Protokoll der Sitzung vom 04.03.2004

Verbraucherschutz in Europa kennt keine nationalen Grenzen mehr. BSE-Krise, Dioxin- und Nitrofenskandal, Verfütterung von Veterinärpharmaka als Leistungsförderer und Etikettenschwindel rufen den Verbraucherschutz auf die Tagesordnung der Politik, und das nicht nur in Deutschland. Auch deshalb muss sich unsere heutige Diskussion an folgenden Prämissen messen lassen.

Erstens: Ein vorsorgender und unabhängiger Verbraucherschutz ist im Landeshaushalt finanziell sicherzustellen. Um die Rechte der Verbraucher zu stärken, bedarf es effizienter personeller und sachlicher Rahmenbedingungen. Für den Verbraucherschutz ist ein Kernhaushalt notwendig. Die Bauherrenberatung gehört dort wieder hinein.

(Beifall bei der PDS)

Zweitens: Grundsätzlicher Vorrang gilt dem Vorsorgeprinzip. Politik muss vorausschauend sein und aktiv werden, wenn das mögliche Ausmaß bestimmter Gesundheitsgefahren aus wissenschaftlicher Sicht noch unklar ist.

Drittens sind Kontroll- und Mitwirkungsrechte von Verbraucher- und Erzeugerorganisationen auszubauen.

Viertens geht es um eine für den Verbraucher offene Deklaration und um Prozesstransparenz.

Fünftens: Die Verhandlungsbasis der Landwirte gegenüber der Nahrungsgüterindustrie ist durch die gezielte - auch steuerliche - Förderung von Absatzorganisationen zu stärken.

Sechstens ist ein verstärktes Marketing für regionale Produkte notwendig.

Siebtens: Die Umweltauflagen sind zu erhöhen. Die Standards und die Wettbewerbsbedingungen in der EU sind zu harmonisieren - einschließlich ihrer Kontrolle. Überzogener Vertrauensschutz ist hier fehl am Platz, zumal auf der anderen Seite der Verbraucher steht, dessen überwiegend schwächere Position zuallererst zu schützen ist. Eben das heißt Verbraucherschutz.

(Beifall bei der PDS sowie des Abgeordneten Dr. Wiebke [SPD])

Schönen Dank, Frau Abgeordnete Wehlan. - Auch mein Vertrauen ist wahrscheinlich immer überzogen. Kein Redner reagiert, wenn die Lampe brennt. Das ist eigenartig.

(Frau Wehlan [PDS]: Sie geht vielleicht eine Minute vor!)

Ich gebe das Wort der Fraktion der CDU, Herrn Abgeordneten Helm.

Herr Präsident! Verehrte Abgeordnete! Ich habe lange überlegt, was mit diesem Thema bezweckt wird und wo der aktuelle Bezug liegt. Was ist die Zielrichtung? Herr Gemmel, ich bin auch jetzt noch nicht schlauer.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wenn Sie der Meinung sind, es bestünden Probleme mit der Finanzierung des Verbraucherschutzes, dann hätte das in die Haushaltsberatungen gehört, aber nicht in eine Aktuelle Stunde.

Der Verbraucherschutzbericht 2002 ist überschrieben: „Lebensmittel sind heute sicherer als je zuvor. Die Verunsicherung der Verbraucher ist so groß wie nie zuvor.“

Daran ist festzustellen, dass Verbraucherschutz schon immer aktuell war und aktuell bleiben wird. Daran gibt es keinen Zweifel.

(Schippel [SPD]: Sehen Sie!)

- Herr Schippel, aber den aktuellen Bezug, der die Aufnahme des Themas in eine Aktuelle Stunde rechtfertigen würde, kann ich beim besten Willen nicht ableiten.

(Erneuter Zuruf des Abgeordneten Schippel [SPD])

Das Thema steht auch deshalb im Mittelpunkt, weil jeder Bürger jeden Tag beim Kauf von Lebensmitteln direkt damit konfrontiert wird. Somit eignet es sich hervorragend für Populismus. Deshalb ist es auch ein dankbares Thema für die Medien. Es wird vergessen, dass unser Lebensmittelrecht sowie die damit verbundenen Standards und Kontrollen zu den konsequentesten der Welt gehören und dem Verbraucher die notwendige Sicherheit geben, die nicht dauernd in Zweifel gezogen werden sollte.

