Protokoll der Sitzung vom 06.03.2002

Wir kommen zur Abstimmung des Antrages der DVU-Fraktion auf Überweisung der Drucksache 3/3899 an den Hauptausschuss, der auch hierbei federführend sein soll, sowie an den Innenausschuss. Wer diesem Überweisungsansinnen folgen möchte, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Damit ist die Überweisung mehrheitlich abgelehnt worden.

Nun kommen wir zur Abstimmung in der Sache. Wer dem Antrag in der Sache folgen möchte, möge die Hand aufheben. Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag auch in der Sache abgelehnt worden.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 4 und rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Gesetz zur Regelung der Staatshaftung für Straftaten von Personen, die aufgrund gerichtlicher Entscheidung in einem staatlichen Aufsichts- oder Obhutsverhältnis stehen (BbgStHAOG)

Gesetzentwurf der Fraktion der DVU

Drucksache 3/3901

1. Lesung

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der einbringenden Fraktion. Herr Abgeordneter Schuldt, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Suppe, die sich der Staat einbrockt, muss er auch selbst auslöffeln. Begeht ein Strafgefangener, der sich mit offizieller Erlaubnis außerhalb einer Justizvollzugsanstalt aufhält, erneut ein schweres Gewaltverbrechen, erregt dies meist großes Aufsehen. Ein solches Vorkommnis wird von vielen Seiten beleuchtet: Presse und Stammtische schäumen. Der Justizminister sieht sich einer Rücktrittsforderung ausgesetzt. Der Anstaltsleiter muss damit rechnen, versetzt zu werden. Der Staatsanwalt ermittelt gegen Staatsbedienstete, die mit ihrer Unterschrift das Verlassen des Anstaltsgeländes ermöglicht haben.

Wenig Beachtung fanden bislang aber Schadensersatzansprüche des Opfers der neuen Straftat bzw. dessen Angehörigen gegen den Staat. Diese wurden in der Regel abgewiesen.

Der mit den Schmökel-Missbrauchsfällen befasste Richter mahnte in der “MOZ” vom 27. Februar zum wiederholten Male an:

“So müssen die Schädigungen der Opfer stärker berücksichtigt werden. Allerdings wird meines Erachtens oftmals ein Geständnis übermäßig zugunsten des Täters berück

sichtigt und die Schädigung der Opfer nicht angemessen gewürdigt.”

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat am 26.09.2001 eine Wende vollzogen. Die Entscheidung ist - bezogen auf den Einzelfall - folgerichtig. Sie könnte aber das Bedingungsgefüge eines sensiblen Bereichs der Strafrechtspflege aus dem Gleichgewicht bringen, meine Damen und Herren.

Die Qualität der Freiheitsentziehung wird wesentlich bestimmt durch den Spielraum für Lockerungen nach außen, aber auch durch Bewegungsmöglichkeiten im Inneren der Gefängnisse. Der § 2 des Strafvollzugsgesetzes gibt allen Bediensteten im Strafvollzug, vor allem aber den Anstaltsleitern, zwei wesentliche Aufgaben vor: Sie sollen die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten schützen, gleichzeitig aber Strafgefangene und Sicherungsverwahrte befähigen, ein Leben ohne Straftaten zu führen § 156 Abs. 2.

Die Gewährung von Vollzugslockerungen soll diesem Befähigungsprozess dienen. Bei der Anordnung einer Lockerungsmaßnahme muss die Vollzugsbehörde stets eine Verhaltensprognose erstellen. Das fordert die Einschätzung der aktuellen Persönlichkeit eines Menschen unter den Bedingungen, denen er in der Zukunft ausgesetzt sein wird. Naturgemäß birgt dies das Risiko von Irrtümern. Viele Jahre war man sich dieser Zusammenhänge bewusst. Die Akzeptanz der Gewährung von Lockerungen und Hafturlaub nimmt in der Bevölkerung aber kontinuierlich ab.

Bestrebungen, das bislang einzigartige baden-württembergische Straftäter-Unterbringungsgesetz, das verfassungsrechtlich höchst umstritten ist, in anderen Ländern zu kopieren, sind im Gange.

Das OLG Karlsruhe hat nun erstmals einem Opfer der Gewaltstraftat eines Strafgefangenen im gelockerten Vollzug die Eigenschaft eines Dritten im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB zuerkannt. Bislang wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten unter Berufung auf das Tatbestandsmerkmal “einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht” sehr eng gefasst und insbesondere eine besondere Beziehung zwischen Opfer, Täter und Amtspflicht gefordert. Dem hat das Oberlandesgericht nun richtigerweise entschieden widersprochen.

