Protokoll der Sitzung vom 06.03.2003

Bevor ich Punkt 2 aufrufe, heiße ich Schüler aus dem Gymnasium in Falkenberg herzlich willkommen. Schön, dass Sie bei uns sind!

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

Thema: Die Auswirkungen der dramatischen Finanzsituation der Kommunen auf die Lebenssituation der Brandenburgerinnen und Brandenburger und die Zukunftsfähigkeit des Landes

Antrag der Fraktion der PDS

Das Wort geht zunächst an die beantragende Fraktion. Bitte, Herr Domres.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Städte mit Latein am Ende“ oder „Kommunen stehen vor dem Finanzkollaps“ - so oder so ähnlich lauteten die Schlagzeilen vor 14 Tagen, als der Landesrechnungshof den Kommunalbericht 2002 vorgelegt hat. Mit diesem Bericht - das steht für die PDS-Fraktion außer Frage - wird sehr deutlich nachgewiesen, dass die Landesregierung die Probleme der kommunalen Finanzausstattung nicht in den Griff bekommen hat. Das ist eine Bankrotterklärung für die kommunale Finanzpolitik dieser Landesregierung.

Die Präsidentin des Landesrechnungshofs machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass die Sparliste der Landesregierung die Situation der Kommunen weiter verschärfen wird. Diese Feststellung hält die Landesregierung aber nicht davon ab, am kommunalen Finanzausgleich weiter zu kürzen. Mehr noch: Mit dem Hinweis, die Kommunen an den Steuermindereinnahmen des Landes angemessen beteiligen zu wollen, ignoriert sie bewusst, dass auch die Kommunen Steuermindereinnahmen zu

verzeichnen haben und die eigentlichen Opfer der rot-grünen Steuerpolitik sind.

Wie sieht nun die Entwicklung bei den Kommunalfinanzen aus? - Das Innenministerium selbst hat mitgeteilt, dass sich 90 % der Gemeinden mit ihren Haushalten in den roten Zahlen befinden. Im Jahr 2001 waren 960 von 1 070 Gemeinden ohne einen ausgeglichenen Haushalt. Allein im Jahre 2001 betrug die Finanzierungslücke 152 Millionen Euro. Ich möchte im Folgenden nur wenige Zahlen nennen, die aber die Finanzsituation der Kommunen sehr deutlich machen.

Die Einnahmen gingen bei den Landkreisen von 1996 bis 2001 um 11,2 % zurück. Das entspricht einem Rückgang um rund 255 Millionen Euro. Allein 2001 lag der Rückgang bei 6,8 %, in Summe bei etwa 147 Millionen Euro.

Ich behaupte: Von einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung der Kommunen kann keine Rede mehr sein.

Die kreisfreien Städte Brandenburgs haben bei der Gewerbesteuer im Jahr 2001 im Vergleich zu 1999 einen Rückgang um 22,1 Millionen Euro zu verzeichnen. Insgesamt betrug der Rückgang der Gewerbesteuer bei den Städten und Gemeinden für das Jahr 2001 11,5 % und für das Jahr 2002 weitere 11,1 %. Dieser Abwärtstrend setzt sich fort. In den Kassen der Städte und Gemeinden kommen auch im Jahr 2003 weniger Steuern an.

Ich behaupte, die Landesregierung gefährdet mit den vorgeschlagenen Kürzungen bewusst die Zukunftsfähigkeit der Brandenburger Kommunen und nimmt die drohende Handlungsunfähigkeit der Kommunen in Kauf.

Die kommunalen Spitzenverbände kritisieren übereinstimmend, dass sich zahlreiche Kürzungen unmittelbar oder mittelbar zulasten der Kommunen auswirken werden. Somit sind für die Bürgerinnen und Bürger weitere Einschnitte bei den Dienstleistungen zu erwarten und ein weiterer Rückgang bei den kommunalen Investitionen wird die Auftrags- und somit die Beschäftigungslage in den Kommunen weiter verschlechtern.

Sehr geehrte Damen und Herren der Regierung und der Koalition, Sie haben sich den Problemen der Gemeindefinanzierung bisher in völlig unzureichendem Maße gestellt. Ich möchte das an einigen Beispielen deutlich machen:

Erstens: Sie haben die Bildung einer Gemeindefinanzkommission, wie sie durch den Städte- und Gemeindebund und die PDSFraktion gefordert wird, abgelehnt, weil sie keine offene und transparente Diskussion über die Zukunft der Gemeindefinanzierung in Brandenburg wollen.

