Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

Aktuelle Stunde

Thema: Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau - Wirtschaftswachstum auf Tiefstand: Die Landesregierung muss endlich auf neue Herausforderungen reagieren

Antrag der Fraktion der PDS

Das Wort geht an die Abgeordnete Frau Dr. Schröder von der PDS-Fraktion. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Verantwortung für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Brandenburgerinnen und Brandenburger setzt die PDS-Fraktion das heutige Thema der Aktuellen Stunde.

Die Betroffenheit ist groß. Ende September 2001 waren 227 000 Menschen im Lande als arbeitslos registriert. Hinzu kommt die verdeckte Arbeitslosigkeit mit 50 000. Noch nie lagen in einem September die Zahlen so hoch. Das Jahr 2001 droht zum Jahr der höchsten Arbeitslosigkeit zu werden und das trotz steigender Pendlerströme und Abwanderungen.

Die PDS konstatiert: Was die SPD in alleiniger Regierungsverantwortung bereits an trauriger Arbeitsmarktbilanz vorgelegt hat, übertrifft sie jetzt noch gemeinsam mit der CDU in großer Koalition - mit der CDU, der angeblich so wirtschaftskompetenten Partei, was wohl auch nur eine Legende ist. Wenn die Landesregierung in ihrem jüngst vorgelegten Arbeitsmarktbericht feststellt, dass auch in den nächsten Jahren nicht von einer Entspannung am Arbeitsmarkt auszugehen ist, dann leistet die große Koalition damit ihren beschäftigungspolitischen Offenbarungseid.

Große Probleme bereiten nach wie vor die zunehmend hohe Jugendarbeitslosigkeit und die in diesem Jahr wieder besonders prekäre Ausbildungssituation.

Beschämend für unser Land ist die Situation arbeitsloser Schwerbehinderter. Während auf Bundesebene Fortschritte zu verzeichnen sind, registrieren wir im Lande Rückschritte, nämlich einen Anstieg um 8,3 % gegenüber dem Vorjahr. Mit dieser Rate ist Brandenburg Schlusslicht aller Bundesländer.

Die schlimmste Entwicklung ist die der Verfestigung von Arbeitslosigkeit. Die Langzeitarbeitslosigkeit stieg in Brandenburg im Jahre 2000 gegenüber dem Vorjahr um 20,2 %. Es gibt Regionen im Lande, in denen nahezu die Hälfte aller registrierten Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne Job ist.

Immer dann, wenn sich Wirtschaft und Politik unfähig zeigen, das Beschäftigungsproblem zu lösen, wird die Debatte um angebliche Drückeberger, Scheinarbeitslose und Sozialschmarotzer entfacht. Energisch wendet sich die PDS gegen die Stigmatisierung Arbeitsloser als quasi Verursacher der Arbeitslosigkeit.

(Beifall bei der PDS)

Hier stehen wir solidarisch an der Seite derer, die als Opfer zu Tätern umdefiniert und abgestempelt werden. Der Gang zum Arbeits- oder Sozialamt, eine Nummer zu ziehen, eine Nummer unter vielen zu sein, Regelungen zu Verfügbarkeit und Zumutbarkeit, Zwang zu Niedriglohnarbeit bedeuten Ausgrenzung im Arbeitslosendasein.

Der Vorwurf des Einrichtens in der so genannten sozialen Hängematte ist schnell wiederlegt. In Brandenburg stehen gegenwärtig 31 Arbeitslose einer einzigen offenen Stelle gegenüber. Hier geht Brandenburg mit schlechtem Beispiel deutlich voran. Zum Vergleich: In Thüringen sind es 13 und in MecklenburgVorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt kommen 18 Arbeitslose auf eine offene Stelle.

