Protokoll der Sitzung vom 04.09.2002

(Beifall bei der DVU)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Fechner, und gebe das Wort an die Fraktion der CDU. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Wagner.

Herr Präsident, ich bitte mein Zu-spät-Kommen zu entschuldigen; ich musste die im Parlament herrschende Kleiderordnung für mich wieder herstellen. Ich glaube, Sie haben Verständnis dafür.

(Beifall bei CDU und DVU sowie vereinzelt bei der SPD - Klein [SPD]: Das sollte mal jeder machen!)

- Ja, manchmal mache ich das, weil ich eitel bin.

Meine Damen und Herren, ich beginne einmal langweilig. 1934/35 wurde das Reichsgesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens erlassen. Seitdem arbeitet man unvermindert danach. Das heißt, mit Gründung der Bundesrepublik wurde es außer Kraft gesetzt und durch Festlegungen im Grundgesetz und landeseinheitliche Regelungen ersetzt. Nach dem Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik war es lange Zeit weiter geltendes Länderrecht, das später spezifiziert wurde. - So viel zur Geschichte.

Jetzt will ich zum Kernproblem kommen. Frau Fechner, ich glaube, ich habe erstmalig in diesem Hause von Ihnen etwas gehört, was mich aufhorchen ließ. Sie sagten, diese mit der Großen Anfrage abgeforderte Enzyklopädie habe eigentlich nicht weitergeholfen. Darin gebe ich Ihnen Recht. Sie hat im Hinblick auf die Zielstellung nicht weitergeholfen, verehrte Frau Kollegin Birkholz, die Sie berechtigterweise anstreben. Diese Zielstellung betrifft die Förderung der Weiterbildung. Damit sind wir beim Kernproblem des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Es geht zum einen um die Frage des Personals, also die personelle Unterdeckung im öffentlichen Gesundheitswesen, und zum anderen um die Frage des Strukturwandels.

Bekanntlich hatte der alte öffentliche Gesundheitsdienst solche Aufgaben wie die Medizinalaufsicht, den Gesundheitsschutz, die Gesundheitshilfe, die Gutachtertätigkeit, die Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung zu erfüllen. Das tut er heute noch. Viel wichtiger aber ist - das lässt man außer Acht -, dass im öffentlichen Gesundheitsdienst bereits ein Strukturwandel Raum gegriffen hat. Aus diesem Grund benötigen unsere Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst - wenn ich die Diktion der HartzKommission wählte, hieße es Ärzte for Public Health - eine qualifizierte Ausbildung; das gilt in gleicher Weise für die Mitarbeiter der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst. Wie sieht dieser Strukturwandel aus? Darauf gehen wir zu wenig ein.

Erstens gibt es im Augenblick im öffentlichen Gesundheitsdienst die Situation, dass man von der fallbezogenen Leistung, also der auf den Patienten gerichteten Leistung, mehr zur gruppen- und lebensraumbezogenen Leistung übergeht. Das heißt, der öffentliche Gesundheitsdienst darf seine Ressourcen nicht verschwenden, indem er jedes einzelne Dörfchen abklappert und guckt, ob da einer noch nicht geimpft ist oder irgendwelche Wehwehchen hat, sondern er muss zielgerichtet gruppenprophylaktische und lebensraumprophylaktische Aussagen machen unter Einbeziehung der Umweltbedingungen usw. Sonst werfen wir Perlen vor die Säue.

Als Zweites muss man den Strukturwandel von einer unmittelbaren Dienstleistung - sonst kann der öffentliche Gesundheitsdienst nicht überleben und würde überflüssig werden - hin zu einer Managementleistungsorganisation und zu einer Qualitätssicherung beachten. Den Kollegen im öffentlichen Gesundheitsdienst ist vielmehr anzuraten, ihre Kollegen im stationären und ambulanten Bereich anzuleiten, sie kollegial zu beraten und zu überwachen. Das ist Qualitätssicherung, die praktiziert werden muss.

Die nächste, die dritte Seite des modernen öffentlichen Gesundheitsdienstes - da ist unser Gesundheitsdienstgesetz leider nicht so schön, wie wir es uns gewünscht hätten, wie ich bereits damals sagte, als wir es erlassen haben - ist die Hinwendung von der Krisenintervention - immer dann, wenn es gekracht hat oder wenn das Wasser die Flussufer überspült hat wie beim Elbehochwasser - zur Krisenprävention, das heißt zur vorbeugenden Beherrschung von Situationen, die eintreten könnten.

