene, Bahnhöfe und Bahnhofsumfeld gilt es weiter Druck zu machen, selbstverständlich auch parlamentarisch. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage bietet dazu eine gute Gelegenheit. Die SPD-Fraktion bleibt weiter am Ball für die Gestaltung eines attraktiven ÖPNV. Der steigenden Zahl der ÖPNV-Nutzer in Brandenburg wünschen wir allzeit gute Fahrt mit Bussen und Bahnen der Brandenburger Welle der Vernunft. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke Herrn Abgeordneten Vogelsänger und gebe das Wort an die Fraktion der PDS. Frau Abgeordnete Dr. Enkelmann, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als die vorliegende Große Anfrage von der Koalition eingereicht wurde, war ich ehrlich überrascht. Sollte es nun doch zu einer ernsthaften Diskussion über die Entwicklung des Schienenpersonennahverkehrs und des öffentlichen Personennahverkehrs in Brandenburg kommen? Wird nun eine ganze Reihe von Fragen, die wir in Anträgen oder in Kleinen Anfragen in den letzten Jahren formuliert hatten, zum Gegenstand einer inhaltlichen Auseinandersetzung hier im Landtag werden?

Nun birgt die Antwort der Landesregierung durchaus einigen Diskussionsstoff in sich. Interessant für mich war schon, wie die Koalition - leider konnte ich bis jetzt nur Sie, Herr Vogelsänger, hören - auf die Antwort reagiert. Es stimmt mich schon optimistisch und hoffnungsvoll, dass Sie sich mit einigen Antworten, die die Landesregierung gibt, nicht ganz zufrieden geben. Ich denke, an vielen Fragen muss man schon noch dranbleiben. Man darf sich nicht mit den allzu kurzen Antworten, die gegeben worden sind, zufrieden geben.

Was machen Sie zum Beispiel mit Antworten auf die Frage nach den Erfahrungen und der Regiefunktion des VBB? Offenkundig waren auch Sie nicht zufrieden. Wenn lediglich fest

gestellt wird, das wäre gut, das kennen wir noch aus alten Zeiten, es hat sich bewährt, denke ich: Dabei sollten wir nicht stehen bleiben.

Nichtsdestotrotz, die Antwort der Landesregierung ist an vielen anderen Stellen informativ und sollte Diskussionen anregen, und zwar gerade dort, wo sie etwas offen lässt. Die Große Anfrage allein beweist mir, dass auch unter den Regierungsfraktionen nicht nur Zufriedenheit herrscht. Unbestritten sind die Erfolge, die bei der Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs und hier vor allem im schnellen Regionalverkehr der Bahn in den letzten Jahren erreicht wurden. Unbestritten sollte allerdings auch sein - und, Herr Vogelsänger, hier bleiben wir bei unserer Kritik -, dass nach wie vor nicht zu erkennen ist, dass der öffentliche Verkehr und auch der Schienenverkehr verkehrspolitisch tatsächlich prioritär behandelt werden.

(Beifall bei der PDS)

Gespannt durfte man sein, ob Ihre Gegenüberstellung der seit 1996 erfolgten Streckenstilllegungen und der Neubaumaßnahmen tatsächlich zu der Aussage führt, es wäre wesentlich mehr neu gebaut als abgebaut worden. Von dieser Legende, Herr Minister, müssen Sie sich allmählich verabschieden. Sie haben es in Ihrer Antwort dargestellt und Kollege Vogelsänger hat die Zahl schon genannt: 410 Kilometer Strecke sind seit 1996 stillgelegt worden. Das sind immerhin 13 % des Gesamtnetzes in Brandenburg, und nur 42 km sind für 250 km/h neu gebaut worden.

(Dr. Hackel [CDU]: Das kommt davon, wenn die Leute mit dem Auto fahren!)

- Dazu kommen wir noch, Herr Kollege Hackel.

Die Zahlen machen deutlich, was die PDS seit Jahren beklagt, dass nämlich bei der Bahn eine einseitige Strategie der Magistralenbeschleunigung betrieben wird; die Flächenbedienung ist für sie kein Thema mehr.

Konkrete Fragen und Antworten zur Haltung des Landes zu der nicht zuletzt von Mehdorn vertretenen Strategie vermisst man in der Anfrage. Dass diese Strategie letztlich der Akzeptanz und damit den Bahnangeboten in der Fläche abträglich ist, kann auch die unbestrittene und sehr erfolgreiche Entwicklung des Regionalverkehrs im Metropolenraum nicht überdecken. Nebenbei bemerkt: Auch da beginnt man inzwischen wieder mit Abbau. Es kann eigentlich nicht sein, dass Potsdam zum Beispiel vom Regionalverkehr Schwedt - Dessau abgehängt wird. Die Bahn kann mehr. Die Politik muss die Rahmenbedingungen verbessern, Chancengleichheit herstellen und der Bahn die entsprechenden Leistungen abfordern.

Die Aussagen zur Rolle der Regionalisierungsmittel und zu den nachweislich unterbliebenen Erhaltungsmaßnahmen, geschweige denn Modernisierungsinvestitionen, der Bahn AG im Nebennetz sollten das Parlament weiter beschäftigen.

(Beifall bei der PDS)

Ich halte es für unbefriedigend, dass ein Auftragnehmer wie die Bahn AG jährlich über eine halbe Milliarde DM Zuschüsse vom Land bezieht, aber nach wie vor wegen ungenügenden Pla

nungsvorlaufs oder schleppender Bautätigkeit nicht in der Lage sein soll, die Infrastruktur instand zu halten.

Das Verständnis der Bahn AG von Markt und Wettbewerb im SPNV ist nach wie vor seltsam. Noch immer scheint sie zu entscheiden, was gefahren, wo gebaut und wo der Zugverkehr eingestellt wird. Das Land als Träger des SPNV muss, gestützt auf den SPNV-Plan, endlich stärker in die Rolle des Entscheiders kommen. Das muss in der Konsequenz auch heißen: Wenn die DB AG nicht will, dann müssen andere fahren.

(Beifall bei der PDS)

Wie es geht, zeigt die Erfolgsstory der Prignitzer Eisenbahn.

Welche eklatanten Vertragsbrüche sich die DB AG erlauben kann, zeigt die Einstellung des Zugverkehrs zwischen Brandenburg und Belzig. Das Eisenbahn-Bundesamt hat inzwischen offenkundig ein Machtwort gesprochen und fordert die Wiederaufnahme des Bahnverkehrs. Man darf gespannt sein, wie sich die Bahn nun verhält. Allerdings ist für mich nach wie vor nicht geklärt, ob die Bahn hier tatsächlich ohne drastische Vertragsstrafe davonkommt. Vielleicht können Sie nachher dazu etwas sagen.

Wenn das der versprochene Wettbewerb ist, dass die Monopolisten entscheiden, was gut für den Kunden ist, können wir auch zur Beamtenbahn zurückkehren!

Lassen Sie mich einen Satz zum Wegfall des SchönenWochenende-Tickets, zumindest im Sommer, sagen. Das ist eine aktuelle Meldung, die uns erreicht hat. Gerade das SchöneWochenende-Ticket hat den Nachweis erbracht, dass mit einem preisgünstigen Angebot tatsächlich die Nachfrage deutlich gesteigert werden kann. Ich finde es schon abenteuerlich, wenn sich die Bahn hinstellt und sagt: Weil die Züge im Sommer so voll sind, müssen wir das Schöne-Wochenende-Ticket streichen.

(Beifall bei der PDS)

Gerade das Angebot, das tatsächlich zur Akzeptanz geführt hat! Ich fordere die Landesregierung nachdrücklich auf, für eine Weiterführung des Schönen-Wochenende-Tickets bei der Bahn einzutreten.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Wettbewerb im ÖPNV allgemein. Die PDS unterstützt - das müsste deutlich geworden sein - einen Wettbewerb im ÖPNV, der zu einem größeren und qualitativ besseren Leistungsangebot führt, der mehr Effektivität zum Ziel hat, der für Reisende attraktiv, weil kostengünstig ist und der zu einer realen Alternative zum Individualverkehr wird. Dabei befinden wir uns in Übereinstimmung mit einer ganzen Reihe von Beschlüssen der Europäischen Union, unter anderem dem Grünbuch „Das Bürgernetz” und entsprechenden Entschließungen des Europäischen Parlaments dazu.