Protokoll der Sitzung vom 19.01.2005

Zweifellos erfordern die Bescheide der Leistungsträger nach dem SGB II auch, dass sich die Betroffenen in erheblichem Umfang mit ihren Rechten und Pflichten in diesem Zusammenhang vertraut machen. Wenn sie sich in ihren Rechten verletzt fühlen oder diese gerichtlich verfolgen wollen, dann stehen ihnen die Möglichkeiten des Widerspruchs und der Klage ebenso offen wie die Inanspruchnahme unabhängiger Anwälte, die sie erforderlichenfalls sach- und fachkundig gegenüber Behörden oder Gerichten vertreten.

Die Informations- und Beratungsmöglichkeiten sind also vielfältig, für jedermann zugänglich und werden auch rege genutzt. Nun kommt es darauf an, alle Kraft darauf zu lenken, dass die neuen Vermittlungs-, Beratungs- und Betreuungsstrukturen für Langzeitarbeitslose vor Ort schnellstmöglich reibungslos funktionieren.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Otto?

Frau Dr. Schröder, wenn Sie so vehement dafür plädieren, dass die Betroffenen in Größenordnungen Beratungsmöglichkeiten erhalten sollen, warum lehnen Sie dann den Antrag ab, nach dem jeder Betroffene auch das Recht hat, eine unabhängige Beratungsstelle aufzusuchen, die es neben den von Ihnen genannten Beratungsstellen gibt und die das Vertrauensverhältnis aus der Ausfüllung der Bescheide hinübernimmt in die Kontrolle der Bescheide? - Ich denke, das wäre eine wichtige Ausgangsbasis für einen weiteren sachlichen Umgang der Betroffenen mit den ausgestellten Bescheiden und der Abstellung von Problemen, die in diesen Bescheiden liegen.

Herr Kollege, Sie haben vielleicht nicht richtig zugehört; vielleicht lesen Sie das im Protokoll noch einmal nach. Ich habe mich keineswegs gegen unabhängige Beratung ausgesprochen, ganz im Gegenteil. Aber es gibt Angebote, die wahrgenommen werden können und die von den Betroffenen sehr rege wahrgenommen werden.

Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Die SPD lehnt Ihren Antrag ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten von Arnim [CDU])

Das Wort geht an die Fraktion der DVU. Es spricht der Abgeordnete Schulze.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rat suchenden Menschen muss geholfen werden. Sie müssen wissen, wohin sie sich wenden können. - Das war, ist und bleibt in jeder Hinsicht die Grundauffassung unserer Fraktion. Das verlangt auch die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern. Es geht nun jedoch um die Qualität solcher Beratungen und um die territoriale Streuung der Beratungsstellen.

Zunächst zur Qualität. Hier sind sehr qualifizierte Mitarbeiter mit einer hohen Erfolgsmotivation gefragt. Mitarbeiter, die in so genannten Crashkursen, die übrigens zusätzliches Geld kosten, geschult werden und denen das Ende einer ABM-Zeit schon vor Augen steht, sind weder ausreichend qualifiziert noch genügend motiviert. Bereits relativ geringe Fehlerquoten richten für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger erheblichen Schaden an, führen aber auch zu einem gewaltigen Mehraufwand an Verwaltungsarbeiten bis hin zur Inanspruchnahme der Gerichte aufgrund eingelegter Widersprüche. Außerdem führen Beratungsfehler zu einer Schädigung des Ansehens der Behörden und zu einem Vertrauensverlust unserer Bürger in die Arbeit der zuständigen Ämter. Qualität, nicht nur Quantität ist insbesondere beim Umgang mit Hilfe suchenden Menschen gefragt.

Nun zur Frage der territorialen Streuung von Beratungsstellen oder, besser gesagt, Anlaufstellen für die vom Arbeitslosengeld II Betroffenen. Natürlich ist es wünschenswert, die Anfahrtswege für die Betroffenen so kurz wie möglich zu halten. Aber Quantität zulasten der Qualität? Die Meinung unserer Fraktion dazu habe ich soeben dargelegt.

Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, dass die regelrechte Flut von Rat suchenden Bürgern nach der schwierigen Anfangsphase der neuen Gesetzgebung bald erheblich nachlassen wird, wenn nämlich die Hartz-IV-Problematik - leider! - zum Alltag geworden ist.

Unserer DVU-Fraktion liegt eine Liste der „Anlaufstellen Arbeitslosengeld II“ ab 01.01.2005 vor, aus welcher die Standorte der Arbeitsuchenden der Stadt Cottbus sowie der Landkreise Oberspreewald-Lausitz, Elbe-Elster, Dahme-Spreewald sowie des Eigenbetriebes Grundsicherung Spree-Neiße ersichtlich sind. Wir meinen, dass diese Aufstellung eine gewisse Qualität garantiert und territorial ausgewogen ist. Die Praxis wird uns sicherlich Recht geben.

