Protokoll der Sitzung vom 17.05.2001

Man mag dies „Aufrechnung” nennen. Es ist auf alle Fälle ein Beitrag zur historischen Wahrheit.

Der Politologe Prof. Dr. Lutz Niethammer sagte einmal:

„Ich glaube, in der Bevölkerung ist ein Wunsch da, dass die Überkompensation aufhören soll, der negative Nationalismus, der den Deutschen einredet, sie seien für immer die Schurken der Welt.”

Nicht nur im Osten und auf dem Balkan legten sich deutsche Zwangsarbeiter krumm, auch die Westalliierten nutzten die Chance, die Arbeitskraft der Besiegten auszubeuten, und zwar nicht nur im Krieg, sondern auch noch Jahre nach dem Krieg.

Eine wissenschaftliche Kommission der Bundesrepublik hat den Arbeitsumfang deutscher Zwangsarbeiter in Großbritannien ermittelt. Addieren wir die Quartalsergebnisse, so ergibt sich für den Zeitraum 1944 bis Mitte 1948 die beachtliche Zahl von mindestens 153,8 Millionen Arbeitstagen. Setzen wir schließlich die genannte Summe von über 153 Millionen Arbeitstagen in Arbeitsstunden um, wobei wir nur einen durchschnittlichen Achtstundentag in Anrechnung nehmen, so entfallen auf Zwangsarbeit in Großbritannien mindestens 1,23 Milliarden Arbeitsstunden. In den USA gab es etwa 363 000 deutsche Gefangene, die Zwangsarbeit leisteten.

(Zuruf des Abgeordneten Schippel [SPD])

Es waren deutsche Gefangene, die dort Zwangsarbeit leisten mussten, und zwar in ganz genau 155 Lagern und 760 Nebenlagern.

Die amerikanische Regierung bezifferte den Gewinn, den sie aus der Arbeit der Deutschen erzielte, auf mehr als 180 Millionen Dollar nach damaligem Wert. Wo bleibt die Gerechtigkeit?, fragt in einer Stellungnahme Prof. Erwin Schlee.

(Schippel [SPD]: Wer ist denn das?)

Der studierte Historiker und Sozialkundler - ich erkläre Ihnen gleich, wer das ist - war bis 1985 Landesbeauftragter für Vertriebene und Flüchtlinge im schleswig-holsteinischen Sozialministerium und von 1989 bis 1994 Abgeordneter des Europäischen Parlaments.

„Form, Umfang und Motivation dieser einseitigen und sich schnell ausbreitenden Forderungswelle gegen Deutschland auf zahlreichen Ebenen sind provokant, zumal die Staaten, aus denen die Antragsgruppen stammen, sich zum Teil nicht weniger rechtswidrig und skrupellos gegenüber deutschen Zwangsarbeitern verhielten. Der ganze Vorgang gewinnt an Brisanz, wenn man bedenkt, dass dieses Deutschland nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht im Mai 1945 bei Andauern des Kriegszustandes im Westen bis 1951 und im Osten bis 1955 in einmaliger und beispielloser Form von den Siegermächten ausgeplündert

und ausgeraubt wurde. Das können sich Menschen der Gnade später Geburt kaum noch vorstellen. Hier sind im Sinne des Amtseides, Artikel 56 Grundgesetz, die höchsten Staatsdiener gefordert, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden in gleicher Eiferkeit, wie sie bereit sind, ausländischen Forderungen zu entsprechen. Im Sinne der Forderung nach Gleichbehandlung deutscher Zwangsarbeiter sollten diese ebenfalls Sammelklagen gegen Arbeitgeber und Staaten einreichen.”

Rund 12 Millionen Deutsche mussten für die Sieger Zwangsarbeit leisten, ohne dafür entlohnt zu werden. Erst am 30.01.1954 trat in der Bundesrepublik das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz in Kraft. In ihm findet allerdings der Zeitraum von der Gefangennahme bis zum 31.12.1946 keine Berücksichtigung. Für jeden ab dem 01.01.1947 in ausländischem Gewahrsam verbrachten Monat wurden 30 Mark vergütet. Ab 01.01.1949 bis zum 30.11.1955 verdoppelte sich dieser Beitrag auf 60 Mark. Er wurde wohlgemerkt nicht von den Nutznießern der Zwangsarbeit, den Siegern und ihren Betrieben, gezahlt, sondern vom Volk der Opfer in eigener Solidarität aufgebracht.