Dazu muss ich eines sagen. Wenn Sie, verehrte Damen und Herren von der PDS, mit einem weinenden Auge gesehen haben, dass Schwangeren- und Mütterberatung nicht mehr so sehr von Ärzten des öffentlichen Gesundheitsdienstes übernommen wird, frage ich: Was sollen sie denn noch alles tun, die wenigen, die dort tätig sind und so qualifizierte Aufgaben erfüllen müssen? Es ist einfach auch kein Bedarf mehr da. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Wenn kein Bedarf mehr da ist, deckt man so etwas nicht mehr ab. Dafür sind wir in der Bundesrepublik Deutschland und das ist gut so.

Lassen Sie mich noch ein Wort zur Frage der Zuständigkeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes sagen. Das Gesundheitsdienstgesetz hat damals, ich glaube, in der 1. Legislaturperiode, mit unserem Willen festgelegt, dass die Zuständigkeit bei den Landkreisen und kreisfreien Städten liegt. Damit hat sich das Land aber nicht ganz aus der Verantwortung gezogen. Wir haben geschrieben: „...im Zusammenwirken mit dem Land“. Es ist also dergestalt eine Aufgabe, die nach Weisung erfüllt wird. Also muss die Knete auch kommen, würde der Mann auf der Straße

sagen. Insofern, meine Damen und Herren, bin ich ganz dankbar, dass der von mir so hoch verehrte Minister a. D. Alwin Ziel am 15. Juli in einer Unterredung mit der Chefin des Landesgesundheitsamtes gesagt hat, dass es wichtig sei, hier Weiterbildung zu betreiben. Er hat sich, so weise und zurückhaltend, wie er damals war - und er konnte ja auch zuhören -, nicht so weit aus dem Fenster gelehnt. Er hat gesagt, es sei sinnvoll, dies durchzuführen. Über die Finanzierung konnte er vor Rücksprache mit der Finanzministerin natürlich noch nichts sagen.

Was will ich damit sagen? Frau Birkholz, da dürfen Sie jetzt keine Spielchen der SPD oder der CDU vermuten; so etwas machen wir auch gar nicht.

(Zurufe von der PDS)

- Was meinen Sie, was wir alles dürfen! Aber das sage ich Ihnen ein andermal, vielleicht in einer etwas anderen Umgebung.

Ihr Antrag beginnt so zaghaft: „Der Landtag beauftragt die Landesregierung zu prüfen, ob durch einen Beitritt zur Akademie die besseren Voraussetzungen gegeben sind...“ Das alles wissen wir doch schon. Sicherlich wird es besser. Darüber brauchen wir uns gar nicht mehr zu unterhalten. Jetzt geht es um das Wie und darum, woher die berühmte „Knete“ kommt. Deswegen sind wir, die SPD- und die CDU-Fraktion, hier etwas weitergegangen.

Wir haben also zur Kompetenz gesagt: Landesregierung, bitte prüfe, inwieweit du in Zusammenarbeit mit den Kommunen in der Lage bist, das Problem des Beitritts zur Akademie zu regeln. Denn sinnvoll ist es, aber es muss natürlich geregelt werden. Den Kommunen müssen wir es sagen, wir können es ihnen nicht einfach so „überhelfen“. Auch muss die Finanzministerin prüfen, ob sie etwas übrig hat, was wir dann brauchen. Also vermuten Sie bitte bei uns keine Spielchen, das machen wir nicht!

(Zurufe von der PDS)

- Ja, regen Sie sich wieder einmal auf, das ist dem Blutdruck zuträglich, und er geht dann auch wieder runter.

(Lachen bei der PDS)

- Das glauben Sie uns nicht. Das tut uns Leid.

(Vietze [PDS]: Haben Sie jetzt selbst gelacht, Herr Wag- ner?)

- Sie wissen, ich bin ein ernsthafter Mensch, Herr Vietze.

Da ist noch ein Problem. Wenn jetzt in dieser „Enzyklopädie“, wie ich sie einmal nennen will, beklagt wird, dass wir zu wenig Fachärzte für Psychiatrie im öffentlichen Gesundheitsdienst haben, so beklage ich, meine Damen und Herren von der PDS, dass wir zu wenig Fachärzte für Psychiatrie überhaupt im Land, überhaupt in der Tätigkeit im stationären und ambulanten Bereich haben. Dann können wir uns nicht darüber unterhalten, dass diese Leute gerade im öffentlichen Gesundheitsdienst zu finden sind.

Eines möchte ich an dieser Stelle noch sagen. Über die Vielfalt der Aufgaben ist hier viel geredet worden. Dazu will ich nichts

weiter sagen. Ich möchte nur noch eines tun, weil die Chefin des Landesgesundheitsamtes das einfach verdient hat. Ich kam anfangs nicht so sehr gut mit ihr überein, weil ich der Meinung war, ich müsste mit ihr ein bisschen streiten. Ich möchte ihr jetzt einmal ein ganz herzliches Dankeschön übermitteln. Vielleicht hört sie es, vielleicht findet sie es auch im Protokoll. Sie tut eine Menge in leiser Art und Weise. Sie ist unter anderem die Moderatorin der Kommission Kinderunfälle, deren Sitzungen ich schon mehrfach beigewohnt habe. Ich habe ihr in die Hand versprochen - ich glaube, Frau Birkholz, Sie waren auch anwesend -, dass wir dieses Thema einmal in den Landtag einbringen, vielleicht in Form einer Ausstellung - es muss nicht unbedingt im Plenum darüber geredet werden -, damit man weiß, dass Prävention auch etwas mit Geld verbunden ist, nämlich in Form von Information. Bei Kinderunfällen ist Information Prävention; ich brauche Sie nicht zu belehren.

Ich bitte Sie ganz herzlich, unserem Antrag zuzustimmen, weil es ja so logisch ist, was ich hier gesagt habe. Und vor der Finanzministerin mache ich den Kniefall, sie möge bitte ihre Mitarbeiter gütig stimmen. - Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Dr. Wagner und gebe das Wort an die Landesregierung, Herrn Minister Baaske.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Wagner, ich komme gleich noch einmal auf Sie zurück. Wenn es denn um Nachhilfe in Sachen Kleiderordnung geht,

(Dr. Wagner [CDU]: Das habe ich nicht persönlich ge- meint!)

lasse ich mich gern einmal darauf ein.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich möchte nicht noch einmal sagen, was der ÖGD alles leistet. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, dem ÖGD in den Landkreisen in Brandenburg, die von Hochwasser bedroht waren, noch einmal meinen herzlichen Dank zu sagen. Wir waren in unmittelbarem Kontakt, meine Abteilung 4 und der ÖGD in diesen Gebieten; die Entscheidungen sind wirklich sehr schnell, fachkompetent und mit hoher Akzeptanz durch die Bevölkerung gefällt worden.

(Beifall bei der PDS)

Die Flugblätter wurden gut verteilt und kamen an den richtigen Stellen an. Ich glaube, sie waren auch relativ klar und deutlich formuliert. Es gab einige Irritationen zum Impfschutz. Diese kamen aber nicht aus den Kreisen, auch nicht von uns, sondern wurden durch Presseartikel eingestreut. Das war nicht ganz hilfreich, aber wir konnten das dann auch über den ÖGD in den Landkreisen ziemlich zügig klären.

Wir sprechen oft über benachteiligte Kinder, über Kinder aus sozial schwachen Familien. Ich gehe einmal davon aus, dass

wir alle damit wirtschaftlich schwache Familien meinen. Ich kenne Familien, die wirtschaftlich schwach, aber sozial voller Power sind.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Dort wird dafür gesorgt, dass in den Familien etwas passiert.

Der ÖGD hat ein Riesenproblem. Er geht in die Kitas, er führt die Vorschuluntersuchungen durch. Er sagt in den Kitas auch den Erzieherinnen und Eltern und gibt den Kindern entsprechende Zettel mit, wenn ein bestimmtes Kind dem Facharzt vorgestellt werden muss. Das Kind geht nach Hause, gibt den Zettel ab; der ÖGD kommt zwei Jahre später wieder und nichts ist mit dem Kind passiert. Das ist das große Dilemma, das wir zu beklagen haben: dass der ÖGD mit seinen Forderungen oftmals ins Leere greift, weil ihm ordnungspolitisch die Zähne fehlen. Wir erleben das gerade wieder - Herr Dr. Wagner hat es in der jüngsten Ausschusssitzung thematisiert - bei der Impfproblematik in Brandenburg, bei der sich die Ersatzkassen mit der GKV nicht einigen können über die Preise, die dafür zu zahlen sind. Auch hier wäre es wesentlich besser, wenn der ÖGD, von mir aus auch das Ministerium, etwas mehr Zähne hätte, um auf eine Einigung etwas schneller drängen zu können. Ich habe übrigens zu einem Gespräch eingeladen. Es wird am 11. September in meinem Hause stattfinden. Ich gehe davon aus, dass wir in dieser Angelegenheit tatsächlich bald eine Klärung bekommen.

Über die Akademie wurde von den Kolleginnen und Kollegen jetzt mehrfach gesprochen. Es gibt dazu auch einen Antrag. Ich habe noch ganz gute Beziehungen zu den Landkreisen und weiß, wie dort momentan verhandelt wird. Offensichtlich gibt es seitens der Akademie ein Bestreben, auf die Kommunen zuzugehen und diesen eine Kooperation anzubieten. Das wissen wir aber noch nicht so ganz genau und kennen auch die Konditionen noch nicht ganz genau. Deshalb ist es vernünftig, über den Antrag noch einmal im Ausschuss zu diskutieren und ihn im Detail zu erörtern. Dann haben wir von der Akademie in Düsseldorf, aber auch von den Landkreisen nähere Informationen, wie man damit weiter umgehen will.

Ich komme jetzt noch einmal nicht zur, sondern zum SpD, das heißt zum sozialpsychiatrischen Dienst in den Gesundheitsämtern. Der sozialpsychiatrische Dienst hat in der Tat, wie Herr Dr. Wagner sagte, einen riesengroßen Ärztemangel. Aber den haben wir wirklich überall. Es gibt in der ganzen Bundesrepublik zu wenig Psychiater, zu wenig psychologische Psychotherapeuten und auch zu wenig psychologische Psychotherapeuten für Kinder.

Das ist ein riesengroßer Mangel. Da kann sich der ÖGD strecken und machen, was er will, er bekommt diese Leute nicht. Wenn dem einen oder anderen Gesundheitsamt zurzeit ein Arzt fehlt, dann hat das nicht unbedingt etwas mit einem bösen Willen der Landräte zu tun; denn sie bekommen diesen Arzt eben nicht. Ich habe zum Beispiel im Landkreis Potsdam-Mittelmark dreimal eine Arztstelle ausgeschrieben, die ich mit dem Gesundheitsamt vergeben wollte. Wir haben einfach keinen Arzt bekommen. Das ging so weit, dass sich dann ein 72-jähriger Pensionär auf diese Amtsarztstelle im Landkreis beworben hat.

(Zurufe von der CDU)

Das ist ein riesengroßes Problem und da sollten Sie nicht vor

schnell den Landräten und auch nicht dem ÖGD als solchem die Schuld zuschieben. Es gibt einfach zu wenig Ärzte und vor allem zu wenig Ärzte, die sich im ÖGD anstellen lassen wollen. Ich möchte also wirklich noch einmal deutlich machen, dass das nicht so einfach ist.

Zur Krisenprävention, Herr Dr. Wagner, haben wir schon einiges getan. Die KBS'en in den Landkreisen - es gibt inzwischen 18 - leisten da eine ganze Menge Arbeit, und zwar gerade für die psychisch Kranken. Es gibt die Aids-Beratung, es gibt eine Beratungspflicht für viele andere Leistungen. Insofern wird dem Genüge getan.

Das soll es gewesen sein. Ich danke Ihnen für die Anfrage. Ich danke Ihnen auch für das Verständnis für diese Antwort. Ich kann nur noch einmal sagen, dass wir zwar nicht mit der Kommunalaufsicht, aber auf jeden Fall mit der Fachaufsicht auf die Landkreise, die in der Umfrage offenbar nicht so gut weggekommen sind, zugehen und das klären werden.