Protokoll der Sitzung vom 10.10.2002

(Beifall bei der PDS)

bietet uns das doch heute die Gelegenheit, zur rechten Zeit eine Art Generaldebatte über den ländlichen Raum zu führen, was anscheinend notwendig ist. Wir haben das aber auch in den vergangenen Jahren immer hinreichend getan.

Zunächst möchte ich herausstellen, dass viele Akteure an der Entwicklung der ländlichen Räume beteiligt waren und sind. Dabei denke ich zuerst an die Menschen vor Ort. Ich denke an die lokalen Akteure, die Investoren, Gemeindevertretungen, Ämter, Kreistage, Verwaltungen, an die Landesregierung, den Landtag, den Bund und die EU. Die Akteure sind Menschen, die sich vor Ort und auf höherer Ebene engagieren. Sie alle stehen in der Pflicht. Sie alle schultern eine Mammutaufgabe, die dem Kampf gegen den Strom der Zeit zu gleichen scheint. Dabei können nur Teilerfolge erzielt werden, um den unaufhaltsamen Strukturwandel erträglicher zu machen.

Als Erfolg unserer gemeinsamen Bemühungen muss gelten, dass am Schluss des Strukturwandels lebensfähige Räume erhalten bleiben, in denen das politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Zusammenleben in kommunaler Selbstbestimmung dauerhaft möglich ist.

Ziel kann es nicht sein, den Status Quo 1 : 1 zu erhalten. Es bedarf einer neuen Zielbestimmung, die den neuen Herausforderungen gerecht wird und den weltweiten Konzentrationszwängen angemessen ist.

Was macht diese Aufgabe so schwierig, meine Damen und Herren? Unser Land ist - das haben wir immer wieder feststellen müssen - schmerzlicher als jedes andere deutsche Bundesland in zwei höchst unterschiedliche Entwicklungsregionen unterteilt. Es gibt auf der einen Seite den gut aufgestellten, prosperierenden engeren Verflechtungsraum um Berlin, der sich durch eine ausreichende Bevölkerungsdichte, Zuwanderung, geringere Arbeitslosigkeit und ein höheres Bruttosozialprodukt auszeichnet. Dem gegenüber steht auf der anderen Seite der äußere Entwicklungsraum, der durch eine extrem niedrige Bevölkerungsdichte, Abwanderung, hohe Arbeitslosigkeit und eine vergleichsweise geringe Wirtschaftskraft gekennzeichnet ist. Diese historisch vorgeprägte Zweiteilung birgt die Gefahr der dauerhaften Abkopplung ländlicher Räume und seiner Bewohner von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Deshalb haben Landtag und Landesregierung schon frühzeitig in der 1. Legislaturperiode mit folgenden Mitteln reagiert: mit den Mitteln der Landesorganisation, zum Beispiel dem zweistufigen Verwaltungsaufbau - also der politischen Nähe der verschiedenen Verantwortungsbereiche -, der Kreisgebietsreform mit der so genannten Tortenstückbildung, die den direkten Anschluss an die Entwicklungsregion des engeren Verflechtungsraums herstellte, und den Ämtern für Agrarordnung zur Umsetzung landespolitischer Ziele im ländlichen Raum.

Weitere Mittel, mit denen Landtag und Landesregierung reagiert haben, sind in der Landesplanung - lassen Sie mich kurz die dezentrale Konzentration ansprechen -: die dezentrale örtliche Gliederung, der Aufbau eines Städtekranzes, die kommunal verfasste Regionalentwicklung. Hinzu kommen eine angepasste Förderpolitik und wirksame Fördermittel, beispielsweise die Richtlinie ländlicher Raum, Urlaub und Freizeit auf dem Lande, ländlicher Wegebau und Dorferneuerungsrichtlinie als wichtigste Träger der Entwicklung unserer Dörfer. Mit landesgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Regelungen wie dem Raumordnungsgesetz und Artikel 44 der Landesverfassung ist - das kann ich nur wiederholen und bestätigen, meine Damen und Herren - das Verfassungsziel festgeschrieben, in allen Landesteilen gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Wer diese entwicklungspolitischen Instrumentarien abschaffen will, muss sich eine Zweidrittelmehrheit beschaffen.

(Vereinzelt Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Darüber hinaus hat das Land durch seine Schwerpunktsetzung mit einer Milliardenförderung alte Industriestandorte erhalten - ich denke zum Beispiel an Schwedt und Eisenhüttenstadt - und für Neuansiedlungen gesorgt, zum Beispiel BASF in Schwarzheide.

