Ist der Stellenwert von Bildung und Erziehung in der Gesellschaft - damit meine ich Eltern, Schule, Politik, Öffentlichkeit und Medien; meine Damen und Herren von der PDS, auch Sie gehören dazu - groß, dann werden auch die Ergebnisse gut sein. Dies lässt sich ohne Probleme anhand vieler Länder wie Japan, Korea und Finnland belegen, die besonders gut abgeschnitten haben. Dort, wo Bildung und Erziehung in Elternhaus, Schule und Gesellschaft auf Leistung, Anstrengung und Erfolg ausgerichtet sind, wo der Lehrer Anerkennung und Autorität besitzt dazu braucht man keinen sozialistischen Lehrertag; darin sind wir uns wohl einig -,
wo der Lehrer als Erzieher gestärkt wird und sich selbst und seine Arbeit immer wieder kritisch prüft und verändert, wo Elternhaus und Schule an einem Strang ziehen, sind bessere Leistungen der Schüler möglich.
In Deutschland haben wir seit den 70er Jahren zahlreiche Bildungsreformen und -reförmchen durchgeführt, wobei die wesentlichen vom Denken der 68er beeinflusst waren. In Brandenburg haben wir 1990 viele Ideen der westlichen, so genannten modernen Pädagogik übernommen. Leider haben wir 1990 - Frau Große, ich widerspreche Ihnen an dieser Stelle ausdrücklich; das scheint Sie zu wundern, aber Sie haben mich in den letzten sieben Jahren nicht erlebt und ich habe damit auch kein Problem - auch vernünftige pädagogische Prinzipien und Einrichtungen über Bord geworfen. Heute haben wir es gerade mit den Ergebnissen dieser Entwicklung zu tun. Für diese Entwicklung tragen Politiker von heute - ich nenne nur Herrn Schönbohm und Frau Wanka, die hier erst seit kurzem politisch tätig sind - keine Verantwortung.
Viele zeigen sich von den Ergebnissen der PISA-Studie überrascht. Das wiederum, meine Damen und Herren, überrascht mich. Haben denn jene die Warnungen der Kammern, Ausbildungsbetriebe und Universitäten Mitte der 90er Jahre nicht gehört? Ist die große Bildungsrede von Roman Herzog 1997 nicht verstanden worden? Wir haben sie gehört und verstanden.
Mit der Novelle des Schulgesetzes in Brandenburg ergriffen wir politische Maßnahmen, die gerade den sinkenden Leistungen entgegenwirken sollen.
Das allein aber reicht nicht. Schaut man sich die in der PISAStudie führenden Länder an, findet man sehr unterschiedliche Bedingungen: In Japans Klassen sitzen 40 Schüler, die Arbeitszeit der Eltern beträgt im Durchschnitt 500 Stunden pro Jahr mehr als in Deutschland, die Lehrer verdienen nicht besonders gut, in der Gesamtschule herrschen absolute Disziplin - der Begriff Disziplin ist japanischen Lehrern überhaupt nicht bekannt - und ein durchgängig strenges Leistungsprinzip. In Korea sieht es ähnlich aus. In Finnland gibt es Gesamtschulen nach dem Ganztagsprinzip; dort gibt es bis zur 9. Klasse wenige Leistungsüberprüfungen und Noten. In Kanada werden Tests in Hülle und Fülle geschrieben. Trotzdem sind die Ergebnisse der PISA-Studie in den genannten Ländern für uns beispielhaft.
Was will ich damit sagen? Die äußeren Bedingungen der deutschen Bildungssysteme - es gibt in Deutschland ja nicht nur ein Bildungssystem - sind sehr unterschiedlich. Wer beispielsweise nach PISA das gegliederte Schulsystem Deutschlands infrage stellen will, muss auch akzeptieren, Frau Große, dass Gesamtschulsysteme in der PISA-Studie gute, aber auch besonders schlechte Ergebnisse erzielt haben. So stellen sich die Alternativen offensichtlich nicht. Wer beispielsweise behauptet, das finnische oder japanische Bildungssystem könne uns in Deutschland wirklich helfen, der vergisst, dass es in Deutschland die finnischen oder japanischen Kinder, die Eltern mit ihren sozialen Bezügen und ihren Auffassungen von Bildung und Erziehung sowie die dortigen gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse nicht gibt.
