Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde des Landtages hat das Thema „Haushalt 2003: Notstand oder Panikmache?“ Kann man trotz einer dramatischen Haushaltslage im Land Brandenburg, aber im Angesicht eines drohenden Irak-Krieges tatsächlich von einem Notstand in unserem Land Brandenburg reden? Ich denke, nein. Oder von Panikmache? Ich denke, nein.
Deswegen will die Regierungskoalition aus SPD und CDU in der heute beantragten Aktuellen Stunde erstens über die Finanzlage, zweitens über unser Konzept und drittens über aktuelle Schritte informieren.
Eine kurze Eingangsfrage: Können Sie sich noch an die konkrete Situation in Ihrem Heimatort vor 1989 erinnern? Etwa an den Zustand Ihres Wohnblocks, der Autobahn, der Schule, des Altenheims, Ihrer Stadt bzw. Ihres Dorfes insgesamt?
Vieles davon ist heute modernisiert, allerhand ist neu gebaut worden. Wir sind sehr stolz auf das Erreichte. Wir sind stolz auf eine eigene Finanzkraft, die wächst, nicht sinkt. Sie wächst durch geförderte Wirtschaftsansiedlungen. Wir sind stolz auf neue Operationssäle in unseren Krankenhäusern und auf moderne Computer an den Schulen. Die Aufbauarbeit war wichtig und nach meiner festen Überzeugung auch notwendig. Sie hat die konkrete Lebenssituation in den Städten und Dörfern verbessert und - das behaupte ich - lebenswerter als je zuvor gemacht.
Jetzt allerdings sind wir im Land Brandenburg an der Grenze der Kreditfinanzierung angelangt. 8 % unserer gesamten Ausgaben fließen als Zinsen an Banken. Dies entspricht 16 % der gesamten verfügbaren Landesmittel. Das sind 2 Millionen Euro - nicht im Jahr, nicht im Monat, sondern Tag für Tag! Allein während dieser Aktuellen Stunde zur Haushalts- und Finanzsituation geben wir exakt 91 300 Euro nur für Zinsen aus.
Neu gebaut war 1912 auch die „Titanic“ - auf Kredit! Bei schönem, ruhigem und sehr klarem Wetter legt sie am 11. April 1912 im Hafen von Queentown ab. Bereits einen Tag später gibt es die erste Eiswarnung. Captain Smith nimmt an einem Abendessen unter Deck teil. Kurz vor Mitternacht erkennen die Ausguckmänner einen Eisberg - Entfernung: 500 Meter! Alle Versuche, jetzt die Maschinen zu stoppen und mit voller Kraft rückwärts zu fahren, sind vergeblich.
Dass nach den Aufbaujahren die Grenze einer noch vertretbaren Verschuldung erreicht ist, hat die SPD 1996 erkannt.
Dass nach den Jahren der noch vertretbaren Kreditfinanzierung ein Bundesland wie Brandenburg in einer derart kurzen Zeit seine Nettokreditaufnahme um 75 % verringert hat, ist bislang einmalig.
Jetzt, im Jahre 2003, stehen wir vor einer weiteren Zäsur in unserer Haushalts- und Finanzpolitik. Es gehen über 600 Millionen Euro weniger Steuern ein. Gleichzeitig fallen zusätzliche Ausgaben für Renten aus DDR-Zeiten und für Personal an. Der Wirtschaftsmotor läuft nicht nur in Deutschland, sondern auch in England und Frankreich zu langsam. Brandenburg ist für den Aufbau des Landes mit einer Bugwelle an Investitionen auf Kredit bis an die Grenze des Machbaren gegangen. Nicht zum ersten Mal warnen uns Funksprüche vor Packeis. Aber nie ist
(Vietze [PDS]: Wie heißt der Kapitän auf unserem Schiff? - Schippel [SPD]: Ihr seid blinde Passagiere!)