Als Mitteldeutschland 1990 der Bundesrepublik beitrat, beugte Bonn rasch vor. Deutsche Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die in die DDR entlassen worden waren, sollten keine Entschädigung mehr bekommen. Dazu wurde am 21.12.1992 das Gesetz zur Bereinigung von Kriegsfolgelasten verabschiedet. In Artikel 5 hebt das neue Gesetz das alte Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz auf. Die Heimkehrer in die SBZ, später DDR, hatten nach ihrer Rückkehr lediglich 50 Mark Entlassungsgeld erhalten. Hoffnungen auf eine Gleichbehandlung nach der Wiedervereinigung erfüllten sich nicht.

Alles in allem haben die Deutschen während des Krieges und danach Zwangsarbeit in einem gewaltigen Umfeld geleistet. Die Zahl der Betroffenen liegt nicht unter der Zahl der Ausländer in der deutschen Kriegswirtschaft. Auch der Arbeitsumfang hält sich ungefähr im gleichen Bereich.

Ich fordere Sie daher, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch im Namen meiner Fraktion auf: Stimmen Sie unserem hier vorliegenden Antrag zu und lassen Sie wenigstens jetzt, zu später Zeit, diesen geschundenen Menschen eine Wiedergutmachung zukommen! - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Das Wort geht an die Koalitionsfraktionen. Herr Abgeordneter Klein, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der DVU-Fraktion ist in seiner politischen Durchsichtigkeit leicht zu charakterisieren. Er zeichnet sich wieder einmal durch Ahnungs-, Geschichts- und Ziellosigkeit aus und setzt damit die Kontinuität der zumeist höchstpeinlichen DVU-Initiativen in diesem Parlament ungebrochen fort. Aber wir haben nach dem heutigen Tage nichts anderes erwartet.

Abgesehen von der bezeichnenden fachlichen Schlampigkeit ist das eigentlich Empörende an diesem Antrag sein politischer Hintergrund; denn natürlich steht er im Kontext der aktuellen Entschädigungsdebatte für ausländische Zwangsarbeiter. Diese sollen nun endlich und im Grunde viel zu spät wenigstens einen bescheidenen Beitrag der finanziellen Wiedergutmachung erfahren, mehr als 50 Jahre nach dem Ende des verheerenden Krieges.

Dass es überhaupt so lange gedauert hat, einen Entschädigungsfonds für Zwangsarbeiter aufzulegen, ist weiß Gott kein Ruhmesblatt für die bundesdeutsche Politik und insbesondere für die Wirtschaft. Diese jetzt so notwendige Debatte wird in den DVU-nahen Medien derzeit allenfalls unter dem Stichwort „Betroffenheitsrituale” verzeichnet, ja diffamiert. Die DVU behauptet in ihrem Antrag allen Ernstes, während des Zweiten Weltkrieges hätten Zwangsarbeiter durchweg Entschädigungen erhalten, und zwar die Opfer des deutschen Unrechts. Dies ist nicht nur falsch, wie ich am Beispiel der Zwangsarbeiter gerade deutlich gemacht habe, sondern in seiner kaltherzigen Ignoranz auch zynisch und menschenverachtend.

Über das Schicksal der überlebenden Zwangsarbeiter insbesondere in den osteuropäischen Staaten hätte man sich in den zurückliegenden Monaten sicher einmal in den Medien informieren können, wenn man gewollt hätte. Die DVU wollte offenbar nicht, sonst hätte ihr eine derartige Formulierung die Schamesröte ins Gesicht treiben müssen.

Worum geht es der DVU wirklich? Sie instrumentalisiert die aktuelle Entschädigungsdebatte für ausländische Zwangsarbeiter, um den Spieß einfach umzudrehen. Nicht die ausländischen Opfer der deutschen Aggression, sondern die deutschen Zwangsarbeiter benötigten ein Zeichen später Wiedergutmachung für das von den Siegermächten verübte Unrecht. Das muss man sich erst einmal trauen - die tatsächlichen historischen Zusammenhänge vollkommen auf den Kopf zu stellen.

