Protokoll der Sitzung vom 29.01.2003

Der Bericht macht zweitens klar, dass ein Umdenken notwendig ist. Auch beim Thema Stadtentwicklung müssen wir umdenken, meine Damen und Herren. Wir alle - ich nehme mich da nicht aus - sind viele Jahre lang davon ausgegangen, dass die Zahl der Einwohner unserer Städte wachsen wird. Von dieser Vorstellung müssen wir uns nach neueren Aussagen der Experten verabschieden. Die Städte werden - von einigen Beispielen, wie Nauen und Neuruppin, einmal abgesehen - nicht wachsen, sondern schrumpfen.

Selbst im engeren Verflechtungsraum, dem so genannten Speckgürtel, ist ein Ende des Zustroms abzusehen. Vor allem aber trifft es auf die berlinfernen Kommunen zu. Dort ist folgende Entwicklung zu beobachten: Die Geburtenrate sinkt. Die jungen, mobilen Menschen ziehen zum Teil weg. Übrig bleiben vorwiegend Senioren und Menschen, die nicht weg können - aus welchen Gründen auch immer. Das heißt, wir befinden uns mitten in einer Abwärtsspirale. Das heißt aber auch: Wir benötigen weit weniger Wohnraum als geplant und wir müssen die Wohnumfelder aufwerten, damit sie lebenswert bleiben bzw. werden.

Wie gesagt: Wir haben einen Paradigmenwechsel, weg von dem Ansatz, angemessene Wohninfrastruktur für wachsende Städte zu entwickeln, hin zu der Vorgabe, die teilweise überdimensionierte Infrastruktur zurückzubauen und schrumpfenden Gemeinden anzupassen. Darauf muss unser Vorgehen abzielen. Dieser Umdenkungsprozess ist bei vielen noch nicht im Gange. Diesbezüglich ist der vorliegende Bericht besonders hilfreich. Er macht klar, dass das langfristige Projekt Stadtumbau nicht nur eine Angelegenheit des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr ist, sondern eine Aufgabe, die alle Ressorts angeht.

Im Bericht werden zahlreiche Bereiche genannt, in denen ein gemeinsames Vorgehen vonnöten ist; Minister Meyer wies darauf hin. Wir brauchen sozusagen eine konzertierte Aktion. Deshalb haben die SPD-Fraktion und CDU-Fraktion einen gemeinsamen Antrag eingebracht. Ich freue mich, dass selbst die PDS-Opposition die klare Sprache dieses Antrages zu loben weiß. Herr Warnick, vielen Dank.

(Zuruf von der PDS: So sind wir!)

Dieser Antrag dient vor allem einem Zweck

(Zuruf von der PDS)

- wollen Sie es wieder zurücknehmen? -: den Stadtumbau besser zu koordinieren. Um es gleich vorweg zu sagen und gerade jetzt eventuellen Missverständnissen vorzubeugen - mein Fraktionsvorsitzender blickt mich schon ganz kritisch an -:

(Fritsch [SPD]: Nein, freundlich!)

Wir fordern in diesem Antrag nicht mehr Geld. Wir haben nicht die Absicht, die Haushaltsberatungen zu konterkarieren und in dieser Hinsicht quer zu schießen. Das wollen wir nicht.

Wir wollen aber, dass die Fördermittel, die zur Verfügung stehen, effizienter eingesetzt werden. Es gibt zahlreiche Fördermittel des Landes, des Bundes und der EU, die Auswirkungen auf den Stadtumbau haben, sodass wir es für notwendig erachten, deren Ausreichung besser abzustimmen. Die bewilligenden Institutionen müssen sich zusammensetzen und Gedanken darüber machen, wie die Programme hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Stadtumbau optimiert werden können. Das ist eines unserer beiden Hauptziele.

Unser anderes Hauptziel ist, die drei Grundprobleme des Stadtumbaus zu lösen: erstens Altschuldenentlastung, zweitens Grunderwerbsteuer, drittens Entlastung der Kommunen.