Zweitens: Sie schieben die notwendige Diskussion um die Fortführung der Funktionalreform vor sich her. Stattdessen bieten sie nur Stückwerk und Flickschusterei. Jüngste Beispiele sind eben auch die Vorstellungen aus dem Innenministerium zur Entlastung der Kommunen, die von Inkonsequenz geprägt sind. Verwunderlich ist nur, dass gerade das Innenministerium keinen Zusammenhang zwischen Finanzausgleich und Aufgabenübertragung sieht.

Drittens: Das mit großen Worten angekündigte Finanzausgleichsgesetz lässt nach wie vor auf sich warten. Ein entspre

chender Antrag auf Vorlage eines Entwurfs für ein FAG wurde erst in der letzten Landtagssitzung abgelehnt. Sie verweigern sich einer sach- und fachgerechten Diskussion. Damit stellen Sie infrage, dass ein FAG, wie immer versprochen, zum 1. Januar 2004 in Kraft treten kann. Jetzt aber haben Sie keine Ausrede mehr, weil gestern hier die Gemeindegebietsreform durchgepeitscht worden ist.

(Petke [CDU]: Beschlossen worden ist, Herr Domres!)

Sie ignorieren damit die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände und die Notwendigkeit einer seriösen und transparenten Haushaltsplanung und -diskussion in den Städten, Gemeinden und Landkreisen.

(Beifall bei der PDS)

Sehr geehrte Damen und Herren, der Innenminister sagte in der damaligen 1. Lesung zum Gemeindefinanzierungsgesetz:

„Durch dieses Doppel-GFG, mit dem die Zuweisungen des Landes an die Kommunen für die Jahre 2002/03 verbindlich festgelegt werden, besteht für die Kommunen insbesondere für das Jahr 2003 frühzeitig Planungssicherheit.“

Die Landkreise, Städte und Gemeinden haben auf der Grundlage des Gemeindefinanzierungsgesetzes 2002/03 ihre Haushalte aufgestellt, zum Teil sind sie schon genehmigt oder stehen kurz vor der Genehmigung. Die Kommunen sind Verträge eingegangen, haben Investitionen geplant und schon Leistungen ausgeschrieben und jetzt kommen Sie und wollen 140 Millionen Euro aus dem schon beschlossenen Gemeindefinanzierungsgesetz entnehmen. Das bedeutet zum Beispiel für den Landkreis Prignitz eine Mindereinnahme von etwa 3,5 Millionen Euro. Für die kreisfreie Stadt Potsdam beträgt die Mindereinnahme 5,5 Millionen Euro. Hinzu kommen Kürzungen innerhalb des Nachtragshaushalts in Höhe von noch einmal etwa 70 Millionen Euro, die ebenfalls zulasten der Kommunen und der Bürgerinnen und Bürger gehen. Diese Politik ist verantwortungslos.

(Beifall bei der PDS)

Die kommunale Selbstverwaltung muss durch eine dauerhafte, den Aufgaben angemessene Finanzausstattung der Kommunen gesichert werden. Die finanziellen Zuweisungen an die Brandenburger Kommunen müssen diese gestalterischen Spielräume öffnen. - So hieß es in der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD. Das war ein Ziel dieser Regierung. Jetzt kann man eigentlich nur das Scheitern feststellen.

Die Koalition hat sich als unfähig erwiesen, den Kommunen für das kommende Jahr frühzeitig eine verlässliche Basis für ihre Haushaltsplanung zu geben. Wieder einmal sind geweckte Hoffnungen enttäuscht worden. Die CDU ist kein Interessenvertreter der Kommunen in diesem Land mehr.

(Beifall bei der PDS)

Herr Schönbohm, Sie sollten mehr auf die Übereinstimmung von Wort und Tat achten!