Einige grundsätzliche Aussagen seien vorangestellt. In Deutschland gab es nie zuvor strengere gesetzliche Regelungen für die Gewinnung, Herstellung, Verarbeitung und das In-Verkehr-Bringen von Lebensmitteln. Gleiches gilt für die Eigenverantwortung der Gewerbetreibenden, die durch umfangreiche betriebseigene Maßnahmen und Kontrollen sicherstellen müssen, dass von ihren Produkten keine Gefährdung für den Verbraucher ausgehen kann.

Des Weiteren ist zu beachten, dass man sich heute beim Nachweis von Schadstoffkonzentrationen in oder auf Lebensmitteln in Messbereichen bewegt, die noch vor 20 Jahren wegen fehlender technischer Voraussetzungen unvorstellbar klein erschienen. Häufig wird ein Schadstoffnachweis unabhängig von seiner Konzentration sehr schnell zum Skandal.

Bei der Futtermittel- bzw. Lebensmittelüberwachung gibt es leider Einzelfälle, die zu Recht das Prädikat „Skandalös“ verdienen - ob durch Fahrlässigkeit oder kriminelle Energie begründet, sei dahingestellt. Einzelne Vorfälle, verursacht durch schwarze Schafe, verderben dem Verbraucher den Appetit und vergrößern seine Verunsicherung. Andererseits beträgt die Beanstandungsquote bei gesundheitlich relevanten Befunden nur ca. 1 %. Mehrere Hunderttausend amtliche Lebensmitteluntersuchungen, die über viele Jahre liefen, bringen dieses Ergebnis.

Das schließt nicht aus, dass Unternehmen bzw. Einzelpersonen mit krimineller Energie versuchen, die betreffenden Standards zu unterlaufen. Gegen kriminelle Energie ist leider noch kein Kraut gewachsen. Hier hilft nur konsequente Strafverfolgung. Dass die Vergehen aufgedeckt wurden, ist doch gerade ein Beweis dafür, dass unsere Kontrollmechanismen funktionieren.

Ich möchte auf einen anderen Aspekt des Themas aufmerksam machen, der beim Anspruchsdenken unserer satten Wohlstandsgesellschaft leider zu oft ausgeblendet wird. In den zehn Minuten meiner Rede verhungern auf dieser Welt 380 Menschen, darunter 266 Kinder, wenn ich der Statistik vertrauen darf; die Zahl der Menschen, die nicht satt werden, möchte ich gar nicht nennen. Für diese Menschen hätte Verbraucherschutz, wenn es ihn in den dortigen Regionen überhaupt gäbe, nur eine Vorgabe: endlich wieder satt werden. Diese Menschen können sicherlich beurteilen, dass altes Brot zwar hart ist, aber kein Brot zu haben umso mehr. Dass das Wort „Hunger“ bei uns nur noch aus der Historie bekannt ist, ist die größte Errungenschaft der Landwirtschaft bzw. der Nahrungsgüterwirtschaft in den Staaten der Europäischen Union. Uns stehen Lebensmittel in nie gekannter Quantität und Qualität zur Verfügung. Dafür sollte man den Berufsständen, die dafür verantwortlich zeichnen, uneingeschränkt Danke sagen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Wir sollten deshalb nicht auf den Gedanken verfallen, diesbezüglich immer neue Forderungen, die aus dem Anspruchsdenken resultieren, zu stellen. Denken wir immer daran: Wenn wir Brandenburger uns von der Brandenburger Scholle ernähren müssten, würde bei vielen nur noch sonntags Fleisch auf dem Tisch stehen; denn wir können uns bei der gegenwärtigen Intensität der Landwirtschaft in Brandenburg nicht selbst ernähren.

Es ist auch das Verdienst der europäischen Agrarpolitik, dass das Angebot in den Supermärkten von Spanien über Griechenland bis nach England in Quantität und Qualität gleich bleibt, unabhängig von regionalen Ernteausfällen.

