Frau Kaiser, sogar als Hartz-IV-Empfänger darf man ein Auto besitzen. Das sollte vielleicht noch einmal erwähnt werden.
Früher gab es einen riesigen Wohnungsmangel. Wir hatten Kollege Lunacek hat es gerade gesagt - relativ wenige Kids, die in der Lage waren oder denen es überhaupt erlaubt wurde, Abi zu machen. Wenn man als Junge in der DDR ein Abi haben wollte, dann sollte man am besten vorher sagen, dass man Offizier der NVA - der Nationalen Volksarmee - werden wollte. Dann hatte man gute Karten.
Sobald es jedoch in die Richtung technischer Berufe ging, sah es mies aus. Eventuell konnte man noch als Lehrer oder als Mediziner punkten, aber bei allem anderen war es relativ schwierig, das Abi zu bekommen, selbst mit sehr guten Noten.
Die Lebenserwartung - um das einmal zu illustrieren - ist in Ostdeutschland kurz nach der Wende aufgrund der geänderten
Arbeitsbedingungen und Ernährungsmöglichkeiten um fünf Jahre gestiegen. Sie liegt derzeit bei den Männern bei 76 Jahren und bei den Frauen bei 81 Jahren. Wir Männer müssen mit uns noch einmal hart ins Gericht gehen und uns fragen, warum wir diesbezüglich so schlecht abschneiden. Das hat sehr viel mit unseren Eigenarten zu tun.
Gerade vor diesem Hintergrund finde ich es unerträglich, wenn so mancher Menschenverächter von damals heute herumkalauert, die gegenwärtigen Probleme wären doch wesentlich schlimmer als die damaligen. Da kann ich nur fragen: Wo hast du denn gelebt? - Die Frage muss man dann tatsächlich stellen.
Wir haben heute stabile, funktionsfähige Institutionen. Wir haben eine unabhängige Justiz. Wir haben eine rechtsstaatliche Polizei. Wir haben Schulen und Hochschulen, die entideologisiert arbeiten und funktionieren müssen. Wir haben ein System, in dem jeder sicher leben kann. Zudem haben wir ein Sozialsystem, das weltweit einzigartig und vielfach Vorbild ist. Das sollte man doch einmal erwähnen dürfen.
Selbst Sie, Kollegin Kaiser, Kollege Vietze, haben Ihren Platz im neuen Deutschland gefunden. Mit dem „neuen Deutschland“ meine ich dieses Mal das mit dem kleinen „n“.
Sie sind inzwischen selbst in westdeutschen Parlamenten angekommen; dort als „Besserwessis“ zwar auf der Oppositionsbank, aber immerhin. Selbst das hat funktioniert und geklappt.
Ich will die Gelegenheit heute nutzen, allen Mitstreitern in diesem Prozess zu danken, vor allem natürlich - weil wir im Brandenburger Landtag sind - den Brandenburgerinnen und Brandenburgern für das, was sie in den letzten Jahren geschafft haben.
Es war und ist ihre Aufbauleistung, es war die Leistung der Brandenburgerinnen und Brandenburger, die dieses Land so weit nach vorn gebracht haben. Demjenigen, der jetzt nachträglich herumkritisiert, herumnörgelt und sagt, dies und jenes sei schlecht gelaufen, kann ich nur sagen: So what? Der Pathologe hat immer die sichersten Diagnosen.
Als Zweites können wir dazu sagen: Bei der nächsten Wiedervereinigung werden wir es besser machen. In Ordnung.
Ich möchte auch all jenen danken, die bei dieser Wende mitgemacht haben. Auch wenn sie im Jahr 1989 nur ganz vorsichtig den Vorhang beiseite geschoben und geschaut haben, was da am Montagabend auf der Straße passiert, haben die meisten irgendwann verstanden, dass sie gebraucht werden. Irgendwann haben die meisten verstanden, dass Demokratie vom Mittun lebt, und irgendwann haben sie sich auch aufgemacht und haben mitgetan. All denen möchte ich dafür danken, dass sie das Land so weit voran gebracht haben.
