Protokoll der Sitzung vom 29.05.2002

Erstens: Es müssen Möglichkeiten gefunden werden zur Überprüfung der Eignung und einer darauf folgenden Beratung künftiger Lehramtsstudenten.

Zweitens: Die gesamte Lehrerausbildung muss sich durchgängig an der Entwicklung von Kompetenzen orientieren, die Lehrer für die professionelle Arbeit in Schulen benötigen.

Dazu gehören aus unserer Sicht drei komplexe Kompetenzen:

Erstens die Fähigkeit der Leistungsdiagnostik einschließlich der Fähigkeit zur individuellen Förderung. Es ist schon ein Alarmsignal, wenn die Ergebnisse der PISA-Studie zeigen, dass von den Schülern, die die einfachsten Aufgaben des Leseverstehens nicht bewältigen konnten, nur 11 % von ihren Deutschlehrern als schwache Leser eingestuft wurden. Da liegt die Fehlerquote in der Diagnostik bei 89 %.

Zum Zweiten gehört dazu die Kompetenz zur Gestaltung eines auf Verstehen und Anwenden ausgerichteten Unterrichts einschließlich der Fähigkeit zu entsprechenden Aufgabenstellungen und zum Dritten die Förderung des selbst gesteuerten Lernens - Lehrer als Trainer.

Darüber hinaus sind es solche Kompetenzen wie Selbstverantwortungskompetenz, soziale und allgemeine pädagogische Handlungskompetenz, fachliche und interdisziplinäre Kompetenz, Organisationskompetenz, der Umgang mit Heterogenität usw. usf. Es gibt sicher keinen ein für alle Mal feststehenden Kompetenzkatalog.

Drittens: Die Lehrer sollen lernen, in der Schule günstige Lernund Entwicklungsbedingungen für die Schüler zu schaffen. Nicht die Belehrung, sondern die Gestaltung von Lernbedingungen muss der Kern des professionellen Handelns des Lehrers sein.

Viertens: Die Lehrerbildung muss als ganzheitlicher, institutionenübergreifender Prozess organisiert werden. Das professionelle Selbstverständnis ist für alle Lehrer im Kern das gleiche. Sie sind Experten für Entwicklung, Lehr- und Lernprozesse. Dafür benötigen sie wissenschaftliches, strukturiertes, professionelles Wissen und dazugehörige Kompetenzen.

Fünftens: Schulpraktische Anteile müssen besser im Studium integriert werden.

Sechstens: In der Lehrerausbildung müssen neue Lehr- und Lernformen verwirklicht werden. Lernprozesse müssen selbst zum Gegenstand der Reflexion gemacht werden. Dabei müssen die Ergebnisse der Lernforschung sowie hochschuldidaktische Erkenntnisse und Methoden umgesetzt werden.

Gefordert wird eine methodisch abwechslungsreiche und exemplarische Ausbildung, die auch den Umgang mit den neuen Medien und die Reflexion des didaktischen Ortes angemessen einbezieht.

Siebtens: Lebenslanges Lernen muss zum beruflichen Selbstverständnis gehören. Lehrende sind Lernende. Eine abschließende Berufsfertigkeit kann und soll nicht das Ziel der Ausbildung sein. Das System der Lehrerausbildung ist so zu gestalten, dass es sich selbst als lernendes System begreift, die Ausbildung und die Berufspraxis begleitet und es systematisch Rückkopplungen zwischen Schulforschung, Fachwissenschaft, Berufseinstieg und Berufspraxis schafft. Regelmäßige Fortbildung muss als Voraussetzung für die Wahrnehmung besonderer Aufgaben und leitender Positionen zur Pflicht in der Berufsausübung in öffentlichen Bildungseinrichtungen gemacht werden. Die Organisation solcher Lernprozesse sollte in stärkerem Maße in die Hände der Lehrer selbst gelegt werden.

Achtens: eine Neugestaltung des Übergangs in den Beruf. Berufsanfänger müssen Gelegenheit erhalten, ihre Kompetenzen,

die sie in einem qualifizierten Studium erworben haben, in einem selbst organisierten und selbst verantworteten Lernprozess zu nutzen und weiterzuentwickeln.

Neuntens: Für die Ausbildungslehrer an den Schulen sollte ein Weiterbildungsprogramm aufgelegt werden. Die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Das Mitspracherecht der Ausbildungslehrer muss dringend gestärkt werden. Bisher haben sie nicht einmal Stimmrecht bei der Entscheidung über die Note für die erteilte Staatsexamensstunde. Das Dankschreiben, welches am Ende der Ausbildung von Herrn Minister Reiche persönlich abgefasst und an den Kollegen Ausbildungslehrer gesandt wird, ist nett, ist aber ein bisschen wenig als Anerkennung der Leistung der Ausbildungslehrer.

