Protokoll der Sitzung vom 22.05.2003

Zum letzten und dritten Komplex, dem 610-Stellen-Programm: Die im aktuellen Kinder- und Jugendbericht der Landesregierung zitierte Camino-Studie zur Evaluation des 610-StellenProgramms stellt 800 Stellen in diesem Bereich als wünschenswert dar und begründet das auch.

Um die Kürzungen in den bisher genannten Bereichen wenigstens etwas abfangen zu können - „zu kompensieren“ wäre ein zu anspruchsvoller Begriff -, schlägt die PDS-Fraktion vor, das 610-Stellen-Programm auf Jugend-, Jugendsozial- und Jugendkulturarbeit - kurz, offene Jugendarbeit - zu begrenzen und die Schulsozialarbeit aus diesem Programm herauszunehmen. Dadurch würden der offenen Jugendarbeit ca. 150 Stellen mehr zur Verfügung stehen.

(Senftleben [CDU]: 125!)

- 125 bis 150, denn das hat auch mit den variablen Zuschüssen zu tun. - Das kann im Rahmen der mit den Kommunen ausgehandelten Budgets geschehen und muss keinen Cent mehr kosten. Das wäre, gemessen am Bedarf, längst nicht ausreichend, aber immerhin wäre es ein Signal, ein Anfang, denn Jugendarbeit ist Beziehungsarbeit. Beziehung und Vertrauen sind nur langsam aufzubauen, Flickschusterei ist kontraproduktiv. In diesem Sinne könnte die Landesregierung mit dem von uns vorgeschlagenen Schritt Vertrauen zurückgewinnen.

Um noch einmal auf die Bemerkung unseres Präsidenten zurückzukommen: Ich nehme Ihr Gemurmel als Zustimmung. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Ich danke dem Abgeordneten Hammer. - Ich gebe das Wort der Fraktion der SPD. Frau Abgeordnete Siebke, bitte.

Ehe Frau Siebke am Rednerpult ist, möchte ich die Gäste begrüßen, die gerade den Plenarsaal betreten. Sie kommen aus Bernau und repräsentieren die dortige Jugendfeuerwehr. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Bitte schön, Frau Siebke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem, was Herr Hammer eingangs seiner Rede gesagt hat, eine Vorbemerkung machen. Er hat die kühne Behauptung aufgestellt, dass die Jugend das Land deshalb verlasse, weil es hier zu wenig Freizeitangebote und Schulsozialarbeit gebe. Meiner Meinung nach ist es sehr kühn, einen solchen Zusammenhang herzustellen.

(Zurufe von der PDS)

Was die Reduzierung der Maßnahmen im Zusammenhang mit ABM und SAM betrifft, so wissen auch Sie, dass es da zu Anfang des Jahres Schwierigkeiten gab, dass sich das aber an den meisten Stellen - so jedenfalls mein Kenntnisstand - inzwischen wieder geregelt hat.

Damit komme ich zu Ihrem Antrag als solchem. Ich muss zugeben, dass ich Probleme dabei hatte, den Sinn Ihres Antrags zu erfassen. Auch Ihre Rede eben hat nur zum Teil zur Erhellung beigetragen. Sie sagten, dass sich das 610-Stellen-Programm auf offene Jugendarbeit konzentrieren soll.

Außerdem sprachen Sie davon, dass die Schulsozialarbeit in den Bereich der Bildung Eingang finden soll. Der Bereich der Bildung ist ja sehr ungenau definiert. Ich gehe einmal davon aus, dass das Ihrer Meinung nach in die Landesträgerschaft überführt werden soll, wie Sie ja auch gesagt haben. In der Begründung des Antrags heißt es aber dann, dass eine Diskussion zum Thema offene Schule mit der Forderung einer Freizeitbetreuung durch Schulen organisiert werden und die personelle Zuständigkeit dafür beim MBJS liegen soll. Ich frage Sie also, was Sie eigentlich wollen, Schulsozialarbeit in Landesträgerschaft oder Freizeitangebote an Schulen in Landesträgerschaft? Ich vermute, dass Sie beides in Landesträgerschaft haben wollen, wenn sich in Ihrem Antrag auch nur die Forderung nach dem einen wiederfindet.

