Protokoll der Sitzung vom 12.05.2004

(Klein [SPD]: Was ist mit EKO? Was ist mit Hennigs- dorf?)

- EKO, Schwedt, das lässt sich fortsetzen. - Aber ich komme auch noch zu anderen Beispielen.

(Klein [SPD]: Ach ja?)

Wo liegen also tatsächlich die zukunftsträchtigen Potenziale unseres Landes und wie können diese gezielt gefördert werden? Wie schaffen wir es, dass vor allem junge Leute Chancen für sich in diesem Land Brandenburg sehen und hier bleiben? Welche politischen Rahmenbedingungen sind dafür notwendig?

Sehr widersprüchlich sind im Bericht die Aussagen zu wirtschaftspolitischen Einflussmöglichkeiten. Ziel-Mittel-Ansätze seien hier verfehlt. Schwerpunktsetzung auf Investitionsförderung und Innovationen der Wirtschaft zu initiieren sei aber geboten. Im Übrigen hat die öffentliche Hand in Brandenburg noch nie einen geringeren Anteil des Landeshaushalts in Investitionen gesteckt. Gerade mal ein Fünftel ist es noch.

Dass bei den von Ihnen genannten Kriterien für Wirtschaftsför

derung aber beschäftigungspolitische Effekte völlig vernachlässigt werden, ist angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in Brandenburg nicht hinzunehmen.

Wenn Bildung tatsächlich hohe Priorität haben soll, dann reicht es nicht, wie im Bericht zu fragen:

„Wie kann das Qualifikationsniveau der Schulabgänger den Anforderungen der Wirtschaft besser angepasst werden?“

Wie ein Makel klebt Brandenburg heute der Befund der PISAStudie an. Mittlerweile müssen wir nach Finnland oder sonst wohin fahren, um ein erfolgreiches Schulsystem zu studieren. Mit etwas mehr Souveränität hätte ein solches aus einem von geistigen Engen und ideologischen Vorgaben befreiten DDRSchulsystem entwickelt werden können.

(Zuruf des Abgeordneten Schippel [SPD])

Stattdessen haben wir ein mehrgliedriges Schulsystem, das zu früh differenziert und ausgrenzt. In seiner Vielgliedrigkeit führt es dazu, dass es in einem immer dünner besiedelten Land immer schwieriger wird, Schulstandorte aufrechtzuerhalten. Herr Ministerpräsident, nur in neun von 43 Grundzentren konnten die Schulstandorte erhalten bleiben. Es ist also nicht so, dass in den Grundzentren die Schulen tatsächlich erhalten worden sind. Wie Qualität von Bildung, wie vor allem Chancengleichheit für Kinder gesichert werden kann, bleibt in Ihrem Bericht ausgeblendet.

Gerade in diesen Tagen wird viel über Möglichkeiten der EUOsterweiterung gesprochen und vieles davon ist pure Sonntagsrede. Die Kritik des Kollegen Ehler, CDU, kann ich zum Teil gut nachvollziehen. Ich bedaure nur, dass er die Rolle rückwärts gemacht hat, als er bemerkte, dass sich seine Kritik vor allen Dingen gegen die eigene Ministerin richtete. Die Landesregierung hat tatsächlich viel zu lange wie das Kaninchen vor der Schlange gehockt. Bloß nicht rühren!

Welche Unterstützung haben denn Unternehmen bekommen, die deutsch-polnische Gemeinschaftsunternehmen gründen wollten? Was ist denn real für Markterschließung oder überhaupt für Marketing getan worden? Im Wahlprogramm der SPD taucht jetzt die Forderung nach Exportbürgschaften auf. Dafür gibt es schon länger Bedarf. Hier hätte man schon viel eher eingreifen müssen.

Oder denken wir an die Potenzen, die sich aus dem Ballungsraum Berlin-Brandenburg ergeben. Solange allerdings vordergründig um den gemeinsamen Regierungssitz und den Fusionstermin gestritten wird, können diese nicht konsequent erschlossen werden. Eine gemeinsame Wissenschaftslandschaft zum Beispiel bleibt so auf der Strecke.

Meine Damen und Herren, um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Es macht keinen Sinn, die Situation, in der sich unser Land befindet, zu beschönigen, Klarheit von Analyse - dafür sind wir sehr - fordert aber gleichermaßen Klarheit in den Schlussfolgerungen und genau daran krankt der Bericht. Bis jetzt gab es hier nur Absichtserklärungen. Das unterstreicht Ihre Hilflosigkeit und ist Ausdruck einer tiefen Unsicherheit und das, meine Damen und Herren, haben die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, haben die Brandenburgerinnen und Brandenburger nicht verdient.

Hier leben wissende, hier leben arbeitsame, hier leben findige Menschen, gastfreundlich und mit der Region verbunden.

(Klein [SPD]: Denen Sie gerade erzählt haben, wie schlecht sie leben!)

Hier leben fähige Wissenschaftler und kluge Studenten, qualifizierte Facharbeiter, erfahrene Landwirte und kreative Kulturschaffende.

(Schippel [SPD]: Nach Ihrer Rede werden die auch noch verschwinden!)

In unserem Land gibt es durchaus - hören Sie doch bitte zu viel versprechende Ansätze moderner Produktion, so zum Beispiel in der Umwelt- und in der Biotechnologie, in der Verkehrstechnik, im Bereich der Energiewirtschaft und in anderen Bereichen. Brandenburg verfügt über leistungsfähige Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen.

(Schippel [SPD]: Ich denke, wir sind am Boden!)

Dieses Land ist anziehend für Erholungssuchende aus nah und fern, es hat eine einzigartige naturräumliche Ausstattung. Brandenburg kann Nutzen aus seiner Nähe zu Berlin und zu den Zukunftsmärkten im europäischen Osten ziehen.

Ich will es nicht hinnehmen, dass weiterhin jedes Jahr Tausende dieses Land verlassen.

(Vereinzelt Beifall bei der PDS)

Ich will, dass wir gemeinsam die Bedingungen dafür schaffen, dass die Menschen hier in diesem Land eine Zukunft sehen, dass sie hier ihre Chancen sehen. Es lohnt sich nämlich, hier zu bleiben.

(Beifall bei der PDS - Klein [SPD]: Dazu muss man das Land nicht schlechtreden, Frau Enkelmann!)

Ich danke Ihnen, Frau Dr. Enkelmann. - Das Wort geht an die Fraktion der SPD, Herrn Abgeordneten Fritsch.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bis auf den Schlusssatz hat der Bericht, Frau Enkelmann, den Sie gegeben haben, in mir den Verdacht wachsen lassen: Wenn alle Brandenburger ihr Land so sehen, werden bald alle weg sein.

(Beifall bei der SPD)

Aber wir sollten uns vielleicht zuerst einmal darüber verständigen, was dieser uns vorliegende Bericht ist: der Bericht zu den Auswirkungen der demographischen und wirtschaftsstrukturellen Veränderungen in Brandenburg. Es ist nicht der Bericht zu den Schlussfolgerungen, die aus diesem Bericht zu ziehen sind.

(Zurufe von der PDS: Schade! Schade! Schade!)

In der Rede des Ministerpräsidenten ist erstaunlich viel von Schlussfolgerungen vorgekommen. Nur können Sie doch nicht

bedauern, dass das, was der Bericht gar nicht zu liefern beansprucht, fehlt.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: War unser Anspruch!)

Vielleicht sollten wir uns darauf verständigen, einen dementsprechenden Folgebericht zu verlangen. Dann wird ein Schuh daraus, dann gibt es eine Systematik.

Wir haben jetzt den Arbeitsstand vom Februar dieses Jahres vorliegen. Ich darf in Erinnerung rufen, dass wir uns vor ziemlich genau zwei Jahren im Mai 2002 im Landtag schon einmal ausführlich mit diesem Thema beschäftigt haben. Ich darf des Weiteren daran erinnern, dass wir das erste Mal im Jahr 1996, glaube ich, eine sehr ausführliche demographische Analyse bekommen haben. Eigentlich ist seit dem Jahr 1996 bekannt, wohin die Reise demographisch geht. Ich erinnere mich, dass wir in den regionalen Planungsgemeinschaften diese Berichte damals sehr ausführlich diskutiert

(Zuruf von der PDS: Und was ist daraus geworden?)

und überlegt haben, welche Auswirkungen das auf die jeweiligen Regionen der Landkreise haben wird. Von einem brisanten und überraschenden Ergebnis kann also überhaupt nicht die Rede sein. Ich glaube auch, dass das in die Köpfe der Abgeordneten dieses Hauses inzwischen weitgehend vorgedrungen ist. Was ich aber nicht glaube, ist, dass das in den Köpfen der Bevölkerung schon präsent ist. Ich glaube auch nicht, dass wir das erreichen, wenn wir in der nächsten Legislaturperiode eine Enquetekommission einrichten. Wie viele Leute erreichen wir damit? Wie groß wollen wir die Enquetekommission haben?

Nein, die politische Aufgabe für jeden politisch denkenden Menschen, insbesondere für Abgeordnete, ist es, das auch vor Ort - in den Gemeindevertretungen, Kreistagen, Vereinen, Verbänden und anderen Strukturen, die wir hier haben und in denen wir Multiplikationseffekte erzeugen können - zu diskutieren. Denn was wir neben dem, was die Menschen erleben und sehen, und neben dem, was ihnen Grässliches erzählt wird, brauchen, ist eigenes Verständnis für die Entwicklung und Akzeptanz.

Es kann nicht Aufgabe von Politik sein, die Einwohnerzahl pro Quadratkilometer konstant zu halten. Manchmal hört sich das so an: Das ist ja schrecklich, wir werden immer weniger. Was machen wir denn bloß? Was tut die Politik dagegen? - Warum soll die Politik etwas dagegen tun? Es gibt Gegenden auf dieser Erde, die wesentlich dünner besiedelt sind, in denen die Menschen zufrieden leben, nicht schlecht leben. Finnland und Australien habe ich mir als Beispiele notiert. Von Finnland wissen wir, wie das geht. Die haben eine ganz andere Kommunalverfassung, die machen vieles, was sie in ihrer Gemeinschaft organisieren müssen, über Zweckverbandsstrukturen und, und, und. Das funktioniert. Das Schulsystem will ich jetzt nicht anführen, damit haben sich alle schon befasst.

Das australische Outback will ich nun nicht zum Vorbild für Brandenburg machen; das könnte wieder völlig missverstanden werden. Aber auch da leben Menschen, verstreut, vereinzelt. Der Arzt kommt mit dem Flugzeug und der Lehrer übers Funkgerät. Das geht. Die Menschen dort sind nicht unglücklicher.

Wenn wir vor dem Hintergrund der hier aufgezeichneten Entwicklung in Brandenburg weniger Menschen werden, dann haben wir uns zu fragen: Wie organisieren wir das Zusammenleben?, und nicht: Warum müssen wir denn unglücklich sein? Wir müssen nicht unglücklich sein.

Die Zahlen sind - die Fortschreibung dieses Berichts ist Beleg dafür - belastbar. Anders gesagt: Die Realitätsnähe der Prognosen lässt sich nicht bezweifeln. Oder noch anders gesagt: Wir können machen, was wir wollen, in den nächsten 20 bis 25 Jahren kommt es so, wie es hier steht; denn die Jahrgänge, die dann die Kinder bringen, sind schon da, die leben schon. Das ist also unabänderlich.

Wir erkennen vier Schwerpunkte in dem Bericht: Es ist die natürliche Entwicklung, das Saldo von Geburten und Sterbefällen, negativ; die Abwanderung, insbesondere wenn es sich um junge Frauen handelt; die zunehmende Disproportionalität zwischen den einzelnen Teilräumen - Verflechtungsraum, äußerer Entwicklungsraum; die Veränderung auch in der Altersstruktur, die Probleme und Chancen beinhaltet.

Brandenburg befindet sich in einem nicht umkehrbaren Veränderungsprozess, der sich bis weit über 2020 fortsetzt. Selbst ein sprunghafter, nicht zu erwartender Anstieg der Geburtenrate von 2,1 oder 2,3 würde erst nach 2025 erste Ergebnisse zeitigen. Also richten wir uns darauf ein, dass es so, wie hier beschrieben, kommen wird.

Wir kennen ja unseren Mahner in der Wüste, Prof. Mathiessen. Auch wenn er dazu neigt, etwas drastisch zu formulieren „Brandenburg verödet, verblödet und versteppt“ -, hat er eine Diskussion angestoßen, die nicht neu ist. Wir haben ihm den „Charaktus“ überreicht, weil er diese Diskussion angestoßen hat, und nicht, weil wir der Meinung sind, dass alles, was er sagt, eins zu eins richtig ist. Aber auseinander setzen müssen wir uns mit dieser Entwicklung.

Über die Aspekte, die mit Erwerbstätigkeit und Möglichkeiten, Arbeit zu finden usw., zu tun haben, haben wir heute Vormittag in der Aktuellen Stunde schon gesprochen. Ich will darauf nicht noch einmal im Einzelnen eingehen. Aber wir beobachten, dass diese Entwicklung durch mehrere unabhängig voneinander verlaufende Prozesse begründet ist, die sich nur sehr schwer von außen beeinflussen lassen.

Der erste, auffälligste Punkt ist die mangelnde Neigung junger Menschen, sich Kinder anzuschaffen. Da sehen wir in der Tat in der Prioritätensetzung des Einzelnen in seinem Leben eine ganz deutliche Veränderung gegenüber früheren Jahrzehnten; es ist angesprochen worden. Die Karriere spielt eine große Rolle, auch wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Sicherheit. Das Freizeitverhalten spielt eine ganz große Rolle,

(Zuruf von der PDS: Die Existenzgrundlagen, nicht nur die Hobbys!)

das Empfinden, dass Kinder Mühe machen, Geld kosten, Zeit kosten, Nerven kosten. Das Empfinden, dass das alles eine Belastung sei, spiegelt sich dann wider in Formulierungen wie „... mit Fahrtkosten bestraft werden“.