(Beifall bei der PDS)

Zehntens: Als dringend notwendig erweist sich vor allem die Entwicklung von Standards zur Sicherung der oben genannten Kompetenzen und dabei die Vernetzung von Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und der Erziehungswissenschaft.

Elftens: Der Schule selbst muss bei einer solchen Reform eine neue Rolle zukommen. Sie müsste Teil eines lernenden Systems und Kooperationspartner in der Lehrerbildung werden. Dazu brauchen Schulen eine stärkere eigenständige Verantwortung. Über schulische Ausbildungszentren sollte zumindest nachgedacht werden.

Die PDS erwartet von der Landesregierung, dass sie erstens durch eine Weiterentwicklung des integrativen Potsdamer Modells die Lehrerausbildung den gesellschaftlichen Erfordernissen anpasst und dass sie sich zweitens auf Bundesebene in die Diskussion um die Umstrukturierung der Lehrerausbildung in der Weise einbringt, dass sie für das integrative Modell wirbt und sich dafür einsetzt, dass die Strukturdiskussion nicht abgekoppelt von einer inhaltlichen Bestimmung der Lehrertätigkeit geführt wird.

Auch wenn es in den nächsten Jahren bei einem Einstellungskorridor von nur 200 Lehrern bleiben sollte, die möglicherweise dann positiven Ergebnisse dieser Reform also erst sehr spät und nur marginal greifen werden, bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Bis dahin müssen natürlich die sich im System befindlichen Lehrer zur besseren Bewältigung ihrer schönen und schwierigen Aufgabe befähigt werden. Das aber ist schon wieder Stoff für einen neuen Antrag. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die SPD-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Siebke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hat das Ergebnis der Reform der Lehrerbildung offenbar schon fertig gestellt und hier vorgetragen. Sie brauchten es nur aufzuschreiben und wir alle brauchen nur noch danach zu handeln.

(Beifall bei der PDS)

Dann könnten wir uns hier weitere Reden ersparen. Sie werden es mir wohl nicht übel nehmen, dass ich das ein bisschen anders sehe.

Ich stimme Ihnen darin zu, dass die Reform der Lehrerbildung auf der Tagesordnung steht, und zwar nicht nur in Brandenburg, sondern bundesweit. Fast alle Bundesländer beschäftigen sich zurzeit mit der Lehrerausbildung sowie der Fort- und Weiterbildung, und das natürlich zu Recht.

Trotzdem muss ich an dieser Stelle sagen, dass mir das Bild, dass Sie von dem Brandenburger Modell der Lehrerbildung hier gemalt haben, doch etwas sehr düster geraten zu sein scheint, obwohl natürlich auch noch andere Dinge kritikwürdig sind. Deshalb muss ja auch eine Reform her. Ganz so schlimm, wie Sie es hier geschildert haben, spielt sich Lehrerbildung auf der Grundlage des Lehrerbildungsgesetzes in Brandenburg aber nun doch nicht ab.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Auch in Brandenburg steht die Reform der Lehrerbildung, wie gesagt, auf der Tagesordnung. Nach meinem Kenntnisstand gibt es - das halte ich für besonders positiv - eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Berlin und Brandenburg, die sich mit der Reform der Lehrerbildung für Berlin und Brandenburg befasst. Es wäre sehr gut, wenn Berlin und Brandenburg ein einheitliches Reformergebnis vorlegen könnten. Das wäre ein weiterer Schritt der Zusammenarbeit.

Ich bin der Meinung, dass sich der Ausschuss in diese Debatte einmischen sollte. Aus den genannten Gründen werden wir deshalb zwar nicht vorschlagen, Ihrem Antrag zuzustimmen, werden uns aber dafür aussprechen, den Antrag an den Ausschuss zu überweisen.

Im Mittelpunkt der Betrachtung sollten die folgenden Fragen stehen: Wie kann man die Professionalität des Lehrers - nicht des Fachwissenschaftlers, sondern des Lehrers - in diesem Zusammenhang erhöhen? Wie ist eine noch engere Verbindung von Theorie und Praxis, als sie in Brandenburg schon verwirklicht worden ist, in diesem Zusammenhang möglich?

Des Weiteren sind die Phasen der Lehrerbildung zu betrachten, das heißt ist zu untersuchen, inwieweit das Sinn macht. Ich möchte in diesem Zusammenhang anmerken, dass hierbei auch das Bachelor- und Master-Studium eine Rolle spielt, um das Studium interessanter zu machen; denn mit dem Bachelor-Abschluss können auch andere Wege eingeschlagen werden. Das halte ich schon für wichtig. Das ist nicht nur eine Strukturfrage.

Außerdem wollen wir, dass auch die Fort- und Weiterbildung der Lehrer einbezogen wird. Wir sollten uns darüber verständigen - das war auch immer wieder einmal im Gespräch -, ob es in diesem Zusammenhang nicht Sinn macht, ein Lehrerbildungszentrum an der Uni einzurichten.