Diese Wende-Erfahrung hat viele ins politische System gebracht, die sich vorher nicht hätten träumen lassen, in diese Richtung zu gehen. Sie haben gemerkt, dass man ein Auto nicht von innen anschieben kann, sondern dazu hinausgehen und etwas tun muss.
Wir wollten - diese Euphorie spüre ich heute wieder - das Rad der Geschichte einfach einmal einen Tick schneller drehen. Wir wollten Dinge bewegen, die wir vorher nicht bewegen konnten. Wir waren nicht verblendet und haben auch nicht an das Paradies auf Erden geglaubt. Erst recht haben wir nicht daran geglaubt, dass man Menschen erst einmal erziehen muss, damit sie etwas bewegen. Im Gegenteil. Wir haben immer daran geglaubt, dass die Menschen den Willen zur Veränderung in sich tragen, ihn nutzen und etwas ändern. Dies haben die Menschen in diesem Land getan.
All diejenigen, die damals am Montagabend oder wann auch immer gegen die SED demonstriert haben, haben dies getan, weil sie sicher waren, dass zum Sozialismus eben nicht Schießbefehl, Verfolgung, Stacheldraht, Zuführung, Abhören, Spitzeleien und, und, und gehören, sondern sie waren sich sicher, dass Sozialismus auch anders zu erreichen ist. Ich bin froh, dass die Brandenburgerinnen und Brandenburger diesen Weg wählten und auf die Straße gegangen sind.
Irgendwie leide ich darunter und halte es ein Stück weit - vorsichtig gesagt - für vermessen, wenn Mitläufer von damals daherkommen und heute, Frau Kaiser, in Angst und in Populismus machen, um sich danach als die besseren Demokraten aufzuspielen. Das tut weh! Ich halte es für falsch. Ich halte es für heuchlerisch, und ich halte es für schädlich für das Land.
Wir diskutieren heute - insofern bin ich dankbar für diese Aktuelle Stunde - auch über die geglückte deutsche Einheit. Wir fragen uns: Welche Lehren können wir aus der 18-jährigen Geschichte des Landes ziehen? Ist das westdeutsche Maß, das wir immer wieder an unsere Entwicklung anlegen, wirklich das Maß aller Dinge? Damit meine ich zum einen das Maß, das wir vielfach einfach so und relativ kritiklos übernommen haben, und zum anderen das Maß, mit dem wir uns immer wieder vergleichen. Ich werde dazu nachher gern noch ein paar Worte sagen. Ist die westdeutsche Normalität das Maß aller Dinge? Frau Kaiser, haben wir die unbestrittenen Erfolge vielleicht zu selten bzw. nie im Blick gehabt? All diese Fragen will ich heute einfach nur stellen. Sie zu beantworten erlaubt die Zeit nicht.
Ich kann mich sehr gut an das Ende der DDR erinnern. Ich war zunächst im Neuen Forum am Runden Tisch und habe nachher die SPD in meiner Region mit begründet. Ich habe Verschiedenes dabei gelernt. Aus den Transformationsprozessen und aus der Erfahrung mit der DDR nehme ich mit, dass der Weg das Ziel ist. Der Weg ist das Ziel! Wenn wir sagen - wir haben es noch heute im Grundsatzprogramm -, wir wollen eine Demokratie, wir wollen sogar einen demokratischen Sozialismus, dann heißt das: Wir wollen dieses Ziel über den Weg erreichen, das heißt, mit den Menschen bzw. durch sie.
Diktaturen dagegen sehen das Ziel, und alles andere ist ihnen egal. Auch wenn sie die Menschen dafür einsperren, verfolgen und totschlagen müssen, sie gehen diesen Weg, egal wie, und sehen nur das Ziel. Genau das tun wir Demokraten eben nicht. Darin unterscheiden wir uns. Das haben wir alle miteinander dazugelernt.
Es ist oft nicht einfach, weil dieser Weg schwer zu finden ist, weil es nicht ganz klar ist, wohin er führt, und weil Demokratie eben auch schwierig ist. Darüber haben wir hier schon oft genug gesprochen.