Wir meinen, dass politische Einzelmaßnahmen allein den wirklichen Ursachen nicht gerecht werden. Wir brauchen einen höheren Stellenwert der Bildung und Erziehung in unserer Gesellschaft. Wir brauchen Eltern, die wissen, dass die wesentlichen Grundlagen für Bildung und Erziehung bis zum 10. Lebensjahr gelegt werden, und die auch danach handeln und die ihren Erziehungs- und Bildungsauftrag so ernst nehmen, wie es in anderen Staaten der Fall ist. Wir brauchen überhaupt die Vorbildwirkung der Eltern und der anderen Erwachsenen. Kinder müssen erfahren, dass auch Anstrengung Freude macht und Lebensfreude nicht nur dort gesehen wird, wo man sich der Anstrengung und damit auch der Leistung entzieht.
Meine Damen und Herren, in Deutschland ist die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft von Elternhaus, Kita und Schule nötig. Kinder sehen ihre Eltern und lernen von ihren Eltern. Kinder sehen Erwachsene und lernen von ihnen. Mit dem, was unsere Kinder sind, halten sie uns einen Spiegel vor.
Wenn sie bei uns die preußischen Tugenden wie Fleiß, Pflichterfüllung, Pflichtbewusstsein, Ordnung, Disziplin, Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft, Anstrengung sowie das Setzen von Zielen und Schwerpunkten im Leben nicht mehr erkennen können über diese Tugenden spricht übrigens nicht nur Herr Schönbohm; auch Herr Stolpe sprach anlässlich eines Besuchs von Herrn von Weizsäcker in Potsdam sehr ausführlich darüber -, wie sollen sie dann lernen, was für ihr Leben notwendig ist?
Wenn nur 40 % der deutschen Eltern regelmäßig mit ihren Kindern über Schule reden - in Italien sind es beispielsweise 80 % -, wie sollen sich Kinder dann mit ihren Sorgen, Nöten und Problemen ernst genommen fühlen und sie bewältigen lernen? Wie sollen Kinder an Anstrengung herangeführt werden, wenn sie in vielen Stunden Fernsehen von einer Spiel-, Spaß- und Fun-Gesellschaft, die aus Events besteht - „Big Brother” lässt grüßen -, hören? Die Schule verstehen sie dann als Gameshow und nicht mehr als das Wesentliche für ihr Leben oder die Gameshow ist das Wesentliche.
An meinen Aussagen ist erkennbar, dass wir wesentliche Veränderungen nur im Konsens erreichen werden. Der Staat allein wird es nicht richten, auch wenn Sie es sich wünschen, meine Damen und Herren von der PDS. Im Mittelpunkt stehen die Eltern, die Kindergärten, deren Bildungsauftrag klar definiert werden muss, und die Grundschulen, die Kernwissen vermitteln, aber auch problemorientierte Lernprozesse üben müssen. Die Lehrerausbildung muss sich auf diese neuen Anforderungen einstellen. Wir müssen früher und stärker praxisorientiert ausbilden. Wir müssen über die Abwahl von Fächern nachdenken; nicht der leichteste Weg ist der erstrebenswerteste. Wir brauchen keine neuen Fächer, müssen aber fächerübergreifende Denkprozesse anregen. Wir brauchen verbindliche Standards in der Grundschule, die Grundkompetenzen und -fertigkeiten verlangen. Schließlich müssen wir uns wieder darauf einstellen, dass Kinder etwas leisten wollen, dass sie sauer sind, wenn sie nichts lernen und nicht gefordert werden.
Elternhaus und Schule müssen dies nutzen. Sie müssen Verhaltensweisen und Denkleistungen trainieren, dürfen Kinder aber nicht dressieren.
Eine Allensbach-Studie ergab, dass sich 45 % der deutschen Eltern noch kein Buch gekauft haben. Nirgendwo in der Welt gibt es eine so traurige Bilanz. Daher kann es nicht verwundern, dass 42 % der in der PISA-Studie befragten Schüler kein Interesse am Lesen zeigen. Darüber sprach auch schon Frau Große. Die Sprache, der Gedankenaustausch und das Lesen sind aber Grundvoraussetzungen für alle Denkprozesse und für die Leistung in allen anderen Unterrichtsfächern. Eine Gesellschaft bleibt nur dann gebildet, wenn sie eine lesende Gesellschaft bleibt.