Diese negative Abkopplung Brandenburgs von Ostdeutschland hat Ursachen. Seit Jahren kommt der wirtschaftliche Aufschwung im Land Brandenburg nicht voran, weil strukturelle Defizite nicht überwunden werden. Jetzt, im Herbst 2001, steht Brandenburg vor der Rezession. Im ersten Halbjahr 2001 sank das Bruttoinlandprodukt real um 1,7 %. Wenn jetzt strukturelle Defizite und konjunkturelle Krise aufeinander treffen, dann liegt darin die neue Dramatik. Die PDS fordert ein neues Herangehen an das gesellschaftliche Problem Nummer 1.

(Beifall bei der PDS)

Vor allem vermisst meine Fraktion die kritische Auseinandersetzung mit dem eingeschlagenen beschäftigungspolitischen Landeskurs. Sowohl der Kurs "Weg von der Förderung des zweiten Arbeitsmarkts - hin zur verstärkten Förderung des ersten Arbeitsmarkts" als auch der Kurs innerhalb der Arbeitsmarktpolitik "Qualifizierung vor öffentlich geförderter Arbeit" sind gescheitert, weil beide Strategien den Nachweis von Beschäftigungswirksamkeit schuldig bleiben.

(Beifall bei der PDS)

Bei aller Leuchtturmpolitik muss die Landesregierung endlich sich selbst eingestehen und der Öffentlichkeit vermitteln, dass Wirtschaftswachstum allein den Abbau von Massenarbeitslosigkeit nicht bewerkstelligen wird. Verabschieden Sie sich von Ihrer Ideologie, der Angebotsdoktrin! Das Projekt Chipfabrik zeigt dieses Versagen überdeutlich. Wenn die öffentliche Hand das finanzielle Hauptrisiko trägt, dann hat das doch nichts mehr mit Gestaltung von Rahmenbedingungen und auch überhaupt nichts mehr mit einer funktionierenden Marktwirtschaft zu tun.

Ein Umdenken muss sich auf den effektiven Umgang und Einsatz von Geldern in der Wirtschaftsförderung konzentrieren. Maßstab ist und bleibt für die PDS die Beschäftigungswirksamkeit, vor allem die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

„Fördern und Fordern” - dieser Grundsatz, der für Arbeitslose nicht erst mit dem Job-AQTIV-Gesetz, sondern schon immer gilt, muss endlich auch für die Wirtschaft als Empfänger staatlicher Subventionen gelten.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Herr Wirtschaftsminister, das geht an Ihre Adresse. Wer fördert, darf auch fordern. Die Ergebnisse zur Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der gewerblichen Wirtschaft geben zumindest Hinweise auf eine rückläufige Effizienz eingesetzter Subventionen.

Erstens: Das Verhältnis von neu geschaffenen zu gesicherten Arbeitsplätzen entwickelt sich seit 1994 zuungunsten der Schaffung neuer Arbeitsplätze. Es ist verständlich, dass es Anfang der 90er Jahre infolge der übereilten und rigorosen Privatisierung mehr Aufwuchs als Sicherung gab. Doch schauen wir uns das Verhältnis der geförderten zu den gesicherten Arbeitsplätzen an: 20 % neu zu 80 % gesichert am Ende der 90er Jahre. Im Jahre 1991 waren es noch 60 % neu zu 40 % gesichert. Diese drastische Umkehr ist ungesund.

Zweitens: Ein durch öffentliche Förderung neu geschaffener bzw. gesicherter Arbeitsplatz kostete den Steuerzahler im Durchschnitt der 90er Jahre 33 400 DM. Die Tendenz ist stei

gend. Im Jahre 1999 betrugen die öffentlichen Kosten durchschnittlich 40 000 DM.

Drittens: Während zu Beginn der 90er Jahre 100 DM Fördermittel noch 500 DM bis 600 DM private Investitionsmittel aktivierten, sind es am Ende der 90er Jahre nur noch 300 DM bis 400 DM. Der Anschub privater Investitionen wird für die öffentliche Hand also immer teurer.

Viertens: Während zu Beginn der 90er Jahre über ein gefördertes Investitionsvorhaben durchschnittlich mehr als 30 neue Arbeitsplätze entstanden, waren es Ende der 90er Jahre im Durchschnitt nur noch sechs Arbeitsplätze pro Investitionsvorhaben. Diese Entwicklung deutet auf steigende Mitnahmeeffekte in der Wirtschaftsförderung hin.

Angesichts dieser Ergebnisse verstehe ich die einseitig geführte Effizenzdebatte um Arbeitsförderung nur noch als blanke Ideologie nach dem Motto: Gelder, die in die Wirtschaftsförderung fließen, sind gut. Gelder, die in die Arbeitsförderung fließen, sind schlecht.

Übersehen wird dabei, dass Arbeitsförderung vor allem den Ausgleich am Arbeitsmarkt unterstützen soll. Bei der individuellen Förderung geht es darum, Persönlichkeiten in ihrer Vermittlungsfähigkeit zu stärken. Wenn der Übergang in reguläre Beschäftigung misslingt, dann doch nicht wegen schlechter Arbeitsförderung, sondern doch wohl wegen mangelnder Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarkts. Dennoch: Geprügelt werden die Träger der Arbeitsförderung, jene also, die sich mühen, im Chaos Beschäftigung und Lebenshilfe zu organisieren.

Wider besseres Wissen wird von konservativer Seite die angebliche Verschwendung von öffentlichen Geldern in der Arbeitsförderung vehement angemahnt. Auch die Brandenburger CDU maßt sich an, öffentlich geförderte Beschäftigung zu diffamieren, und fordert gar, die Landeskofinanzierung für ABM und SAM auf null zu fahren.

(Zuruf von der CDU)

Wäre die Lage im Land nicht so traurig, kämen mir ob solcher Forderungen wirklich vor Lachen die Tränen, da ausgerechnet eine von Spendenskandalen gebeutelte Partei vermeintlich irregeleitete Gelder thematisiert.

(Zuruf des Abgeordneten Bartsch [CDU])

Bringen Sie als Gesamtpartei endlich Licht in Ihre schwarzen Koffer! Erst dann können Sie an solchen Debatten wieder gleichberechtigt teilhaben.

(Vogelsänger [SPD]: Oh!)

Meine Damen und Herren, wir brauchen eine seriöse Debatte um Arbeitsförderung. Durchaus kritisch sind dabei Möglichkeiten und Grenzen der Maßnahmen aufzuzeigen. Die Kritik der PDS richtet sich in erster Linie gegen die geringe Bezahlung und Diskontinuität von Beschäftigung am zweiten Arbeitsmarkt. Ich sage auch: ABM und SAM dürfen nicht länger als komplette Ersatzfinanzierung für kommunale Pflichtaufgaben missbraucht werden. Hier stimme ich der gestrigen Einschätzung des Arbeitsministers ausdrücklich zu. Infrastrukturför

derung darf nicht länger aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung finanziert werden.

Auch das Instrument der beruflichen Fortbildung und Umschulung stößt an Grenzen. Teilnehmende in Ostdeutschland - das ist empirisch belegt - erleben Qualifizierungsmaßnahmen zumeist als Zwischenstation ihrer Erwerbslosenbiografie. Da hilft dann auch kein teures Motivationstraining mehr; denn die beste Motivation ist und bleibt Arbeit.

(Beifall bei der PDS)

Das Landesprogramm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg” würde in Verantwortung der PDS „Arbeit und Qualifizierung für Brandenburg” heißen und natürlich die dementsprechende Akzentsetzung erfahren.

Wieder sieht der neue Doppelhaushalt Kürzungen in der Kofinanzierung öffentlich geförderter Beschäftigung vor. Ausgehend vom schon historischen Tiefststand sind in den kommenden zwei Jahren erneut Kürzungen um jeweils 3 Millionen Euro geplant. Brandenburg ist im Vergleich aller ostdeutschen Länder bereits seit Jahren Schlusslicht bei ABM. Bei Strukturanpassungsmaßnahmen befinden wir uns im unteren Drittel und auch der vermeintliche Schwerpunkt Qualifizierung ist nicht nachweisbar. Hier bewegt sich Brandenburg genau im Mittel.