Wir müssen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass es nicht die einfachen Antworten sind, die Jobs zu schaffen helfen, und dass man nicht einfach so über Geld beschließen oder welches drucken kann. Es ist keineswegs so, dass man einfach nur Beschlüsse herbeizuführen braucht, um Probleme zu lösen. Ich habe am Wochenende gehört, wie ein verantwortlicher Landespolitiker der Grünen auf die Frage, wie er es hinbekommen wolle, bis zum Jahre 2020 die Energieversorgung im Lande komplett durch Landeslösungen zu stemmen, antwortete: Das haben wir auf dem Parteitag so beschlossen. - Hallo! Ups! Das hat mich aber dann doch umgehauen!
Offensichtlich haben sie immer noch nicht richtig verstanden, dass es so einfach wohl nicht gehen wird. Es gibt - das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen - keine Patentrezepte und nicht immer die geradeaus richtige Lösung. Die hatten Marx nicht, Lenin nicht, Engels nicht. Die hatten auch Smith und Taylor nicht. Roosevelt und Nixon hatten sie auch nicht. Merkel hat sie auch nicht. Wahrscheinlich haben sie nicht einmal Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering. Das müssen wir uns immer wieder vergegenwärtigen.
Es wird immer einen Streit um den Weg und um die beste Lösung geben. Und irgendwie macht es ja auch Spaß.
Ich habe heute - Matthias Platzeck hat es gestern Abend das Zentralorgan der Ossis genannt - die „Super Illu“ mit nach vorn gebracht. Die Frage, die dort gestellt wurde, ist ein Stück weit suggestiv, wie man einräumen muss. Sie lautet: „Ich wünsche mir ein sozialistisches Wirtschaftssystem, weil es die kleinen Leute vor Finanzkrisen und Ungerechtigkeiten schützt.“ 43 % der Ostdeutschen sagen: Ja, ich wünsche mir ein sozialistisches Wirtschaftssystem. - Im Prinzip suggeriert das ein Stück
weit: Planwirtschaft soll wieder her. Die jungen Leute stimmten dieser Aussage übrigens viel mehr zu als die Älteren; das lässt sich herauslesen. Das hat viel mit dem zu tun, was Kollege Lunacek vorhin gesagt hat.
Von der Finanzmarktkrise dürfen wir uns hier nicht kirre machen lassen. Wir dürfen auch keinesfalls die DDR beschönigen. Die DDR war wahrlich kein heimeliger Staat, in dem sich jeder wohlfühlen konnte. Sobald sich jemand nicht weggeduckt hat, sondern die Nase - das ist bei meiner großen Nase häufig passiert - ein bisschen herausgestreckt hat, gab es einen drauf. Das war so. Dieses System wurde nicht durch den Kapitalismus feindlich übernommen, sondern ihm sind die Menschen weggelaufen. Das war schlicht und ergreifend die Ursache, die dazu geführt hat, dass der Staat zusammengebrochen ist.
Es war eine bankrotte Diktatur. Sie war völlig zerrüttet - ökonomisch, politisch und moralisch. Das, was ich gerade gesagt habe, kommt nicht unbedingt von mir, sondern vom letzten Wirtschaftsminister der DDR, von Günter Mittag. Auch er beurteilte die Situation inzwischen so. Letztlich war die Wiedervereinigung die letzte Chance für den Osten der Republik und zwar nicht nur für den Staat als solchen, sondern gerade für die Menschen, die in diesem Land lebten, die in der Wiedervereinigung ihre Chance sahen, sich selbst zu verwirklichen, vielleicht ein letztes Mal, vielleicht das einzige Mal.
Daraus lässt sich ableiten, dass der demokratische Weg der richtige ist. Freiheit und Verantwortung gehören zusammen. Wir haben gestern darüber diskutiert. Es herrscht hier große Einigkeit darüber, dass niemand die Planwirtschaft zurück haben will und wir nicht alles verstaatlichen wollen, was in diesem Lande privat funktioniert.
Der funktionierende Markt braucht aber Regeln. Max Weber hat einmal gesagt: Die Kultur des Marktes erfordert auch eine Kultur des Maßes. - Ich glaube, über die Kultur des Maßes müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten massiv streiten. Das ist wieder die Frage nach dem Weg. Diese Diskussion ist jetzt angesagt, und wir müssen sie führen.