Offenkundig ist, dass Kinder aus sozial schwachen Familien im Durchschnitt besonders geringe Leistungen aufweisen. Hier ist die gesamte Politik gefordert.
„Schaffen wir ein Bildungssystem, das Leistung fördert, keinen ausschließt, Freude am Lernen vermittelt und selbst als lernendes System kreativ und entwicklungsfähig ist.”
Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Hartfelder. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der DVU. Frau Abgeordnete Fechner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sind unsere Kinder heute dümmer und fauler als noch vor wenigen Jahren? Diese Frage stellt sich vielen, wenn sie sich das Ergebnis der PISA-Studie ansehen. Fast jeder vierte Schüler kann kaum lesen und rechnen. Das bedeutet, dass ein Viertel aller Schulabgänger keine reelle Chance auf einen Ausbildungsplatz und damit auf einen Arbeitsplatz hat.
Meine Damen und Herren, unsere Kinder sind nicht dümmer und nicht fauler als die früherer Generationen. Sie sind, und das ist wesentlich schlimmer, nicht zukunftsfähig. Schon lange vor Veröffentlichung der PISA-Studie gaben IHKs und Handwerkskammern Hinweise dahin gehend, dass zu wenige Ausbildungsplätze nicht die einzige Misere sind, sondern dass Schulabgänger vielmehr oft gar nicht das Niveau für eine berufliche Ausbildung mitbringen. Die BASF AG hat 1998 die Ergebnisse einer Langzeitstudie vorgelegt, die belegen, dass die Fähigkeiten der Ausbildungsplatzbewerber sowohl quantitativ als auch qualitativ immer mehr nachlassen.
Meine Damen und Herren, auf der einen Seite ist man nicht in der Lage, Schülern durch eine solide Schulbildung eine Berufsausbildung überhaupt erst zu ermöglichen, und auf der anderen Seite beklagt man, dass Fachkräfte fehlen. In Form der Green Card glaubt man, für Letzteres eine Lösung gefunden zu haben. Mithilfe ausländischer Fachkräfte will man den selbst verschuldeten Fachkräftemangel kompensieren. Die Fraktion der Deutschen Volksunion fordert, dass die Bildung unserer Kinder Vorrang vor der Abwerbung von Spezialisten aus Entwicklungsländern hat.
Meine Damen und Herren, immer wieder sorgten Studien über den Bildungsstand unserer Kinder und Jugendlichen für viel Wirbel und Aufruhr. Immer wieder gibt es auch wüste Spekulationen und Schuldzuweisungen. Der Streit zwischen konservativen und sozialdemokratischen Bildungskonzepten dauert bis heute an und fand neue Nahrung durch die Veröffentlichung der PISA-Studie. Studie hin, Studie her, eines steht fest: Das Bil
dungsniveau unserer Kinder und Jugendlichen lässt sehr zu wünschen übrig. Man braucht sich nur einmal die Zahl der Schulabgänger ohne den Abschluss Berufsbildungsreife anzusehen. Seit 1995 steigt die Zahl kontinuierlich. Im vergangenen Jahr hatten hier im Land Brandenburg fast 9 % keinen solchen Abschluss. Immer mehr Schüler brechen ihre Schul- und Berufsausbildung vorzeitig ab. Auch die Zahl der Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten hat sich seit 1997 nahezu verdoppelt. Diese Fakten, meine Damen und Herren, müssten doch allen zu denken geben, auch wenn die Redner der Koalitionsfraktionen das zu beschönigen versuchen.
Einige Politiker haben ihre Schlüsse aus dem miserablen Abschneiden Deutschlands im Rahmen der PISA-Untersuchung bereits gezogen. So sieht zum Beispiel Bayerns Regierungschef Edmund Stoiber als Grund dafür die große Zahl ausländischer Kinder, die die deutsche Sprache nicht beherrschen. Ja, auch diese Tatsache hat sicherlich eine nicht unbedeutende Rolle gespielt. So wird es bestimmt nicht überraschend sein, wenn der innerdeutsche Ländervergleich als Ergebnis der PISA-Studie ergeben wird, dass Länder mit einem hohen Ausländeranteil wesentlich schlechter abgeschnitten haben. Da die Ausländerquote in Brandenburg im Gegensatz zu Hamburg, wo sie fast 20 % beträgt, jedoch relativ gering ist, kann davon ausgegangen werden, dass Brandenburg beim innerdeutschen Vergleich nicht allzu schlecht abschneiden wird.
Trotzdem sollte auch unser Bildungsminister Reiche seine bisher praktizierte Bildungspolitik kritisch betrachten. Während Wirtschaft und Universitäten darüber klagen, dass heutige Schulabgänger kaum noch lesen und rechnen können, setzt unser Bildungsminister die Schwerpunkte ganz woanders, nicht bei der Rechtschreibung, sondern bei der tagtäglichen fächerübergreifenden Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Da werden, obwohl vielerorts Lehrermangel herrscht, so genannte Gedenkstättenlehrer eingesetzt, die sich um eine enge Zusammenarbeit der Schulen mit den KZ-Gedenkstätten kümmern und dafür pädagogische Konzepte entwickeln. Da findet der Nationalsozialismus im Musikunterricht große Beachtung, denn so wörtlich - „ohne den Nationalsozialismus im Musikunterricht zu behandeln, würde man die Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts nur ansatzweise verstehen können”.
Da wird der Sportunterricht zum antifaschistischen Seminar umfunktioniert, zum Beispiel durch die kritische Aufarbeitung der Olympischen Spiele von 1936. Und so weiter und so fort.
(Unruhe bei der PDS - Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Was soll denn das? Das kann doch nicht wahr sein! - Dr. Wieb- ke [SPD]: Das muss man sich ja wohl nicht anhören!)
Meine Damen und Herren, damit Sie mich richtig verstehen: Selbstverständlich ist eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit notwendig. Aber man kann das Ganze auch übertreiben. Wir sind der Meinung: Der originäre Aufgabenbereich einer Schule sollte es sein, Wissen und Bildung zu vermitteln, und zwar solches Wissen und solche Bildung, die auch für das spätere Leben, insbesondere das Berufsleben, notwendig sind. Dazu gehört in erster Linie das perfekte Beherrschen der Grundrechenarten und der deutschen Sprache.
Daher fordert die Fraktion der Deutschen Volksunion, dass bereits im Kindergarten und in der Grundschule das Beherrschen der deutschen Sprache wieder Hauptschwerpunkt der elementaren Bildung wird.
Meine Damen und Herren, oftmals ist der Unterricht auch noch zu lebensfremd und fachlich zu überladen. Ein Entrümpeln der Lehrpläne ist durchaus erforderlich.
Eine weitere Forderung unserer Fraktion lautet, dass die Bildungsinhalte der Schulbücher aller Bundesländer in den wesentlichen Kriterien übereinstimmen, sodass beim Schulwechsel in ein anderes Bundesland ein reibungsloser Anschluss möglich ist.
Tugenden wie Ordnung, Fleiß und Disziplin müssen wieder einen höheren Stellenwert an unseren Schulen einnehmen. Wie sieht es denn oftmals an unseren Schulen aus? Heutzutage müssen Lehrkräfte damit rechnen, nicht nur verbal, sondern auch körperlich angegriffen zu werden, so wie es einer Direktorin an einer Brandenburger Schule erging, als sie den Versuch unternahm, zwei sich raufende Schüler zu trennen. Respekt und Achtung vor dem Lehrer - an welcher Schule gibt es das noch? Einige Lehrer fühlen sich überfordert und resignieren. Auch bei etlichen Schülern lässt sich ein Desinteresse feststellen.
Doch wer oder was trägt die Hauptschuld am Bildungsnotstand deutscher Schüler? Die Schüler, weil sie kein Interesse mehr an einer ordentlichen Schulbildung haben? Die Lehrer, weil sie es angeblich nicht verstehen, die Schüler zu motivieren und den Unterricht interessant zu gestalten? Die Eltern, weil sie sich zu wenig um die Erziehung ihrer Kinder kümmern?