Der Brandenburger Arbeitsminister wird nicht müde, in jeder Erklärung zur Beschäftigungslage ein Bund-Länder-Programm zur Verbesserung der kommunalen Infrastruktur zu fordern, doch findet er mit seinem Vorschlag kein Gehör auf Bundesebene. Auch das Ans-Tor-Schlagen der „Zehn Thesen zum Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern” beim Bundeskanzleramt wäre wohl vergebliche Müh.

So ist der Tatenlosigkeit auf Bundesebene, die mit dem Schlagwort „Politik der ruhigen Hand” noch als Tugend deklariert wird, landespolitische Aktivität entgegenzusetzen. Es gibt nur diesen einen Ausweg der anpackenden, unruhigen Brandenburger Hände. Wir unterstützen die Vorschläge aus dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen; doch darf die viel besprochene Schallplatte nicht einstauben, sie muss endlich aufgelegt und vor allem abgespielt werden. Beginnen wir damit auf Landesebene!

(Beifall bei der PDS)

Die PDS-Fraktion fordert ein Landesprogramm zur Stärkung und Stabilisierung der sozialen und kulturellen Infrastruktur sowie zum ökologischen Umbau im Land Brandenburg. Strukturelle Defizite und wirtschaftliche Rezession erfordern jetzt die Ankurbelung der Nachfrage über antizyklische Beschäftigungspolitik, die auf Strukturveränderung konzentriert sein muss. Die PDS-Fraktion sieht besonderen Handlungsbedarf in den Bereichen Soziales, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Kultur, Soziokultur und Ökologie. Hier ist ein erheblicher Nachholbedarf entstanden, weil sich Investitionen in diesem Bereich privatwirtschaftlich nicht rechnen, weil hier wiederholt öffentliche Mittel gekürzt worden sind und eine starke Abhängigkeit von Maßnahmen der Arbeitsförderung besteht.

Wir wollen ein reines Landesprogramm zur Finanzierung von In

vestitionen, Personal- und Sachkosten auflegen und somit Gestaltungsspielräume öffnen, die es eben nicht gibt, wenn Förderung immer wieder am Tropf der EU, des Bundes und der Bundesanstalt für Arbeit hängt. Förderung muss sich stärker am konkreten regionalen Bedarf und nicht der Bedarf an den Vorgaben der Förderrichtlinie orientieren, wie es in der Praxis leider häufig der Fall ist.

Wichtiges Kriterium der PDS-Initiative ist der Nachweis von Beschäftigungswirksamkeit und Nachhaltigkeit. Wir stellen uns einen regional ausgerichteten Projektwettbewerb vor, der sich ausschließlich auf Landkreise und kreisfreie Städte bezieht, deren Arbeitslosenquote über dem Durchschnitt der Arbeitslosenquote des Landes liegt. Gemessen am Durchschnitt der ersten drei Quartale des Jahres 2001 sind dies die Regionen Elbe-Elster, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße, Uckermark, Ostprignitz-Ruppin, Prignitz, Brandenburg an der Havel und Frankfurt (Oder).

Zur Realisierung dieses Vorhabens sind über einen Fonds ab dem Jahre 2002 und zunächst auf fünf Jahre befristet finanzielle Mittel in Höhe von jährlich 40 Millionen Euro bereitzustellen, also 5 Millionen Euro pro benachteiligte Region.

Wir sind davon überzeugt, dass dies tatsächlich Zukunftsinvestitionen sind, weil sie eben nicht in bloßes Kapital investieren, sondern in Erwerbstätigkeit und Humanressourcen. Darum ist dieses Programm Hauptgegenstand unserer Forderungen in den anstehenden Beratungen um den Doppelhaushalt 2002/2003. Das Geld, meine Damen und Herren, ist vorhanden, wie die immensen Investitionen in die innere Sicherheit und in das waghalsige Projekt Chipfabrik belegen.