Diese Punkte sind auch für uns interessant. Deshalb beantragen wir die Überweisung des Antrags an den zuständigen Ausschuss.

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke, und gebe das Wort an die Fraktion der DVU. Frau Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt ein Antrag der PDS-Fraktion vor, mit dem die Landesregierung aufgefordert wird, dem Landtag bis Oktober eine Konzeption zur Reformierung der Lehrerbildung im Lande Brandenburg vorzulegen. Natürlich nennt die antragstellende Fraktion dabei auch noch einige Punkte, welche die Landesregierung bei der Ausarbeitung dieser Konzeption beachten soll. Als Drittes sollen wir die Landesregierung beauftragen, mehr Werbung für das Potsdamer Modell der Lehrerausbildung zu machen. Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt anfangen.

Herr Minister Reiche wird, wenn wir diesem Antrag zustimmen, auf der nächsten Konferenz der Kultusminister erzählen, wie toll doch das Potsdamer Modell ist, und seine Kollegen aus den anderen Bundesländern auffordern, dieses Modell zu übernehmen. Aber wie soll Minister Reiche reagieren, wenn er gefragt wird, warum er denn dieses Potsdamer Modell nicht zuerst in Brandenburg eingeführt hat? Sicherlich wäre eine solche Gegenfrage zynisch, denn Teile dieser neuen Konzeption der Lehrerbildung werden an der Uni Potsdam bereits mit Erfolg praktiziert. Aber auch an der Uni Potsdam ist das Potsdamer Modell bekanntlich nicht oder noch nicht komplett umgesetzt. Minister Reiche sollte also zuerst in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich beweisen, wie toll die Ideen sind, die er anderen verkaufen soll.

Meine Damen und Herren, nicht erst seit den Ergebnissen der TIMS- und der PISA-Studie sowie den Ereignissen von Erfurt wird darüber gesprochen, dass im deutschen Bildungswesen einiges im Argen liegt. Aber diese drei Stichworte haben dazu geführt, dass es jetzt wirklich jeder weiß und dass es niemand mehr leugnen kann.

Die bundesdeutsche Bildungsmisere wird sich nur beheben lassen, wenn wir den Istzustand objektiv und gründlich prüfen und anhand der Ergebnisse dieser Prüfung und anhand der Erfahrungen anderer Länder eine umfassende Lösung des Problems finden. Diese Lösung muss ganzheitlich sein. Selbstverständlich ist auch die Ausbildung der Lehrkräfte ein Bestandteil des Problems und muss ein Bestandteil der Lösung sein.

Wenn man den Äußerungen von Minister Reiche in der 45. Landtagssitzung glauben darf, dann arbeitet die Landesregierung bereits seit Ende letzten Jahres an einer entsprechenden Reform und sie arbeitet - wie es dieser Antrag quasi als ganz neue Idee darstellt - bereits seit damals in einer Arbeitsgruppe mit allen an der Lehrerausbildung in Brandenburg beteiligten Institutionen zusammen.

Übrigens werden - wenn ich Herrn Reiche richtig interpretiere die in diesem Antrag genannten Eckpunkte selbstverständlich Bestandteil der Diskussion sein. Geben wir also dieser Arbeitsgruppe die Zeit, die sie benötigt. Die Lehrerausbildung ist zu wichtig, als dass man eine Reform übers Knie brechen könnte.

Wir werden Ihren Antrag ablehnen, der Ausschussüberweisung jedoch zustimmen.

Lassen Sie mich noch einen letzten Punkt anfügen, der mir besonders aus den Berichten über das finnische Bildungssystem in Erinnerung geblieben ist:

In Finnland ist die Stellung der Lehrer eine ausgesprochen gute. Die Lehrer genießen dort hohes Ansehen. In Finnland gibt es

deswegen auch keine Probleme, genügend talentierte junge Menschen für eine Ausbildung zum Lehrer zu finden. In Deutschland, besonders in Brandenburg, ist das ganz anders.

Auch die beste Reform der Lehrerausbildung wird wenig bewirken, wenn sich nicht genügend engagierte Menschen finden, die diese reformierte Ausbildung zum Lehrer durchlaufen wollen. - Ich danke.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der CDU, an die Abgeordnete Hartfelder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben ein wahres Feuerwerk an Empfehlungen und Forderungen der einreichenden Fraktion gehört. Mir kam dabei der Gedanke: Das sind schon sehr klare Antworten auf eine Frage, die gegenwärtig in ganz Deutschland - von Nord nach Süd, von Ost nach West gestellt und diskutiert wird, die in Teilen auch sehr unterschiedlich beantwortet wird,

(Zuruf des Abgeordneten Hammer [PDS])