Gestatten Sie mir jetzt einige Bemerkungen zum 610-StellenProgramm. Wie Sie genau wissen, soll es nach den Vorstellungen des Landes so sein: Wir beteiligen uns daran, eine Grundstruktur für die Jugend- und Jugendsozialarbeit im Lande

Brandenburg mitzufinanzieren. Das tun wir bereits seit Jahren. Das ist eine sinnvolle Sache und ich bin dafür, dass das fortgeführt wird.

Frau Abgeordnete Siebke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Im Moment nicht.

Die Unterbrechung gibt mir Gelegenheit, den Abgeordneten Ziel darauf hinzuweisen, dass mit dem Handy draußen gearbeitet wird.

(Heiterkeit)

Zu Anfang hatten wir die Absicht - so war das auch gestrickt -, insbesondere Schulsozialarbeit durch das 610-Stellen-Programm mitzufinanzieren. Soweit ich weiß, ist es inzwischen den Landkreisen überlassen, ob sie mit diesem 610-StellenProgramm offene Jugendarbeit oder Schulsozialarbeit betreiben bzw. wie sie ihre Schwerpunkte setzen. Das bedeutet, dass eine Konzentration auf offene Jugendarbeit bereits jetzt erfolgen kann.

Sie sagen, Schulsozialarbeit und Freizeitbetreuung an Schulen sollen in die Landesfinanzierung übernommen werden. Ausweitung der Ganztagsangebote heißt auch Schulsozialarbeit und Freizeitangebote, heißt Öffnung von Schule. Das ist aber nicht neu, Herr Hammer. Öffnung von Schule ist Gesetzeslage und wird an den meisten Schulen des Landes praktiziert.

Darüber, dass hier ein Ausbau wichtig ist, sind wir uns einig. Das heißt meiner Meinung nach aber nicht, dass Freizeitangebote durch Schule, das heißt durch Lehrer, in verstärktem Maße gemacht werden sollen, sondern das heißt für mich, dass Freizeitangebote immer mehr an der Schule, am Ort Schule, gemacht werden. Das hat aus meiner Sicht etwas mit Öffnung von Schule zu tun. Warum sollen Sportvereine, Kulturvereine, Musikschule und was wir sonst noch haben ihre Veranstaltungen nicht in Verbindung mit Schule machen, statt sie irgendwo anders durchzuführen? Ich bin dafür, dass so etwas ausgebaut wird.

Ich sage hier aber auch noch einmal klipp und klar: Für Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit, also auch für Sozialarbeit an Schulen, ist der örtliche Träger der Jugendhilfe zuständig. Das ist gesetzlich so geregelt und ich bin dafür, dass das auch so bleibt. Jugendhilfeplanung wird vor Ort gemacht. Da gehört sie auch hin und da muss über die Schwerpunkte entschieden werden.

Richtig ist, dass die Zusammenarbeit zwischen Jugendarbeit, also Jugendhilfe, und Schule verbessert werden muss. Das sollten wir gemeinsam verfolgen. Ansonsten aber ist das System so, wie es besteht, richtig. In diesem Rahmen sollte es verbessert, aber nicht verändert werden. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke Ihnen, Frau Abgeordnete Siebke, und gebe das Wort an die Fraktion der DVU. Bitte, Frau Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 610-StellenProgramm soll nicht gerüttelt werden. So wurde der Bildungsminister in der letzten Woche von der Presse zitiert. Bei der Vorstellung des aktuellen Kinder- und Jugendberichts verwies Herr Reiche auf einschneidende Veränderungen in der Jugendund Jugendsozialarbeit, die in den nächsten Jahren zu erwarten sind. Die Folgen der demographischen Entwicklung, die der Herr Minister damit anspricht, werden noch erheblich verschärft durch die rigorose Sparpolitik der Bundesregierung.

Vor diesem Hintergrund scheint der vorliegende Antrag der PDS-Genossen ganz gut zu passen. Die soziale Arbeit an Schulen soll dem Bereich der Bildung zugeordnet werden, um so Mittel aus dem 610-Stellen-Programm für die offene Jugendarbeit frei zu machen. So könnten sicherlich einige Jugendklubs und andere Jugendprojekte gerettet werden, deren bisheriger hauptamtlicher Betreuer durch den Wegfall einer ABM- oder SAM-Stelle seine Arbeit nur noch nebenberuflich oder gar nicht mehr weiterführen könnte. Außerdem bietet das 610-StellenProgramm eine wesentlich bessere Perspektive als die jeweils nur kurzfristigen Maßnahmen der Arbeitsmarktförderung.

Angesichts einer Situation, in der sich unseren Kindern und Jugendlichen in ihrer Heimat keine oder nur traurige Zukunftsperspektiven bieten, in der leider immer mehr Eltern aufgrund ihrer eigenen Perspektivlosigkeit die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen, wäre das eine erfreuliche Maßnahme, die zumindest eine absehbare Verschlechterung der Lage mindern helfen würde.

Auch fachlich könnte sich die Zuordnung der Schulsozialarbeiter zu den örtlichen Schulträgern bzw. den einzelnen Schulen vorteilhaft auswirken; denn ein interner Kollege wird gewöhnlich viel selbstverständlicher in den Arbeits- und Kooperationszusammenhang der Schule eingebunden als ein externer. So könnten weitere Barrieren und Vorbehalte gegen die Schulsozialarbeit abgebaut und ein engerer Einbezug in unterrichtliche und außerunterrichtliche Arbeitszusammenhänge und Entscheidungsgremien erleichtert werden. Durch die angekündigte Ausweitung des Angebots an Ganztagsschulen erscheinen solche Überlegungen sogar noch sinnvoller.

Doch leider sind sich die Genossen der PDS mit diesem Antrag und seiner Begründung treu geblieben und haben so verschwommen formuliert, wie man es von der PDS gewöhnt ist. Wird in dem Antrag noch gefordert, das 610-Stellen-Programm umzugestalten, so ist in der Begründung nur noch die Rede davon, die Diskussion zu erweitern.

Auch die bekannte Eigenheit der PDS taucht hier wieder auf, die Ergebnisse von Diskussionen vorgeben zu wollen. Werte Genossen der PDS, in einer Demokratie, in der wir ja nun leben, entsteht das Ergebnis aus der Diskussion heraus und wird nicht irgendwie per Beschluss vorgegeben.

Meine Damen und Herren, Herr Minister Reiche scheint es glücklicherweise geschafft zu haben, das 610-Stellen-Pro

gramm vor den berufsbedingt gierigen Händen der Finanzministerin und den Ansprüchen weiterer Ministerkollegen gerettet zu haben. Aber werden die Damen und Herren in den anderen Ministerien auch dann noch stillhalten, wenn der Bildungsminister dieses Programm umstrukturiert, andere Stellen fördert als bisher und wichtige Bereiche ausgliedert? Ein einmal aufgeschnürtes Paket lässt sich viel leichter plündern als ein geschlossenes Programm.

Völlig ungeklärt ist auch die Frage, ob sich bei der Diskussion um das Schulressourcenkonzept auch tatsächlich die finanziellen und personellen Ressourcen auftreiben lassen, die für eine vollständige Eingliederung der sozialen Arbeit in der Schule in den Bereich Bildung nötig wären. Bundes- und Landesregierung sparen ja bekanntlich nicht nur an der Jugendhilfe, sondern schlagen auch bei Schulen kräftig zu.

Verehrte Genossen der PDS, Ihrem Antrag hätten wir zustimmen können, wenn Sie bessere und vor allem eindeutigere Formulierungen gewählt hätten und wenn Sie uns vor allen Dingen auch gesagt hätten, wie Sie das Ganze finanzieren wollen. Aufgrund der Schwammigkeit und der vielen offenen Fragen kann die Fraktion der Deutschen Volksunion diesem Antrag nicht zustimmen und wird ihn ablehnen.

(Beifall bei der DVU)

Ich danke der Abgeordneten Fechner. - Ich gebe das Wort an die Fraktion der CDU, an den Abgeordneten Senftleben.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Hammer, meine Kollegin Frau Siebke hat schon auf Ihren Beitrag reagiert. Ich kann nur fragen: Mit welchen Jugendlichen reden Sie eigentlich? - Es gibt meiner Ansicht nach eine sehr große Anzahl junger Menschen in diesem Land, und die haben auch andere Aussagen parat als die, die Sie eben gebracht haben. Wir wissen, dass es Probleme gibt und dass wir diese Probleme nicht durch kurzfristige Maßnahmen lösen können.

Trotzdem - das ist selten so - bin ich über den heutigen Antrag der PDS erfreut; denn er gibt uns die Gelegenheit, über das 610-Stellen-Programm zu debattieren. Sie wissen, dass das Land Brandenburg in einer sehr schwierigen finanziellen Lage ist. Wir haben dennoch gesagt: Wir geben ein klares Bekenntnis zum Landesanteil des 610-Stellen-Programms ab. Das sind immerhin 6 Millionen Euro, die wir Jahr für Jahr in diesem Bereich aufbringen und aufbringen wollen.

Wir haben die erheblichen Abstriche beim Landesjugendplan schon erwähnt. Wir werden sie sicherlich nicht rückgängig machen können, aber wir können zumindest sagen: Wir wollen durch die weitere Finanzierung des Programms der Stellenfinanzierung den Landkreisen und kreisfreien Städten die Grundausstattung an die Hand geben, damit sie diese eigentlich ihnen zugehörige Aufgabe erfüllen können. Man muss an dieser Stelle auch einmal betonen, dass wir als Land Brandenburg den eigentlichen Anspruch, den auch das KJHG an uns gestellt hat, erfüllen werden. Das ist, denke ich, auch eine sehr sinnvolle Maßnahme. Wir werden also weiterhin am Bedarf

orientierte Angebote schaffen und gestalten und damit unseren Beitrag erfüllen.

(Zuruf von der PDS)

Wenn Sie von Fachpersonal reden: Wir haben gesagt - das habe ich auch immer wieder betont -, dass ABM und SAM mit Sicherheit kein Angebot an Fachpersonal sind. Deswegen glaube ich auch, dass der Schritt, den die Bundesregierung macht und der aus einer anderen Blickrichtung sicherlich begründet ist, ganz einfach bedeutet: Wir haben mit ABM und SAM nicht das richtige Mittel für Jugendarbeit. Deswegen gibt es auch das 610-Stellen-Programm.

Es wurde heute auch schon in anderen Redebeiträgen auf die demographische Entwicklung in Brandenburg hingewiesen. Wir haben im aktuellen Jahr 2003 ca. 260 000 junge Menschen zwischen 14 und 20 Jahren und werden 2010, also in weniger als sieben Jahren, nur noch 130 000 Jugendliche in diesem Alter haben. Darauf müssen wir eine Antwort finden. Deswegen denke ich, dass wir uns zukünftig - nicht heute, aber in den nächsten Monaten - darüber Gedanken machen müssen, wie wir auf diese Frage antworten. Es ist heute schon einmal angeklungen, dass jedes Ministerium ein paar Antworten darauf geben muss, dass wir aber meinen: Das Modell der Amtsjugendpflege ist mit Sicherheit eines der Modelle, die an den Entwicklungen der Demographie orientiert sind und richtig sein können.

Aber auch das Ehrenamt ist zu stärken. Auch junge Menschen sind bereit, ehrenamtliche Tätigkeiten zu leisten; das sehen wir an unseren Gästen von der Feuerwehr und auch aus anderen Bereichen. Im ehrenamtlichen Bereich müssen die jungen Leute auch verstärkt ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Senftleben, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.