Aber ich möchte noch einmal feststellen: Noch in der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts im Oktober 2003 hatte sich auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, Herr Sarrach, nicht für zuständig gefühlt, während viele Bun
desländer mehrfach auf eine bundeseinheitliche Regelung drängten. Jetzt tut sie es offensichtlich. Erst nach der aktuellen Entscheidung sagte Frau Zypries dann öffentlich, man werde sich nun der Sache annehmen.
Was dabei herauskommen mag, darüber wollen wir aber heute nicht Kassandra spielen, sondern wir wollen endlich unsere Möglichkeiten als Landesparlament nutzen, über den Bundesrat rechtsgestaltend eine elementare Rechtsfrage zu klären.
Dass die Zeit drängt, zeigt schon folgende Situation: Aufgrund der jetzt vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts müssen nämlich zum Beispiel die vier in Bayern und einer der in Sachsen-Anhalt einsitzenden Straftäter bis Ende September auf freien Fuß gesetzt werden, obwohl die zuständigen Strafgerichte - in Anwendung der jeweils landesrechtlichen Regelungen - nachträglich die besondere Gefährlichkeit dieser Personen festgestellt haben.
Die Zeit bis Ende September ist für ein Bundesgesetzgebungsverfahren, das noch dazu im Bundesrat behandelt werden soll, äußerst knapp bemessen. Dass die derzeitige Möglichkeit der Vorbehaltsentscheidung nach § 66 a nicht funktioniert, zeigt die Strafrechtspraxis, Herr Sarrach. So werden viele Tatrichter einerseits aus rechtsstaatlichen Gründen, insbesondere nach dem Grundsatz „nulla poena sine lege“ - oder: keine Strafe ohne Gesetz - und dem Grundsatz „in dubio pro reo“ davor zurückschrecken, eine vorsorgliche Anordnung zu treffen. Andere vorsorgliche Anordnungen werden hingegen bei sicherheitsorientierter Auslegung vorsichtshalber schon zum Zeitpunkt der Verurteilung die Überzeugung kundtun, dass sich der Täter wahrscheinlich noch als gefährlich erweisen wird. Beides kann weder für den Verurteilten - da gebe ich Ihnen, Herr Sarrach, Recht - noch für die Rechtsgesellschaft Ausdruck von Rechtssicherheit sein. Dass dies beides rechtsstaatlich gesehen äußerst unsaubere Alternativen sind, denke ich, brauche ich deswegen nicht weiter zu diskutieren. Daher ist die von uns hier wiederholt beantragte Änderung die rechtspolitisch saubere und notwendige Konsequenz sowohl für die Rechtsgesellschaft, die Sicherheit vor Hangtätern vom Gesetzgeber einfordert, als auch für die Verurteilten, die zum Zeitpunkt der Verhängung der Strafe wissen müssen, woran sie sind.
Ich danke dem Abgeordneten Schuldt. - Wir sind am Ende der Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt und kommen zur Abstimmung.
Ich rufe zuerst zur Abstimmung auf, den Antrag der Fraktion der DVU, Drucksache 3/7084, an den Rechtsausschuss - federführend - und an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen zu überweisen. Wer dieser Überweisungsempfehlung folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Überweisungsantrag mehrheitlich abgelehnt worden.
Ich komme zur direkten Abstimmung über den Antrag der Fraktion der DVU, Drucksache 3/7084, in der Sache. Wer die
sem Antrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.
Ich eröffne die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt mit dem Beitrag der einreichenden Fraktion. Herr Abgeordneter Nonninger, Sie haben das Wort.
Recht hat der Mann. Aber Deutschland hat es auch nicht verdient, dilettantisch regiert zu werden, meine Damen und Herren.
Die so genannte Rechtschreibreform, die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung vom 1. August 1998, ist ein Produkt von solchem politischem Dilettantismus. Das lässt sich in wenigen Sätzen erklären.
Sprache dient der Kommunikation zwischen Menschen. Das gilt für das geschriebene ebenso wie für das gesprochene Wort. Deshalb unterliegt der Gebrauch der Sprache seit jeher bestimmten Regeln.
Voraussetzung für eine reibungslose Verständigung ist, dass die Regeln eingehalten werden. Dies gilt insbesondere für das geschriebene Wort. Das wiederum erfordert ein hohes Maß an Akzeptanz durch die Sprachanwender in den entsprechenden Sprach- und Kulturkreisen. Nur in den Grenzen dieser Akzeptanz sind insbesondere Rechtschreibregeln veränderbar. Solche Änderungen müssen der natürlichen Fortentwicklung der Sprache Rechnung tragen und dürfen nicht am grünen Tisch erfolgen.
Doch diese Grundanforderungen erfüllen die neuen Rechtschreibregelungen nicht. Es wird das beiseite geschoben, was jedem einleuchten soll. Es handelt sich um eine Reform vom grünen Tisch aus, die erstens die Traditionen beiseite schiebt, die zweitens zu sprachlichen Unschärfen und Ungenauigkeiten führt, die drittens deshalb auch zu völlig unzureichender Akzeptanz in unserer Bevölkerung führt und die viertens deswegen abgeschafft gehört.
Dies alles erfolgte obendrein vor dem Hintergrund, dass wir ja zuvor anerkannte bewährte Regeln insbesondere für Recht
schreibung und Interpunktion hatten. Das alles zusammen ist Dilettantismus, meine Damen und Herren. Etwas anderes fällt mir dazu nicht ein. Es wird etwas Bewährtes abgeschafft und das wird auch noch schlecht gemacht.
Die Folgen sind gewaltig. Was die Unsystematik und die Unschärfe der neuen Regeln angeht, haben wir in der Begründung unseres Antrages eine Reihe von Beispielen angeführt.
Eines der Hauptprobleme ist aber, dass heute in den Schulen trotz der schlechten Ergebnisse der PISA-Studie unseren Kindern zurzeit eine Rechtschreibung vermittelt wird, die außerhalb der Schule praktisch niemand in Gänze anwendet. Das heißt, eine ganze Generation lernt nach Regeln, die der Sprachgebrauch nicht für richtig hält. Schon 2002 hat eine Umfrage ergeben, dass rund zwei Drittel bis drei Viertel der erwachsenen Deutschen an der bewährten Schreibweise festhalten. Das Vordringen von Reformschreibweisen beruht also überwiegend auf Zwang und nicht auf Überzeugung. Meine Damen und Herren, solcher Zwang ist in der Demokratie immer schlecht.
Insbesondere wegen der Unsystematik und wegen der Unschärfe sind die neuen Regeln zudem auch der massiven Kritik von Literaten und Sprachwissenschaftlern ausgesetzt. Auch diese lehnen die Reform ganz oder überwiegend ab. Bereits 1998 haben 600 Professoren der Sprach- und Literaturwissenschaft festgestellt: Die so genannte Rechtschreibreform entspricht nicht dem Stand der sprachwissenschaftlichen Forschung. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Hier helfen auch keine Gutachten von Roland Berger oder McKinsey weiter. Hier gibt es nur eine Lösung: Abschaffen! Ansonsten entsteht nur noch mehr Schaden.
Letzteres droht in der Tat. Selbst die Verfasser der Neuregelungen sehen Bedarf für eine Reform der Reform, was von einer teilweisen Rücknahme der neuen Regeln bis hin zur propagierten allgemeinen Kleinschreibung reicht. Die Folge kann ersichtlich nur sein: Noch mehr Verwirrung in den Köpfen unserer Kinder.
Die allgemeine Kleinschreibung dürfte allenfalls für die hierzulande jeweils politisch Verantwortlichen interessant sein; denn auch das Wort „Reform“ wird dann künftig klein geschrieben. Vielleicht steht den Bürgern dann nicht mehr so sehr der Angstschweiß auf der Stirn, wenn sie es irgendwo lesen.
Ich danke Ihnen, Herr Abgeordneter Nonninger. - Das Wort geht jetzt für die Fraktionen der SPD und CDU an den Abgeordneten Klein.
Herr Abgeordneter Lunacek, können Sie nicht bis nach dem 19. September warten, bis Sie so dauerhaft Platz hier vorn nehmen?
DVU fordert den Landtag auf, dass er die Landesregierung auffordern möge, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass die Rechtschreibreform zurückgenommen wird. Meine Damen und Herren der DVU-Fraktion, Sie werden sich jetzt ein wenig wundern, wenn ich sage: Ich hatte sogar eine gewisse Sympathie für diesen Antrag, zumindest inhaltlich, bevor sich Herr Nonninger ausgelassen hat.
Was stellen wir aber fest? - Wir stellen fest, dass wir damit nur der Bequemlichkeit, die in uns allen wohnt, irgendwie Rechnung tragen würden. Das sollten wir nicht tun, sondern wir sollten akzeptieren, dass die Sprache im Gegensatz zu dem, was Herr Nonninger gesagt hat, etwas Lebendiges ist, dass sie sich entwickelt, dass sie geprägt wird durch die gesellschaftliche Entwicklung und dass sie immer komplizierter wurde mit den Arbeiten, die ebenfalls immer komplizierter wurden. Sie hat sich zur Goethe-Zeit anders dargestellt als heute. Deswegen haben wir dem Rechnung zu tragen, dass die Menschen im täglichen Sprachgebrauch Veränderungen vollziehen; übrigens nicht nur zu unserer Freude. So finde ich es beispielsweise überhaupt nicht toll, dass wir im täglichen Sprachgebrauch völlig vergessen, dass der Genitiv sehr häufig durch ein „s“ gekennzeichnet wird, oder dass die subordinierende Konjunktion „weil“ inzwischen bei den meisten Menschen als eine koordinierende Konjunktion verwendet wird.
