Protokoll der Sitzung vom 12.11.2003

Antrag der PDS sei verfrüht, alles sei noch in der Schwebe, der Vermittlungsausschuss habe noch nicht entschieden etc. pp. Obwohl viel Wahres daran ist, sind die Grundkonturen durch RotGrün längst klar gezeichnet gewesen. Diese wurden durch die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat lediglich verschlimmbessert. Da waren auch die parteiübergreifenden dringlichen und nach meiner Auffassung richtigen Appelle ostdeutscher Arbeitsminister in Bezug auf Beachtung der besonderen Bedingungen in den neuen Bundesländern leider keinen Pfifferling mehr wert.

Wir haben bekanntlich mit unserer Kritik an diesen Reformen nie hinterm Berg gehalten. Schon jetzt zeigt sich mit aller Deutlichkeit, dass wir mit unserer Einschätzung leider Recht hatten. Die tief greifenden Veränderungen im Sozialbereich gehen vornehmlich zulasten der sozial Schwächsten und öffnen gleichzeitig das Tor zu wachsender Armut Tausender Menschen und deren Familien im Lande.

Herr Minister, Ihr Parteifreund, der Kollege Böttcher, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, hat in der letzten Woche genau auf diesen Fakt sehr eindringlich hingewiesen. Wenn man die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage eines CDU-Bundestagsabgeordneten zu diesem Thema reflektiert, erkennt man: Es steht bevor, dass drei von vier Beziehern von Arbeitslosenhilfe durch die von Rot-Grün geplante Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die im Grunde genommen Gesetzeskraft erreicht hat, zum Arbeitslosengeld II mit Einbußen rechnen müssen. Den 1,5 Millionen Arbeitslosen, die keine oder nur noch eine verringerte Leistung erhalten, stehen lediglich 330 000 Betroffene gegenüber, die durch Hartz IV höhere Leistungen bekommen.

Ich glaube, wir müssen neben der Erhöhung der Zahl der Beschäftigungsmöglichkeiten im Lande vor allem auch diesen Umstand im Auge behalten, dass wir zunehmende Armut in diesem Lande nicht zulassen dürfen und mit den geringen Mitteln, die wir als Land zur Verfügung haben, entsprechend gegensteuern müssen.

Der Versuch, durch Druck, veränderte Zumutbarkeit oder Leistungskürzung die Arbeitslosen für jeden Job bereit und willig zu machen, oder Leute, die als arbeitslos gelten, aus der Statistik zu drängen, ändert an der realen Situation in Deutschland und insbesondere in den strukturschwachen Regionen wie den neuen Bundesländern nichts. Da liegen, wie ich heute Morgen der Fragestunde entnehmen konnte, unsere Positionen gar nicht so weit auseinander, Herr Minister.

Eine reine Vermittlungsstrategie kann aber nur aufgehen, wenn ausreichend existenzsichernde Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Das muss natürlich in erster Linie durch eine entsprechende Bundespolitik, aber auch durch die Länder organisiert werden. Mehr Beschäftigung zu schaffen gehört deshalb stärker als bisher in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik. Dieses Land, meine Damen und Herren, braucht dringend eine verlässliche Orientierung, wie mit den nun nach Hartz I bis IV zur Verfügung stehenden Instrumenten und Ressourcen für zukünftige Landesarbeitsmarktpolitik umgegangen werden soll.

Die Sicherung und Schaffung von Beschäftigungschancen im Land ist wahrlich kein Randthema. Ich hatte mich gefreut, dass der Ministerpräsident heute so lange hier ausgehalten hat. Aber er hat jetzt sicher andere Verpflichtungen.

Viele Fragen sind jedoch offen. Diejenigen, die sich auch in den Regionen damit beschäftigen, erleben, dass sich sowohl Arbeitsuchende als auch Träger und Projekte auf diesem Marktsegment unsicher fühlen bzw. nicht in der Lage sind, ihre zukünftige Arbeit einigermaßen sicher zu planen.

Ich will mir ersparen, auf einzelne Fragen einzugehen, weil ich in den letzten Tagen mehrfach die Möglichkeit hatte, sowohl durch Vertreter der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, wie sie jetzt richtig heißt, als auch durch Initiativen von Andreas Kuhnert aus der SPD-Fraktion auf diese Fragen eine entsprechende Antwort zu bekommen.

Ich möchte jedoch daran erinnern, dass wir vor allen Dingen auch das aufgreifen, was die Akteure, die auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik im Land Brandenburg tätig sind, hören. Ich verweise auf die Vorschläge zur öffentlich geförderten Beschäftigung der ABS-Gesellschaften, die bekanntlich ihre Mitgliederversammlung in der letzten Woche in Luckenwalde durchgeführt haben.

Bei der Neukonzipierung der Landes-Arbeitsmarktpolitik geht es eben nicht nur um Arbeitsmarktpolitik pur, sondern um eine weitsichtige Strategie, die die Arbeitsmarktpolitik als einen Baustein einer zielführenden Beschäftigungsstrategie des Landes begreifen muss. „Wir brauchen jetzt klare Schritte“, steht über dem Interview, das Herr Minister Baaske kürzlich in „Brandaktuell“, der Informationszeitschrift der LASA, zu den Hartz-Gesetzen veröffentlicht hat.

Lassen Sie es mich etwas anders formulieren: Wir müssen jetzt vor allem die richtigen Schritte gehen. Dass die so genannten Hartz-Gesetze eine Vielzahl falscher Schritte gehen - zum Beispiel mit der Leistungseinschränkung, den verschärften Zumutbarkeitskriterien, dem Kaufkraftverlust -, habe ich des Öfteren betont. Trotzdem und gerade deshalb erwarten wir, dass sich das Land bei der Sicherung und Schaffung von Beschäftigung stärker als Akteur begreift. Wir sollten das parlamentarisch begleiten und deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen bzw. ihn an den Sozialausschuss zu überweisen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Das Wort geht an die Koalitionsfraktionen. Für sie spricht der Abgeordnete Kuhnert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Thiel, wir stimmen in vielen Punkten überein, vor allem darin, dass das Programm „Qualifizierung und Arbeit für Brandenburg“ aufgrund der veränderten Bundesrahmenbedingungen neu geschrieben werden muss. Daran wird ja schon seit langem gearbeitet.

Inwieweit wir mögliche negative Folgen der neuen Bundesgesetzgebung auf Landesebene ausgleichen können, ist fraglich darin sind wir uns sicherlich einig -; denn da sind unsere Spielräume gering. Der Unterschied in unseren Positionen besteht darin, dass wir - wie Sie wissen - das Berichtswesen in diesem Land aus bekannten Gründen nicht ausweiten wollen, weil die Regierung regieren und nicht so viele Berichte schreiben soll.

Das schließt jedoch nicht aus, dass wir regelmäßig berichten lassen. Als Ausschussvorsitzender haben Sie immer die Chance, mit uns gemeinsam den Minister im Ausschuss um Berichte darüber zu bitten, wie die Neugestaltung des LAPRO vorangekommen ist.

Sie haben die Tagung der ABS-Gesellschaften angesprochen. Es gibt weitere Möglichkeiten, zum Beispiel den LASA-Beirat oder die arbeitsmarktpolitischen Gespräche, zu denen die LASA eingeladen hat. Die Koalition denkt, dass es effektiver ist, wenn wir es auf diese Art tun, als wenn wir die Regierung wiederum um einen Bericht bzw. Katalog bitten, was auf das Gleiche hinausläuft.

Herr Thiel hat noch eine Frage. Darf er sie gleich stellen?

Ja, bitte schön.

Meine Anfrage bezieht sich genau auf das Problem, das Herr Kuhnert gerade angesprochen hat. Herr Kuhnert, Sie haben den Antrag sicherlich gelesen. Wir fordern keinen Bericht, sondern einen Maßnahmenkatalog, damit wir parlamentarisch begleiten können.

Wie gesagt, es läuft letztlich auf etwas Ähnliches hinaus; das ist eine Bezeichnungsfrage. Ich verstehe Ihr Anliegen schon, denke jedoch, dass wir das wie bisher sehr zeitnah tun können und Gesprächsrunden, zum Beispiel mit bundespolitischen Fachleuten, veranstalten sollten. Neulich waren wir nach Berlin eingeladen. Dort habe ich gemerkt, wie groß der Klärungsbedarf auch dort, wo das Ganze entschieden wurde, ist. Dort hatten wir die Idee, die bundespolitischen Fachleute einmal hierher zu holen und uns das noch einmal im Detail darstellen zu lassen. Dies halten wir für effektiver und deshalb lehnt die Koalition den Antrag ab. - Danke schön.

(Beifall bei SPD und CDU)

Das Wort geht an die DVU-Fraktion. Für sie spricht die Abgeordnete Fechner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS fordert die Landesregierung auf, dem Landtag bis März einen Maßnahmenkatalog für die künftige Arbeitsmarktpolitik vorzulegen, in dem die Agenda 2010 und andere Grausamkeiten der Bundesregierung berücksichtigt sind. Diesem Antrag könnte meine Fraktion glatt zustimmen. Es wäre wirklich interessant zu erfahren, wie die Landesregierung ihre abeitsmarktpolitischen Aktivitäten mit der infrastrukturellen Entwicklung im Land und in den Kommunen verknüpfen will.

Ebenso wäre es vielleicht gar nicht verkehrt zu wissen, in wel

chem Umfang und mit welcher Zielstellung die Landesregierung ihre bisherigen erfolglosen Aktivitäten fortführen bzw. neu ausrichten möchte. Vielleicht könnten wir als Abgeordnete dann an der einen oder anderen Stelle Einfluss auf die arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten und Programme der Landesregierung nehmen, wenn wir die entsprechenden Pläne kennen würden.

Wenn uns die Landesregierung im März tatsächlich einen solchen Plan vorlegen sollte, hätte dieser Plan einen schwerwiegenden Makel: So ziemlich jede geplante Maßnahme stünde nur unter dem Vorbehalt in der Liste, dass die finanziellen Mittel dafür auch tatsächlich vorhanden sind. Bei etlichen Maßnahmen müssten wir lesen, dass sie auf Eis liegen und nur beschränkt ausgeführt werden, weil die Finanzministerin eine Haushaltssperre verhängt hat.

So manche Fördermaßnahme der EU wird ebenfalls nur dann zum Tragen kommen, wenn Brandenburg die Kofinanzierung aufbringen kann, was bezweifelt werden darf. Und - machen wir uns in diesem Hause nichts vor - auch bei Maßnahmen, die von der Bundesregierung finanziert werden, besteht immer die Gefahr, dass Hans Eichel mittendrin das Geld ausgeht und er ebenfalls die Notbremse Haushaltssperre zieht.

Fassen wir also zusammen: Nach dem Willen der PDS soll uns die Landesregierung mitteilen, wie sie ihre erfolglose Arbeitsmarktpolitik fortsetzen würde, wenn sie das Geld dazu hätte.

Wir als Fraktion der Deutschen Volksunion verzichten dankend auf diesen Maßnahmenkatalog ebenso wie auf diese Landesregierung.

(Beifall bei der DVU)

Wir sind bei der Landesregierung. Herr Minister Baaske, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Thiel, ich habe Ihren Antrag hier. Er zielt darauf ab, dass Sie im Landtag Informationen über das LAPRO und die V- und CFörderung vorgelegt haben wollen. So kann man es, glaube ich, zusammenfassen.

Sie sagten eben selbst, dass vieles bereits - nicht nur heute, sondern auch früher - gesagt wurde. Das liegt auch daran, dass Sie regelmäßig fordern, wir sollten vorlegen, wie wir das handhaben wollen. Insofern kann ich Ihnen nur sagen, dass sich die Situation nicht geändert hat.

Wir werden die Planung, die wir im LAPRO verabschieden und den Kommunen, den Trägern geben wollen, natürlich fließend gestalten müssen. Wenn Sie sich überlegen, dass wir rund 68 Millionen Euro aus unserem Haushalt für die berufliche Erstausbildung ausgeben müssen und sich dort vielleicht nur dadurch etwas ändert, dass eine Ausbildungsplatzumlage kommt, ist vollkommen klar, dass eine ganz andere Konstellation besteht, sobald wir in dieser Frage mehr Klarheit haben.

Das heißt, wenn wir dem Landtag jedes Mal einen Katalog vorlegen und im Mitzeichnungsverfahren und, und, und informie

ren wollen, haben wir nicht die Flexibilität, die wir brauchen, um mit diesem Papier umgehen zu können.

Ich habe in der vergangenen Woche schon viel dazu gesagt. Sie sprachen sich gegen unsere Vorstellungen aus, wie wir in diesem Jahr mit dem LAPRO weiter vorankommen wollen. Wir stehen nach wie vor dazu, das fließend zu machen. Zu dem Antrag, der jetzt von Herrn Kuhnert in die Richtung gedreht wurde - wir berichten dazu im Ausschuss -, kann man stehen und das wollen wir ja auch tun.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich bedanke mich. - Wir sind am Ende der Rednerliste und ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung.

Die PDS-Fraktion beantragt die Überweisung des Antrags der PDS in Drucksache 3/6958 an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen. Wer diesem Überweisungsantrag folgt, möge die Hand aufheben. - Gibt es Gegenstimmen? –

(Der Präsident wendet sich an die PDS-Fraktion.)

Ich wundere mich schon. Vorhin waren auch nicht alle Hände oben.

(Zuruf von der SPD: Sie sind müde geworden. - Frau Sto- brawa [PDS]: Ich habe mich gemeldet!)

Gibt es Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung in der Sache. Wer dem Antrag in der Sache folgt, möge die Hand aufheben. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag auch in der Sache abgelehnt.

Ich schließe den letzten mit einer Debatte ausgestatteten Tagesordnungspunkt, um mit Tagesordnungspunkt 16 für heute den Sack zuzumachen:

Ersatzwahl eines Mitgliedes und eines stellvertretenden Mitgliedes des Untersuchungsausschusses 3/2

Antrag mit Wahlvorschlag der Fraktion der SPD

Drucksache 3/6985