Protokoll der Sitzung vom 18.05.2006

Zum anderen haben wir auch ein Landesjugendamt, das beratend, koordinierend und vermittelnd zwischen allen Partnern wirkt und erfolgreich agiert.

In diesem Sinne werden wir dieses Thema weiter zu diskutieren haben. Es wird bei uns ständig auf der Agenda sein. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich gehe davon aus, Frau Lehmann, dass Ihre Fraktionskolleginnen und -kollegen die Zeit, die Sie überzogen haben, demnächst wieder einsparen. - Jetzt spricht Frau Fechner zu uns.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Gäste! Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren hatten die Koalitionsfraktionen im Plenum einen Antrag mit der viel versprechenden Überschrift „Stärkung des Kinderschutzes gegen Gewalt“ eingebracht. In diesem Antrag wurde die Landesregierung aufgefordert, einen Gesamtplan zur Stärkung und Weiterentwicklung der Fortbildung für Sozialarbeiter, die mit Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung befasst sind, vorzulegen.

Heute, zwei Jahre später, liegt uns das umfangreiche Programm zur Qualifizierung der Kinderschutzarbeit vor. Schon damals bemängelte meine Fraktion, dass lediglich ein Plan zur Stärkung und Weiterentwicklung der Fortbildung für Sozialarbeiter gefordert wurde. Damals waren wir noch voller Hoffnung, als wir die Überschrift des Antrags „Stärkung des Kinderschutzes gegen Gewalt“ lasen. Wir dachten wirklich, dass sich der Landtag jetzt endlich um die schrecklichen

Sexualstraftaten und Sexualmorde an Kindern kümmert. Wir dachten, endlich wird die Gewalt an den Schulen, in denen Schüler von ihren Mitschülern Schutzgeld erpressen, sie berauben oder aus purer Lust an Gewalt zusammenschlagen und misshandeln, zum Thema. Endlich kümmert sich dieser Landtag um die Unmengen von Gewalt, die unsere Kinder heutzutage aus dem Fernsehen, aus Kinofilmen und aus Computerspielen überfluten. Endlich werden die soziale Not und die Verwahrlosung zum Thema, die auch in Brandenburg immer weiter um sich greifen und die vielfach innerfamiliäre Gewalt gegen Kinder zur Folge haben.

All das dachten wir, doch stattdessen kamen die Regierungsfraktionen mit einem Antrag, der all diese Themen ignorierte.

Immer wieder werden Kinder zu Opfern brutaler Perverser. Uns liegt lediglich ein Gesamtplan zur Stärkung und Weiterentwicklung der Fortbildung für Sozialarbeiter vor.

Es ist ja gut und schön, wenn Sozialarbeiter aufgrund von Qualifizierungsmaßnahmen zukünftig schneller Kindesverwahrlosung und Kindesmisshandlung erkennen können. Doch was nützt es, wenn man Misshandlungen zwar erkennen kann, jedoch nicht in der Lage ist, diese abzustellen?

Mir persönlich ist ein Fall bekannt, in dem das Jugendamt seit August des vergangenen Jahres weiß, dass ein Kind in einem verwahrlosten Haushalt aufwächst. Das Jugendamt ist auch gleich tätig geworden und hat das Familiengericht eingeschaltet. Auch der Familienrichter ist tätig geworden. Er hat ein Gutachten über die Erziehungsfähigkeit der Mutter in Auftrag gegeben. Doch die Frau weigert sich beharrlich, an den Sitzungen beim Gutachter teilzunehmen. Mal ist ihr Auto kaputt, mal hat sie den Zug verpasst, dann wiederum ist sie krank. Das Ganze zieht sich schon Monate hin. Seit Monaten lebt dieses Kind in einer verwahrlosten Wohnung.

Aber das Jugendamt war ja seit August nicht ganz untätig. Zweimal wöchentlich kommt eine Familienberaterin. Sie sorgt aber nicht etwa dafür, dass die Wohnung entmüllt, entrümpelt wird, nein, sie führt Gespräche mit der psychisch kranken Frau. Über Monate werden Gespräche mit dieser Frau geführt, aber es ändert sich nichts. Das Kind wächst weiterhin in dieser verwahrlosten Wohnung auf.

Ich wünschte mir, dass es manchmal einfacher wäre, Kinder in staatliche Obhut zu nehmen. Doch wir leben heute in einem Rechtsstaat und es müssen gewisse Rechtsregeln eingehalten werden. Das ist auch gut so. Das mag zwar in dem beschriebenen Fall sehr bedauerlich sein, aber solch einen Unrechtsstaat wie zu DDR-Zeiten wollen wir ja auch nicht mehr.

Damals war es keine Seltenheit, dass Kinder gegen den Willen der Eltern verschleppt und zur Adoption freigegeben wurden. Die einzige Verfehlung der Eltern war, dass sie zu den Regimekritikern gehörten.

Meine Damen und Herren, immer mehr Kinder leben in Familien, in denen die Eltern keine Zukunftsperspektive für sich und ihre Kinder sehen. Eine der Hauptursachen für Gewalt und Verwahrlosung in den Familien ist die hohe Arbeitslosigkeit.

„In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und einer häufig angespannten wirtschaftlichen Situation von Familien ist die Möglichkeit größer, dass Kinder vernachlässigt werden.“

So äußerte sich die Fachberaterin beim Kinderschutzbund Nordrhein-Westfalen gegenüber den Medien. Wenn man sich die an die Öffentlichkeit gelangten Brandenburger Fälle ansieht, kann man diese Aussage leider nur bestätigen.

Wir als DVU-Fraktion sind der Meinung, dass mit dem vorliegenden Programm wieder einmal nur die Symptome behandelt, aber die Ursachen nicht bekämpft werden. Deshalb wird es auch weiterhin leider immer wieder Fälle von Kindesmisshandlungen und Kindesvernachlässigungen im Land Brandenburg geben.

(Beifall bei der DVU)

Herzlichen Dank. - Nun erhält die Abgeordnete Hartfelder das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Programm reagiert die Landesregierung auf einen Antrag der Koalitionsfraktionen aus der 3. Wahlperiode. Wir forderten damals die Stärkung des Kinderschutzes gegen Gewalt. Mehrere Fälle von Kindesvernachlässigungen und Kindesmisshandlungen waren für uns ausschlaggebend dafür, den Kinderschutz nachhaltig verbessern zu wollen. Wir haben erkannt, dass dieser Weg mühsam ist, denn die Interessenlagen der Involvierten sind doch sehr unterschiedlich.

Das vorliegende Programm zielt in die richtige Richtung, Herr Minister. Es ist ein wichtiger Baustein, aber nach unserem Verständnis allein noch nicht ausreichend, um den Kinderschutz möglichst umfassend zu gewährleisten.

Besonders wichtig sind regelmäßige Untersuchungen durch den Kinderarzt, um Vernachlässigungen und Misshandlungen rechtzeitig aufdecken zu können. Dazu unser Antrag im Januar, U 1 bis U 10 pflichtig zu machen.

In der morgen stattfindenden Bundesratssitzung wird Brandenburg Miteinreicher einer Initiative von Hamburg sein, damit diese Vorsorgeuntersuchungen in Zukunft in Deutschland verbindlicher gestaltet werden können, was wir sehr befürworten. Das ist aber eigentlich noch nicht das, was wir wollen und was wir uns mit dem Antrag - Frau Lehmann hat es schon gesagt - wünschen. Wir wünschen uns die Pflichtigkeit dieser Untersuchungen durch die Ärzte. Wir wünschen uns auch, dass bei Nichtwahrnehmung dieser Untersuchungen das Jugendamt informiert wird und gehandelt werden kann. Die morgige Entscheidung im Bundesrat lässt diese Entwicklung eigentlich offen. Details, in welchen Abständen die Untersuchungen vorzunehmen sind, müssen ohnehin vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen geregelt werden. Dabei sind ohne Frage in jüngeren Jahren tatsächlich kürzere Abstände erforderlich.

Nach Aussagen der Leiterin des Landesgesundheitsamtes, Frau Dr. Ellsäßer, stellen gerade Säuglinge eine Hochrisikogruppe dar. Der Fall in Neuruppin zeigt dies wieder in makabrer Weise.

Aktionismus wie in Potsdam, den Öffentlichen Gesundheitsdienst jetzt in veränderter Form einzubinden, ist allerdings

nicht hilfreich. Wir wollen alle Kinder erfassen. Dazu war der Öffentliche Gesundheitsdienst in den letzten Jahren personell nicht in der Lage. Materiell waren - so die Einschätzung - die Kreise ebenfalls überfordert. Deshalb macht es Sinn, die ohnehin von den Krankenkassen angebotenen Untersuchungen, für die die Versicherungsgemeinschaft zahlt, so effizient zu gestalten, dass kein Kind vergessen wird.

Im Zusammenhang mit der Verbesserung des Kinderschutzes sind jedoch auch veränderte Zuständigkeiten erforderlich. Wir streben nach wie vor die Rechts- und Fachaufsicht durch das Landesjugendamt über die Jugendämter der Landkreise an und wünschen uns für unser Anliegen politische Mitstreiter.

Ja, Herr Minister, auch wir wollen die Jugendämter unterstützen. Jedoch kann mehr Richtlinienkompetenz des Landes in Bezug auf die Jugendämter die Arbeit und den Rücken der Mitarbeiter stärken.

Das untermauere ich mit einigen Aussagen auf den Seiten 3 und 4 des Berichts, über den wir gerade sprechen.

Erstens gab es laut Kinderschutzbericht im Fall „Pascal“ eine Reihe von Versäumnissen und Fehlern in der Kooperation aller beteiligten öffentlichen Institutionen.

Zweitens gibt es Vollzugsprobleme, die zum Teil eine Folge fehlender oder unzureichender klarer Regelungen im bisherigen Kinder- und Jugendhilferecht sind. Seit dem 1. Oktober 2005 gibt es durch die Erweiterung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes verbesserte rechtliche Rahmenbedingungen. Aufgrund dessen müssen veränderte Bedingungen untersucht werden.

Drittens gibt es im Umgang mit der Gewährung von Hilfen bei den beteiligten Fachkräften zum Teil große Unsicherheit. Das ist vor allem dann der Fall, wenn ein Kind aus der Familie genommen wird, die Rückkehr in die Familie möglich bleiben soll, familienbegleitende Maßnahmen erfolgen müssen, Eltern das jedoch nicht möchten.

Frau Fechner, auch ein „verwahrloster Haushalt“ kann einem Kind unter Umständen eine geborgene Atmosphäre bieten. Dies muss jedoch im Einzelfall geprüft werden.

(Zuruf von der DVU)

Aufgrund dessen, dass Unsicherheit bei einzelnen Fachkräften im Umgang mit Diagnoseinstrumenten vorhanden sind, Defizite bezüglich struktureller Handlungsanleitungen durch die Leitungskräfte bestehen, methodisch ausgearbeitete Beurteilungsschemata vorliegen, jedoch nicht zum Standard der Arbeit der Jugendämter gehören - es sind nur Empfehlungen -, dass es keine Bezugsgrößen für die Beurteilung der Personalausstattung im Allgemeinen Sozialen Dienst der Jugendämter gibt und es keine Kenntnis von der Familiensituation gab - in vielen Fällen fehlte ein Frühwarnsystem -, sind letztendlich Familienhebammen notwendig, ist die Rechts- und Fachaufsicht nötig.

Um Vertrauen zu schaffen, sind niedrigschwellige Angebote dringend erforderlich. Dazu gehören Eltern-Kind-Zentren, Familienzentren oder - das wurde heute bereits in der mündlichen Anfrage von Herrn Junghanns beantwortet - die lokalen Bündnisse für Familie. Das sind vertrauensbildende niederschwellige Angebote, um Familien aus schwierigen Situationen zu helfen.

Als sehr wichtig erachte ich auch die Arbeitskreise für den Kinderschutz; denn sie fördern die Zusammenarbeit der Institutionen.

Frau Hartfelder, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Noch gibt es weiße Flecken. Dennoch liegt ein ganzes Stück Arbeit vor uns, wozu auch Potsdam und das Havelland gehören.

Richter legen Wert auf eine Ausbildung, die sie verstärkt für das Thema Kinderschutz sensibilisiert. Polizisten kritisieren zu Recht, dass das Jugendamt keine Anzeigepflicht bei Sexualstraftätern hat, die zwar aus der Familie genommen wurden, nun jedoch andere Kinder gefährden können.

Deshalb spielt es eine Rolle, dass Sexualstraftäter in nachträgliche Sicherheitsverwahrung - darüber sprechen wir bald an anderer Stelle - genommen werden können.

Meine Damen und Herren, wir sind zwar ein gutes Stück vorangekommen, haben jedoch noch einen weiten Weg vor uns.

Obwohl wir wissen - diesbezüglich möchte ich Ihnen, Frau Fechner, widersprechen -, dass Gewalt nicht in Gänze zu verhindern ist, ist jedes Kind...

Frau Hartfelder, kommen Sie bitte zum Schluss!

... das vor Gewalt und Vernachlässigung geschützt werden kann, und jede Kinderseele, die nicht für immer gebrochen wird, diese Mühe wert. - Vielen Dank.

(Beifall bei CDU und SPD)

Herzlichen Dank, Frau Hartfelder. - Da alle Redner ihre Redezeit beträchtlich überschritten haben, wäre möglicherweise die vorherige Beantragung einer längeren Redezeit sinnvoll.

Ich beende die Aussprache. Der Bericht der Landesregierung ist somit zur Kenntnis genommen.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 6 und rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: