Protokoll der Sitzung vom 28.01.2004

Ich danke der Abgeordneten Marquardt. - Das Wort geht an die Landesregierung. Herr Minister Baaske, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Bednarsky, gerade weil ich weiß, dass Sie emotional und persönlich sehr eng mit diesem Thema verbunden sind, verstehe ich so manche Frage in diesem Katalog nicht.

Zunächst hielt ich es für nicht schlecht, dass eine solche Anfrage gestellt wurde, könnte sie doch dazu verhelfen, einmal zu schauen, was an Zahlen vorliegt, welche Erkenntnisse daraus gewonnen werden können und was uns dies geben kann. Sicherlich könnte bezüglich der einen oder anderen Sache etwas wieder ins Blickfeld rücken, was ansonsten vielleicht aus demselben geriete.

Wenn Sie heute in dieses Thema einsteigen und zum - vielleicht - zweihundertsten Mal vortragen, dass wir mit dem Gleichstellungsgesetz nicht dafür gesorgt haben, dass die Kommunen auch barrierefrei bauen, haben Sie nach diesem zweihundertsten Mal offensichtlich immer noch nicht verstanden, dass in Brandenburg strikte Konnexität herrscht und wir dies aus verfassungsrechtlichen Gründen schlichtweg nicht tun dürfen. Es waren damals Sie, die wollten, dass wir die strikte Konnexität in unsere Landesverfassung aufnehmen. Sie ist nun darin enthalten und wir können keine Gesetze erlassen, mit denen wir die Kommunen derart an die Kandare nehmen. Das ist einfach so.

Es ist aber ein wichtiges Politikziel - keine Frage -, Menschen mit Behinderungen die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Da kann man sich überlegen, welche Fragen man dazu stellt. Wenn Sie hier wissen möchten, wie viel behinderte Frauen in Frauenhäusern waren, muss ich fragen: Wie soll das gehen? Sollen die Leiterinnen der Frauenhäuser, wenn eine kommt, zunächst sagen: „Nennen Sie mir erst einmal den Grad der Behinderung!“ Soll das mit der Begründung gemacht werden: „weil die PDS vielleicht wieder einmal eine Anfrage stellt“? Ganz zu schweigen von der Frage nach der Sterilisation. Ich halte es, gelinde gesagt, für eine Schweinerei, eine solche Frage überhaupt auf den Tisch zu legen.

(Beifall bei der SPD)

Zum Anteil der behinderten Frauen in öffentlichen Ämtern: Sollen wir in den Kommunen und überall, wo öffentliche Ämter bekleidet werden, diesen Frauen sagen, sobald jemand von ihnen behindert ist - Behinderung entsteht in der Regel beim

Alt-Werden -, müssen sie sich melden, damit wir das statistisch erfassen können? Wo kämen wir denn da hin? Es kommt mir so vor, als wollten Sie uns mit Ihren Fragen in einen Überwachungsstaat à la SED und Staatssicherheit treiben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Dazu werden wir uns nicht provozieren lassen.

Wenn Sie mir sagen, dass die Kürzungen beim Landespflegegeld in Brandenburg unsozial seien, in der gleichen Zeit Ihre PDS-Senatorin in Berlin diese aber vollzieht,

(Zurufe von der PDS)

dann erklären Sie mir einmal, warum das bei uns unsozial ist und worin hier der Unterschied zwischen Brandenburg und Berlin besteht.

(Frau Kaiser-Nicht [PDS]: Sehen Sie sich mal die Summe an!)

- Die ist gleich.

(Zwischenruf der Abgeordneten Tack [PDS])

Wir waren dennoch bemüht, Ihre Fragen so umfassend und so gut es geht zu beantworten. Ich gebe gern zu, dass man zu dem einen oder anderen Punkt noch tausend Telefonate hätte führen, mit diesen und jenen Behörden hätte sprechen und das eine und andere auch noch hätte herausbekommen können. Aber ein Ministerium ist kein „Maxisterium“ und die Mitarbeiter sollen dort mit den Menschen arbeiten und nicht nur Berichte schreiben und irgendwelche Zahlen erfassen, die sonst nicht vorhanden sind.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Insofern sind die Zahlen nicht endgültig und auch nicht immer repräsentativ; denn die Lebenssituation behinderter Frauen und Mädchen hängt sehr stark auch von den subjektiven Faktoren und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister?

Ja.

Bitte schön, Frau Bednarsky.

Herr Minister, ich möchte auf Ihre vorhergehenden Ausführungen gar nicht eingehen; denn sie sind mir einfach zu weit weg vom Thema. Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass Sie selbst zur Frage 57 deutlich gemacht haben:

„Die Landesregierung ist daran interessiert, dass Statistiken grundsätzlich geschlechtsdifferenziert geführt wer

den. Es wird darauf hingewiesen, dass damit aber auch Gesetzesänderungen erforderlich werden könnten.“

Ich frage Sie: Sind Sie bereit, das zu tun, um wirklich aussagefähig zu sein und sicherzustellen, dass Ihre behindertenpolitischen Ansätze im Land Brandenburg entsprechend der Statistik umgesetzt werden können? Denn das ist die Voraussetzung für Erkenntnisse, die wir im Land Brandenburg brauchen.

Frau Bednarsky, „grundsätzlich“ heißt „vom Grunde her“. Es heißt aber nicht „immer“ und nicht „überall“. Dass es eine sinnvolle Statistik und eine unsinnige Statistik gibt, darüber können wir uns noch lange streiten, aber es ist so. Wir haben durchaus auch Erfassungen, die nur für die Bücher und für irgendwelche Leute, die gern Zahlenreihen nebeneinander sehen, aber nicht für die Menschen gemacht werden. Wir müssen auch einmal deutlich machen, dass es im Blick auf bestimmte Erhebungen durchaus auch unmoralisch und unethisch sein kann, entsprechende Fragen zu stellen.

(Beifall bei SPD und CDU)

Herr Minister, auch Frau Kaiser-Nicht möchte eine Frage stellen.

Herr Minister, ich gebe ehrlich zu, dass Ihre Interpretation der Motivation der PDS-Fraktion, diese Fragen so zu stellen, mich sehr betroffen gemacht hat. Gerade weil ich weiß, dass wir auf diesem Gebiet eigentlich nicht so weit voneinander entfernt sind, frage ich Sie zu dem, was Sie zur Motivation der PDS bzw. zur Bewertung dieser Fragestellung gerade geäußert haben: Sind Sie tatsächlich der Meinung, dass wir das aus diesem Grund getan haben oder war das eher eine rhetorische Einlassung?

Ehrlich gesagt, hat mich die Frage tief im Innersten berührt und ich habe mich gefragt: Was ist die Motivation? Was wollen Sie eigentlich? - Da gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten. Entweder wollen Sie die Landesregierung ein bisschen ärgern und ihr sagen können, dass sie gar nicht alles weiß, was sie wissen sollte. Oder Sie wollen das Ministerium so beschäftigen, dass die Mitarbeiter kaum noch zum Arbeiten kommen, um danach zu sagen: Das und das habt ihr aber nicht gemacht. - Es scheint mir eine Gemengelage aus den beiden Möglichkeiten zu sein.

Vielleicht hätten Sie die Frage gar nicht zu stellen brauchen, sondern hätten mir in der Zeit einfach erklären sollen, was Sie damit wollen; denn das weiß ich jetzt immer noch nicht.

(Zwischenruf der Abgeordneten Osten [PDS])

Wie bei allen anderen Menschen auch werden die Lebensumstände von behinderten Menschen bestimmt durch Alter, durch sozialen Hintergrund, durch Erziehung, durch Ausbildung, durch Beruf, durch Familienstand und durch Kinder, vor allem

aber auch durch Gesundheit und auch durch persönliche Erfahrungen. Aber - gerade bei Sinnesbehinderten ist das sehr klar es liegt auch sehr stark daran, wann die Behinderung eintritt. Bei einem Blinden ist entscheidend, ob er von Geburt an blind ist. Bei einem Gehörlosen ist es ebenso: Konnte er schon einmal hören? Hat er einen großen Wortschatz? Wurde er also erst später gehörlos? Da besteht ein riesiger Unterschied zu demjenigen, der von Geburt an gehörlos ist. Es hängt auch davon ab, wie der Behinderte emotional aufgestellt ist, wie er sich gesellschaftlichen und sozialen Kontakten stellt usw.

Wir haben versucht, Frau Bednarsky, die Statistiken im Rahmen der jetzt gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten geschlechtsdifferenziert zu führen. Ich will ein paar Erkenntnisse benennen, die auch uns aus dieser Statistik erwachsen sind, und will Ihnen damit deutlich machen, dass die Fragestellungen durchaus in einigen Bereichen sinnvoll waren und dass das Ergebnis tatsächlich zu politischem Handeln führen kann.