Prof. Seitz von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) stellt im Ergebnis eines Benchmarking-Reports, einer Ländervergleichsstudie, fest:
„Dem Bürger muss ehrlich gesagt werden, dass er nicht besser versorgt werden kann und an das Land und seine Kommunen nicht höhere Anforderungen stellen kann als die Bürger in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz oder Niedersachsen.“
Der Ländervergleich von Prof. Seitz bestätigt anhand von Fakten unmissverständlich: Brandenburg leistet sich zu viel. Nicht der Bürger leistet sich zu viel, sondern wir Politiker genehmigen zu viele Programme und Projekte. Laut Prof. Seitz geben wir im Vergleich mit den finanzschwächsten Westländern rund eine Milliarde Euro mehr aus. Das sind in jedem Jahr 10 % des Haushalts und entspricht exakt der Nettokreditaufnahme. Deswegen müssen wir mehr sparen als andere. Schließlich gibt es auch in den finanzschwächsten Westländern keinerlei Stillstand. Tatsache ist: Wann immer jemand zum Sparen mahnt, spricht ein anderer von sozialer Kälte. Die Koalition insgesamt und besonders meine Fraktion hat sich aber schon lange entschieden: Ein solider Landeshaushalt ist und bleibt die beste Sozialpolitik.
Aber bei einem wird es bleiben: Wir müssen beim Sparen soziales Augenmaß bewahren, auch wenn der Spielraum dafür sehr eng ist. Denkverbote darf es ebenso wenig geben wie blindwütigen Aktionismus.
Erstens: Wir bringen ein umfassendes Maßnahmenpaket auf den Weg. Es geht um Kostensenkung, insbesondere Effizienzsteigerung und schrittweisen Personalabbau in der eigenen Landesverwaltung. Der Bund hat übrigens derzeit weniger Beschäftigte als vor 1989. Diesem Punkt kommt auch in Brandenburg eine zentrale Bedeutung zu. 50 % der Landesmittel sind schon heute durch Personalkosten gebunden. Die Pensionszahlungen werden sprunghaft steigen: gemessen am Status quo, allein in den nächsten Jahren um einen vierstelligen Prozentbetrag. Auch aus diesem Grunde wollen wir bis 2007 im öffentlichen Dienst 12 400 Stellen abbauen, Gesetze und Verordnungen grundsätzlich befristen, Berliner und Brandenburger Behörden zusammenlegen, Budgetierungen ausbauen und eine KostenLeistungs-Rechnung für unsere Produkte einführen und etablieren.
Darüber hinaus durchforsten wir selbstverständlich das Paragraphendickicht: Gemeindeordnung, Landkreisordnung, Amtsordnung, Bekanntmachungsverordnung, Genehmigungsfrei
stellungsverordnung, Kommunalaufwandsentschädigungsverordnung, Stellenobergrenzenverordnung usw. Wir gehen mit gutem Beispiel voran und beginnen in der eigenen Landesverwaltung. Erst dann sind meines Erachtens Kürzungen auch beim einzelnen Bürger vertretbar.
Zweitens: Landesgesellschaften wie die BBG sind nach einem der akuten Finanzlage des Landes angemessenen straff strukturierten Zeitplan aufzulösen. Weitere Konversionsprojekte sind nicht finanzierbar. Hier hat die Finanzministerin bereits einen sehr mutigen Schritt getan. Wir wollen sie bei der konsequenten Fortführung dieser Linie tatkräftig unterstützen.
Drittens: Unabhängig von Wahlterminen stehen ab 2004 viele Verpflichtungsermächtigungen auf dem Prüfstand. Das Parlament muss im Haushalt 2004 freier entscheiden können. Wir müssen Verpflichtungsermächtigungen abbauen, um zu frühe vertragliche Bindungen von vornherein auszuschließen und dem Parlament mit dem neuen Haushaltsplan mehr Selbstbewusstsein und Kraft zu geben. Die SPD-Fraktion hat sich dafür ausgesprochen, für das Jahr 2003 einen Einzeletat aufzustellen.