Die in diesem Antrag enthaltene Gleichsetzung der Problematik ausländischer und deutscher Zwangsarbeiter weise ich als geschichtslos und moralisch zweifelhaft zurück. Die DVU kocht ihr trübes parteipolitisches Süppchen aus dem Leid und dem Schicksal Hunderttausender von ausländischen und deutschen Zwangsarbeitern. Das haben diese Menschen ganz sicher nicht verdient.

Entgegen den Behauptungen der DVU sind von der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Gesetze erlassen worden, um Kriegsfolgelasten für deutsche Staatsangehörige zu beseitigen oder zu mindern. Dazu gehören das Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, das der DVU völlig unbekannt zu sein scheint, das Häftlingshilfegesetz, das Lastenausgleichsgesetz oder auch das Bundesversorgungsgesetz. 1993 wurden das Kriegsfolgenbeseitigungsgesetz und das Heimkehrerstiftungsgesetz verabschiedet. Diese gesetzlichen Initiativen hatten unter anderem den Zweck, die Entschädigung und Eingliederung der ehemaligen Kriegsgefangenen in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland sicherzustellen. Dieses Grund-anliegen wurde auch erfüllt. Auch das Bundesversorgungsgesetz enthält Möglichkeiten, Entschädigungsleistungen wegen Internierung in Arbeitslagern geltend zu machen.

Die Behauptung, deutsche Staatsangehörige hätten keinerlei finanzielle Ausgleichs- und Entschädigungsleistungen erhalten, ist also genauso falsch wie die gegenteilige Behauptung, bei den Opfern deutschen Unrechts sei das durchweg der Fall gewesen.

Im Grunde ist der vorliegende Antrag in seiner ganzen verqueren Argumentation und manipulierten Begründung eine einzige Zumutung für das Parlament und wir werden ihn selbstverständlich ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an den Abgeordneten Ludwig. Er spricht für die PDS-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Noch immer haben Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter vieler Nationalitäten, die heute Bürger vieler verschiedener Staaten sind, keine Entschädigungszahlungen aus Deutschland erhalten. Noch immer weigert sich ein entscheidender Teil der Vertreter der deutschen Wirtschaft, die mehr als billigen Einzahlungen in den Entschädigungsfonds zu leisten. Täglich neue Ausreden, täglich mehr verstorbene Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter! So ist die Lage auf diesem nicht nur außenpolitisch wichtigen Gebiet. Diese Entschädigungen sollen nun endlich an diejenigen gezahlt werden, die als Bürger anderer Staaten Opfer der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg geworden sind. Der vorliegende Antrag leistet dazu keinen Beitrag. Schlimmer noch, er lenkt ab und enthält falsche Behauptungen.

In der Kenntnis, dass viele bewegende Einzelschicksale auch deutscher Bürgerinnen und Bürger die Verbrechen des deutschen Faschismus am deutschen Volk verdeutlichen, befremdet mich es besonders, diese Betroffenen gerade in der jetzigen politischen Auseinandersetzung offenbar nur zu benutzen. Welches Bild will die DVU hier erzeugen? In der Begründung wird dann behauptet, dass Zwangsarbeiter für erlittenes deutsches Unrecht „durchweg Entschädigung erhielten”. Dies ist so offensichtlich falsch, dass ich andere politische Motive hinter diesem Antrag vermute, vermuten muss.

Die PDS-Fraktion lehnt diesen Antrag ab. Wir erwarten, dass alle Verantwortlichen im politischen Raum sich für die sofortige Auszahlung der deutschen Entschädigung an die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einsetzen und dass die deutsche Wirtschaft endlich ihren Beitrag dazu leistet. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei der SPD)

Da die Landesregierung Verzicht signalisiert hat, sind wir am Ende der Rednerliste.

Wir kommen zur Abstimmung. Die DVU-Fraktion beantragt Überweisung ihres Antrages an den Rechtsausschuss. Ich frage

Sie, wer diesem Überweisungsansinnen folgt. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist diese Überweisung mehrheitlich abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Wer dem Antrag der DVU-Fraktion folgt, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 10 und rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Opferentschädigungsgesetz

Antrag der Fraktion der DVU

Drucksache 3/2745

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der beantragenden Fraktion. Herr Abgeordneter Schuldt, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kriminalfälle Zurwehme und Schmökel sind tragische Beispiele für die Unverantwortlichkeit mancher Gutachter bei der Empfehlung und Gewährung von Hafterleichterungen. Die schweren Straftaten, die gerade diese Verbrecher verübt haben, sind uns noch gut in Erinnerung.

Auch während eines Hafturlaubs oder Freigangs befindet sich der Verurteilte nach wie vor im Gewahrsam des Staates. Die DVU-Fraktion ist deshalb der Auffassung, dass bei Resozialisierungspannen Verbrechensopfern bzw. Hinterbliebenen ein Schadensausgleich sowie Schmerzensgeld zugestanden werden müssen.

Herr Minister Schelter, wir haben den vorliegenden Antrag zum Opferentschädigungsgesetz eingebracht, weil den über 200 000 Gewaltopfern im letzten Jahr nicht mit einem Achselzucken begegnet werden kann. Auch wenn Sie Absichten formulierten, geht unser Antrag, den wir heute einbringen, entschieden weiter. Ich hoffe, Sie geben mir auch darin Recht: Wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger wirksam gegen Verbrechen zu schützen, so muss er zumindest die Opfer wirksam entschädigen.

Im Jahr 1999 konnten in ganz Deutschland nur 1 424 Personen, darunter auch Witwen und Waisen, eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz durchsetzen. Von den 200 000 Gewaltopfern erhielten damit nur 0,7 % eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz. Wie ist diese geringe Zahl zu erklären? - Ist es die Unwissenheit der Opfer, wonach mögliche Entschädigungsansprüche nicht geltend gemacht werden? Klärt der Staat nicht genügend auf? Wollen die Opfer oder Hinterbliebenen langjährige Prozesse vermeiden? Oder liegt es daran, dass nach allgemeinem Empfinden der Staat dem Opferschutz ohnehin keine besondere Bedeutung zumisst?

Warum hat der Opferschutz keinen Verfassungsrang? „Auch 25 Jahre nach seinem In-Kraft-Treten bleibt das Opferentschädigungsgesetz Gewaltopfern weitgehend verborgen”, kritisiert die Hilfsorganisation für Kriminalgeschädigte „Weißer Ring”.

Selbst vielen Behörden sei das OEG nicht geläufig. Jahr für Jahr erleiden rund 200 000 Gewaltopfer körperliche und seelische Schäden, durch die viele Betroffene zeitweise oder auf Dauer aus ihrer Lebensbahn geworfen werden. „Vor allem diese Menschen und ihre Angehörigen oder Hinterbliebenen sind auf die Solidarität des Gemeinwesens und damit auf staatliche Entschädigungsleistungen dringend angewiesen”, betont der „Weiße Ring”.

Nur knapp 12 % der absolut mangelhaft über ihre Rechte aufgeklärten Betroffenen stellen einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG. Rentenleistungen aufgrund erheblicher körperlicher und seelischer Schäden werden lediglich in rund 16 % der ca. 9 000 Anerkennungsfälle gewährt. Die Anerkennungsquote würde erheblich zunehmen, wenn in das polizeiliche Anzeigeformular die Frage aufgenommen werden würde, ob Entschädigungsansprüche an das Versorgungsamt gestellt werden. Damit blieben auch Fristen gewahrt. Der „Weiße Ring” kritisiert die staatliche Informationsblockade gegenüber Verbrechensopfern. Darauf zu hoffen, dass kaum jemand die gesetzlichen Ansprüche auf Opferentschädigung wahrnimmt, ist zutiefst unverantwortlich und unmoralisch.

Die DVU-Fraktion erwartet, dass die Landesregierung dem Schutz der Bevölkerung eindeutig Vorrang vor zweifelhaften Resozialisierungsmaßnahmen gibt. Für viele Rechtsbrecher ist der vorzeitige Weg in die Freiheit zugleich die Rückkehr in das Verbrechen. Auch muss endlich Schluss sein mit dem Gerede vom Restrisiko, das die Bevölkerung als Konsequenz missglückter Resozialisierungsexperimente zu tragen habe.

Ich betone noch einmal: Die Fälle Zurwehme und Schmökel sowie andere haben uns vor Augen geführt, dass staatliche Organe bzw. ihre Helfer gründlich versagt haben. Nicht therapierbare Straftäter müssen leider für immer weggeschlossen bleiben und die Opfer bzw. ihre Angehörigen müssen die Gewissheit haben, dass sie nie wieder von diesen Tätern angegriffen werden. Opferschutz und Opferhilfe rangieren weit vor den Interessen des Täters.