Protokoll der Sitzung vom 23.01.2014

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nicht nur der brandenburgische Landtag hat auf Initiative der FDP-Fraktion dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Auch in Thüringen ist fast zeitgleich darüber gesprochen worden, die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zu verhindern. Eine Richtlinie der Europäischen Union, die die Vorratsdatenspeicherung regelt, wurde erst im März 2006 erlassen. Kern dieser Regelung ist es, dass die Verbindungsdaten, die bei Telefonaten, beim Surfen im Internet und bei der Übermittlung von Nachrichten per SMS anfallen, von den Providern für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden. Deutschland hat diese Europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung als einziges Land der Europäischen Union bisher nicht umgesetzt, denn das Bundesverfassungsgericht hatte die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland mit seiner Entscheidung vom 20. März 2010 gestoppt, und auch dem Europäischen Gerichtshof liegt eine Klage gegen diese Richtlinie vor. Mit einer Entscheidung dazu wird in diesem Frühjahr gerechnet. Bis dahin wird es - so wie Heiko Maas, den Sie zitiert haben, ausgeführt hat - auch auf Bundesebene keine Entscheidung dazu geben.

Denn erst mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes werden die Rahmenbedingungen gesetzt. Erst mit dieser Entscheidung wird klar sein, welche Daten wie lange gespeichert werden sollen, erst dann wird klar sein, was möglich ist. Noch wissen wir also nicht, was vor dem Gerichtshof Bestand haben wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, es ist nicht unsere Art, Politik auf diese Weise zu machen: mal eben schnell ein Gesetz vor einer solchen Entscheidung zu erlassen, obwohl wir erst morgen die Rahmenbedingungen dafür im weitesten Sinne kennen. Meiner Ansicht nach kommt Ihr Antrag zu einer Zeit, in der der Justizminister der Bundesrepublik, Heiko Maas - Sie erwähnten ihn -, ganz klar gesagt hat, wie er mit dieser Thematik umzugehen beabsichtigt. Insofern werden wir also weder mit einer Bundesratsinitiative noch mit Initiativen im Rahmen der Innenminister- oder der Justizministerkonferenz den aufgezeigten Weg unterlaufen.

Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes sind die Rahmenbedingungen gesetzt. Lediglich aus diesem Grund

werden wir Ihrem Antrag heute nicht zustimmen. In der Sache bin ich Ihnen gar nicht so fern. Jedoch denke ich, man sollte vom Verfahren her berücksichtigen, dass die Instanzen zu dieser Thematik zu berücksichtigen sind. Insofern warne ich vor jeder vorschnellen Gesetzgebung, um politische Zeichen zu setzen. Vielmehr muss man auch die Formalien berücksichtigen. Aus diesem Grunde lehnen wir Ihren Antrag heute ab. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD sowie des Abgeordneten Büchel [DIE LIN- KE])

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Stark. - Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Lakenmacher erhält das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Goetz, Frau Stark, es gibt einen Unterschied zwischen freiheitlich und freiheitlich-ideologisch. Dieser ist mir gerade wieder deutlich geworden.

Herr Goetz, die ehemalige Bundesjustizministerin der FDP Sie haben es hier ausgeführt - hat sich gern als oberste Vorratsdatenschützerin und Blockadepolitikerin geriert und hat jahrelang das getan, was Sie heute prolongieren wollen. Sie hat fahrlässig Ängste einer angeblich generalverdächtigen Gesamtbevölkerung heraufbeschwören wollen und den freiheitspolitisch ohne Zweifel erforderlichen Datenschutz starrsinnig mutieren lassen - das ist meine Ansicht -, nämlich im Ergebnis zu einem sicherheitspolitischen Taten- und somit Täterschutz durch die Verhinderung der Einführung einer befristeten Vorratsdatenspeicherung.

(Zuruf des Abgeordneten Müller [DIE LINKE])

Wissen Sie, meines Erachtens haben dieser Starrsinn und diese Blockadehaltung dazu geführt, dass im Ergebnis am laufenden Band Kriminalitätsopfer „produziert“ werden. Das ist nach meinem Dafürhalten das traurige Ergebnis.

Für die CDU-Fraktion steht jedenfalls fest: Kriminalitätsbekämpfung, die nicht auf die befristete Speicherung elektronischer Telekommunikation zurückgreifen kann, verhindert und vereitelt die Strafverfolgung überall dort, wo das Internet bzw. die Telekommunikation als Tatmittel für kriminelle Handlungen genutzt wird.

Sie haben vorhin Ausführungen gemacht, was bei der Vorratsdatenspeicherung passiert. Wenn man Ihren Ausführungen folgt und diese fortsetzt, ist Folgendes zu sagen: Nicht festgehalten wird - um damit auch einmal aufzuräumen - der Inhalt der Gespräche bzw. der E-Mail-Kommunikation. Zudem werden die Daten nicht bei der Polizei, sondern bei den Anbietern, bei den Providern gespeichert. Klar ist auch: Die Anbieter dürfen die Daten nur unter engen Voraussetzungen - nach Vorlage eines richterlichen Beschlusses - an die Ermittlungsbehörden herausgeben.