Nach einer Statistik des LASV - das ist übrigens eine andere Statistik als wir sie über den Landesbetrieb Datenverarbeitung und Statistik bekommen - lebten im Dezember 2002 in Brandenburg 157 000 Mädchen und Frauen mit einer Behinderung. Insgesamt waren es 313 000 Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30 %. Rund 50 % der als schwerbehindert anerkannten Frauen sind älter als 65 Jahre.

Jetzt bekomme ich „eine Minute“ angezeigt, aber musste zwischendurch ständig Fragen beantworten. Das ist nicht fair.

Da habe ich die Uhr angehalten, Herr Minister.

Ach so. Na gut.

Ende Dezember 2002 waren in Brandenburg statistisch ca. 1 340 Mädchen im schulpflichtigen Alter von sechs bis 15 Jahren erfasst. Das sind 40 % aller Kinder mit Behinderungen in dieser Altersgruppe. Also jetzt nur noch 40 %; das muss man sich also genau vor Augen führen. Die bekannten Daten weisen keine geschlechtsspezifischen Besonderheiten auf. Durch die Rahmenbedingungen soll sichergestellt werden, dass alle Kinder und Jugendlichen, ob behindert oder nicht, an allen Schulen unterrichtet werden können.

Jetzt noch etwas, was mir sehr wichtig ist. Obwohl behinderte Frauen über gleichwertige Schulabschlüsse verfügen wie behinderte Männer, sind sie in der beruflichen Rehabilitation bundesweit durchgängig unterrepräsentiert. Auch schon in der Erstausbildung tauchen in der Rehabilitation weniger behinderte Frauen als Männer auf. So stagniert der Anteil von Wiedereingliederungsmaßnahmen bundesweit bei 42 % - das ist auch bei uns in Brandenburg so -, hingegen lag ihr Anteil bei Maßnahmen der Ersteingliederung im Zeitraum von Januar bis April 2003 lediglich bei knapp 30 %. Wir haben allerdings ein positives Beispiel: Im Berufsbildungswerk in Potsdam liegt der Anteil der behinderten jungen Frauen bei 40 %.

Woran es liegt, dass behinderte junge Frauen in der beruflichen Rehabilitation unterrepräsentiert sind, ist noch nicht genügend

erforscht. Ich denke, dazu müsste man Befragungen durchführen, warum sie nicht in eine Reha-Maßnahme integriert sind. Das kann man nicht durch die Statistik erfassen, sondern da müsste man direkt auf die Menschen zugehen. Nach unserer Kenntnis liegt es nicht an fehlenden oder unattraktiven Angeboten in der beruflichen Erstausbildung.

Anders sieht es in der beruflichen Weiterbildung aus. Hier sind schwerbehinderte Frauen, gemessen an ihrem Anteil von knapp 42 % an den schwerbehinderten Arbeitslosen, mit gut 50 % sogar überproportional vertreten. Im Berufsförderungswerk in Brandenburg gibt es zum Beispiel in Mühlenbeck spezielle Möglicheiten. Behinderte Frauen, die dort eine Umschulung machen, können ihre Kinder mitbringen und die Kinder werden dort betreut.

Frau Bednarsky, zu dem Fall der Integrationskindertagesstätte, den Sie vorhin bezüglich der 30-Tage-Regelung nannten: Ich bitte Sie darum, das konkret zu machen, zu sagen, aus welcher Kita das Kind ausgeschlossen worden ist, nachdem es 30 Tage nicht da war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in der Praxis tatsächlich passiert. Wenn das doch so sein sollte, sagen Sie es mir bitte. Dann würden wir der Angelegenheit nachgehen.

Ich will noch Folgendes deutlich machen: Das 50 000-JobProgramm aus dem Jahr 1999 hat nichts mit dem zu tun, was wir jetzt zur Integration über SOFIA oder über das Projekt für langzeitarbeitslose Ältere machen. Das sind andere Dinge, die kann man damit nicht vergleichen. Wenn Sie jetzt sagen, es sei mit SOFIA bei uns erst im Jahr 2002 angelaufen, dann hat das damit nichts zu tun. Das sind andere Beschäftigungsstrategien und das sind Dinge, die wir aus der Ausgleichsabgabe finanzieren, sowohl SOFIA als auch im vergangenen Jahr das Projekt für die behinderten älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Ich bitte Sie also, das entsprechend zu differenzieren. - Gut, Redezeitende. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Ich danke Herrn Minister Baaske. Ich gebe am Schluss das Wort noch einmal an Frau Bednarsky. Erstens hat sie noch Redezeit und zweitens will sie mit einer kurzen Erklärung einiges klarstellen. Bitte schön.