Der Landtag hat über das jährliche Gemeindefinanzierungsgesetz seine Dörfer und Kleinstädte besser gestellt, als alle anderen neuen Bundesländer dies getan haben. Insbesondere hat die Landesinvestitionspauschale den Gemeinden eigene Gestaltungsspielräume eröffnet und so die Kofinanzierung für akquirierte Fördermittel gesichert. Sie darf im künftigen Finanzausgleichsgesetz nicht zur Disposition gestellt werden.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Mit diesem Bündel von Maßnahmen haben sich die ländlichen Räume, die Dörfer und Kleinstädte gut entwickelt. Zu den Erfolgen können wir, ohne auf Vollständigkeit pochen zu wollen, den Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung, welche durch die Gemeindestrukturreform weiter gestärkt werden soll, zählen sowie den Erhalt der flächendeckenden Landnutzung durch vielfältig strukturierte Agrarbetriebe, die als multifunktionale Unternehmen nach wie vor das wirtschaftliche Rückgrat des ländlichen Raumes bilden. Das dürfen wir uns nicht durch diskriminierende Änderungen der Agenda 2000 wie Obergrenzen, Modulation und auslaufende Roggenintervention kaputtmachen lassen. Meine Damen und Herren, das wird für uns essenziell. Ich will das nicht weiter ausführen; das wäre eine Agrardebatte, aber dies ist eben auch Teil des ländlichen Raumes, weshalb ich es mit anschneiden wollte.

Zu den Erfolgen gehören des Weiteren der Aufbau des mittelständischen Dienstleistungssektors, von Gewerbe und Tourismus, die wesentliche Verbesserung der kommunalen Strukturen im Straßenbau, in der Wasser- und Abwasserversorgung, in der Telekommunikation und in vielen anderen Bereichen; dazu gehören deutliche Verbesserungen der Wohnbedingungen durch nahezu flächendeckende Sanierung der Wohnbausubstanz, die Modernisierung und der Ausbau der sozialen Infrastruktur, insbesondere von Altenpflegeheimen, Pflegediensten und Krankenhäusern. Dennoch bleiben Lücken.

Unsere bedrückenden Probleme heißen Arbeitslosigkeit und Abwanderung, Schieflagen kommunaler Haushalte und Wohnungsleerstand - Defizite, die alle miteinander korrespondieren. Ich frage Sie daher: Welche Dimensionen hätten diese Probleme ohne den Einsatz all unserer Kräfte erreicht? Sind nicht die Erfolge angesichts dieser Aufgabe doch riesengroß? Haben wir überhaupt eine Alternative zur Erhaltung der ländlichen Räume? Gibt es eine ökonomische und soziale Gesamtbilanz, die sich aus dem Zusammenbruch ländlicher Räume ergibt? Ich glaube nicht.

Mit der fortdauernden und verstärkten Abwanderung und Überalterung entwerten sich Grundvermögen. Ländliche Infrastruktur, Schulen und Kindergärten, öffentliche Gebäude und Versorgungseinrichtungen, Klärwerke müssten rückgebaut werden und Gewerbegebiete lägen brach. Rückbau von Wohn- und Sozialgebäuden, Sport- und Kultureinrichtungen, Strukturen, die anderswo wieder aufgebaut werden müssen - kann sich eine Gesellschaft so etwas leisten? Ich glaube nicht. Deshalb sind die Erhaltung des Leitbildes der dezentralen Konzentration mit Schwerpunktförderung prioritärer ländlicher Orte und der Bestand der Ämter für ländliche Entwicklung für uns essenziell.

(Beifall bei der PDS und des Abgeordneten Homeyer [CDU])

Sie sind das erfolgreiche Instrument zur Umsetzung in landes

politische Entwicklungsziele. Vor diesem Hintergrund muss all jenen eine Absage erteilt werden, die unsere entwicklungspolitische Strategie und unsere Ziele verändern wollen. Zu ihnen gibt es keine Alternative, im Gegenteil: Wir müssen unsere Strategie effektiver und zielgenauer gestalten. Das betrifft die Förderrichtlinien und Entwicklungsprogramme, Fördersätze und -ziele, die Ausrichtung auf Arbeit und Wirtschaft und den konzentrierten Einsatz von Fördermitteln in prioritären Orten mit Umlandfunktionen.

Wir brauchen mit Sicherheit auch schärfere Erfolgskontrollen.

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, der ländliche Raum kann also nicht zum Sparstrumpf des Landeshaushalts werden.

(Beifall der Abgeordneten Helm und von Armin [CDU] sowie vereinzelt bei der PDS)

Lassen Sie mich zum Schluss das Problem des zunehmenden Leerstandes ansprechen, das in Ermangelung einer Frage nur am Rande der Großen Anfrage Erwähnung fand. Wie vielen bekannt ist, wurde mit Artikel 22 des Einigungsvertrages der gesamte staatliche Wohnungsbestand samt bestehenden Altschulden den Gemeinden zugeordnet. Aus damaliger Sicht war das richtig, um bei fortdauernder Wohnungsnot das Wohnen nicht der Spekulation und dem Mietwucher zu überlassen. Die Dörfer und kleinen ländlichen Städte begannen sehr bald nach der Wende den kommunalen Wohnungsbestand - zumeist mehrgeschossige Plattenbauten - zu sanieren und zu modernisieren. Mit großzügiger staatlicher Unterstützung wurde dieser Erneuerungsprozess gefördert und beschleunigt. Neben den Altschulden mussten die Gemeinden Sanierungskredite aufnehmen. Heute ist der übergroße Anteil der kommunalen Wohnungen saniert.

Es wurden kostendeckende Mieten - auf der Basis eines hohen Belegungsgrades errechnet - erhoben. Bei geringem Wohnungsleerstand ging die Rechnung auf und es schienen den Haushalt keine Probleme zu belasten. Heute sieht es anders aus.

Durch die demographische Entwicklung - geringe Geburtenraten, altersbedingter Rückgang der Zahl der Mieter -, durch Umzug in Eigenheime und sanierte Altbauwohnungen, vor allem aber durch Wegzug aus Gründen der Arbeitslosigkeit stehen zunehmend Wohnungen leer. Gemeinden und Wohnungsunternehmen reagieren mit Stilllegung einzelner Aufgänge und ganzer Blöcke, um die laufenden Unterhaltungskosten zu minimieren. Was bleibt, sind die Annuitäten, also Zinsen und Rückzahlungen. Die Schulden für den kommunalen Wohnungsbestand als auch für den Bestand der Wohnungsgesellschaften bleiben in letzter Instanz den Gemeinden. Für beide sind die Kommunen Kreditnehmer oder zumindest Bürge.

In meinem Wahlkreis gibt es Dörfer, deren Leerstand bei 40 % liegt. Wegen der außerordentlichen Haushaltsbelastung ist das auch ein innenpolitisches Problem, meine Damen und Herren. Reagiert werden müsste mit Rückbau und Abriss - aus finanzieller Sicht, aber auch wegen des Dorfbildes.

Im Gegensatz zu den Städten gibt es für die ländlichen Gemeinden bisher keine wirksamen Instrumente. Es gelten weder das Stadtumbauprogramm Ost mit seiner Richtlinie zur Sicherung

attraktiver Städte und Gemeinden noch § 6 a des Altschuldenhilfegesetzes bezüglich Entlastung von Altverbindlichkeiten nach Abriss von Wohngebäuden.

Auch die Dorferneuerungsrichtlinie kann nur in bescheidenem Maße wirksam werden. Bedauerlicherweise gibt es, wie mir gesagt wurde, zwischen dem Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung und dem Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr Abgrenzungsprobleme, denen wir Abgeordnete in den Ausschüssen intensiv nachgehen sollten. Ich kann von dieser Stelle aus nur auffordern, dieses Problem außerordentlich ernst zu nehmen. Es wird sich weiter dramatisieren und wir werden hier in Zugzwang geraten. Je eher wir reagieren, desto schneller werden wir des Problems Herr werden.

(Beifall bei SPD, CDU und PDS)

Das Wort geht an die DVU-Fraktion. Für sie spricht der Abgeordnete Claus.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hat eine Große Anfrage mit 102 Unteranfragen gestartet. Die Landesregierung hat diese ausgiebig beantwortet; dazu kann man zunächst nichts sagen.

(Zuruf von der PDS)

Das „Konzept zur integrierten ländlichen Entwicklung”, das gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen im ländlichen Raum zum Ziel hat, sollte einmal eine Erfolgsgeschichte für das Land Brandenburg werden. Es gab zahlreiche Gemeinden und Kommunen, die sich auf diesen Weg begaben und gute Erfolge vorweisen konnten. Wie sieht es inzwischen aus, meine Damen und Herren? - Es ist daraus eher eine unendliche Geschichte geworden.

„Die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Regionen des Landes bleibt Ziel der Landespolitik. Der Sicherung der land- und forstwirtschaftlichen Produktion kommt im ländlichen Raum entscheidende Bedeutung zu. Die Landwirtschaft leistet einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft. Die Stärkung und Stabilisierung landwirtschaftlicher Unternehmen bleibt zentrale Aufgabe. Ein Ziel der Agrarpolitik ist die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft.”

So weit ein Zitat aus dem Koalitionsvertrag von SPD und CDU vom Jahre 1999.

Der Weg in die Zukunft ist für viele Gemeinden im ländlichen Raum unseres Landes, bevor er richtig begonnen hat, längst zu Ende bzw. Vergangenheit. Die ländlichen Räume stehen im Dunkeln, und das nicht nur wegen der Gemeindegebietsreform, wie viele jetzt vermuten könnten.

Unsere DVU-Fraktion ist für eine Regional- und Strukturförderung, die nicht künstlich Gegensätze zwischen ländlichem Raum und städtischen Gebieten aufbaut. Im Land Brandenburg

bestehen - Sie wissen dies - vielfache und auch nicht auflösbare Beziehungen zwischen dem ländlichen Raum einerseits und den Städten andererseits.

Die Entwicklung beider Bereiche hängt zusammen und muss daher auch parallel betrachtet werden. Die Förderung beider Bereiche muss aufeinander abgestimmt sein und sie muss den gleichen Zielen folgen. Es kommt daher überhaupt nicht darauf an, unter welcher Hausnummer wir die Förderinstrumentarien wiederfinden, sondern es geht darum, dass sie zielgerichtet eingesetzt werden, also im gesamten ländlichen Raum. Das nur kurz zu den Ausgangszahlen der Fördermaßnahmen zur ländlichen Entwicklung. Hier wurden im Jahr 2001 gegenüber dem Jahr 2000 über 70 Millionen DM weniger bereitgestellt.

Als unsere DVU-Fraktion diese Große Anfrage gelesen hatte, haben wir uns gefragt: Was ist neu an den Fragen und was ist anders? Wir haben die Entwicklung des ländlichen Raums schon öfter hier behandelt. Es ist eigentlich schon alles bekannt gewesen. Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: Nichts ist neu an den Fragen, und die Antworten sind ebenfalls nicht neu. Man kann sagen, dass alles schon bekannt ist.

Die Situation ist so, wie wir sie vorausgesagt hatten, auch eingetreten. Für die privaten Vorhaben im Rahmen der Dorfentwicklung und der ländlichen Regionalentwicklung ist das für das Jahr 2002 zur Verfügung stehende Finanzvolumen allenfalls noch ausreichend, um einen Ofen zu kaufen, in dem man die Pläne, die man hat, verbrennen kann. - Danke schön.

(Beifall bei der DVU)

Bevor ich das Wort an den Abgeordneten Helm, der für die CDU-Fraktion sprechen wird, weitergebe, begrüße ich herzlich 16 Deutschlehrer aus mittel- und osteuropäischen Ländern. Herzlich willkommen im Parlament!

(Allgemeiner Beifall)

Herr Helm, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beantwortung der Großen Anfrage stellt ein umfangreiches Informationsmaterial über den Zustand der ländlichen Räume, die Aktivitäten der Landesregierung und der Kommunen sowie die daraus abzuleitenden Aufgaben dar. Sie wirft viele Fragen auf und zwingt zur Analyse. Politik für den ländlichen Raum ist ein Thema, das ausnahmslos alle Fachbereiche der Landesregierung, aber auch Fachbereiche dieses Hauses betrifft. In der zur Verfügung stehenden Zeit kann ich natürlich nicht auf alle Probleme eingehen.

Brandenburg ist nicht nur eines der größten Flächenländer Deutschlands, sondern zugleich das Bundesland mit der geringsten Besiedlungsdichte - mit allen Konsequenzen, die daraus erwachsen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir sagen, dass das ganze Land Brandenburg ländlicher Raum mit unterschiedlicher Strukturierung ist. Es ist andererseits ein Glücksfall, dass die Metropole Berlin mittendrin liegt - mit allen positiven Effekten hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung.