Protokoll der Sitzung vom 26.01.2006

Für die meisten Mütter und Familien sind Kinderärzte die Vertrauensperson, die man am ehesten aufsucht. Früherkennungsuntersuchungen sind ein Angebot an Familien mit Kindern, um eine Gefährdung der körperlichen, psychischen oder geistigen Entwicklung frühzeitig zu erkennen und ihr durch präventive Maßnahmen zu begegnen. Das Instrument der Früherkennungsuntersuchung wurde von Frau Hartfelder schon ausführlich dargestellt, auch die Prozentzahl der Wahrnehmungen. Wir müssen allerdings feststellen, dass bei Kindern im Alter von etwa drei Jahren eine Lücke klafft. Hier müssen wir uns überlegen, ob wir nicht die frühkindlichen und die kinderärztlichen Untersuchungen sowie die Reihenuntersuchungen überkreuzen können. Wir müssen das Instrument Früherkennungsuntersuchung so verbindlich wie möglich gestalten. Deshalb beauftragen wir die Landesregierung.

Erfreulicherweise haben auch andere Bundesländer dies erkannt, sodass wir bei einer Bundesratsinitiative mit Mitstreitern rechnen können. Wir begrüßen auch sehr, dass im gemeinsamen Bundesausschuss derzeit intensiv über eine Aktualisierung der Kinderrichtlinien in Bezug auf eine Standardisierung hinsichtlich Diagnostik, Dokumentation und Evaluation diskutiert wird. Verstärkt muss auch auf Zeichen von Vernachlässigung und Missbrauch geachtet werden.

Die Landesregierung soll außerdem prüfen, in welcher Form eine vermehrte Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen gewährleistet werden kann. Dazu gehört die Information verbunden mit positiven Anreizen, aber zum Beispiel auch eine

Mitteilung an die Behörden, wenn eine solche Untersuchung nicht wahrgenommen wurde. In einem weiteren Schritt muss die bereits erwähnte Vernetzung erfolgen.

Lassen Sie mich kurz etwas zum Änderungsantrag der Linkspartei.PDS sagen. Ich denke nicht, dass wir den Antrag an den Ausschuss überweisen sollten, denn er ist klar und spricht für sich. Im Übrigen ist der erste Änderungsvorschlag, die Bonusregelung, auch in diesen Prüfmöglichkeiten enthalten.

Hinsichtlich des zweiten Teils Ihres Änderungsantrags, in dem Sie die Landesregierung beauftragen wollen, zu berichten, weise ich darauf hin, dass wir bisher im Ausschuss sehr offen und vertrauensvoll mit der Ministerin zusammengearbeitet haben, und halte es auch für überflüssig, die Ministerin mit etwas zu beauftragen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte.

Insofern bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen, und denke, auch die Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei.PDS sind inhaltlich auf unserer Linie, sodass wir unseren Antrag gemeinsam verabschieden könnten. - Danke schön.

Herzlichen Dank, Frau Dr. Münch. - Jetzt spricht der Abgeordnete Nonninger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag klingt im ersten Moment gut und wichtig, jedoch stellten wir beim genaueren Hinsehen einige Kritikpunkte fest. Erstens: Der vorliegende Antrag verpflichtet die Landesregierung letztendlich zu nichts. Sie erhält lediglich einen Prüfauftrag, mehr nicht. Eigentlich sind wir diese Art der Antragstellung von den Genossen der Linkspartei.PDS gewöhnt.

Zweiter Kritikpunkt: Bereits Ende des vergangenen Jahres konnte man der Presse entnehmen, dass sich in Brandenburg die Stimmen mehren, sich einer Bundesratsinitiative des Saarlandes zur Pflichtuntersuchung von Kindern bis zum 13. Lebensjahr anzuschließen. Auch das Saarland plant, bis März einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen. Der Hamburger Senat hat ebenfalls beschlossen, eine Bundesratsinitiative zu dieser Problematik zu starten. Warum soll jetzt die Brandenburger Landesregierung noch extra mit der Überprüfung der Einbringung einer solchen Bundesratsinitiative beauftragt werden?

Dritter Kritikpunkt: Im Antrag wird auf den Inhalt des § 26 SGB V Bezug genommen. Aber in jenem Paragraphen ist von versicherten Kindern die Rede. Was ist jedoch mit den Kindern, die nicht versichert sind, also mit hoher Wahrscheinlichkeit aus sozial schwachen Familien stammen? Dass es solche Kinder gibt, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Glaubt man einschlägigen Medienberichten, nimmt ihre Zahl weiter zu. Sollen diese Kinder und Jugendlichen auf der Strecke bleiben?

Es besteht insgesamt echter Handlungsbedarf, aber bitte nicht in dieser Form eines Wischiwaschi-Antrags. Aus den genannten Gründen lehnen wir diesen Antrag ab, jedoch nicht sein Ansinnen.

(Dr. Klocksin [SPD]: Wie lautet denn Ihr Vorschlag?)

Zum Entschließungsantrag der Linkspartei.PDS: Diesen lehnen wir ab. Auch er enthält nur einen Prüfungsauftrag und verpflichtet letztendlich zu nichts. Zu Punkt 2 des Antrags der Linkspartei.PDS sei gesagt: Der Ausschuss wird, wenn er es wünscht, auch ohne diesen Antrag informiert. Dazu bedarf es dieses Antrags nicht.

Mein Vorschlag wäre, gleich Taten folgen zu lassen und, wenn erforderlich, sofort eine Bundesratsinitiative zu starten und nicht lediglich Prüfaufträge zu erwägen; denn andere Bundesländer sind schon tätig.

(Beifall bei der DVU)

Es spricht nun die Landesregierung. Frau Ministerin Ziegler, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sagte bereits gestern in der Aktuellen Stunde: Die in jüngster Zeit in Deutschland bekannt gewordenen schrecklichen Fälle von Kindesmisshandlungen müssen uns alarmieren und haben uns auch alarmiert. Sie machen deutlich, dass wir regelmäßige Pflichtuntersuchungen für Kinder zur Früherkennung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen, von Vernachlässigung und Misshandlung dringend brauchen. Das ist kein Eingriff in Elternrecht, wie mancher einwendet. Vielmehr bietet es die Chance, auf gesundheitliche Fehlentwicklungen und Vernachlässigungen rechtzeitig aufmerksam zu werden.

Andere Länder Europas wie Finnland und Frankreich haben mit solchen Pflichtvorsorgeuntersuchungen schon gute Erfahrungen gemacht. Warum also nicht auch Deutschland? Auch andere Bundesländer - das Saarland und Hamburg wurden mehrfach erwähnt - wollen sich dieser Sache aktiv stellen.

Ich danke noch einmal ausdrücklich dem Ministerium der Justiz für die Prüfung und die zügige Bewertung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Initiative auf Bundesratsebene. Das Grundgesetz gibt vieles her, doch auch den Ländern steht es frei, im Rahmen ihrer Gesetze zum öffentlichen Gesundheitsdienst die Möglichkeiten für verpflichtende Untersuchungen zu prüfen. Deshalb sollten alle Möglichkeiten unter voller Ausschöpfung des verfassungsrechtlichen Rahmens geprüft werden.

Wir haben in der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgreiche Leistungsangebote, die sogenannten U-1- bis U-9-Untersuchungen, die eine Früherkennung körperlicher oder psychischer Fehlentwicklungen ermöglichen, doch die Akzeptanz dieser freiwilligen Leistungen ließ in den letzten Jahren deutlich nach, aus Unkenntnis, vielleicht auch aus Sorglosigkeit, aus mangelnder Bereitschaft. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Jedenfalls werden von der zum Ende des vierten Lebensjahres vorgesehenen U 8 viele Kinder nicht mehr erfasst, weswegen erst zwei Jahre später, anlässlich der Einschulungsuntersuchung - also viel zu spät - eventuelle gesundheitliche Beeinträchtigungen festgestellt werden. Das ist der bedenkliche Zustand. Ich meine: Wo Eltern diese Angebote nicht wahrnehmen und ihre Pflichten für das Wohl des Kindes eklatant verletzen,

muss eine Art Frühwarnsystem greifen, das im Rahmen des gesetzlich Möglichen sowohl kontrolliert als auch helfend interveniert. Da will niemand in die Wohnstuben hineinspionieren

(Beifall der Abgeordneten Lehmann [SPD])

oder die Eltern ihrer elementaren Rechte berauben. Jedoch muss es dem Jugendamt erlaubt sein, offensiver einzuschreiten, wo grobe Vernachlässigung oder sogar Misshandlung von Kindern bekannt werden. In solchen Fällen bin ich dafür, unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit der Mittel das verfassungsrechtliche Erziehungsrecht der Eltern dem Kindeswohl unterzuordnen. Dabei sind auch verpflichtende Reihenuntersuchungen ein gutes Mittel, solche Fälle zu verhindern. Regelmäßige Gesundheitskontrollen in verschiedenen Altersstufen erlauben ein reales Bild über die Lebenssituation eines Kindes.

Das Anliegen gesunder und gut ausgebildeter Kinder ist ein Hauptziel unseres familienpolitischen Programms „Gesund und gewaltfrei Aufwachsen in Brandenburg“ und floss als Leitziel mit konkret untersetzten Maßnahmen ein. Deshalb unterstütze ich nachdrücklich diesen gemeinsamen Antrag der regierungstragenden Fraktionen, alle Instrumente zur Früherkennung und Vermeidung von Vernachlässigung zu nutzen und weitere Möglichkeiten zu prüfen.

Welche Möglichkeiten stehen uns heute schon zur Verfügung? Das sind vor allem die Früherkennungsuntersuchungen auf Krankheiten nach dem Sozialgesetzbuch, die als Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung von den niedergelassenen Kinderärzten angeboten werden. Das ist eine gute Sache, die allerdings auch mit etlichen Defiziten behaftet ist.

So werden diese Angebote nur von knapp 60 % der sozial schlechter gestellten Eltern genutzt. Doch gerade Kinder aus diesen Familien tragen die größten Gesundheitsrisiken. Im Übrigen datieren die Gesundheitsstandards aus den 70er Jahren und entsprechen damit nicht mehr dem Stand des medizinischen Wissens. So werden mit den betreffenden Untersuchungen die körperlichen Erkrankungen zwar gut erfasst, Entwicklungsauffälligkeiten aber nur eher zufällig entdeckt.

Nach dem zweiten Lebensjahr sind nur noch zwei Untersuchungen vorgesehen, und zwar zum Ende des vierten und des sechsten Lebensjahres. Aber gerade im dritten Lebensjahr werden - darüber sind wir uns ja einig - Auffälligkeiten erstmals deutlich sichtbar. Deshalb ist besonders unbefriedigend, dass gerade hier die Lücke klafft.

Eine Verpflichtung der Eltern zur Wahrnehmung dieser Untersuchungen ihrer Kinder gibt es leider nicht.

Ein weiteres Instrument des Kinderschutzes sind die Reihenuntersuchungen in den Kitas durch die Gesundheitsämter. Sie dienen der Früherkennung von Risikofaktoren, Entwicklungsstörungen und Erkrankungen. Auf diesem Weg werden mehr als 6 000 Kinder mit Gesundheitsrisiken und Frühsymptomen auch erstmalig erkannt. Leider untersuchen die Ämter, wie wir gestern schon besprochen haben, nur etwa 40 % der Kita-Kinder nach hohen medizinischen Standards. Deshalb die Weisung vom letzten Jahr. Bereits gestern haben wir gesagt, wie die Landkreise bzw. der Landkreistag zurzeit dazu stehen.

Eine qualifizierte Untersuchung brauchen aber alle Kinder, de

ren Eltern sich den freiwilligen Untersuchungen ihrer Kinder entziehen. Mit meinem Kollegen Rupprecht bin ich mir darüber einig, dass die Pflichtuntersuchung vor Aufnahme eines Kindes in die Kita ein erster Schritt in diese Richtung sein könnte. Bisher wird bei dieser Untersuchung nämlich nur geprüft, ob das Kind frei von ansteckenden Krankheiten ist. Über eine Änderung des Kita-Gesetzes ließe sich eine Änderung des Prüfungsstandards nach den ÖGD-Leitlinien festschreiben.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Auch die jährlichen Verlängerungsverträge für den Kita-Besuch könnten von der Teilnahme an Früherkennungs- oder Reihenuntersuchungen abhängig gemacht werden.

In einem zweiten Schritt wäre dann zu prüfen, wie die so genannten Hauskinder - etwa 5 % der Brandenburger Kinder besuchen keine Kita - erreicht und einbezogen werden können.

Das scheinen mir durchaus gangbare Wege zu sein. Weniger halte ich davon, die Auszahlung des Kindergeldes von der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen abhängig zu machen;

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

denn Kindergeld dient auch der Existenzsicherung der Kinder. Damit würden wir das Problem am falschen Ende anpacken.

Wir alle sind uns wohl darin einig, dass Kinder noch besser als bisher vor Vernachlässigung und Misshandlung geschützt werden müssen. Deshalb sollten wir alles tun, was hier möglich ist.

Ich möchte jetzt nur noch auf einen Punkt des Antrags eingehen. Die Bonusregelung werden wir prüfen, das ist auch unser Ansinnen. Die Zuzahlungsbefreiungen, die Sie angesprochen haben, sind bereits bis zum 18. Lebensjahr gewährleistet. Insofern ist das obsolet. - Danke.

(Beifall bei CDU und der Linkspartei.PDS)

Das war der letzte Redebeitrag des heutigen Tages. Wir kommen nun zur Abstimmung.

Die Fraktion der Linkspartei.PDS beantragt die Überweisung des Antrags zur Pflichtuntersuchung für Kinder in der Drucksache 4/2413 an den Ausschuss für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie. Wer diesem Ansinnen folgt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Da der größte Teil der Mitglieder des Hauses dagegen gestimmt hat, wird diesem Antrag nicht entsprochen.

Damit kommen wir zu dem Änderungsantrag der Linkspartei.PDS, der in der Drucksache 4/2458 vorliegt. Hierüber stimmen wir in der Sache ab. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Da auch in diesem Fall die Mehrheit dagegen gestimmt hat, wird dem Änderungsantrag nicht stattgegeben.

Schließlich kommen wir zur Abstimmung über den Antrag in der Drucksache 4/2413 in der Sache. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? Stimmenthaltungen? - Bei wenigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ist dieser Antrag mehrheitlich angenommen worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 10 und wünsche all denjenigen, die in Urlaub fahren, gute Erholung, und all den anderen, die zu Hause bleiben müssen, interessante Tage. Auf Wiedersehen!

Ende der Sitzung: 18.05 Uhr