Was passiert nun? - Die Sprache hat sich entwickelt. Da gab es einen berühmten Mann. Der hieß Konrad Duden. Der hat gesagt: Wir müssen das alles, was gegenwärtig so wild wuchert und in der Entwicklung durch die Menschen auch gewissen Unzulänglichkeiten und Unterschiedlichkeiten in den Landschaften unterworfen ist, in eine ordentliche Form bringen, damit im gesamten deutschen Sprachraum - in Deutschland, in Österreich, in der Schweiz, in Teilen Luxemburgs und Belgiens - einheitlich gesprochen und geschrieben und die Grammatik gleich angewendet wird.
Das gibt es seit mehr als 100 Jahren. Immer dann, wenn in der Veränderung der Sprache eine bestimmte Qualität erreicht ist, muss sich der Duden, der ja nicht nur die Rechtschreibregeln, sondern auch die grammatischen Regeln enthält, dieser Entwicklung anpassen. Wenn das dann passiert, sind wir alle ein bisschen ungehalten, weil wir uns an neue Dinge zu gewöhnen haben. Da sind wir alle nicht in der Position des Altbundespräsidenten Roman Herzog, der immer noch sagt: Ich richte mich nach den alten Rechtschreibregeln, weil ich mir in meinem hohen Alter nicht jeden Unsinn antun muss. Wir können uns auf eine solche Position nicht zurückziehen, sondern wir müssen uns diesen Veränderungen stellen.
Der Kampf gegen neue Rechtschreibformen, gegen neue grammatische Regeln ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Wir wissen, dass Don Quichotte daran gescheitert ist. Wir wollen nicht scheitern. Deswegen werden wir dem Antrag der DVU nicht zustimmen.
Ich danke dem Abgeordneten Klein. - Ich gebe das Wort noch einmal der Fraktion der DVU, dem Abgeordneten Nonninger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Klein, eine hervorragende Ausführung, aber leider am Thema vorbei.
Der Beitrag der PDS-Fraktion zur Rechtschreibung, den wir hier nun nicht gehört haben, weil sie anscheinend dazu nichts zu sagen hat, hat sich somit erledigt. Es kann nicht das Anliegen der DVU-Fraktion sein, in diesem Hause Redezeit mit einer Diskussion über Politikverständnis zu vertrödeln, deren Ziel oder Folge nur eine Gleichmacherei auf niedrigstem Niveau sein kann. Also wenden wir uns den politischen Kräften in diesem Hause zu, bei denen die Einsichtsfähigkeit noch am größten zu sein scheint. Vielleicht hat ja der eine oder andere von Ihnen noch nicht so richtig verstanden, worum es unserer DVU-Fraktion hier geht.
Die Reform der SPD weist mittlerweile eine markante Eigendynamik auf. Deshalb spreche ich heute einmal speziell die größte Fraktion dieses Hauses an. Stellen Sie sich vor, Herr Abgeordneter Klein, meine Damen und Herren von der SPDFraktion: Die Woche neigt sich dem Ende zu, Ihre erste Schockstarre angesichts des Wahldesasters in Hamburg ist gewichen, und am Freitag steht in den Zeitungen in dicken Lettern auf den Titelseiten: Der Bundeskanzler wird am Sonntag zurücktreten. - Ja, was nun, meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion? Was soll denn da passieren? - Nach den neuen Rechtschreibregeln ist das nicht eindeutig feststellbar. Es ist nämlich ein riesengroßer Unterschied, ob der Bundeskanzler „zurücktritt“ oder ob der Bundeskanzler „zurück tritt“. Im ersten Fall heißt das in Neudeutsch mit den Worten des Fußballtrainers Trappatoni ausgedrückt: Bundeskanzler hat fertig. Im zweiten Fall sind wohl eher die Gesäßgegenden von Reformnieten im Bundeskabinett gemeint.
Nun mag es dahingestellt bleiben, was für unser Land segensreicher wäre, „Bundeskanzler hat fertig“ oder „Die Schmidts, Stolpes oder Eichels sind getroffen“. Darum geht es hier ausdrücklich nicht. Entscheidend ist: Nach den bewährten alten Rechtschreibregeln ist dieser kleine, aber feine Unterschied problemlos darstellbar. Nach den Neuregelungen vom 1. August 1998 ist dies eben nicht der Fall.