Sehr geehrter Herr Innenminister, viele Kommunalpolitiker und auch ich verstehen nicht, warum Sie die Kommunen, für die Sie

als zuständiger Minister Verantwortung tragen, dermaßen im Stich lassen. Ihnen wurde doch schon im Januar deutlich gemacht, dass bei einer Umsetzung der angedachten Kürzungsvorschläge der kommunale Finanzkollaps droht. Mit den jetzt angedachten Kürzungen zerstört die Koalition die soziale Infrastruktur im Land, beschleunigt die Bevölkerungsabwanderung und gefährdet die Lebensperpektiven junger Menschen, was zur Überalterung ganzer Regionen führt.

Nicht nur ich frage mich, was für die SPD soziale Gerechtigkeit eigentlich noch bedeutet. Die vorgeschlagenen Kürzungen bei den Zuschüssen und Zuweisungen gerade im Jugend- und Sozialhilfebereich werden zur Verschärfung der Haushaltssituation bei den Sozial- und Jugendhilfeträgern führen und die Erbringung notwendiger Leistungen gefährden. Für viele Bereiche, in denen jetzt gekürzt werden soll, ist das Aus vorprogrammiert und das ist keine Panikmache, sondern das ist die Realität. Ob Frauenhaus oder Suchtberatungsstelle, ob Betreuungsverein oder Kontakt- und Beratungsstelle, ob Musikschule oder Kita die Landkreise und die Gemeinden sind nicht mehr in der Lage, die Kürzungen zu kompensieren. Mit der Streichung des § 16 a GFG zerstören Sie wichtige ambulante Beratungs- und Versorgungsangebote. Ich fordere Sie auf: Bedenken Sie Risiken und Nebenwirkungen Ihrer Politik!

(Beifall bei der PDS)

Sie sollten niemals vergessen: Das Land Brandenburg ist so stark wie seine Kommunen.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Domres, und gebe das Wort an die Fraktion der SPD. Bitte, Herr Abgeordneter Schippel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Sätze nur zu Ihnen, Herr Domres: Für die Gemeindefinanzkommission, die Sie in Ihrer Rede kritisch erwähnt haben, sind auch wir, und zwar in Absprache mit den Spitzenverbänden, für das künftige FAG. Das FAG wird also durch die kommunale Ebene begleitet. Vorher, wie Sie das wollen, brauchen wir das nicht.

Bei § 16 a GFG geht es um den Aufbau ambulanter Strukturen. Dazu wurden die Kommunen in der Vergangenheit gefördert. Irgendwann aber muss ein Aufbau beendet sein. Es ist also folgerichtig, wenn die Förderung irgendwann ausläuft.

(Zurufe von der PDS)

Die Art, in der die PDS das Thema dieser Aktuellen Stunde behandelt, zeigt deren falsche Herangehensweise

(Unruhe bei der PDS)

und erweckt den Eindruck, dass die Kommunen als Teil des Gemeinwesens in der Lage und in der Verantwortung sind, die Lebenssituation der Einwohner in umfassender Weise zu bestimmen. Der Staat im Allgemeinen und die Kommunen im Besonderen können und sollen aber nur die Rahmenbedingun

gen garantieren. Die Lebenssituation muss der Bürger, das Individuum, schon selbst bestimmen.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten verstehen unter Schaffung von Rahmenbedingungen in erster Linie Chancengleichheit, und zwar Chancengleichheit bei der Behandlung als Bürgerin bzw. als Bürger, Chancengleichheit hinsichtlich der Möglichkeit, kommunales Leben zu gestalten, Chancengleichheit in der und durch die Behandlung kommunaler Verwaltungen, Chancengleichheit beim Zugang und Nutzen kommunaler Einrichtungen. Damit meine ich nicht nur Schulen.

Unter Chancengleichheit verstehe ich zum Beispiel auch einen konditionierten und keinen allumfassenden Rechtsanspruch im Bereich Kita, denn die Chancengleichheit auf Arbeit gilt es zu erhalten und nicht etwas umfassend anderes zu tun.

(Zuruf von der PDS: Die der Kinder! - Beifall bei SPD und CDU)

Meine Damen und Herren, was wir nicht unter Rahmenbedingungen verstehen, ist, für jede Person bzw. jede Personengruppe ein umfassendes Betreuungsangebot vorzuhalten. Wir verstehen darunter nicht, dass Kommunen für alle und jedermann in gleicher Weise und undifferenziert Einrichtungen, Angebote und Möglichkeiten zur Verfügung stellen.