Unsere DVU-Fraktion war, ist und bleibt jedoch stets gegen die geradezu bürgerfeindlichen Rechtsvorschriften des Arbeitslosengeldes II. Wir sind aber auch Realisten. Deshalb werden wir - unter Beachtung aller Fakten - jede Möglichkeit ausschöpfen, das Bestmachbare für unsere Bürger zu erreichen. Prinzipiell sehen wir in jedem Vorschlag, der zugunsten der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gemacht wird, ob in administrativer Hinsicht oder bei der Beschaffung von Arbeitsplätzen, den guten Willen. Oftmals aber gehen die entsprechenden Vorstellungen und die daraus resultierenden Anträge an der Realität vor

bei. Genau aus diesem Grund wird unsere Fraktion den vorliegenden PDS-Antrag ablehnen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der DVU)

Für die Fraktion der CDU spricht die Abgeordnete Schulz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion fordert mit dem vorliegenden Antrag, eine unabhängige Beratung für Leistungen nach dem SGB II sicherzustellen. Der Beratungsbedarf zu Beginn der Umsetzung einer solchen Reform ist mit Sicherheit riesengroß. Das kann man nicht kleinreden. Die Ereignisse, wie sie sich zu Beginn dargestellt haben, konnten uns nicht zufrieden stellen. Mich erreichten ebenso wie alle anderen Kollegen in meinem Bürgerbüro und in meinem Abgeordnetenbüro zahlreiche Anfragen. Ich habe mich ebenso wie alle anderen Abgeordneten darum bemüht, alle Anfragen zu beantworten. Das war nicht immer zufrieden stellend möglich, selbst bei Anfragen an die Agentur für Arbeit.

Meine Damen und Herren von der PDS, ich kann allerdings nicht nachvollziehen, weshalb Sie zum jetzigen Zeitpunkt die Einrichtung zusätzlicher Beratungsmöglichkeiten für Antragsteller fordern. In der Antragsbegründung behaupten Sie, die Fehlerquote bei den Bescheiden sei „relativ hoch“. Was heißt „relativ hoch“? Nach meinem Kenntnisstand gab es gegen die Bescheide, die ehemalige Sozialhilfeempfänger erhalten haben, so gut wie keine Widersprüche. Hier ist also nur eine sehr geringe Fehlerquote festzustellen. An ehemalige Arbeitslosenhilfeempfänger wurden insgesamt 177 392 Bescheide verschickt; bis jetzt wurde gegen 9 476 dieser Bescheide Widerspruch eingelegt. 1 300 dieser Widersprüche sind übrigens auf dem Formblatt der PDS eingelegt worden; darin ging es bekanntermaßen vordringlich um die Frage der Verfassungswidrigkeit.

(Schulze [SPD]: Ein Prozent!)

Zieht man von den insgesamt eingelegten 9 476 Widersprüchen die 1 300 initiierten Widersprüche ab, verbleiben 8 176 bis zum jetzigen Zeitpunkt. Das entspricht einer Quote von 4,6 %.

Ich will die Probleme nicht kleinreden und denke auch an die kritikwürdigen Punkte. Einiges wäre nicht notwendig gewesen. Ich erinnere an die Wohnungen in der Uckermark und an die Krankenversicherung für in der Bedarfsgemeinschaft lebende Unverheiratete. Diese Probleme hätten pragmatischer und zügiger gelöst werden können. Sicherlich ist jeder einzelne Fall, der Unzufriedenheit hervorruft, ein Fall zu viel. Dennoch behaupte ich, dass die Widerspruchsquote von knapp 5 % ein unverhofft gutes Ergebnis darstellt.

Die Beratung vor Ort in den Arbeitsagenturen und Eigenbetrieben muss schnellstens reibungslos und kompetent funktionieren. Insoweit stellen die karitativen und die freien Träger und Verbände eine Bereicherung dar. Durch manche Beratung allerdings sind die Betroffenen eher verunsichert, um nicht zu sagen instrumentalisiert worden.

Ich konnte mich ebenso wie meine Kollegin Dr. Schröder des

Eindrucks nicht erwehren, dass Ihnen hier um eine ganz bestimmte Klientel geht: die Arbeitslosenserviceeinrichtungen. Lassen Sie mich dazu noch ein Wort sagen. Ihnen ist bekannt, dass wir vor einem Jahr beschlossen haben, die Finanzierung der Arbeitslosenserviceeinrichtungen um ein Jahr weiterzuführen.

(Frau Dr. Enkelmann [PDS]: Vielleicht reicht das immer noch nicht!)

- In Ihren Augen wird es nie reichen.

(Beifall des Abgeordneten Schulze [SPD])

Wenn die Jobcenter nicht bereit sind, die Mitarbeiter einzustellen - die Einstellung sollte über Ausschreibungen erfolgen -, dann dürfen Sie dafür nicht das Parlament verantwortlich machen.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Die Beratung, die den ALG-II-Empfängern zuteil werden soll, bezieht sich im Übrigen nicht nur auf die Anträge, sondern auch auf die zielgerichtete Beratung, vor allem unter dem Gesichtspunkt „Fördern und Fordern“. Wir sollten uns sehr gut überlegen, ob wir dazu ABM einsetzen. Ich meine, dass wir AB-Maßnahmen noch für andere Bereiche brauchen. Das Geld ist sehr gut angelegt, wenn es zum Beispiel in die Ausbildung der Fallmanager gesteckt wird.

Es wird viel Engagement und Kreativität nötig sein, um alle arbeitsfähigen Leistungsempfänger in Arbeit zu bringen. Vor allem dieser Aufgabe sollten wir uns widmen. Das sehe ich als unsere oberste Verantwortung an. - Herzlichen Dank für das Zuhören.

(Beifall bei CDU und SPD)

Für die Landesregierung spricht Ministerin Ziegler. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann das Anliegen des vorliegenden Antrags sehr gut verstehen. Menschen, die einen Job über ABM haben, dessen Finanzierung ausläuft oder ausgelaufen ist, sollten wieder in Beschäftigung gebracht werden. Aber schon die Begründung Ihres Antrags zeigt, dass es Ihnen nicht ausschließlich darum geht. Allen anderen die Unabhängigkeit abzusprechen schadet dem Ruf der Wohlfahrtsverbände, der freien Träger, die sich damit beschäftigen, und den vielen Ehrenamtlichen. Ihnen sollte man nicht Abhängigkeit oder Interessenwahrnehmung für ihre Klientel vorwerfen; auch sie müssen sich bei ihrer Beratungstätigkeit an die Gesetze halten. Ich bitte Sie, die in der Antragsbegründung enthaltene Behauptung, jegliche Beratung außerhalb dieser Arbeitsloseneinrichtungen sei abhängig, zurückzunehmen. Im Interesse der übrigen im Bereich der Beratung Tätigen weise ich diese Behauptung entschieden zurück.

(Beifall bei SPD und CDU)

Es gibt - das wurde hier deutlich gesagt - eine ganze Reihe von

Anlaufstellen für die Anspruchsberechtigten. Es sind nicht nur die Ämter für Grundsicherung, sondern auch die Wohlfahrtsverbände, die Gewerkschaften, das Kontaktbüro der SPDLandtagsfraktion, das von Frau Dr. Schröder geleitet wird. Wir alle beschäftigen uns in unseren Wahlkreisbüros mit dieser Klientel und versuchen, Hilfestellung zu geben. In meinem Haus, im MASGF, gehen täglich zig mündliche und schriftliche Anfragen und Beschwerden ein. Auch diese werden natürlich beantwortet.

Sie wollen die Weiterführung nur der Beratungsstellen, die Mitte vergangenen Jahres durch die Arbeitsverwaltung in allen Kreisen bei den freien Trägern eingerichtet wurden, um den Arbeitslosenhilfe- und Sozialhilfeempfängern Unterstützung beim Ausfüllen der Anträge zu geben. Damals war die Situation wirklich anders, als sie sich heute darstellt. Es wurden ca. 200 000 umfangreiche Antragsformulare für eine völlig neue Leistung verschickt. Die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen und der Sozialämter waren schon rein kapazitätsmäßig gar nicht in der Lage, alle potenziellen Antragsteller zu beraten. Deshalb sind durch die Arbeitsverwaltung mehr als 200 Servicestellen im Land eingerichtet worden, deren Mitarbeiter, eben ABMKräfte, beim Ausfüllen der Anträge und der Beantwortung der oft schwierigen Fragen geholfen haben.

Herr Dr. Otto, diese Stellen als unabhängig zu bezeichnen wäre auch nach Ihrem Muster nicht richtig; denn die Mitarbeiter wurden auch von der Arbeitsverwaltung geschult und sie haben die Beratungskapazität der Agenturen erweitert.

Heute haben die damaligen Antragsteller ihre Bescheide erhalten und gegen fehlerhafte Bescheide kann Widerspruch eingelegt werden. Dies ist formlos und ohne nähere Begründung möglich, wenn es Zweifel an der Richtigkeit der Bescheide gibt.

Man kann sich seinen Bescheid von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Arbeitsgemeinschaften und der Grundsicherungsämter auch erläutern lassen. Die Wartezeiten werden immer kürzer. Sie liegen zum Beispiel in Frankfurt (Oder) bei 20 Minuten. Es geht also nur um die Zahl der Neuanträge; ich hatte das heute Morgen gesagt. Deren Zahl ist eben nicht zu vergleichen mit der Situation von vor der Einführung der neuen Leistung. Auch hier geben die Träger der Grundsicherung die benötigte Unterstützung.

Im Übrigen kann jeder freie Träger bei der Arbeitsagentur Anträge auf ABM mit Beratungsaufgaben zum SGB II stellen. Die Agenturen entscheiden über diese Anträge. Das kann das Land dann auch im Rahmen der bestehenden Programme kofinanzieren. - Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und CDU)

Wir sind damit am Ende der Aussprache.

Da kein Überweisungsantrag vorliegt, kommen wir zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 4/426 „Sicherung unabhängiger Beratungsstellen für Leistungen nach dem SGB II“ in der Sache. Wer diesem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Antrag bei einer Stimmenthaltung mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 9 und rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erarbeitung eines Konzepts zur sonderpädagogischen Förderung

Antrag der Fraktion der PDS