Selbstverständlich bezweckt die genannte Amtspflicht auch den Schutz des Einzelnen vor Straftaten des Gefangenen. Auch in der modernen Grundrechtsdogmatik ist die Pflicht des Staates zum Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum der Bürgerinnen und Bürger anerkannt. Ihre Berücksichtigung im Rahmen der Auslegung bestehender Gesetze ist nicht nur zulässig, sondern geboten.

Die aktuelle Rechtsprechung reicht jedoch aus folgenden Gründen nicht aus, Opfern von in staatlicher Aufsicht und Obhut befindlichen Personen Genüge zu tun; denn was ist zum Beispiel mit an ihrem Vermögen geschädigten Opfern? Das OLG Karlsruhe hat lediglich auf die staatliche Pflicht zum Schutz von Leben, körperlicher Unversehrtheit wie auch sexueller Selbstbestimmung abgestellt. Ausschließlich diese Rechtsgüter waren im streitgegenständlichen Verfahren tangiert. Eine Einschränkung des Personenkreises der Dritten in Form des Ausschlusses von lediglich am Vermögen Geschädigten lässt sich dogmatisch aber nicht begründen. Die weniger ausgeprägte Schutzpflicht bezogen auf das Eigentum wird bei den Maßstäben für die Amtspflichtwidrigkeit zu berücksichtigen sein.

Die andere Seite der Medaille ist, dass sich der in Anspruch genommene Staat zumeist entlasten können wird. Das heißt, er wird zumeist irgendwie darlegen können, dass ihn ein Verschulden bei Straftaten während Lockerungs- und Vergünstigungsmaßnahmen nicht trifft.

Es ist ja schön und gut, wenn sich das Landesjustizministerium eine Vollzugskonferenz unter Einbeziehung aller Personen, deren Kenntnisse über Gefangene die Lockerungsentscheidung fördern können, leistet. Uns als Fraktion der DVU erscheint der Gedanke jedoch äußerst suspekt, Herr Minister, mit einem formalisierten Leitfaden per Checkliste die notwendigen Vorbereitungsarbeiten für eine Lockerungsentscheidung abzudecken. Eine lückenlose Entscheidung aber, Herr Minister Schelter, wird wohl nie erreicht werden. Der Faktor Mensch ist seiner Natur nach nicht einfach zu kategorisieren und in seiner Komplexität zu erfassen. Sie sprechen in Ihren Erläuterungen zum Leitfaden von der Ermittlung aller Faktoren, die im konkreten Einzelfall für die prognostische Beurteilung von Gefahren relevant sind. Ich frage Sie, Herr Minister Schelter: Wer soll das leisten?

Daher sehen wir als Fraktion der DVU - so gut die Formalisierung der Vollzugskonferenz auch gemeint sein mag - die große Gefahr, dass der so genannte Leitfaden mit der abgehakten Checkliste letztlich nur dazu dient, vor Gericht sauber dazustehen. Für den Staat ist die Sache damit abgetan. Das unschuldige Opfer bleibt auf der Strecke.

Nach geltendem Recht wird der Vollzugskonferenz bei der Lockerungsentscheidung ein Beurteilungsspielraum zugestanden. Der Staat ist mit der Vorlage der Checkliste aus der Haftung.

Auch in einem dritten Punkt geht die Rechtsprechung des OLG Karlsruhe nicht weit genug. Was soll mit Schadensersatzansprüchen aufgrund von Schäden geschehen, die durch Personen verursacht werden, welche sich aufgrund sonstiger gerichtlicher Entscheidung außerhalb der Strafhaft in staatlicher Obhut befinden?

Sie sehen, meine Damen und Herren, die Komplexität dieser Problematik erfordert eine Antwort des Gesetzgebers. Diese Antwort muss nach Überzeugung unserer Fraktion so aussehen, dass der Staat wenn auch nicht einer voll umfänglichen, so doch einer erleichterten Gefährdungshaftung unterworfen sein muss. Insbesondere muss eine Beweislastverteilung zugunsten von Bürgerinnen und Bürgern ins Gesetz aufgenommen werden, die es ihnen ermöglicht, den Staat leichter in Anspruch zu nehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, beweisen Sie heute endlich einmal Judiz und nötiges Problembewusstsein! Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu!

Alternativ beantragen wir die Überweisung an den Rechtsausschuss - federführend - sowie - mitberatend - an den Innenausschuss. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der DVU)

Bevor ich dem Abgeordneten Klein für die beiden Koalitions

fraktionen das Wort erteile, darf ich herzlich junge Gäste aus der Realschule in Schwanebeck begrüßen. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Abgeordneter Klein, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie so oft bei Gesetzentwürfen erspart einem die Lektüre der Begründung die Auseinandersetzung mit dem Gesetzestext. Was sich hier unter dem Mäntelchen des Opferschutzes zu verstecken versucht, ist nichts weiter als der plumpe Versuch, Ängste in der brandenburgischen Bevölkerung zu schüren.

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

Die Behauptung, der Leitfaden des brandenburgischen Justizvollzugs für Entscheidungen über Vollzugslockerungen führe zu Formalisierungen und sei nicht geeignet, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, wird offensichtlich wider besseres Wissen aufgestellt.

Im Rechtsausschuss des Landtages ist dieser Katalog, der die Prognosearbeit ergänzen und nicht erleichtern soll, ausführlich erörtert worden. Ich gehe davon aus, Damen und Herren der DVU-Fraktion, dass Ihr Vertreter in dieser Sitzung aufmerksam genug war, den Erörterungen des Ministeriums zu folgen.

(Schuldt [DVU]: Das bin ich selbst; daher weiß ich das!)

Dann müssten Sie allerdings auch wissen, dass das MdJE in halbjährlichem Abstand sämtliche Lockerungsentscheidungen von Sexualstraftätern und sonstigen Gewaltstraftätern überprüft, und zwar ohne Anlass. Durch diese Maßnahmen wird ein höchstmögliches Maß an Sicherheit für die Menschen in Brandenburg gewährleistet - nicht jedoch durch Ihren Gesetzentwurf.

Auch die Unterstellung, dass durch den Leitfaden eine effektive Spezialprävention ausgeschlossen wird, entbehrt jeder Grundlage; denn schließlich heißt es ja im § 129 Strafvollzugsgesetz:

“Der Sicherungsverwahrte wird zum Schutz der Allgemeinheit sicher untergebracht.”

(Schuldt [DVU]: Warum lassen Sie nicht Ihren rechts- politischen Sprecher antworten?)

Dies kann der Leitfaden eines Ministeriums nicht ändern, aber vor allem: Wer will es ändern? - Niemand. Aber solche systematischen Erläuterungen sind ganz offenbar nicht Sache der DVU; denn neben dem als Landesrecht in Brandenburg fortgeltenden Staatshaftungsgesetz der DDR noch ein Gesetz zur Regelung der Staatshaftung für Straftaten von Personen, die aufgrund gerichtlicher Entscheidungen in einem staatlichen Aufsichts- oder Obhutsverhältnis stehen, etablieren zu wollen, lässt keine Vorliebe für Systematik erkennen, sondern eher eine Vorliebe für lange Gesetzestexte. Vor allem aber deutet dies auf etwas viel Abscheulicheres hin: dass sich die DVU mittlerweile nicht einmal mehr zu schade dafür ist, das langsam wieder wachsende Vertrauen der Bevölkerung in den Maßregelvollzug

vorsätzlich zerstören zu wollen, und nicht etwa, wie Sie behaupten, ein Mehr an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit schaffen zu wollen, sondern ein Klima der Verunsicherung unter den Brandenburgerinnen und Brandenburgern, ein Klima, das die DVU als Nährboden für ihre populistische Politik zu betrachten scheint.

Wir werden diesen Antrag selbstverständlich ablehnen, übrigens in der Reihenfolge Ablehnung der Überweisung und anschließend in der Sache selbst. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die PDS-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Sarrach.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Gesetzgebungslehre bin ich Anhänger der Meinung, dass der Gesetzgeber mehr als nur das Gesetz schuldet. Weshalb ich das im Zusammenhang mit dem vorliegenden Entwurf der DVU-Fraktion für ein Gesetz zur Regelung der Staatshaftung für Straftaten von Personen, die aufgrund gerichtlicher Entscheidung in einem staatlichen Aufsichts- oder Obhutsverhältnis stehen, einleitend erwähne, liegt auf der Hand.

Auch in unserer Landtagsbibliothek finden Sie die lesenswerte Monographie von Burghart “Die Pflicht zum guten Gesetz”. Überhaupt sollten Sie von der DVU Ihre Gesetzentwürfe nicht aus der Motivation heraus schreiben, dass die im Rechtsausschuss von Ihnen aufgeschnappten Fetzen aktueller Rechtsprechung - hier das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Karlsruhe mit Handlungsbedarf gleichzusetzen seien. Da irren Sie sich nämlich, Sie können es aber auch nicht besser wissen. Sie sind aufgrund Ihres politischen Hintergrundes überdies weder glaubwürdiger Anwalt der Opfer eines Strafgefangenen in Vollzugslockerung - dazu schaut Ihnen der Populismus zu deutlich aus allen Knopflöchern -, noch konnten Sie hier einen handwerklich ordentlichen Gesetzentwurf vorlegen.

(Zuruf des Abgeordneten Schuldt [DVU])

Ich empfehle Ihnen noch einmal Burgharts Schrift von der “Pflicht zum guten Gesetz”. Ein gutes Gesetz muss angesichts der Übernormierung unserer Zeit notwendig sein, ein gutes Gesetz muss verständlich, vollständig, systemverträglich, funktionsgerecht und zielsicher sein.