Viertens: Bildung, Ausbildung und Wissenschaft haben im Land Brandenburg Priorität. Hier sind keine bzw. sehr geringe Einschnitte vorgesehen.
Deshalb befasst sich die Regierungskoalition übrigens erstmalig mit Eckpunkten und Einzelheiten des Nachtragshaushaltes deutlich vor einer Befassung durch das Kabinett - bislang ein Novum in Brandenburg.
Wir sind bereit und in der Lage, den Sparkurs aktiv mitzugestalten. Gerade mit Blick auf das soziale Gefüge - auch mit Blick auf die Sicherung von Arbeitsplätzen - unterstreichen wir, dass das Recht auf die ganztägige Betreuung aller Kinder, deren Eltern in Arbeit, Ausbildung oder Qualifizierung sind, nicht angetastet wird.
Allein um diesen bundesweit fast einmaligen Rechtsanspruch zu finanzieren, müssen wir - allen voran die eigene Regierung und die gesamte Landesverwaltung - sparen. Unsere Investitionsquote liegt mit 23 % mehr als doppelt so hoch wie die durchschnittliche Investitionsquote der gesamten westdeutschen Länder mit rund 11 %. In diesem Zusammenhang eine Frage: Ist denn der Grundsatz korrekt, dass jeder Cent von Bund und EU notfalls auf Kredit abgerufen werden muss, egal ob sinnvoll, finanzierbar oder vernünftig?
Auch hier müssen die Prioritäten im Licht der Haushaltslage des Landes Brandenburg gemeinsam neu justiert werden. Brandenburg ist beim Aufholprozess sehr stark und schnell gestartet, mit großem Tempo gefahren und auch vorangekommen. Der Spritverbrauch war dementsprechend. Nun geht es mit 100 km/h statt mit 130 km/h weiter. Aber auch mit 100 km/h kommt man voran und das Unfallrisiko sinkt dabei erheblich.
oder aufgeben können und werden wir es in Verantwortung für die jüngsten Brandenburgerinnen und Brandenburger nicht. Ich denke, wir bewegen uns hierzu auf der richtigen Linie. Dazu steht die Koalition; denn niemand kann auf Dauer mehr ausgeben, als er hat.
In den kommenden Wochen wird es in vielen Bereichen Aufruhr geben. Auch das empfinde ich als Herzstück unserer Demokratie. Es wird Umschichtungen und auch Kompromisse geben. Bei der Einsparsumme von mindestens 300 Millionen Euro als Untergrenze des bisherigen Konsolidierungsbeitrages muss es auf dem Weg zu einem vernünftigen und finanzierbaren Haushalt jedoch bleiben; denn auch das sind nur 30 % des Weges im Vergleich zu den finanzschwächsten westdeutschen Flächenländern, die ihren Bürgern mit immerhin einer Milliarde weniger Einnahmen ein vernünftiges, lebenswertes Land organisieren.
Der Versuch, alle Passagiere bei Laune zu halten und erst Maßnahmen zu ergreifen, als der Eisberg mit eigenen Augen zu sehen war, endete in einer Tragödie. Not und Panik brachen aus. Vom Zeitpunkt der Sichtung des Eisberges bis zum Zusammenstoß blieben noch exakt 37 Sekunden.
Darauf wartet die große Koalition nicht. Wir handeln, und zwar gemeinsam. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich danke dem Abgeordneten Bischoff und erteile der Fraktion der PDS das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete Osten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was wird in diesem Landtag heute eigentlich gespielt? - Vielleicht spricht man später einmal von einer Provinzposse oder „Bischoffs Märchenstunde“. Dafür fehlt mir allerdings jeglicher Humor; denn ich empfinde das Thema unserer jetzigen Zusammenkunft als Provokation gegenüber allen Zuhörern und besonders der PDSFraktion im Landtag.