Insofern frage ich Sie: Wo ist das Problem? Ernsthafte Probleme entstehen doch erst dann, wenn man die befristete Vorrats

datenspeicherung nicht einführt und die entstandene Sicherheits- und Schutzlücke eben nicht in Form einer - natürlich verfassungskonformen - Regelung für Mindestspeicherungsfristen schließt; denn die Ermittlungsbehörden können bei vielen Delikten nur unter Rückgriff auf diese Informationen die Täter ermitteln, sie einer gerechten Strafe zuführen oder auch das gab es bereits - die Durchführung von Anschlägen verhindern.

Das ist keine Verletzung von Grund- und Bürgerrechten, Herr Goetz und Frau Stark, sondern gerade der Schutz von Grundund Bürgerrechten. Insofern: Ich bin davon überzeugt, dass eine freiheitliche Gesellschaft Sicherheit als Voraussetzung ihrer Freiheit braucht.

(Zuruf des Abgeordneten Müller [DIE LINKE] - Beifall CDU)

Es ist bekannt: Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung als Maßnahme mitnichten völlig verworfen das wissen Sie - und auch festgestellt, dass sechs Monate Speicherung nicht zu beanstanden sind und hier kein milderes Mittel ersichtlich ist.

Auch der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, der zur Richtlinie Stellung nahm, hat von einem vollkommen legitimen Endziel gesprochen. Auch das dürfte bekannt sein.

Herr Goetz, Sie waren zwar kein Praktiker, ich stelle Ihnen dennoch eine Frage: Wenn Sie hier darauf abheben, dass mit der Vorratsdatenspeicherung eine anlasslose Speicherung von Daten ohne konkreten Anfangsverdacht stattfindet - wie wollen Sie die notwendige Strafverfolgung mit einem entsprechenden Anfangsverdacht betreiben? Wie soll das gehen? Das könnten Sie mir einmal erklären.

Mit anderen Worten also: Wenn man nicht auf Vorrat speichert, dann liegen im Verdachtsfall auch keine Daten vor. So einfach ist das. Dann hilft im Übrigen auch kein Quick-Freeze mehr, obwohl das von der ehemaligen Bundesjustizministerin immer behauptet wurde.

In dem Zusammenhang darf ich noch aus der Praxis berichten: Straftäter, die kurz vor Begehung einer schweren Straftat oder Verüben eines Anschlags der Polizei netterweise mitteilen, dass sie das tun werden, um der Polizei die Speicherung von Daten zu ermöglichen, sind wirklich sehr, sehr selten. Insofern kann ich Ihrer Logik absolut nicht folgen.

Ich bin froh, dass die zum Teil grotesken Züge innerhalb der Debatte jetzt endlich beendet sind, Herr Goetz und Frau Stark. Die neue Koalition im Bund hat erkannt, dass seit sieben Jahren ein sehr, sehr wichtiges und unabdingbares Instrument im Kampf gegen Terror und schwere bis schwerste Kriminalität fehlt. Der geschlossene Koalitionsvertrag ist eindeutig: Es gibt eine europäische Pflicht, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, und es gibt eine Pflicht des deutschen Staates, seine Bürger zu beschützen.

Den überflüssigen Antrag der FDP-Fraktion lehnen wir ab. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Lakenmacher. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion DIE LINKE fort. Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg erhält die Möglichkeit dazu.

Während Herr Dr. Scharfenberg ans Pult tritt, begrüße ich sehr herzlich Gäste aus dem Landkreis Barnim. Seien Sie herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorratsdatenspeicherung ist zweifellos eines der umstrittensten politischen Themen der letzten Jahre. Bei einer Vorratsdatenspeicherung im Sinne der EU-Richtlinie würden alle sogenannten Verbindungsdaten gespeichert, die anfallen, wenn man mit dem Handy oder aus dem Festnetz telefoniert, E-Mails schreibt oder ins Internet geht.

Die Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie steht derzeit aus, was meine Vorredner bereits gesagt haben. Die EU-Kommission hat deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet, das auch mit finanziellen Sanktionen verbunden ist. Das muss uns aber, denke ich, nicht beeindrucken. In einer Zeit, in der die Aktivitäten der NSA auf fremdem Grund und Boden - sogar gegenüber Mitgliedern der Bundesregierung - bekannt geworden sind, ist das eigentlich ein untragbarer Vorgang.

Die Vereinbarung der Bundes-Koalitionäre im Koalitionsvertrag zum Thema Vorratsdatenspeicherung hat für weitreichende Kritik gesorgt. Nachdem die Vorgängerregierung dem Ansinnen auf EU-Ebene über mehrere Jahre nicht gefolgt war, ist es schon erstaunlich, wie mit wenigen klaren Worten diese bisherige Position ad acta gelegt worden ist.

Bundesjustizminister Heiko Maas hat jedoch in seiner neuen Verantwortung klargemacht, dass er nicht vorhabe, der Aussage des Koalitionsvertrages so zu folgen. Er hat sich dabei auf das Plädoyer des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof im Vorgriff auf die Gültigkeitsverfahren zur Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie der EU berufen.