Es gibt keinen Zweifel an der Notwendigkeit des Nachweises der Lebensgeschichte eines Nahrungsproduktes vom Feld bis zur Ladentheke, vom einzelne Korn in der Ähre bis zum Brot. Dieser Aufgabe stellen sich alle Produzenten; denn Verbrauchersicherheit ist unverzichtbar für die Marktakzeptanz und damit für die Lebensfähigkeit der damit befassten Unternehmen. Eine gläserne Nahrungsmittelkette ist Grundlage für gegenseitiges Vertrauen, darf aber keine Einbahnstraße sein, auf der den Unternehmen immer neue Auflagen erteilt werden, unabhängig davon, ob diese sich im Preis widerspiegeln oder nicht. Das Anspruchsdenken ist für die Unternehmen der Landwirtschaft leider nicht mehr finanziell untersetzt. Wer 365 Tage im Jahr arbeitet und dafür noch Geld mitbringen muss, zum Beispiel in der Milchproduktion, ist nicht motiviert, diese weiterzuführen. Da wird die erstbeste Gelegenheit zur Aufgabe genutzt. Es besteht die große Gefahr, dass aufgrund eines enormen Strukturwandels in einigen Nahrungsmittelbereichen mit der Basis Milch, Rind und Eier weitere Produktionspotenziale abwandern. Wahrscheinlich werden wir dann aus dem Land Irgendwo ernährt. Wenn der letzte Bauer nur noch Landschaftspflege betreibt - die neuen EU-Regelungen leisten dem Vorschub -, ist es zu spät, umzusteuern.

Gesundheitsexperten sind sich einig: Nicht Pestizide und Dioxine sind die größte Gefahr, sondern krank machende Keime, die meist aus einem fehlerhaften Umgang mit Nahrungsmitteln resultieren. In den Industrieländern ernähren sich mehr Menschen als je zuvor von Lebensmitteln, die andere für sie zubereitet haben. Deshalb ist Kontrolle unverzichtbar.

Unser nationales Recht wird zunehmend durch EU-Recht ab

gelöst. Die Verordnung Verbraucherschutzpolitik 178/2002 der EU ist ab 01.01.2005 geltendes Recht.

Die Auswirkungen auf uns Landwirte sind in Zukunft überhaupt noch nicht abzusehen. Für menschlichen Verzehr bestimmte Pflanzen gelten danach bereits nach der Ernte als Lebensmittel. Damit verbunden ist die Dokumentation und Rückverfolgbarkeit auf allen Produktionsstufen, also auch in der Landwirtschaft. Die lebensmittelrechtlichen Bestimmungen nach deutschem Recht kommen noch obendrauf. Diesen kann die Landwirtschaft in Gänze nicht mehr gerecht werden.

Fragen seien erlaubt, zum Beispiel: Ist das Nahrungsgetreide vom Feld in Zukunft in Edelstahlbehältern zu transportieren? Braucht der Bauer zukünftig für seine Arbeit eine Bescheinigung vom Gesundheitsamt?

Die gesamten Lagertechnologien sind umzustellen. Der Zeitaufwand für Nachweisführung und Kontrolle steigt in ungeahnte Höhen. Die zusätzlichen Kosten für damit verbundene Maßnahmen in der Praxis belaufen sich summa summarum auf über 25 % des gegenwärtigen Marktpreises von Getreide. Damit wird die gesamte Getreideproduktion nicht nur für Nahrungszwecke in Brandenburg unrentabel.

Für Lebensmittel ungeeignetes Getreide ist aus gleichen Gründen kein Futtermittel mehr. Hier stellt sich die Frage: Was wird damit? Landet es vielleicht auf der Mülldeponie? Um welche Mengen es sich handeln kann, wenn allein die MykotoxinHöchstmengenverordnung und die Diätverordnung umgesetzt werden, wird an der Tatsache deutlich, dass 10 bis 20 % der gesamten deutschen Getreideernte vernichtet werden müsste. Das ist ein Beispiel, wie nationale Regelungen die Situation zusätzlich belasten. Das ist kein europäischer Standard. Wir wollen nicht die Augen vor dieser Entwicklung verschließen. Das Produkthaftungsgesetz zwingt uns zum Teil sowieso dazu. Es ist aber dringlich zu klären, welche lebensmittelrechtlich relevanten Maßnahmen in welchem Umfang greifen sollen. Nach international vergleichbaren anerkannten und umsetzbaren Standards ist zu suchen. Das steht auf der Tagesordnung.

Agrarpolitik ist Verbraucherpolitik und Verbraucherpolitik ist Agrarpolitik. Daran gibt es keinen Zweifel. Es gäbe sicherlich viel zu sagen. Dass wir keinen Zweifel daran lassen, dass der Vollzug und die gläserne Produktion an der Tagesordnung und theoretisch auch zu gewährleisten sind, ist klar und deutlich. Es kommt aber darauf an, die Koordinierung der Aufgaben und Kontrollmechanismen sowie Standards zwischen den Ländern, zwischen Land und Bund, zwischen Bund und EU klar zu regeln.

Die Zuständigkeit ist in Brandenburg klar. Wir sind hier eigentlich auf der Höhe der Aufgaben. Vertrauen wir deshalb weiterhin auf das verantwortungsbewusste Handeln aller Beteiligten und ermöglichen wir deren Handeln und Lebensfähigkeit. Wir in der Politik sollten dazu ein klares Bekenntnis abgeben und weniger als Bedenkenträger agieren. Dafür wünsche ich uns in Zukunft viel Erfolg. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke dem Abgeordneten Helm und gebe das Wort der Fraktion der DVU, Herrn Abgeordneten Claus.

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Die Aktuelle Stunde reicht eigentlich nicht aus, um über das Thema Verbraucherschutz zu debattieren. Vielleicht ging es einigen von Ihnen auch wie unserer Fraktion. Die ganze Zeit über haben wir uns gefragt: Was hat die SPD eigentlich dazu bewogen, gerade den „Sicheren Verbraucherschutz im Land Brandenburg“ für die Aktuelle Stunde auszuwählen? Sie schreiben in Ihrer Begründung: aktuelle Ereignisse im Lebensmittelbereich.

Informationsmangel kann es eigentlich nicht gewesen sein. Oder geht es darum, wo das Fleisch von weit über 100 Rindern aus dem Oderbruch geblieben ist? Wir alle wissen: Im Oderbruch wurden 118 Rinder illegal geschlachtet. Das Landeskriminalamt ist eingeschaltet und ermittelt. Bislang kann offenbar niemand ausschließen, dass dieses Fleisch von Menschen verzehrt worden ist. Oder ist es vielleicht nur zu Tierfutter verarbeitet worden? - Diese illegal geschlachteten Rinder waren weder auf die Seuche BSE noch auf andere Krankheiten und Parasiten untersucht worden. Das sind die Tatsachen, meine Damen und Herren, und das belegen auch die Zahlen.

Der Skandal um die illegalen Schlachtungen breitet sich im Land Brandenburg auch aus. Unsere Fraktion fordert ohne Wenn und Aber eine lückenlose Aufklärung dieser illegalen Schlachtungen und eine harte Bestrafung der Verantwortlichen. Illegale Schlachtungen sind kein Kavaliersdelikt.

Aber das ist nicht alles. Wir haben noch den allerneuesten Fleischskandal, und zwar aus Stahnsdorf. Hier geht es, wie Sie wissen, um einen eindeutigen Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz. Gegen die erwähnte Firma aus Stahnsdorf laufen Ermittlungen, weil sie falsch etikettierte Lebensmittel, vor allem Fleischprodukte, an Kindergärten, Krankenhäuser, Seniorenheime und andere ausgeliefert hat. Das Ergebnis des Landeslabors in Frankfurt (Oder) zeigt, dass lediglich vier der dort untersuchten 28 Proben einwandfrei waren. Das ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs.

Nach solch erschreckenden Nachrichten für die Verbraucher in unserem Land folgt dann noch die Meldung, dass die BSEUntersuchungen im Land Brandenburg gefährdet sind. Nach Aussagen des Personalrates des für die Tests allein zuständigen Frankfurter Landesamtes für Verbraucherschutz und Landwirtschaft, Andreas Engelhardt, kann seine Behörde die Untersuchungen wegen Personalmangel ab Frühjahr 2004 nicht mehr gewährleisten. Bisher deckten elf Medizinisch-Technische Assistenten und Laboranten, die nur befristet eingestellt sind, diese BSE-Untersuchungen ab. Ihre Stellen sollten ursprünglich schon im Dezember 2003 auslaufen.

Nach der BSE-Verordnung sind Untersuchungen auf Rinderseuche Pflichtaufgabe des Landes. Circa 60 000 Schnelltests hat es im Jahre 2003 im Frankfurter Labor gegeben. Diese Zahl, meine Damen und Herren, werte Kollegen, wird auch im Jahr 2004 erreicht werden.

Das Damoklesschwert der Finanzmisere des Landes Brandenburg schwebt über allen Institutionen. Aber auf keinen Fall dürfen Kernpunkte des gesundheitlichen Verbraucherschutzes hier in Brandenburg infrage gestellt werden.

Im Namen unserer Fraktion möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass nicht mehr länger an den Symptomen falscher Entwicklungen im Verbraucherschutz, in der Landwirtschaft und in der Agrarpolitik herumgedoktert werden darf. Für eine kosmetische Retusche haben die Verbraucherinnen und Verbraucher unseres Landes schon lange kein Verständnis mehr.

Meine Damen und Herren von der Landesregierung, Sie müssen wieder an die Grundprobleme herangehen. An unbequemen Entscheidungen kommen auch Sie nicht vorbei.