Zu dem Punkt Altschuldenentlastung hat sich Herr Minister Meyer schon umfassend geäußert. Ich will das jetzt nicht wiederholen, meine Damen und Herren. Ich will es zusammenfassend auf einen Nenner bringen und sagen: Ohne Altschuldenentlastung kein Abriss!

Punkt 2, Grunderwerbsteuer: Vielen Wohnungsunternehmen, egal, ob genossenschaftlich oder kommunal, geht es finanziell schlecht. Sie haben oft mit einer hohen Leerstandsquote zu kämpfen. 10 % sind dabei schon wenig, oft sind es 20 %, ja sogar 30 % leer stehender Wohnraum. Das macht den Unternehmen einiges Kopfzerbrechen und uns auch. Hinzu kommt, dass viele Gesellschaften relativ klein und langfristig nicht überlebensfähig sind.

Das heißt vor allem: Viele Wohnungsgesellschaften können den von ihnen geforderten Beitrag zum Stadtumbau nicht leisten. Sie können weder Abrissmaßnahmen finanzieren noch beispielsweise den Rückbau technischer Infrastruktur, der damit zusammenhängt, bewältigen. Aber Wohnungsgesellschaften, die so schwach sind, dass sie eigentlich ihrer Aufgabe nicht mehr nachgehen können, helfen vor Ort nicht.

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Aber gern.

Herr Warnick, bitte.

Kollege Ziel, ich habe in Ihren Ausführungen eben einen Widerspruch bemerkt. Könnten Sie mich vielleicht aufklären? Sie sagten, dass Sie in Ihrem Antrag nicht mehr Geld forderten. Wie ist das zu verstehen? Unter Punkt 6 zum Beispiel fordern Sie die Befreiung von der Grunderwerbsteuer. Das sind dann weniger Einnahmen beim Bund. Das ist also doch Geld, das man benötigt. Oder Sie fordern eine Entlastung von den Altschulden bei abzureißenden Wohnungen. Das alles ist mit finanziellen Forderungen verbunden. Wie ist das zu verstehen?

Herr Warnick, es sind keine zusätzlichen Forderungen an unseren Haushalt. Weil ich gewusst habe, dass Sie eine solche Frage stellen werden, gehe ich darauf noch einmal extra ein. Sie werden beruhigt sein.

(Zuruf von der PDS: Weitsicht!)

- Weitsicht, ja. - Viele Wohnungsgesellschaften können den von ihnen geforderten Beitrag zum Stadtumbau nicht leisten. Deshalb ist es erforderlich, dass sie fusionieren. Oft sehen sie die Fusion als den letzten Ausweg. Fusion heißt nicht, dass zwei schwache Partner dadurch stärker werden. Das ist sicherlich illusorisch. Fusion heißt, dass lokale Anbieter zusammenkommen, möglicherweise sogar über Gemeindegrenzen hinaus, um gemeinsam Schwerpunkte des Stadtumbaus konzeptionell zu entwickeln und finanziell zu bewältigen.

Wollen aber zwei Wohnungsgesellschaften fusionieren, müssen sie - da haben Sie Recht, Herr Warnick - Grunderwerbsteuer entrichten. Diese ist aber so hoch, dass es durchweg erst gar nicht zu einer Fusion kommt. Dann haben sie auch kein Geld in der Kasse, Herr Warnick. Deswegen würde sich der Staat - in diesem Fall ist es der Bund - auch nichts dabei vergeben, fusionierende Wohnungsgesellschaften von der Zahlung der Grunderwerbsteuer zu befreien. Hier lautet also der Nenner: Ohne Grunderwerbsteuerbefreiung keine Fusion!

Punkt 3, Entlastung der Kommunen: Auch da gebe ich Antwort auf Ihre Frage, Herr Kollege Warnick.

Herr Minister, es gibt eine neue Zwischenfrage. Sind Sie bereit, darauf einzugehen?