In diesem Plädoyer - Herr Goetz hat das hier ausgeführt kommt der Generalanwalt zu dem Schluss, dass die Richtlinie schwere Rechtsverletzungen aufweist. Vor diesem Hintergrund hat sich die CDU/SPD-Koalition geeinigt. Nun heißt es, die Koalition wolle bis zum Urteil des EuGH kein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung vorlegen. Erste Vorbereitungen für ein Gesetz sollen jedoch schon getroffen werden.

Wir sind der Auffassung, dass jede Art der Vorratsdatenspeicherung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beschädigt.

(Beifall DIE LINKE sowie der Abgeordneten Nonnema- cher [B90/GRÜNE])

Schließlich ist es möglich, in Grundrechte einzugreifen.

Jede Art der Vorratsdatenspeicherung ist zudem eine Gefahr für die Pressefreiheit und für das Berufsgeheimnis von Ärzten, Seelsorgern oder Rechtsanwälten - das wird in diesem Zusammenhang ja auch diskutiert. DIE LINKE lehnt deshalb die anlasslose Speicherung personenbezogener Daten ab.

(Beifall DIE LINKE sowie des Abgeordneten Goetz [FDP])

Das hat die Linksfraktion im Bundestag klar zum Ausdruck gebracht. Denn die riesigen Datenbanken - die es gibt - mit sensiblen Daten werden immer Begehrlichkeiten wecken. Die Vorfälle bei der Firma Siemens oder beim Branchenriesen Telekom vor wenigen Jahren haben das deutlich gezeigt. Dabei zeigte der Fall der Telekom, dass niemand Datensicherheit gewährleisten kann: Wenn das schon bei der Telekom nicht der Fall ist, dann auch nicht an anderer Stelle.

Es zeigt sich, dass diese Megadatenbanken allein durch ihre bloße Existenz ein Risiko darstellen und Missbrauch provozieren - weil sie Begehrlichkeiten wecken. Dabei sollte man aber eines nicht aus dem Auge verlieren: Jeden Tag werden durch Google, Facebook und andere Firmen hunderte von Millionen Datensätze erhoben, die die Benutzer freiwillig zur Verfügung stellen und die von diesen Firmen verwertet werden. Denn allein auf einer solchen Verwertung beruht ja auch das Internet. Es ist also auch ein generelles Problem.

Insofern hat der Antrag der FDP - und jetzt auch der Grünen unsere Sympathie und Aufmerksamkeit. Die Bundesregierung hat sich darauf geeinigt, dass die Entscheidung des EuGH abgewartet wird. Es ist nach dem Votum des Generalanwalts davon auszugehen, dass es deutliche Korrekturen geben wird. Auf dieser Grundlage wird dann die weitere Diskussion zu führen sein, Kollegin Stark hat das hier auch deutlich gemacht.

Mit Verlaub, Herr Goetz: Wir werden nicht jede Pirouette mitmachen, die Sie hier drehen,

(Zustimmung bei der Fraktion DIE LINKE und der SPD)

um ihre verlorengegangene Präsenz im Bundestag zu kaschieren und auszugleichen, und wir springen auch nicht über jedes Stöckchen, das Sie uns hinhalten. Sie wissen wie ich, dass die entscheidenden Diskussionen und Abstimmungsprozesse im Bundestag stattfinden werden. Wie sich die Linksfraktion im Bundestag dabei einbringen wird, habe ich gesagt. Wir werden diese Diskussion weiter führen, aber wir werden Ihren Antrag nicht unterstützen. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg. - Wir fahren entsprechend der Redeliste mit Frau Abgeordneter Nonnemacher von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort.

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste aus dem Barnim! Tja, die Vorratsdatenspeicherung. Zum größten Bürgerrechtsskandal der letzten Jahrzehnte à la NSA fällt der Großen Koalition als Antwort die Vorratsdatenspeicherung ein. Auch wenn das Urteil des EuGH abgewar

tet wird, bedeutet das nur eine Atempause, denn von dem Vorhaben an sich rückt man nicht ab.

Die Vorratsdatenspeicherung zu verhindern war schon seit langem das Ziel von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Eine freiheitliche Gesellschaft braucht Bürgerinnen und Bürger, die frei sind von Angst vor Kriminalität, aber ebenso frei von Überwachung und pauschaler Verdächtigung durch den Staat.

(Beifall B90/GRÜNE und FDP)

Wir haben ein Recht auf Privatsphäre, und doch werden über uns so viele Daten gesammelt und kontrolliert verarbeitet wie noch nie. Die geplante Neuauflage einer anlass- und verdachtslosen massenhaften Speicherung individueller Telekommunikationsverkehrsdaten bedeutet einen tiefen Eingriff in die durch das Grundgesetz und die EU-Grundrechtscharta verbürgten Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger, insbesondere in das Telekommunikationsgeheimnis, das Grundrecht auf Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.