Bitte sehr.

Herr Minister, wäre es möglich, den Bund zu veranlassen - oder es zumindest zu versuchen -, infolge von Altschulden überschuldungsgefährdete Wohnungsbauunternehmen bilanziell zu entlasten? Mit diesem Verfahren haben wir in der Landwirtschaft auch sehr gute Erfolge erzielt.

Inzwischen bin ich Abgeordnetenkollege, Herr Kollege. - Ich kann Ihnen das ganz klar sagen. Ich habe an Diskussionen, die auch mit dem neuen Bundesminister stattgefunden haben, teilgenommen. Ich glaube, er hat diese Botschaft verstanden, zumal er ein alter Kommunaler ist und weiß, was in den Kommunen vor sich geht.

Herr Abgeordneter, sehen Sie es mir auch nach. Das mit dem Minister sollte kein Hohn sein. Es ist einfach die jahrelange Sicht auf die Personen, die vor mir stehen. Da habe ich doch tatsächlich nicht früh genug geschaltet.

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Ich will noch einmal deutlich sagen: Die Entlastung der Kommunen ist eine Notwendigkeit, die uns Abgeordnete in diesem hohen Hause und natürlich auch den Ministerien hinlänglich bekannt ist. Ich denke, jeder von uns weiß, dass es für die Gemeinden sehr schwer ist, ihren Beitrag zum Stadtumbau zu leisten. Wenn es um Aufwertungsmaßnahmen geht, müssen sie sich bisher mit 20 % beteiligen. Das klingt zwar nicht viel, ist aber zu viel, wenn es um städtebauliche Maßnahmen geht.

Daher fordern wir die Landesregierung auf, in Verhandlungen mit dem Bund darauf hinzuwirken, dass die Kommunen diesen 20%igen Anteil nicht mehr zu leisten brauchen, jedenfalls keinen Anteil in dieser Höhe. Inzwischen ist das auch dem Herrn Bundesminister bekannt und dieser hat das Thema aufgegriffen. Der Nenner lautet hier: Ohne Entlastung der Kommunen keine Aufwertungsmaßnahmen!

Nicht entlasten will ich die Kommunen aber, wenn es darum geht, konzeptionelle Arbeit zu leisten. Ich habe oft den Eindruck, meine Damen und Herren, dass in den Kommunen eine große Erwartungshaltung gegenüber dem Land, übrigens auch gegenüber dem Bund, nach der Devise besteht: Kümmert euch mal um dieses, kümmert euch mal um jenes Problem. So tritt man an uns heran. Ich bin in vielen Punkten auch gern bereit, den Kommunen unter die Arme zu greifen. Aber beim Stadtumbau müssen viele Gemeinden noch ihre Hausaufgaben machen. Das Stadtumbauprogramm fördert und fordert von den Kommunen wohnungswirtschaftliche Konzepte. Darin sollen sie ihre Strategie darlegen, wie sie ihren Wohnungsbestand einer schrumpfenden Einwohnerzahl anpassen wollen.

Ich denke nicht, dass das eine Überforderung der Kommunen ist. Jede Gemeindeverwaltung sollte der Lage sein, hierzu Konzepte vorzulegen. Viele aber sind der Ansicht, dass dies nicht so dringend sei. Das ist falsch, meine Damen und Herren.

Wir können nicht darüber diskutieren, dass sich die Gemeinden darüber Gedanken machen, wie sie langfristig auf das Sinken

der Einwohnerzahlen reagieren wollen, möchten in dieser Situation aber Hilfe leisten. Deshalb haben die SPD und die CDU gemeinsam den Ihnen vorliegenden Antrag eingebracht. Wir wollen damit signalisieren: Es ist gut, dass uns die Landesregierung diesen inspirierenden Zwischenbericht vorgelegt hat. Aber wir wollen auch keine Zeit verlieren und deshalb den Prozess des Stadtumbaus möglichst schnell konzeptionell optimieren.

Das Jahr 2009, in dem die Laufzeit des Programms endet, kommt schneller, als wir denken, und das Ende meiner Redezeit kommt auch schneller, als ich denke. Deshalb will ich Sie, meine Damen und Herren, noch kurz darum bitten: Stimmen Sie diesem Antrag der Koalitionsfraktionen zu! - Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort geht an die DVU-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Hesselbarth.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Brandenburg wird abgerissen! An dieser Stadtumbaupolitik hat sich auch mit dem 39-seitigen Bericht der Landesregierung nichts geändert. Schon die Analyseebene ist ziemlich schwach. Richtig erkannt wurde, dass die Hauptursache für den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Wohnungsleerstand zweifelsohne die hohe Abwanderungsquote insbesondere junger, qualifizierter Menschen mit all den negativen Folgen von der Abwertung des Landes als Wirtschaftsstandort bis hin zu den negativen Auswirkungen auf die Kommunaleinnahmen ist. Das sagten wir Ihnen aber schon vor zwei Jahren.

Im Bericht der Landesregierung ist aber von deren Verantwortung für die fehlende Schaffung unternehmerfreundlicher Rahmenbedingungen in der Region als logische Ursache dieser Erkenntnis recht wenig zu lesen. Notwendige Maßnahmen zur Erschließung und Wiederherrichtung brachliegender Industriegelände, zur verkehrlichen Anbindung usw. werden als bloße Förderoptionen dargestellt. Auch sonst finden sich außer einer Menge zaghafter Konzeptionen keine konkreten Ansätze zur Förderung einer funktionsfähigen und wirtschaftsnahen Infrastruktur.

Ich erspare es mir, all das zu wiederholen, was ich bereits im letzten März zur Beantragung dieser Berichterstattung gesagt habe, insbesondere zur Interdependenz zwischen Abwanderungsprozess, Rezession und Strukturschwäche. Ein sinnvoller Stadtumbau muss vor allem die überfällige Verknüpfung von Arbeitsmarkt, Wohnungsbau sowie einem effektiven und zielgerichteten Infrastrukturausbau gewährleisten.

Aber was ist die Lösung der Landesregierung? Die Abrissbirne. So stehen für 2002 bis 2009 für Rückbaumaßnahmen 173,2 Millionen Euro zur Verfügung, für die Wohneigentumsbildung von 2002 bis 2004 im innerstädtischen Bestandsbau aber nur rund 25,4 Millionen Euro.

(Allgemeine Unruhe)

2002 stand laut dem Bericht Kassenmitteln für den Abriss von 159 Wohneinheiten in Höhe von 3,8 Millionen Euro eine Sum

me für die Aufwertung von Wohnungen von lediglich 1,3 Millionen Euro gegenüber. Jeden weiteren Kommentar dazu erspare ich mir.

(Glocke des Präsidenten)

Umso mehr überrascht mich jetzt der Antrag der Koalitionsfraktionen.

(Dr. Wiebke [SPD]: Wir überraschen Sie öfter!)

Er zeigt, dass unsere Vorschläge im Hinblick auf die Förderpolitik endlich als richtig erkannt werden. Insbesondere überrascht mich aber, dass Sie gerade einen Monat nach unserem Antrag zur Umstellung der steuerlichen Eigenheimförderung eine Förderung des Bestandserwerbs im Hinblick auf eine Nachbesserung der Regelung zur Eigenheimzulage fordern.

Leider sind Sie noch vor einem Monat offensichtlich mit Blindheit geschlagen gewesen, haben Sie doch nicht eingesehen, dass insbesondere die derzeit geltende Begünstigung von Neubauten durch das Eigenheimzulagengesetz in Anbetracht der Leerstandssituation wenig bringt. Die Einzelheiten dazu können Sie im Protokoll der Dezember-Sitzung nachlesen. Offensichtlich haben Sie dies auch sehr eifrig getan.